Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

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closs
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#121 Re: Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

Beitrag von closs » Mo 16. Jun 2014, 09:19

Pluto hat geschrieben:Es geht darum, aus der Regress-Falle (Münchhausen Trilemma) herauszukommen.
Das hat die Hermeneutik im geisteswissenschaftlichen/sozialwissenschaftlichen Kontext schon lange davor getan - allerdings ist der Begriff Hermeneutik so unterschiedlich besetzt, dass ich es einmal (hoffentlich humorvoll) erklären will:

Das Wort „Hermeneutik“ kommt vom griechischen „hermÄ“neúō = auslegen, erklären, übersetzen". Damit charakterisiert dieser Begriff die Art von Wahrnehmung, die immer wieder überprüft und weiterentwickelt wird mit dem einzigen Ziel, sich immer mehr an den URSPRUNG der Wahrnehmung, also der Wahrheit selbst, anzunähern. – Im folgenden eine Erklärung anhand eines konkreten Beispiels: Ein Mann sieht eine für ihn attraktive Frau und beschäftigt sich mit ihr mit dem Ziel, sich ihr anzunähern. - Ausgangspunkt für diese Beschäftigung ist zunächst das eigene Vorwissen über das Phänomen Frau. - Konkret: Man weiß – sei es konkret oder diffus -, dass eine Frau für einen Mann zielwürdig ist. - Der eigentliche Verstehensprozess, also der Hermeneutische Prozess, wird nun dadurch angeworfen, dass man aufgrund seines Vorwissens oder Vorfühlens über das Phänomen „Frau“ weitere Vermutungen über sie gleichsam in die Zukunft vorauswirft. Man zieht also Schlussfolgerungen aus seinem Vorwissen – gleichsam als Arbeitsgrundlage für die weitere Beschäftigung. - Konkret: Diese attraktive Frau lässt sich gerne zum Essen einladen, also – schlussfolgert man – wird sie auch einmal gerne für einen kochen. - Der nächste Schritt führt zu Änderungen und/oder Weiterentwicklungen des ursprünglichen Vorwissens und den darauf gegründeten Schlussfolgerungen. - Konkret: Fall 1: Sie kocht wirklich gerne für mich – die Schlussfolgerung war also richtig. – Fall 2: Sie hat ebenfalls einen Fulltimejob, deshalb gehen wir jeden Abend zum Italiener – die Schlussfolgerung war also falsch. Fall 3: Sie ist nicht Hausfrau, sondern ich bin Hausmann, und deshalb bin ich es jetzt, der gerne kocht - Wobei hier wichtig anzumerken ist, dass dieser Erkennungsprozess an sich keine Bewertung ist, sondern eben ein Erkennungsprozess – seine wertende Interpretation ist Sache der Betroffenen untereinander.

Mit diesem durch Erfahrung modifizierten, also weiterentwickelten Vorwissen kann der Verstehensprozess erneut angestoßen werden und kann im Prinzip endlos – deshalb „Hermeneutischer ZIRKEL“, besser noch wäre “Hermeneutische SPIRALE“ - wiederholt werden. Das heißt: Das Projekt der Ausdeutung einer Beziehung entwickelt sich immer weiter. In der Regel wird dies so aussehen, dass immer mehr wachsendes und sich immer mehr stabilisierendes Wissen zu Schlussfolgerungen führt, die immer realistischer werden. In unserem Bild: Die Rollenverständnisse untereinander werden immer klarer – so oder so, egal wie.

Die Verwandtschaft zu Popper besteht darin, dass auch der hermeneutische Prozess sehr pragmatisch ist - man arbeitet mit dem, was man gegenwärtig an Erkenntnis zur Verfügung hat.

Pluto hat geschrieben: Die Naturwissenschaft arbeitet heute sehr gut damit.
Das soll sie auch beibehalten.

Wichtig für kritischen Rationalismus und hermeneutischer Methode ist aber, zu erkennen: Es sind hoch-entwickelte Methoden zur PRAGMATISCHEN Förderung der Wahrnehmung - es sind KEINE Philosophien. - Man kann also NICHT sagen, der Kritische Rationalismus oder die Hermeneutische Methode sagten etwas GRUNDSÄTZLICH über das Sein aus - im Gegenteil: Beide sind heuristisch (= "Heuristik (altgr. εὑρίσκω heurísko „ich finde“; von εὑρίσκειν heuriskein ‚auffinden‘, ‚entdecken‘) bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen (unvollständigen Informationen) und wenig Zeit zu guten Lösungen zu kommen.[1] Es bezeichnet ein analytisches Vorgehen, bei dem mit begrenztem Wissen über ein System mit Hilfe von mutmaßenden Schlussfolgerungen Aussagen über das System getroffen werden". wik).

Man kann also mit Verweis auf den Kritischen Rationalismus NICHT sagen: "Weil mein Ski gut gewachst ist, gibt es nur Schnee". - Genau das passiert aber ständig, wenn man "das, was der Fall ist" daran misst, ob es mit dem Kritischen Rationalismus fassbar ist. Auf Geröll nutzt halt auch ein gut gewachster Ski nichts.

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sven23
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#122 Re: Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

Beitrag von sven23 » Mo 16. Jun 2014, 09:50

closs hat geschrieben: Man kann also mit Verweis auf den Kritischen Rationalismus NICHT sagen: "Weil mein Ski gut gewachst ist, gibt es nur Schnee". - .

Na ja, mal ehrlich, auf solche Schlußfolgerungen kommen aber nur Esoteriker. :lol:

Im übrigen kann man auch auf Sanddünen Ski fahren. ;)
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closs
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#123 Re: Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

Beitrag von closs » Mo 16. Jun 2014, 10:16

sven23 hat geschrieben:Na ja, mal ehrlich, auf solche Schlußfolgerungen kommen aber nur Esoteriker.
Glashaus pur - genau dieser Fehler unterläuft des öfteren den Popper-Jüngern (was Popper nicht verdient hat - genauso wenig wie Marx die Marxisten verdient hat).

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sven23
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#124 Re: Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

Beitrag von sven23 » Mo 16. Jun 2014, 11:02

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Na ja, mal ehrlich, auf solche Schlußfolgerungen kommen aber nur Esoteriker.
Glashaus pur - genau dieser Fehler unterläuft des öfteren den Popper-Jüngern (was Popper nicht verdient hat - genauso wenig wie Marx die Marxisten verdient hat).

Das war eine Replik auf den kritischen Rationalismus.
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#125 Re: Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

Beitrag von Pluto » Mo 16. Jun 2014, 11:37

Andreas hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Richtig. Alles was wir wissen ist im Grunde nur Vermutung.
Ich geh schon davon aus, dass die Naturwissenschaft Wissen schafft. Das funktioniert doch gut. Zwischen den Extremen "Alles nur Vermutung" und "Bestätigtes Wissen" hin und her zu springen verwirrt doch nur.
Ein selbstgemachtes Verwirrspiel. Hypothesen sind Vermutungen; Empirie schafft Wissen. Zwei ganz unterschiedliche Dinge. Wenn du dich überfodert fühlst, dann lass es sein mit dem Verwirrspiel.

Andreas hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Es geht darum, aus der Regress-Falle (Münchhausen Trilemma) herauszukommen.
Was ist denn daran eigentlich so schlimm?
Dass es immer mit einem Dogma endet.

Der kritische Rationalismus bereitete dem ein Ende. In dem man den infiniten Regress mit einer Hypothese abschloss, verzichtete man auf Dogmen und Behauptungen, und ließ gleichzeitig die Tür für Erneuerung und Fortschritt offen.
Das ist eine der ganz großen Stärken der Wissenschaft gegenüber anderen Beweisketten mit dogmatischen Behauptungen.
Andreas hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das hat den Vorteil, dass man die Hypothese so lange vertreten kann, bis bessere Fakten oder Beobachtungen gefunden werden.
Ein selbsterstelltes Dogma hindert einen doch nicht am weiterforschen.
Sicher doch, wenn man daran festhält, weil man ihn für wahr hält.
In der Naturwissenschaft gibt es doch keinen "Papst". Ob "Dogma" oder falsifizierbare Hypothese, beides wird man gerne ändern, wenn man neue Erkenntnisse hat, die das erfordern.
Das ist ein sprachliches Problem.
Ein Dogma ist definiert als ein Wahrheitsanspruch der als unumstößlich gilt. Du meinst vermutlich ein Axiom.
Andreas hat geschrieben:Das macht die Sache nur kosmetisch besser.
Ein Dogma ist nicht Kosmetik, sondern ein ungerechtfertigter Wahrheitsanspruch.
Andreas hat geschrieben:weil die falsifizierbare Hypothese auch nur eine vage Vermutung sein kann. Ist doch nicht so schlimm, wenn man sagt: Weiter weiß ich nicht.
Natürlich ist das besser als an einen ungerechtferigten Wahrheitsanspruch festzuhalten. Genau darum hat sich der kritische Rationalismus auch durchgesetzt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#126 Re: Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

Beitrag von Scrypton » Mo 16. Jun 2014, 11:37

Andreas hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Darkside hat geschrieben:Die Fragen, warum es dieses oder jenes gibt, ist nicht automatisch eine ontologische Frage! "Warum erscheint ein Regenbogen, wenn es regnet und die Sonne scheint". Bereich der Ontologie? Nein!
Das ist aber auch keine Fragestellung, um die sich Ontologie kümmern würde.
Naturwissenschaft kann Darksides Frage nach dem Warum des Regenbogens nicht restlos klären. Weil die Naturwissenschaft die Frage nach dem "Warum des Seins" nicht beantworten kann.
Derlei Fragen, wie man sie sich zu dutzenden ausmalen kann, sind auch mit fantasiereichen Spekulationen NICHT zu beantworten.

ThomasM
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#127 Re: Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

Beitrag von ThomasM » Mo 16. Jun 2014, 12:25

Darkside hat geschrieben: Derlei Fragen, wie man sie sich zu dutzenden ausmalen kann, sind auch mit fantasiereichen Spekulationen NICHT zu beantworten.
Was wiederum zeigt, dass die Naturwissenschaft nur bestimmte Fragen zulässt.
Oder mit anderen Worten: Naturwissenschaft verbietet das Stellen bestimmter Fragen bzw. wenn man es sanfter ausdrücken will, klassifiziert Fragen als nicht sinnvoll.

Dakside ist ein schönes Beispiel von einem Menschen, dem dieses Verbot schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, der nicht einmal mehr merkt, dass sein Sichtfeld verengt wird.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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#128 Re: Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

Beitrag von Andreas » Mo 16. Jun 2014, 12:31

Darkside hat geschrieben:Derlei Fragen, wie man sie sich zu dutzenden ausmalen kann, sind auch mit fantasiereichen Spekulationen NICHT zu beantworten.
Das macht doch nichts, wenn weder Naturwissenschaft noch Religion diese Fragen absolut beantworten können, aber bei beiden Versuchen dies zu tun, Sachen herauskommen, die im Lebensalltag zum Nutzen der Menschen anwendbar sind. Aus der Naturwissenschaft kommen Anwendungen für die Außenwelt des Menschen (das Materielle) - aus den Religionen kommen Anwendungen für die Innenwelt des Menschen (das Geistige). Die Naturwissenschaft versucht die Außenwelt zu beschreiben, wie sie ist. Die Religionen versuchen die Innenwelt zu beschreiben, wie sie ist. Die Ergebnisse von beiden sind nützlich um die Frage zu beantworten: Was sollen wir tun in unserem Leben, in dem sowohl Materie als auch Geist eine Rolle spielen? Warum also zur Abwechslung nicht mal zusammen an der Gestaltung unseres Lebens arbeiten?

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#129 Re: Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

Beitrag von Scrypton » Mo 16. Jun 2014, 12:56

Andreas hat geschrieben:Die Naturwissenschaft versucht die Außenwelt zu beschreiben, wie sie ist.
Dessen Beschreibungen lassen sich jedoch auch verifizieren und falsifizieren.

Andreas hat geschrieben:Die Religionen versuchen die Innenwelt zu beschreiben, wie sie ist.
Religionen versuchen, durch ausgedachte Antworten Fragen zu beantworten - doch weder lassen sich die erwünschten Beschreibungen dieser nicht überprüfen. Es ist und bleibt Fantasie.

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#130 Re: Beschreibt die Naturwissenschaft die Welt?

Beitrag von Andreas » Mo 16. Jun 2014, 13:44

Darkside hat geschrieben:
Andreas hat geschrieben:Die Naturwissenschaft versucht die Außenwelt zu beschreiben, wie sie ist.
Dessen Beschreibungen lassen sich jedoch auch verifizieren und falsifizieren.
Mit naturwissenschaftlicher Methodik: Ja
Mit theologischer Methodik: Nein

BTW: Deren Antworten sind ebenfalls ausgedacht um Fragen zu beantworten.

Darkside hat geschrieben:
Andreas hat geschrieben:Die Religionen versuchen die Innenwelt zu beschreiben, wie sie ist.
Religionen versuchen, durch ausgedachte Antworten Fragen zu beantworten - doch weder lassen sich die erwünschten Beschreibungen dieser nicht überprüfen.
Mit naturwissenschaftlicher Methodik: Nein
Mit theologischer Methodik: Ja

Darkside hat geschrieben:Es ist und bleibt Fantasie.
Das ist nicht mehr als eine Behauptung.

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