Das Gehirn und unser Bewusstsein.

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Savonlinna
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#171 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Savonlinna » Mi 15. Apr 2015, 01:41

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben:Wenn 100 Esoteriker behaupten, ein bestimmtes Phänomen regelmäßig zu beobachten, und 100 Naturwissenschaftler nicht in der Lage sind, diese Beobachtung zu bestätigen, dann müssen die Esoteriker gelogen haben.
Das ist ganz einfach falsch. - Denn wenn 100 normale Menschen (also in Deinem Jargon: "Esoteriker") etwas erleben, UND die Wissenschaft nicht die Parameter kennt, nach denen diese Erlebnisse funzen, dann können sie ebenfalls nicht bestätigen.
Natürlich müssen die Wissenschaftler die Parameter kennen um die es geht, sonst könnten sie das Phänomen doch nicht untersuchen.
Glaube ich nicht. Bin nicht sicher. Denke, die Parameter werden erst später herausgefiltert, wenn man neue Ergebnisse in ihrem Zusammenhang verstehen will.

Als Beispiel könnte die Pionierarbeit Sigmund Freuds dienlich sein:

1889 besuchte Freud Hippolyte Bernheim in Nancy, der Versuche mit der sogenannten posthypnotischen Suggestion durchführte. Aus diesen Versuchen schloss Freud, dass es ein Unbewusstes geben müsse, welches verantwortlich für einen Großteil menschlicher Handlungen sei.
http://de.wikipedia.org/wiki/Sigmund_Fr ... choanalyse

Das heißt, Freud hat aus Beobachtungen, die mit dem bisherigen Begriffsapparat nicht beschrieben werden konnten, eine "Schicht" im Menschen entdeckt, die zwar unsichtbar ist, unkörperlich ist, dennoch aber wirksam. Und was wirksam ist, ist auch vorhanden. Es hat eine Realität, aber keine physische.

Später wurden - auch von C.G.Jung - noch weitere anthropologische Ebenen herausgefiltert, die alle nicht anfassbar sind, alle nur "im Geist" bestehen - aber real wirken. "Über-Ich", "kollektives Unbewusstes" etc.

Diese "imaginären Bereiche" sind alle aus der Empirie, also der empirischen Forschung erwachsen, und das wäre genau das, was ich für wichtig halte.

Eine ergiebige Quelle für mein Interessengebiet, wie Menschen miteinander verbunden sind, ist das Theater. Das Reagieren der Schauspieler aufeinander geschieht zu einem großen Teil instinktiv. Dieses instinktive Reagieren wird in den Theaterschulen trainiert.
Mit naturwissenschaftlichen Mitteln ist das nicht methodisch beschreibbar. Da müssen andere Mittel her, analog zu denen, die Freud dann entdeckt hat.
Hier wäre noch sehr, sehr viel zu tun.

ThomasM
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#172 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von ThomasM » Mi 15. Apr 2015, 09:02

Hallo Savolinna

Ich habe ein wenig über dein Beispiel nachgedacht. Auch wenn die Diskussion hier sehr schnell voran schreitet und auch die üblichen Wortbeiträge zu lesen sind, hoffe ich, mit meinen Gedanken einen Schritt weiter gekommen zu sein.

Die Quintessenz ist die Frage:
Was ist die Aufgabe / das Ziel der Geisteswissenschaft?
Was ist die Aufgabe / das Ziel der Naturwissenschaft?

Ich gehe mal davon aus, dass sich beide methodisch unterscheiden, auch wenn hier noch niemand die geisteswissenschaftliche Methodik klar dargestellt hat.

Betrachten wir mal dein Beispiel:
Savonlinna hat geschrieben: Ich bringe mal ein Beispiel:
Früher, als ich mal eine Weile ziemlich offen für neue Erfahrungen durch die Weltgeschichte ging, kam es nicht selten vor - vielleicht habe ich das hier schon mal irgendwo geschrieben -, dass mir jemand auf der gleichen Straßenseite von der Ferne entgegenkam, den ich als den Menschen X zu erkennen meinte. Als er aber näher kam, war es gar nicht Mensch X, sondern ein Fremder, der dem Menschen X nicht mal ähnlich sah.

Wenige Minuten später aber kam dann tatsächlich Mensch X mir auf dieser Straßenseite entgegen.
Das ist mir mehrmals passiert.
Diese Erzählung ist erst einmal als faktische Beschreibung zu nehmen. Völlig wertfrei dürfen wir annehmen, dass das so passiert ist.
Doch was machen wir damit?

Savonlinna hat geschrieben: Hypothese: Menschen stehen in gewissem Sinne auch noch anders in Zusammenhang miteinander, als durch Sichtbares.
Das war der Satz, der mich ins Nachdenken gebracht hat. Was machst du hier? Du stellst hier eine Hypothese über eine Kausalität oder mindestens eine Korrelation auf. Zumindest behauptest du "da ist mehr als Koinzidenz". So etwas bringt Pluto natürlich sofort dazu, nach der Falsifizierbarkeit zu fragen.

Doch ich stelle hier einmal einen Kernsatz auf, der das Ergebnis meiner Überlegungen darstellt:
Das Formulieren, Feststellen und Untersuchen von kausalen Zusammenhängen, die auch die Basis von Korrelationen sind, ist alleine Aufgabe der Naturwissenschaft.

Nimmt man diesen Satz als gegeben, dann begehst du hier als Geisteswissenschaftlerin eine Grenzverletzung. Du überschreitest dein Gebiet und dringst in Themen vor, in der du weder die methodische, noch die fachliche Kompetenz hast. Du begehst denselben Fehler wie Faransil oder Jack, die mit ihrer naturwissenschaftlichen Methodik und Kompetenz in das geisteswissenschaftliche Gebiet vordringen.

Was solltest du also eigentlich tun? Eben das, was das Ziel und die Aufgabe der Geisteswissenschaft ist und wo deren Methodik auch funktioniert. Das führt mich zu meinem zweiten Kernsatz:
Das Formulieren, Feststellen und Untersuchung von Bedeutung, Zweck und Ziel ist alleine Aufgabe der Geisteswissenschaft.

Das heißt, du hast aus deinem Erlebnis die falschen Fragen gestellt. Richtige Fragen in diesem Sinn wären:
- Was für eine Bedeutung hat der Mensch X in deinem Leben und in deinen Gedanken?
- Was für ein Ziel hat die Begegnung mit ihm, welchem Zweck dient sie?
- Was macht dieses Zusammentreffen der Ereignisse mit dir?
usw.

All diese Fragen lassen sich untersuchen (auch methodisch wissenschaftlich), ohne dass man Hypothesen über Kausalität, Korrelation oder Koinzidenz anstellen muss.

Es sollte klar sein, dass in einer Situation immer beide Typen von Fragen gestellt werden können, sie können sich auch gegenseitig beeinflussen.
Aber methodisch ist damit die Aufgabe von Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft klarer abgegrenzt und damit auch ein Zusammenarbeiten möglich.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

closs
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#173 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von closs » Mi 15. Apr 2015, 09:21

ThomasM hat geschrieben:Das Formulieren, Feststellen und Untersuchen von kausalen Zusammenhängen, die auch die Basis von Korrelationen sind, ist alleine Aufgabe der Naturwissenschaft.
Verständnisfrage - was ist mit folgendem Satz des jungen Paars: "Ich will mein weiteres Leben mit Dir verbringen, WEIL ich Dich liebe". - Das ist die Formulierung eines kausalen Zusammenhangs - oder nicht?

ThomasM
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#174 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von ThomasM » Mi 15. Apr 2015, 09:42

closs hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:Das Formulieren, Feststellen und Untersuchen von kausalen Zusammenhängen, die auch die Basis von Korrelationen sind, ist alleine Aufgabe der Naturwissenschaft.
Verständnisfrage - was ist mit folgendem Satz des jungen Paars: "Ich will mein weiteres Leben mit Dir verbringen, WEIL ich Dich liebe". - Das ist die Formulierung eines kausalen Zusammenhangs - oder nicht?
Nein, das sehe ich nicht.
Es ist die Formulierung eines Zwecks, eines inneren Grunds.
Es gibt keine Kausalität Liebe -> Zusammenleben. Auch wenn die Begrifflichkeit hier durchaus mehrdeutig ist. Aber es ist die Aufgabe der Wissenschaft, die Begriffe in ihrem Kontext klar zu definieren.

Kausalität wäre etwas viel banaleres:
Ich lebe mit dir zusammen WEIL ich gestern bei dir eingezogen bin.

Gruß
Thomas
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closs
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#175 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von closs » Mi 15. Apr 2015, 09:52

ThomasM hat geschrieben:Kausalität wäre etwas viel banaleres: Ich lebe mit dir zusammen WEIL ich gestern bei dir eingezogen bin.
Trotzdem ist das "WEIL" beim Satz "Ich will mein weiteres Leben mit Dir verbringen, WEIL ich Dich liebe" so gemeint.

Denn würde ich Dich nicht lieben, würde ich mein Leben nicht mit Dir verbringen wollen - die Liebe ist als der Grund (die "causa") dafür. Es ist, wie Du sagst, ein "innerer Grund" KEIN Grund (= causa). - Kausal kommt doch von causa.

Du sagst: "Das Formulieren, Feststellen und Untersuchen von kausalen Zusammenhängen, die auch die Basis von Korrelationen sind, ist alleine Aufgabe der Naturwissenschaft".

Ich würde sagen: "Das Formulieren, Feststellen und Untersuchen von kausalen Zusammenhängen, die auch die Basis von Korrelationen sind, ist dann Aufgabe der Naturwissenschaft, wenn diese Zusammenhänge objektiviert werden können". Ansonsten muss man ins Geisteswissenschaftliche ausweichen.

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Savonlinna
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#176 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Savonlinna » Mi 15. Apr 2015, 10:21

ThomasM hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Hypothese: Menschen stehen in gewissem Sinne auch noch anders in Zusammenhang miteinander, als durch Sichtbares.
Das war der Satz, der mich ins Nachdenken gebracht hat. Was machst du hier? Du stellst hier eine Hypothese über eine Kausalität oder mindestens eine Korrelation auf. Zumindest behauptest du "da ist mehr als Koinzidenz". So etwas bringt Pluto natürlich sofort dazu, nach der Falsifizierbarkeit zu fragen.

Nein. Ich habe keinerlei Kausalität in meine Frage bringen wollen. Woraus liest Du das?
Und es ging mir auch nicht um Koinzidenz. Insofern auch nicht um "mehr als Koinzidenz".
Mein Themenfeld betraf die Projektion. Dass man eben erst einen anderen für X hielt, der gleich danach kam.
Ich fragte nicht, warum X die Straße entlang kam.

Dann muss ich wohl doch nicht eindeutig mein Beispiel gebracht haben, und ich bitte Pluto um Verzeihung; denn ich hielt mein Beispiel für klar beschrieben.

Sicher ist auch das interessamt. Aber daran verhebe ich mich hier erst mal nicht.
Selbst wenn in diesem Falle "warum" da steht, wäre es kein kausales "Warum".

Das ist wieder die Vieldeutigkeit von Sprache, deren einzelne Bedeutungsebenen man nicht auf nur eine reduzieren darf.
Die Sprache hat noch kein Extra-Wort für das Gemeinte geschaffen, darum bin ich auf "warum" in dem Falle angewiesen.
Das Festnageln auf Wörter und deren eindimensionale Bedeutung verhindert in dem Falle neue Beobachtungen und Fragestellungen.

Wenn man fragt: "Warum musste gerade mein Kind sterben"? dann ist da pro forma ein "warum" drin, aber dieser Verzweiflungsschrei ist nicht kausal gemeint. Darum kann man nicht sagen: Diese Frage sei falsch gestellt, man habe keine fachliche Kompetenz dafür, diese zu beantworten, ja, überhaupt zu haben.
Was dieses "warum" dann ist in diesem Fall, darüber werde ich noch nachdenken. Aber kausal nicht.

Außerdem bin ich nicht sicher, dass nur die Naturwissenschaft das Recht hat, kausale Zusammenhänge zu ergründen.
Es könnte aber auch stimmen.
Falls es stimmt, hätte ich erstmalig eine Begründung - Achtung, "Begründung" ist formal kausal, aber ich meine keine Kausalität - dafür, warum die Literaturwissenschaft sich daran verhebt, wenn sie Zusammenhänge zwischen der Biographie eines Autors und einem Werk herzustellen sucht: Das Werk sei entstanden, weil der Autor das und das erlebt hat, zum Beispiel.
So dachte der literarische Positivismus des 19. Jahrhunderts, der längst von der Literaturwissenschaft aussortiert ist, aber zur Zeit eine heftige Renaissance bei Literaturfreunden hat, aber auch bei einigen Literaturwissenschaftlern.


ThomasM hat geschrieben:Doch ich stelle hier einmal einen Kernsatz auf, der das Ergebnis meiner Überlegungen darstellt:
Das Formulieren, Feststellen und Untersuchen von kausalen Zusammenhängen, die auch die Basis von Korrelationen sind, ist alleine Aufgabe der Naturwissenschaft.
"Korrelationen" sind von der Naturwissenschaft nicht gepachtet. Und sie hat kein Recht, Zusammenhänge auf kausale Zusammenhänge für andere Wissenschaften vorzuschreiben.
Es gibt jede Menge andere Zusammenhänge, die nicht kausal sind. Es wäre in dem Falle Ideologie, wollte man jeden Zusammenhang als kausal behaupten.
Vielleicht liegt hier der Knackpunkt.


ThomasM hat geschrieben:Was solltest du also eigentlich tun? Eben das, was das Ziel und die Aufgabe der Geisteswissenschaft ist und wo deren Methodik auch funktioniert. Das führt mich zu meinem zweiten Kernsatz:
Das Formulieren, Feststellen und Untersuchung von Bedeutung, Zweck und Ziel ist alleine Aufgabe der Geisteswissenschaft.
"Zweck und Ziel"? Das war noch nie die Aufgabe der Geisteswissenschaften. Deren Untersuchung fällt für mich nicht in das Feld einer Wissenschaft.


ThomasM hat geschrieben:Das heißt, du hast aus deinem Erlebnis die falschen Fragen gestellt. Richtige Fragen in diesem Sinn wären:
- Was für eine Bedeutung hat der Mensch X in deinem Leben und in deinen Gedanken?
- Was für ein Ziel hat die Begegnung mit ihm, welchem Zweck dient sie?
- Was macht dieses Zusammentreffen der Ereignisse mit dir?
usw.
Du verstehst mein Beispiel offenbar wie Pluto. Dabei ging es mir allein um diese Projektion - welche Wahrnehmungsfähigkeit das sein könnte.
Aber selbst wenn ich es so gemeint hätte, wie Du es verstehst: warum sei ich diesem Menschen begegnet? sehe ich nicht, dass die Geisteswissenschaft - die ja übrigens nicht so klar definiert ist - auf das beschränkt ist, was Du sagst.

Die Untersuchung aber, welche Wahrnehmungsfähigkeiten ein Mensch hat, ist Teil der Psychologie. Und zwar Teil der Psychologie, die nicht naturwissenschaftlich ist.

Zur Kausalität insgesamt:
Kant hat aufgezeigt, dass wir Menschen zwanghaft die Dinge in Raum und Zeit und Kausalität einordnen.
Das war ein großer Befreiungsschlag, weil diese drei Dinge eben durch die Struktur des Menschen bedingt seien.
Man kann aber - und das wäre die Anschlussfrage an Kant - auch beobachten und beschreiben, dass der Mensch nicht nur kausal die Dinge wahrnimmt.
Wie er sie außerdem wahrnimmt, das ist meine Kernfrage.
Zuletzt geändert von Savonlinna am Mi 15. Apr 2015, 10:36, insgesamt 1-mal geändert.

closs
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#177 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von closs » Mi 15. Apr 2015, 10:35

Savonlinna hat geschrieben:Wie er sie außerdem wahrnimmt, das ist meine Kernfrage.
Der Mensch nimmt aus meiner Sicht ohnehin nicht kausal wahr, sondern phänomenologisch. - "Kausal" ist EINE von vielen logischen Möglichkeiten, ein Phänomen zu bewerten - mit der Wahrnehmung selbst hat es nichts zu tun - oder doch?

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#178 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Savonlinna » Mi 15. Apr 2015, 10:56

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Wie er sie außerdem wahrnimmt, das ist meine Kernfrage.
Der Mensch nimmt aus meiner Sicht ohnehin nicht kausal wahr, sondern phänomenologisch.
Auf jeden Fall scheinst Du das gleiche Unbehagen zu haben wie ich, wenn man "warum" auf das Kausale reduziert.
Aber die Überlegungen von Thomas haben mich überhaupt erst darauf gebracht, dass wir "warum" auch anders verstehen als kausal.
Das bringt mich weiter, weil ich nun versuchen kann herauszufinden, was sonst man damit meint.

closs hat geschrieben:- "Kausal" ist EINE von vielen logischen Möglichkeiten, ein Phänomen zu bewerten - mit der Wahrnehmung selbst hat es nichts zu tun - oder doch?
Ich fürchte, dass wir über Jahrhunderte von der Naturwissenschaft mental geprägt wurden, sodass wir tatsächlich ständig Ereignisse kausal in Zusammenhang zu bringen suchen und die Dinge auch so wahrnehmen. Die zwanghafte Untersuchung von literarischen Werken als kausales Produkt bestimmter sogenannter Ereignisse in Leben der Autoren dieser Werke zeigt das zum Beispiel.

Moment, Du meinst was anderes. Tschuldigung. Du trennst Wahrnehmung und die Deutung der Wahrnehmung. Das tue ich allerdings auch, hab da im Moment nicht aufgepasst.
Ja, wir deuten die Wahrnehmung meist in dem Augenblick, wo wir etwas wahrnehmen.
Der Versuch, die Wahrnehmung von deren Deutung zu lösen, ist aber schwer.

Wenn Du oben schreibst, dass der Mensch "phänomenologisch" wahrnimmt, dann bin ich sehr vorsichtig. Ich möchte nicht von einer Weltanschauung in die nächste fallen. Und nicht von einer fertigen Antwort in die nächste.
Die Phänomenologie erklärt mir auch nicht, warum man etwas, was erst später kommt, schon vorher auf einen Menschen projiziert.
Im Grunde ist mein Thema hier gar nicht die Kausalität, sondern die Zeit.

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#179 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von closs » Mi 15. Apr 2015, 11:27

Savonlinna hat geschrieben:Die Phänomenologie erklärt mir auch nicht, warum man etwas, was erst später kommt, schon vorher auf einen Menschen projiziert.
Die Phänomenologie erklärt aus meiner Sicht an sich erst einmal GARNICHTS (wobei der Begriff "Phänomenologie" ja auch schon wieder eine eigene Begriffs-Historie hat - ich meine hier "Phänomenologie" als schieres Feststellen eines Phänomens - z.Bsp: "Savonlinna steht in meiner Küche. Punkt").

DANACH kommen dann Fragen: Steht sie hier
* obwohl
* weil
* nachdem
* etc. ---?---

Savonlinna hat geschrieben:Ich fürchte, dass wir über Jahrhunderte von der Naturwissenschaft mental geprägt wurden, sodass wir tatsächlich ständig Ereignisse kausal in Zusammenhang zu bringen suchen und die Dinge auch so wahrnehmen.
Ich vermute, das hat mit den Griechen zu tun - Begründung:

Mir ist aufgefallen, dass die urtext-nahe Buber-Übersetzung des AT "phänomenologisch" (in meinem obigen Sinne) ist, während man bei Apokryphen sofort merkt, dass die Basis-Sprache eine andere als hebräisch (nämlich griechisch) ist. - Unsere "normalen" Bibel-Übersetzungen - so mein Eindruck - übersetzen hebräische Texte, als wären sie mental griechische Texte. - Dazu könnte man einige Textbeispiele bringen.

Mit anderen Worten: Nach meinem Eindruck ist unsere europäische Denk-Mentalität nicht hebräisch, sondern griechisch geprägt - mit der Folge, dass wir unsere Interpretation des Phänomens VOR das Phänomen selbst stellen - Anthropozentrismus statt Con-Scientia.

Savonlinna hat geschrieben:Der Versuch, die Wahrnehmung von deren Deutung zu lösen, ist aber schwer.
Das sollten wir aber lernen - Kinder können das.

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#180 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Savonlinna » Mi 15. Apr 2015, 11:45

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Der Versuch, die Wahrnehmung von deren Deutung zu lösen, ist aber schwer.
Das sollten wir aber lernen - Kinder können das.
Ich weiß nicht. Eine der "Ur-Wahrnehmungen" scheint mir Schmerz zu sein. Und Schmerzempfinden ist ebenfalls bereits eine Deutung.
Kinder können das nicht trennen. Sie schreien, wenn etwas wehtut.

Allerdings kann man auch Deutungen wieder auf verschiedenen Ebenen verstehen. Man kann sie intellektuell von der Wahrnehmung trennen - aber nicht de facto, denke ich. Es kann höchstens eine Deutung eine andere ersetzen. Aber wenn eine Wahrnehmung von dem Wahrnehmenden nicht gedeutet wird, ist sie vermutlich nicht wahrnehmbar.

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