(Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

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Pluto
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#41 Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Pluto » Mo 17. Aug 2015, 18:26

closs hat geschrieben:Insofern - notabene - ist auch der Kritische Rationalismus eine Ideologie, WENN sie sich als Philosophie und nicht (wie es sich gehören würde) lediglich als Methodik versteht.
Sorry, aber das ist eine völlig inakzeptable Behauptung von dir.

Karl Popper, der Vater des KR, hat Zeit seines Lebens dagegen angekämpft, ein Philosoph genannt zu werden. Auch kämpfte gegen jegliche Form des Dogmatismus.

Popper erkannte anhand seines Beispiels der schwarzen Schwäne, dass der Positivismus nicht als Beweismittel taugte. Er forderte deshalb auf, die Fehlersuche zum Leitprinzip der Wissenschaft zu erheben. Das Problem dabei ist dass man damit nicht unbedingt zur Wahrheit gelangt, weil in der Fehlersuche ebenfalls Fehler vorhanden sein können. Aber immerhin ist der KR als Methode weitaus besser als der früher geltende Nominalismus (vom Realismus gar ganz zu schweigen), denn mit dem KR kann man zumindest die Gewissheit erlangen, sich der Wahrheit genähert zu haben.

Das ist etwas was keine andere Methode für sich beanspruchen kann.
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#42 Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von closs » Mo 17. Aug 2015, 18:38

Pluto hat geschrieben:Karl Popper, der Vater des KR, hat Zeit seines Lebens dagegen angekämpft, ein Philosoph genannt zu werden.
Wie klug von ihm. - Denn dann ist der KR KEINE Ideologie (so habe ich es auch geschrieben). - Allerdings gibt es ein Rezeptions-Problem: Der KR wird oft so behandelt, als sei er eine Philosophie.

Pluto hat geschrieben:Das ist etwas was keine andere Methode für sich beanspruchen kann.
KR als Methodik (und nichts anderes) steht außerhalb jeglicher Kritik - da sind wir uns einig.

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#43 Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Pluto » Mo 17. Aug 2015, 18:43

closs hat geschrieben:KR als Methodik (und nichts anderes) steht außerhalb jeglicher Kritik - da sind wir uns einig.
Noch eine Frage, dann gebe ich Ruhe. :D
Steht die auf dem KR basierende HKM über der kanonische Interpretation, oder nicht.
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Naqual
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#44 Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Naqual » Mo 17. Aug 2015, 19:22

Pluto hat geschrieben:Popper erkannte anhand seines Beispiels der schwarzen Schwäne, dass der Positivismus nicht als Beweismittel taugte. Er forderte deshalb auf, die Fehlersuche zum Leitprinzip der Wissenschaft zu erheben. Das Problem dabei ist dass man damit nicht unbedingt zur Wahrheit gelangt, weil in der Fehlersuche ebenfalls Fehler vorhanden sein können. Aber immerhin ist der KR als Methode weitaus besser als der früher geltende Nominalismus (vom Realismus gar ganz zu schweigen), denn mit dem KR kann man zumindest die Gewissheit erlangen, sich der Wahrheit genähert zu haben. Das ist etwas was keine andere Methode für sich beanspruchen kann.

Wissenschaft besteht nicht einfach aus Beweisführungen. Diese sind wichtig, kein Zweifel. Aber es geht in den Wissenschaften auch darum Theorien zu entwickeln, Gesamtzusammenhänge zu erkennen, usw. Hier nützt Popper verhältnismäßig wenig. Seine Stärke war die Fokusierung auf die Sicherheit wissenschaftlicher Aussagen. Diese ist umso höher desto begrenzter die Aussage in Raum und Zeit ist und je geringer ihre Komplexität ist. Naturgemäß gefällt Popper deswegen auch Naturwissenschaftlern, bei denen man das studierte Objekt entsprechend insolieren kann. Am anderen Ende der Skala sind für mich die Geisteswissenschaftler, die extrem komplex denken und forschen müssen. Wenn man z.B. politische Phänomene mit ihren Wechselwirkungen zwischen Staaten und im Innenverhältnis ihrer Bürger betrachtet, dann wird es SEHR komplex. Da nützt eine Beweisführung ala Popper relativ wenig um Zusammenhänge zu erkennen und in eine Theorie zu gießen. Gleichzeitig ist der Gesellschaftswissenschaflter andererseits auch vorsichtiger was den Grad der Wahrscheinlichkeit richtiger Aussagen in diesen komplexen Kontexten anbelangt. Muss er sein.

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#45 Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Pluto » Mo 17. Aug 2015, 19:30

Naqual hat geschrieben:Wissenschaft besteht nicht einfach aus Beweisführungen. Diese sind wichtig, kein Zweifel. Aber es geht in den Wissenschaften auch darum Theorien zu entwickeln, Gesamtzusammenhänge zu erkennen, usw. Hier nützt Popper verhältnismäßig wenig.
Da hast du recht. Erst kommt die Idee, dann kommen die Vorhersagen, und zu guter Letzt, die Überprüfung der Idee. Versagt die Überprüfung, muss man die Theorie entweder anpassen oder verwerfen.

Dies hat schon Richard Feynman rund dreißig Jahre VOR Popper in einer einzigen Minute seinen Studenten erklärt. Das erschien den damaligen TV-Machern so wichtig, dass sie die Aussage Feynmans auf Film festhielten.
Leider übersehen selbst heute noch viele Menschen (vor allem Laien) die Wichtigkeit der Überprüfung der Ideen.


Bitteschön... Richard Feynman (späterer Nobelpreisträger) in: Der Schlüssel zur Wissenschaft.



Ich werde nie müde, mir diesen Filmausschnitt anzusehen.
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#46 Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von closs » Mo 17. Aug 2015, 19:49

Pluto hat geschrieben:Steht die auf dem KR basierende HKM über der kanonische Interpretation, oder nicht.
Weder drüber noch drunter. - Beide untersuchen Unterschiedliches.

Die HKM untersucht nach meinem Verständnis, was rauskommt, wenn man die Bibel wie einen historischen Bericht versteht bzw. welche Passagen historisch verwertbar sind.

Die kanonische Interpretation nutzt einerseits das Historisch-Kritische als nützliche Quelle, erkennt sie aber als theologische Größe nicht an (tue ich ebenfalls nicht) - insofern ist es aus meiner Sicht unverständlich, warum die HK theologische Deutungs-Vollmacht "(Jesus hatte eine eigene Naherwartung") beansprucht. - Das ist so, als würde sich ein Schriftsetzer bemüßigt fühlen, eine literarische Deutungs-Vollmacht des SChriftstellers zu übernehmen.

Deshalb: Beide Interpretationen tun komplett Unterschiedliches und sind nicht im Wettstreit miteinander, wenn sie bei ihren Leisten bleiben.

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#47 Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Pluto » Mo 17. Aug 2015, 19:52

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Steht die auf dem KR basierende HKM über der kanonische Interpretation, oder nicht.
Weder drüber noch drunter. - Beide untersuchen Unterschiedliches.

[...]

Deshalb: Beide Interpretationen tun komplett Unterschiedliches und sind nicht im Wettstreit miteinander, wenn sie bei ihren Leisten bleiben.
Aha?!
Und was tut man wenn ein Widerspruch entsteht, wie es bei der Naherwartung der Fall ist?
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#48 Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von closs » Mo 17. Aug 2015, 19:59

Pluto hat geschrieben:Leider übersehen selbst heute noch viele Menschen (vor allem Laien) die Wichtigkeit der Überprüfung der Ideen.
Innerhalb der Naturwissenschaft ist das ja nachvollziehbar - das Problem ist in Geisteswissenschaften ein anderes:

Geisteswissenschaftliche Thesen ist nicht oder nur beschränkt (objektiv) überprüfbar. - Das Wissenschaftliche in Geisteswissenschaft besteht in aller Regel NICHT in der Überprüfbarkeit (weil es gar nicht geht), sondern in der logischen Geschlossenheit einer Darstellung.

Das heisst NICHT, dass man in der Geisteswissenschaft willkürliche Aussagen machen kann:
* Erstens, weil es schwer genug ist, logisch geschlossene Systeme zu entwickeln.
* Zweitens, weil es auch bei Geisteswissenschaften oft genug historisch-kritische Grenzen gibt - Beispiel: Man wird geisteswissenschaftlich nie postulieren können, dass Jesus zur Zeit der Pharaonen gelebt hat.

Pluto hat geschrieben:Versagt die Überprüfung, muss man die Theorie entweder anpassen oder verwerfen.
Weil dies bei geisteswissenschaftlichen Fragen in der Regel kein Rezept ist, kann der Schuss sogar nach hinten losgehen. - Nämlich dann, wenn man das wenige objektiv Überprüfbare zum Maßstab von Theorien macht - das ist dann so, als würde man aus der Spitze des Eisbergs schließen, dass Eis auf der Oberfläche schwimmt (man sieht also das Darunter nicht). - Völlig indiskutabel und lediglich zur methodischen Selbstbefriedigung geeignet.

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#49 Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von Pluto » Mo 17. Aug 2015, 20:07

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Versagt die Überprüfung, muss man die Theorie entweder anpassen oder verwerfen.
Weil dies bei geisteswissenschaftlichen Fragen in der Regel kein Rezept ist, kann der Schuss sogar nach hinten losgehen.
Was ich nicht dabei verstehe, ist warum sich die Theologie bemüht den Mantel der wissenschaftlichkeit überzuziehen.
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#50 Re: (Historische) Betrachtung verschied. Ideologien

Beitrag von closs » Mo 17. Aug 2015, 20:07

Pluto hat geschrieben:Und was tut man wenn ein Widerspruch entsteht, wie es bei der Naherwartung der Fall ist?
Man deutet innerhalb seiner Leisten.

Die HKM müsste sich aus meiner Sicht darauf beschränken zu konstatieren: "Aus den uns vorliegenden Quellen ergibt sich bei der Annahme, dass diese Quellen in Wort und Geist dem Urheber (hier: Jesus) gerecht werden, dass Jesus eine eigene Naherwartung hatte". -Möglicherweise kann die HKM mit ihren Mitteln nicht mehr aussagen (das ist kein Vorwurf).

Der Theologe könnte aufgrund seiner Perspektive zu ganz anderen Ergebnissen kommen - meinetwegen: "Jesu neues Denken, das als solches belegbar ist, wurde offensichtlich weder von den Jüngern noch von den Schreibern qualitativ erfasst, weshalb nicht erkannt wurde, dass Jesus zwischen einem zeitlich nahen "inneren Reich Gottes" und der zeitlich unbestimmten, eher fernen "apokalyptischen Wiederkunft" unterschieden hat".

Würden sich HKMler und Theologe unterhalten, sollten sie sich darüber einig werden, dass beide Aussagen den unterschiedlichen Voraussetzungen der entsprechenden Perspektive geschuldet sind - sich also nicht gegenseitig beißen.

Insofern sehe ich kein Problem. - Ein Problem entsteht erst, wenn die eine Disziplin im Terrain der anderen Disziplin wildert.

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