Hallo Forum,
wow, komme ich abends von der Arbeit und der Thread ist expodiert
Ich werde meine Kommentare in verschiedene Posts staffeln müssen, denke ich.
Punkt 1:
Sothisdaten
piscator hat geschrieben:
BTW. Was sind die Sothisdaten? Ich will das nicht einfach googeln, sondern, wenn du Lust dazu hast, es mir von einer Fachfrau erklären lassen.
Sothidaten beruhen auf Astronomie. Man muss aber kein Astronom sein, um das Prinzip zu verstehen. Man muss nur kapiert haben, was ein Schaltjahr ist.
1. Es gibt astronomische Ereignisse, die genau einmal im Sonnenjahr (Erde wandert 1x um die Sonne) stattfinden. Zum Beispiel die Sommersonnenwende
2. Unser Kalender hat 365 Tage, und alle 4 Jahre einen zusätzlichen Tag. Warum? Weil das astronomische Jahr nicht genau 365, sondern 365 und 1/4 Tage lang ist.
Alle vier Jahr müssen wir einen Tag ausgleichen, sonst fängt unser kürzeres Kalenderjahr an, dem astronomischen Jahr vorauszueilen. Nach 4 Jahren wäre die Sonnenwende nicht mehr am 21. sondern am 22. Juni. Nach 40 Jahren um 10 Tage verschoben: 1. Juli. Und so weiter. Nach 1460 Jahren (4x365) wäre die Sonnenwende 1x durchs ganze Kalenderjahr gewandert und fiele wieder auf den 21. Juni.
So weit, so logisch?
3. Herzlichen Glückwunsch, du hast das Prinzip der Sothisdatierung verstanden.
Denn: Der Kalender, der in Ägypten über Jahrtausende im Gebrauch war, hat 365 Tage. 12 Monate mit 30 Tagen plus 5 Epagomenen (Extratage vor Neujahr). Er hat aber KEIN Schaltjahr.
Dadurch passiert genau das oben beschriebene: Das bürgerliche Kalenderjahr weicht vom Sonnenjahr ab, und zwar um ziemlich genau 1 Tag alle vier Jahre. Das beobachtete astronomische Ereignis ist nicht die Sonnenwende, sondern der "Frühaufgang" desjenigen Sterns, den die Ägypter "Sodpet", die Griechen "Sothis" und wir Sirius nennen. Frühaufgang heisst: der Stern geht erst auf, wenn die Nacht schon fast zu Ende ist. Er ist kurz am Osthorizont sichtbar, und wird dann aber von der aufgehenden Sonne überstrahlt. Ist eigentlich egal... nur wichtig zu wissen, dass das auch genau einmal im astronomischen Jahr geschieht.
Die Ägypter feierten nach diesem astronomischen Ereignis ihr religiöses Neujahrsfest. Und dieser Festtermin wurde nun immer weiter durch den bürgerlichen Kalender "durchgereicht". Nur aller 1460 Jahre findet das religiöse Neujahr tatsächlich auch am 1. Tag des bürgerlichen Kalenders statt.
Der römische Schriftsteller Censorius berichtet aus dem Jahr 138 n. Chr. von einer Apokatastase: Einem solchen Zusammentreffen von Kalendertag und astronomischem Feiertag. Mit diesem einen Fixpunkt können wir nun, da die Verschiebung ja in einem ganz regelmäßigen Prozess geschieht, beliebig rückwärts rechnen. Wir können also eine Tabelle schreiben, die uns für einen Zeitraum von 1460 Jahren angibt, auf welchen Kalendertag der Frühaufgang der Sothis fällt.
Wenn uns nun irgendein ägyptischer Text die Datumsangabe gibt: "Das Sothisfest fiel in diesem Jahr auf den soundsovielten Tage des Monats X", dann müssen wir nur noch in die Tabelle gucken um das absolute Jahr festzustellen. (naja, wir könnten um 1460 Jahre daneben liegen. Aber auf anderthalb Jahrtausende genau kann man auch relativ/archäologisch ganz gut datieren)
Das ist ein Sothisdatum.
R.F. hat geschrieben: Gunnar Heinsohn und Heribert Illig nennen das Sothisperioden-Schema ein pseudoastronmisches Datierverfahren der Ägyptologie.*) Wer Eduard Meyers Ausführungen in seiner “Geschichte des Alterthums†zum Ursprung der Sothisperiode liest, wird dem Urteil Heinsohns und Illig zustimmen. Den Ägyptern werden astronomische Kenntnisse unterstellt, die sie mit Sicherheit nicht besassen. Zum Beispiel hätten sie nämlich den Sirius während der Periode von 1.424 Jahren beobachten müssen.
*) Gunnar Heinsohn/ Heribert Illig: Wann lebten die Pharaonen? Gräfelfing 1997, S. 357.
Der Frühaufgang der Sothis ist ohne jedes Teleskop sichtbar. Dass das Kalenderjahr vom astronomischen Jahr abweicht, fällt selbst dem ungebildeten Ägypter spätestens dann auf, wenn die Jahreszeit, die den Namen "Überschwemmung" trägt, nicht mehr mit der jährlichen Nilflut korreliert. Welche astronomischen Kenntnisse genau wollen die Autoren den Ägyptern da absprechen???
Probleme der Sothisdatierung
Ganz so hübsch und einfach ist es natürlich doch nicht. Es gibt zahlreiche Punkte, die die Sothisdaten als absolute Fixpunkte in Frage stellen. Ich plädiere aber dafür, diese Probleme in 2 getrennte Gruppen zu stellen:
1. Probleme der Genauigkeit
2. Grundsätzliche Gültigkeit
1. Probleme der Genauigkeit
Da gibt es einige:
- Die oben von mir genannten Zahlen sind nur die gerundeten Versionen, z.B. hat ein astronomisches Jahr nicht 365.25 sondern ca. 365,2422 Tage.
- Der Zyklus des Sterns Sirius weicht vom Sonnenjahr ein wenig ab.
- Der Zeitpunkt der Beobachtung variiert je nach dem Breitengrad, auf dem sich der Beobachter befindet (Ägypten erstreckt sich Nord-Süd über grob 1000km vom Mittelmeer bis Oberägypten)
- Die Sichtverhältnisse am fraglichen Morgen können eine Beobachtung am astronomischen Termin verhindern (Stern ist schon theoretisch sichtbar, aber es ist halt diesig. Erst ein paar Tage später entdeckt der erste Priester den Stern tatsächlich am Osthorizont und das Fest kann beginnen)
All diese möglichen "Messfehler" machen die Sothisdaten noch nicht untauglich: Sie stellen nur ihre Genauigkeit in Frage.
Ich persönlich sehe das gelassen. Im schlimmsten Fall summieren sich die Messfehler auf ca. 50 Jahre. Na und? Wenn unsere Chronologie im 2. Jahrtausend v.u.Z. um NUR ein paar Jahrzehnte abweicht, dann ist das trotzdem noch ein ziemlich gutes Ergebnis.
Velikowsky will um ca. 400 Jahre umdatieren, und das ist halt mit Messfehlern nicht mehr zu erklären.
2. Grundsätzliche Gültigkeit
Diese Punkte sind problematischer. Einmal die
Philologie: Was, wenn wir die ägyptischen Texte falsch übersetzt oder missverstanden haben? Dann sind die scheinbar im Text identifizierten Sothisdaten wertlos. Ausschließen können wir das nicht. Aber die ägyptische Sprache ist inzwischen recht vollständig entziffert und wir haben mehr als nur einen Beleg.
Zum Zweiten die
Kontinuität: Die Sothisdaten beruhen auf der Grundannahme, dass die Ägypter ihren bürgerlichen Kalender tatsächlich über mindestens 2000 Jahre hinweg stur mit 365 Tagen durchgezählt haben. Wenn irgendein Herrschen zwischendurch einmal eine Kalenderreform durchgesetzt und den bürgerlichen Kalender um ein paar Monate verschoben hat, dann bricht das System zusammen. Wir wissen zwar nichts von einer solchen Reform, aber könnte ja sein. Bei jedem anderen Volk hätte ich da so meine Zweifel, ob ein System so lange Bestand haben kann. Alleine angesichts des Zeitraums. Doch die ägyptische Kultur weist in ihrer Ideologie, politischen Struktur und Kunststil eine enorme Kontinuität auf - von daher ist ein kontinuierlich gezählter Kalender eine glaubhafte Annahme.
Ergo: Sothisdatierung ist wahrscheinlich nicht ganz präzise (plus oder minus 10-50 Jahre), siehe Punkt 1. Eventuell auch vollkommener Schwachsinn, falls Punkt 2 zutrifft.
Da die per Sothisdatierung ermittelten Fixpunkte aber in die weiter oben beschriebene relative Chronologie ganz gut reinpassen tendiere ich dazu, ihnen im Moment einigermaßen zu vertrauen.
Wer mehr wissen will:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sothis-Zyklus
Oder in der aktuelleren Fachliteratur:
T. de Jong, The Heliacal Rising of Sirius, in: E. Hornung – R. Krauss – D. Warburton (Hrsg.), Ancient Egyptian Chronology, Handbuch der
Orientalistik (Biggleswade 2006) 432–438 ;
T. Schneider, Das Ende der kurzen Chronologie: Eine kritische Bilanz der Debatte zur absoluten Datierung des Mittleren Reiches und der zweiten Zwischenzeit, Ägypten & Levante 18, 2008, 275–313.
N. Pachner, Zur Erfassung der Sichtbarkeitsperioden ekliptikferner Gestirne, Ägypten & Levante 8, 1998, 125–136
Liebe Grüße soweit
Mirjam