closs hat geschrieben:Pluto hat geschrieben: Die Forderung ist, dass es prinzipiell möglich sein muss
Auch das ist im philologischen Kontext nicht möglich - da gibt es keinen optimalen Versuchsaufbau, um intersubjektiv nachzuvollziehen, Shakespeare oder (in der Musik) Bach oder (in der Theologie) die Bibel authentisch zu verstehen.
Es gibt sehr wohl methodische Möglichkeiten, einen Korridor zu authentischem Verstehen zu schaffen - den man aber als Individuum auch gehen (können) muss. - Da wäre in der Tat interessant, was Savonlinna zu sagen hat.
In einem ist man sich einig: Wir untersuchen - als Literaturwissenschaftler - nicht die "wirklichen" Absichten eines Autors, sondern die Werke.
In einem anderen Punkt ist man sich ebenfalls einig:
keine Deutung, nicht einmal der verstehende Lesevorgang, ist frei von einem Raster, das der das Werk Deutende und sogar nur Lesende benutzt und das auf sein eigenes Konto geht.
Hier aber schon beginnt die professionelle Methodik, die closs oben einfordert:
Der professionell methodisch Herangehende bennent und beschreibt dieses Raster, das er auf das Werk legt und mit dem er es aufnimmt.
Das heißt: professionelle Selbstreflexion ist erforderlich.
In der Regel besteht dieses "Raster" aus mindestens drei Komponenten:
a. die eigene Kultur und die eigene Zeitepoche
b. die persönlichen Voraussetzungen
c. das persönliche Interesse an dem Werk
Dieser drei Dinge sollte sich der Untersuchende also bewusst zu werden suchen und deutlich auf den Tisch legen.
Daran scheitern leider nicht selten auch professionelle Forscher.
Dennoch gehen wohl jedem Forscher Dinge "durch die Lappen", man nennt das Betriebsblindheit: man sieht seine eigenen unbewussten Muster nicht immer, die man auf das Werk legt.
Dazu ist dann der nächste Forscher da, der diese Deutung analysiert und die Betriebsblindheit aufdeckt.
Das ist normal, und daraus unter anderem resultiert dann die Forschungsgeschichte.
Jetzt aber wird es spannend.
Denn aus der Erkenntnis, dass kein Mensch dieser Erde unbeeinflusst von seiner Kultur, seiner Psyche, seinen Erlebnissen einen Text oder ein Werk verstehen kann, wurde von einigen Theoretikern gefolgert, dass Text oder Werk keine Eigenaussage habe, sondern komplett Produkt des Lesenden und Verstehenden sei.
Dagegen gab es dann erneut Theorien, die die grenzenlose Offenheit der Deutung ablehnen - dazu gehört unter anderem die von Umberto Eco ("Der Name der Rose"), der gleichzeitig ein bedeutender Dichter und ein bedeutender Literaturwissenschaftler ist -, weil ein Text oder Werk notgedrungen eine eigene Struktur habe, die im Werk eingebaut sei und die man nicht ignorieren dürfe.
Zu diesem "sowohl als auch" neige auch ich. Ich lehne - wie Eco - ab, die Psyche des Autors, also seine "Intentionen" als erkennbar zu behaupten, sehe aber auch deutlich, dass die eigene Denk- und Verstehensstruktur immer beim Lesen vorhanden ist. Und sehe ebenfalls deutlich, dass das Werk nicht beliebig deutbar ist, es also im Gegenteil eine eigene "Intention" hat.
Eco nennt das "Werkintention", im Gegensatz zur "Autorenintention".
Letztere ist von keinem rekonstruierbar, und erstere ist eine über die Struktur herausfindbare Eigenintention, die noch nicht einmal vom Autor bewusst gewollt sein muss.
Eben ein Zitat von einem Eco-Kenner gefunden, der das von mir Gesagte folgendermaßen formuliert:
Helge Schalk hat geschrieben:Das Dilemma, vor dem Eco bereits in "Das offene Kunstwerk" steht, ist klar: Entweder ist ein Kunstwerk in einer bestimmten Weise da vor aller Rezeption - und das heißt: Interpretation - oder es entsteht im Moment der Interpretation, je anders.
Eco beschreitet einen "dialektisch" genannten Ausweg aus dem Dilemma. Eine "Dialektik zwischen Offenheit und Form" schwebt ihm vor. Durch den Rückgriff auf einen phänomenologischen Gegenstandsbegriff, durch den Anleihen bei Husserl, Sartre und bei Merleau-Pontys "Phänomenologie der Wahrnehmung" wird deutlich, was Eco will: Offenheit begründen, ohne die Form aufzugeben. Rezeptionsprozesse beschreiben, ohne auf den Begriff Struktur zu verzichten. Offenheit ja, Beliebigkeit und Willkür der Interpretation nein.
http://www.eco-online.de/Texte/Interpre ... iotik.html
closs hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Die sind so gewürdet.
Ok - also über 30.
Ich hab meine Haare nie nachgezählt, aber ich glaube schon, dass es über 30 sind.