Das Gehirn und unser Bewusstsein.

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Pluto
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#111 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Pluto » Mo 13. Apr 2015, 11:09

ThomasM hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Ich sehe Bewusstsein als einen geistigen Prozess unseres Gehirns, der dem Körper in seinem täglichen Kampf ums Überleben dient.
Diese Sichtweise ist allgemein verbreitet, man sollte aber auch betonen, dass es keineswegs klar ist, dass diese Definition durchgehalten werden kann. Es ist also eine reine Vermutung.
Ja natürlich. Es ist letztlich meine Sicht, die mir aber angesichts unserer Evolution sehr plausibel erscheint.

Wie unterscheiden sich die Prozesse, die "Bewusstsein erzeugen" von denen, die das nicht tun?
Nun... ich würde gar nicht erst von einer Niere erwarten, dass sie Beswusstsein erzeugt; ihre Funktion ist eine ganz andere. Die Niere hat die Aufgabe, das Blut von den Abfallstoffen des Stoffwechsels zu reinigen. Das Gehirn hat die Aufgabe, mit Hilfe bewusster Gedanken und Handlungen unser Verhalten zu steuern.

Was ist Bewusstsein eigentlich?
Sagte ich das nicht bereits? Aus meiner Sicht ist das Bewusstsein höherer Lebensformen ein "Hilfsprogramm" fürs Überleben.

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit ein Prozess ein Bewusstsein erzeugt?
Komplexität vielleicht?

Was sind die evolutionären Vorteile von Bewusstsein?
Reflektion: das Durchspielen imaginäre Durchdenken einer Handlung, und nicht einfach reflexive Handlung wie etwa bei einem Wurm oder einem Insekt. Das erfüllt das Gebot der Effizienz (Sparsamkeit), welches in der Natur einen hohen Stellenwert hat.

Wenn Bewusstsein dem Kampf ums Überleben dient, warum ist es dann "nach innen" gerichtet und nicht nach außen?
Ich denke, Bewusstsein ist auch nach Außen gerichtet. Wir nehmen äußere Reize wahr und verarbeiten diese zu bewussten Handlungen.

Ich denke viel wichtiger als diese Fragen, ist die Falsifizierung dieses Modells. Welche Hinweise gibt es, dass Geist und Bewusstsein nicht Prozesse eines komplexen Gehirns sind?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

ThomasM
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#112 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von ThomasM » Mo 13. Apr 2015, 11:34

Pluto hat geschrieben: Ich denke viel wichtiger als diese Fragen, ist die Falsifizierung dieses Modells. Welche Hinweise gibt es, dass Geist und Bewusstsein nicht Prozesse eines komplexen Gehirns sind?
Ich denke, die Frage ist schwieriger:
Welche Hinweise gibt es, dass Geist und Bewusstsein nicht ausschließlich Prozesse eines komplexen Gehirns sind?
Die Frage nach der Vollständigkeit des materialistischen Glaubens ist und bleibt unbeantwortet.

Umgekehrt lautet die Frage an Novalis und Co:
Welche Hinweise gibt es, dass Geist und Bewusstsein Prozesse sind, die keines Gehirns bedürfen?

Es gibt nämlich durchaus Modelle, die besagen, dass Geist und Bewusstsein zwar eines Gehirns bedürfen und sich nur über ein Gehirn ausdrücken können, ihre Eigenschaften aber nicht allein über das Gehirn entwickeln.

Das Beispiel, das hier im allgemeinen genannt wird, ist eine Geschichte, z.B. ein Roman. Es gibt sehr verschiedene Medien, durch die sich eine Geschichte entwickeln kann. Durch Erzählen, durch Schrift, als interaktives Spiel, als Film. Verschiedene Medien geben der Geschichte verschiedene Nuancen. Es gibt viele Autoren, die das Schreiben einer Geschichte als "Entdecken der Geschichte" beschreiben, nicht als "Erfinden"

Gruß
Thomas
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Pluto
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#113 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Pluto » Mo 13. Apr 2015, 11:52

ThomasM hat geschrieben:Das Beispiel, das hier im allgemeinen genannt wird, ist eine Geschichte, z.B. ein Roman. Es gibt sehr verschiedene Medien, durch die sich eine Geschichte entwickeln kann. Durch Erzählen, durch Schrift, als interaktives Spiel, als Film. Verschiedene Medien geben der Geschichte verschiedene Nuancen. Es gibt viele Autoren, die das Schreiben einer Geschichte als "Entdecken der Geschichte" beschreiben, nicht als "Erfinden"
Ja natürlich. Allerdings bedurfte es eines denkenden bewussten Menschen, um die Geschichte zu "erfinden" oder "entdecken". Sie hat sich nicht selbst aufgeschrieben.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Savonlinna
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#114 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Savonlinna » Mo 13. Apr 2015, 12:11

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Sobald aber jemand eine Wissenschaft als Beleg dafür nimmt, dass eine bestimmte Definition die Oberhoheit habe und andere Definitionen damit ausschalten will, ist Gefahr in Verzug. Da wird die Wissenschaft als Machtinstrument missbraucht.
Dies ist sehr schwer zu vermitteln
Ich bin nach meinem Beitrag auf einen Linguistik-Professor in Heidelberg und auf eine von ihm betreute online-Website bezüglich genau dieser Fragen gestoßen. Das ist hocherfreulich, was dort geschieht.
Ich werde das demnächst an passender Stelle näher beschreiben.
Hier nur ein Hinweis auf ein Buch von ihm - er ist der Herausgeber, es ist ein Sammelband - mit dem Titel:
Ekkehard Felder (Herausgeber), Semantische Kämpfe. Macht und Sprache in den Wissenschaften (Linguistik - Impulse & Tendenzen), September 2006.
http://www.amazon.de/Semantische-K%C3%A ... ard+felder

Ach, und jetzt seh ich grad: 2013 hat er einen weiteren Sammelband mit dem Titel: Faktizitätsherstellung in Diskursen: Die Macht des Deklarativen herausgegeben.
http://www.degruyter.com/view/j/zrs.201 ... 4-0009.xml
Dieser Link bietet einen kurzen Ausschnitt aus dem Buch.


closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ein nicht unwesentlicher Teil der Ideologiekritik läuft über Sprachkritik.
Schwer einzuführen - Akzeptanz für solche Fragestellungen ist gering.
Solche Sprachkritik wird ja nicht für die gemacht, die anderer Ansicht sind. Sondern für die, die sich für Aufklärung interessieren.
Und die Akzeptanz dieses Themas scheint europaweit zu greifen:
http://www.ezs-online.de/programmbereic ... textwelten
http://www.bpb.de/politik/grundfragen/s ... nd-sprache

Die beiden erwähnten Sammelbände von Ekkehard Felder sind sehr teuer, 140 € der erste, 120 € der zweite.
Aber man kann viele Aufsätze von ihm und anderen online lesen.

Samantha

#115 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Samantha » Mo 13. Apr 2015, 12:21

Pluto hat geschrieben:Aus meiner Sicht ist das Bewusstsein höherer Lebensformen ein "Hilfsprogramm" fürs Überleben.
Und was soll aus diesem Hilfsprogramm werden?

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#116 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von closs » Mo 13. Apr 2015, 13:20

ThomasM hat geschrieben:Die Frage nach der Vollständigkeit des materialistischen Glaubens ist und bleibt unbeantwortet.
So ist es - und wird vermutlich auch objektiv unbeantwortet bleiben, weil Phänomene jenseits des materialistischen Glaubens nicht objektivierbar sind, wenn nur Phänomene innerhalb des materialistischen Glaubens objektivierbar sind.

ThomasM hat geschrieben:Welche Hinweise gibt es, dass Geist und Bewusstsein Prozesse sind, die keines Gehirns bedürfen?
Theologisch gibt es viele Hinweise - da aber das Wort "Hinweis" offensichtlich naturalistisch verstanden wird, werden sie nicht als solche anerkannt. - Möglicherweise wären die oft diskutierten Nahtod-Erlebnisse als Hinweis geeignet, weil hier die Frage zu beantworten wäre, wie ohne nachweisbare Neuronen-Erregungen solche komplexen Erlebnisse zustandekommen können.

Pluto hat geschrieben:Allerdings bedurfte es eines denkenden bewussten Menschen, um die Geschichte zu "erfinden" oder "entdecken". Sie hat sich nicht selbst aufgeschrieben.
Dazu würde Heidegger sagen, dass "das Sein" thematisiert werden muss, um im Dasein präsent zu sein - es braucht also des bewusst denkenden Menschen, der es "aufschreibt". - Christlich gesprochen ist dies möglicherweise genau das, was mit "Ebenbildlichkeit" gemeint ist - also mit der Authentizitäts-Befähigung des Menschen in Bezug auf Geist ("Gott ist Geist").

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#117 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von closs » Mo 13. Apr 2015, 13:23

Savonlinna hat geschrieben:Semantische Kämpfe. Macht und Sprache in den Wissenschaften
Ein Buchtitel wie gemalt - super.

Savonlinna hat geschrieben:Solche Sprachkritik wird ja nicht für die gemacht, die anderer Ansicht sind. Sondern für die, die sich für Aufklärung interessieren.
Es scheint diesbezüglich ganz unterschiedliche Auffassungen zu geben, was eigentlich "Aufklärung" ist.

Savonlinna hat geschrieben:Und die Akzeptanz dieses Themas scheint europaweit zu greifen
Vielleicht doch ein Hoffnungs-Zeichen für eine redliche Aufklärung - wäre schön.

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#118 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Savonlinna » Mo 13. Apr 2015, 14:01

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Solche Sprachkritik wird ja nicht für die gemacht, die anderer Ansicht sind. Sondern für die, die sich für Aufklärung interessieren.
Es scheint diesbezüglich ganz unterschiedliche Auffassungen zu geben, was eigentlich "Aufklärung" ist.
Diese Mogelpackung läuft strukturell aber immer gleich ab. Wer also ein bisschen helle ist und in der Lage ist, seine eigenen Prämissen zu hinterfragen, wird rasch erkennen, wann "Aufklärung" deutungsmäßig in ihr Gegenteil verkehrt wird.

In der DDR wurde unter "Aufklärung" verstanden: das sozialistische Modell als richtig erkennen.
Nicht einmal die einfachsten DDR-Bürger ließen sich leimen. Sie kuschten vielleicht, aber sie ließen sich nicht leimen.

Darum glaube ich auch nicht, dass viele den Materialismus als "Aufklärung" durchgehen lassen. Warum sollen die Bundesrepublikaner dümmer sein als die DDRler? Genauso wenig übrigens, wie das Christentum als "Aufklärung" durchgehen kann.

Andererseits andererseits:
Man darf nicht einen Begriff "Materialismus" bzw. "Christentum" mit den realen Menschen, die das eine oder das andere zu ihrem Glauben erklären, verwechseln. Die Menschen selber sind vielschichtig, sind nicht reduzierbar auf eine Lehre. Wie genau die Lehre in ihren Köpfen und Herzen abläuft, weiß niemand. Und was sie nach außen vertreten, kann innen ganz anders aussehen.

JackSparrow
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#119 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von JackSparrow » Mo 13. Apr 2015, 14:17

Novalis hat geschrieben:Wir können sie erkennen, Einsicht in sie gewinnen oder in eine sinnvolle Beziehung zu ihr gelangen - darum geht es in den spirituellen Lehren.
Da gehts darum, geheimnisvolle göttliche Wahrheiten zu erfinden und dann so zu tun, als sei man was Besseres als der eigene Nachbar. Der ist nämlich nur ein gewöhnlicher Sterblicher ohne Superkräfte.

Es gibt nur eine falsche Sicht: die Überzeugung, meine Sicht ist die einzig Richtige. So sagte es ein wirklich „erleuchteter“ (weiser/heiliger) Meister.
Der Meister gibt also zu, dass seine eigene Sicht falsch ist. Das heißt dass er entweder wahrhaft erleuchtet ist, oder dass Logik bloß nicht zu seinen Stärken gehört. Wir werden die Wahrheit nie erfahren.

Die buddhistische Definition von Erleuchtung ist übrigens "die Abwesenheit von Leiden".
Dafür haben wir schon ein passenderes Wort: Tod.

die Befreiung aller Wesen (nicht nur der eigenen Person!) vom Leiden in all seinen Formen.
Hunger, Durst, Kälte, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Hypertonie, Hypotonie, Gallensteine...



barbara hat geschrieben:Aber ein Lebewesen IST lebendig
Es ist lebendig, solange es die folgenden Mermale erfüllt: Stoffwechsel, Wachstum, Vermehrung. Nachdem es verstorben ist, ist es dagegen nicht mehr lebendig.

Wenn du von einem Lebewesen alle nicht-lebendigen Atome wegnimmst, bleibt am Schluss - gar nichts übrig.
Wieso, wo hast du die Atome denn hingetan?


ThomasM hat geschrieben:Welche Hinweise gibt es, dass Geist und Bewusstsein nicht ausschließlich Prozesse eines komplexen Gehirns sind?
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#120 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Pluto » Mo 13. Apr 2015, 14:22

closs hat geschrieben:Es scheint diesbezüglich ganz unterschiedliche Auffassungen zu geben, was eigentlich "Aufklärung" ist.
So ist es. Der Begriff "Aufklärung" ist beinahe so komplex wie derjenige der Wahrheit.
Bereits im 18. Jahrhundert hat Kant dazu ein ganzes Buch veröffentlicht. Nach seiner Meinung, hat Aufklärung sehr viel mit Mündigkeit und der Anwendung des Verstands zu tun.

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
[I. Kant - 1784]
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