Wie entstand das Leben?

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Janina
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#1181 Re: Wie entstand das Leben?

Beitrag von Janina » Do 1. Okt 2015, 09:30

Halman hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Wenn etwas rekonstruiert wird, dann in der Form von falsifizierbaren Modellen.
Wie funktioniert dies bei einer historischen Rekonstruktion der Vergangenheit?
Ganz einfach: Wenn man eine Spur findet, die nicht zum Modell passt, dann wird das Modell verworfen.

Z.B. wird die Vermutung, Kolumbus hätte Amerika entdeckt, in dem Moment verworfen, in dem man Spuren von Menschen dort findet, die vor ihm da waren. Oder Spuren von Europäern findet, die vor ihm da waren, die zählen wenigstens.

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NIS
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#1182 Re: Wie entstand das Leben?

Beitrag von NIS » Do 1. Okt 2015, 09:34

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Anton B.
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#1183 Re: Wie entstand das Leben?

Beitrag von Anton B. » Do 1. Okt 2015, 10:48

Halman hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Wenn etwas rekonstruiert wird, dann in der Form von falsifizierbaren Modellen.
Wie funktioniert dies bei einer historischen Rekonstruktion der Vergangenheit?
Wenn Paläontologen das Modell einer Evolutionsreihe a -> b -> c mit Angaben zum Auftreten in der "Gesteinssäule" bzw. einer zeitlichen Skala machen und b tritt nicht nur vor a sondern auch in der Gesteinssäule wesentlich tiefer und zeitlich wesentlich eher auf (Beobachtungen!), als das Modell für b und a vorhersagt, so stimmen die Beobachtungsvorhersagen des Modells nicht mit den gemachten Beobachtungen überein. Das alles ist schon mehrfach passiert, die betreffenden Modelle waren damit falsifiziert und wurden entsorgt.

Halman hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Also sind die 9 Dimensionen nun "commen sense" oder nicht? Wenn nicht, er sie aber in seiner Vorlesung thematisiert, dann stellt er in seiner Vorlesung nicht einfach den weitgehend anerkannten Jetzt-Stand der Forschung dar. Das kann auch so sein und muss Hoyningen-Huene auch nicht diskreditieren. Dann nämlich, wenn seine Vorlesung ein diesen Darlegungen entsprechendes Thema behandelt. Aber sich einfach auf die Aussage zurück zu ziehen, man könne sich ohne weiteres auf in youtube eingestellte Vorlesungsmitschnitte stützen, geht so einfach auch nicht.
Offengestanden vermag ich Deine Kritik nicht nachzuvollziehen. Ich studiere die Vorlesungen, schreibe eigenhändig Zitate, höhre mir dazu einzelne Passagen mehrmals an (was sehr viel Arbeit ist), gebe Dir Zeitindexte und beziehe mich auf eine offizielle, fachliche Quelle und Dir genügt dies nicht? Und nun soll ich als Nichtakademiker den akademischen Kosmos bezüglich der Wissenschaftsphilosophie ganz nebenbei ausgelotet haben - idealerweise international? Oder wie meinst Du das?
Ja, doch! Du sollst den jetzigen Stand der Wissenschaftstheorie in den wesentlichen und akademisch "allgemein" vertretenen Aspekten ausloten. Du setzt "punktuell" in der Auswertung einer Vorlesung an, deren Zielsetzung noch gar nicht mal geklärt ist. Dann konzentrierst Du Dich auf einzelne Aspekte und versuchst, die Relevanz außerhalb der Vorlesung fest zu stellen. Mein Vorschlag war und ist, es mit akademischen Lehrbüchern zu versuchen, deren Zweck es genau ist, " ... den jetzigen Stand der Wissenschaftstheorie in den wesentlichen und akademisch "allgemein" vertretenen Aspekten ..." auszuloten. Und wenn die sich als Begleitmaterial an Lehrende wenden, werden diese Lehrwerke ganz eingehend und systematisch durch die Gilde der Lehrenden und Forschenden unter die Lupe genommen.

Halman hat geschrieben:Es scheint also eine kritische und fruchtbare Diskussion durch Hoyningen-Huene angstoßen worden zu sein. Könnte man ihn als "Pionier" der Wissenschaftstheorie bezeichnen?
Sollen wir nicht einfach die Zeit darüber entscheiden lassen? Wenn er mal "Pionier der Wissenschaftstheorie" ist, wird man ihn sicherlich auch so nennen. Aber übrigens, was ist mit den tausend anderen Wissenschaftstheoretikern, die alle mit neuen, nie dagewesenen Erklärungen in den Startlöchern sitzen. Warum Hoyningen-Huene? Kannst Du seine Position von denen der tausend anderen abgrenzen und die Überlegenheit Hoyningen-Huene'scher Denkarbeit darlegen?


Halman hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Und? Kannst Du so ein Beispiel bringen?
Die Vorlesung erstreckt sich über viele Teile (Doppelstunden), da habe ich noch sehr viel vor mir.
Wir wollten es ja auch in Ruhe angehen. Zeit ist da.

Halman hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Das ist auch richtig. Aber da, wo es geht, werden höhere Anforderungen erhoben.
Das ist ja auch nur vernünftig. Dies bedeutet aber doch, dass es auch Fälle gibt, in denen es nicht geht.
Zum Beispiel die Literaturwissenschaften beziehen sich auf Wissenschaft als besonders ausgeprägtes systematisches Vorgehen. Die Historiker im "klassischen Sinne" übrigens auch.

Aber unser/mein Ausgangspunkt war Dein Post, in dem Du für Modelle der "historischen" Naturwissenschaften die Notwendigkeit der prinzipiellen Falsifizierbarkeit bestritten hast. Und wenig später hattest Du die Paläontologie als Beispiel genannt.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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#1184 Re: Wie entstand das Leben?

Beitrag von Pluto » Do 1. Okt 2015, 12:43

ThomasM hat geschrieben:"Es gibt Physik und es gibt Briefmarken Sammeln".
Eine ziemlich triviale Tautologie, nicht wahr?

ThomasM hat geschrieben:Tut mir leid, Pluto. Die Chemie zählt auch nur zum Briefmarken Sammeln. Ich bin aber nicht so, ich würde sie als "angewandte Physik" betrachten.
Ganz Recht! Ich vertrete dieselbe Meinung. Wenn man diese Logik anwendet, lässt sich letztendes alles auf die Physik zurückführen.

Mir geht es aber um etwas ganz anderes.
Es gibt das was ich als empirische Wissenschaften bezeichnen möchte. Das sind experimentelle Physik, die Chemie, ein Großteil der Mikrobiologie und der Pharmazeutik.
Daneben gibt es das was ich historische Wissenschaften nennen möchte. Dazu gehören alle Disziplinen wie Geschichte, Archäologie, Astronomie/Kosmologie, Evolutionsbiologie, Paläontologie, Geologie, Psychologie, usw.

Literaturwissenschaft, Theaterwissenschaft, Musik und Theologie würde ich der Pflege unseres kulturellen Erbes zuordnen; sie sind im engeren Sinn keine Wissenschaften.

ThomasM hat geschrieben:Will man nicht selbst dermaßen verbohrt sein und fragt sich nach Kriterien für Wissenschaft, dann stellt man fest, dass diese Kriterien
Wenn man die o.a. Disziplinen betrachtet, so sind sie in ihrer Arbeitsweise durchaus recht homogen. Die Entstehung von Sternen oder die Erforschung der Kreidezeit lassen sich nicht im Labor reproduzieren. Hier muss man geschichtliche Daten aus der realen Welt sammeln, auswerten und interpretieren.

ThomasM hat geschrieben:Daher etwickelt er das Modell der Systematizität. Es ist eine Art Relativitätstheorie des Wissenschaftsbegriffs. Dabei zu behaupten, dass Systematik es vollständig erfasst ist ebenso eine grobe Vereinfachung wie wenn man Popper auf Widerlegbarkeit reduziert.
Hoyningen-Huene entwickelt dieses Modell recht ausführlich und durchaus in sehr ernstzunehmender Art und Weise.

ThomasM hat geschrieben:Seine Hauptzielrichtung ist es dabei "Wissenschaft" von "Alltagswissen" zu differenzieren. Ganz am Ende zeigt er auch, wie man seine Methodik verwenden kann, um Pseudowissenschaften zu identifizieren.
Um Astrologie und Kreationismus als Pseudowissenschaften zu entlarven, benötigt man nicht solche theoretischen Ansätze von Jemand der nicht einmal weiß welche überprüfbaren Vorhersagen die Paläontologie im Stande ist zu machen.
Mir scheint Prof. Hoyningen-Huene ist hier als Nichtschwimmer ins tiefe Ende des Schwimmbeckens gelangt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Halman
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#1185 Re: Wie entstand das Leben?

Beitrag von Halman » Do 1. Okt 2015, 15:03

Pluto hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Inwiefern ist Literturwissenschaft empirisch? Oder Theaterwissenschaft?
Sind das wirklich Wissenschaften, oder eher Verwaltungsfunktionen unseres kulturellen Erbes?
Da sind wir unterschiedlicher Meinung. Sie werden im offiziellen Sprachgebrauch als Wissenschaften bezeichnet und m. W. auch an Universitäten als solche gelehrt.

Pluto hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Auf der Webside der Uni Hannover kannst Du ihn per E-Mail kontaktieren.
http://www.philos.uni-hannover.de/hoyningen.html
Danke. Ich hätte echt Lust, diese Themen mit ihm aufzunehmen, doch dazu muss ich erst mal alle seine Videos anschauen.
Da ist natürlich recht zeitaufwendig - eine Fleißarbeit. - Vielleicht motiviert Dich das Ziel, ihm eine E-Mail zukommen zu lassen. Es wäre schon sehr, sehr interessant (sofern er antwortet), was er zu Deinen Kritikpunkten zu sagen hat. In gewisserweiße kann man seine Vorlesung auch als Appell zum kritischen Diskurs ansehen. Immerhin wurde sie im Internet der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Pluto hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Darunter verstehe ich systematisch strukturiertes Arbeiten, welches aber nicht an einer bestimmten Methode gebunden ist.
Wenn systematisches Arbeiten gefragt ist, sollten dann Buchhaltung oder Lagerverwaltung nicht auch Wissenschaften sein. Ist das gewollt?
Nein, ich denke nicht. Prof. Dr. Paul Hoyningen-Huene spricht in seiner Vorlesung von einem "höheren Maß an Systematizität". Damit bestreitet er nicht, dass nicht auch andere Wissensarten und Tätigkeiten systematisch sein können. Es reicht also nicht lediglich das Kriterium der Systematizität festzustellen, sondern es muss auch ein "gewisses Maß" erfüllt sein. Damit ist wohl an Maß gemeint, welches Wissenschaft von nichtwissenschaftlichen Dingen wie Buchhaltung oder Lagerverwaltung abhebt, im Sinne von "sytemmatischer als ...".

Pluto hat geschrieben:Ist gute Forschung wirklich systematisch? (Ich bezweifle dies).Wurden die großen Entdeckungen und Gesetze systematisch gemacht?
Waren Leute wie Newton, Faraday, Helmholtz, Pasteur, Darwin, Planck, Freud, Curie oder Einstein Systematiker? Ganz entschieden: NEIN!
Ich glaube eher, dass diese Menschen brillante Denker waren, getrieben von einer unersättlichen Neugierde nach Wissen.
Dies ist ein sehr guter Einwand. Ich werde ihn im Hinterkopf behalten, während ich weiter die Vorelesung "studiere".

Pluto hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Entscheidend ist, dass die einzelnen Argumente und Dimensionen (gewissermaßen die "Elemente") ein "System" bilden, in diesem Falle eine Systematik, um eine Fragestellung zu einem komplexen Phänomen zu ergründen und zu beantworten.
Sehe ich anders. Natürlich ist Systematik auch wichtig, aber diese Erkenntnis steht nicht am Anfang der Forschung sondern am Ende.
Hmm - stimmst Du mit Einstein überein?
Zitat aus "Die Evolution der Physik" (Einstein, Infeld), Seite 298:
... Auf die Grundideen kommt es bei der Aufstellung einer physikalischen Theorie in erster Linie an. In wissenschaftlichen Werken wimmelt es zwar von komplizierten mathematischen Formeln, doch entspringt jede physikalische Theorie aus einem Denkvorgang, einer Idee, und nicht etwa aus Zahlengebilden. Später, wenn es an die Ausarbeitung einer quantitativen Theorie geht, müssen diese Gedanken in eine mathematische Form gebracht werden, da sie sich sonst nicht experimentell nachprüfen lassen. ...
Als Laie kann ich es nur vermuten, doch ich nehme an, dass die systematische Arbeit nach den kreativen Ideen (Impulsgebern) einen Großteil des wissenschaftlichen Arbeitens einnimmt.
Allerdings stimme ich mit Dir darin überein, dass nicht jeder Teil wissenschaftlicher Arbeit systematisch erfolgt.

Darf ich fragen, wie es in Deiner Arbeitspraxis war? Soweit ich weiß, bis Du Chemiker, oder?

Pluto hat geschrieben:Nimm als Beispiel die kosmische Hintergrundstrahlung. Endeckt wurde sie durch Penzias und Wilson, die sie als ungewollte Störgeräusch abtaten.
Doch heute (ein halbes Jahrhundert später) ist das CMB eine schier unerschöpfliche Quelle von Informationen für die Physik. Erst im Nachhinein kommt die Systematik zum tragen.
Die zufällige Entdeckung am Anfang erfordete doch anschließend wissenschaftlich-systematische Untersuchungen, oder nicht?

Pluto hat geschrieben:Was ich damit sagen will... Systematik ist in der Wissenschaft nicht unwichtig, aber sie ist nicht die treibende Kraft hinter den großen Erkenntnissen.
Darin muss ich Dir zustimmen.

Könnte man sagen: Nach den kreativen Ideen ist wissenschaftliche Systematik unabdingbar?

Pluto hat geschrieben:Für einen Mann mit einem Hammer, sieht alles aus wie ein Nagel.
Ich meine Hoyningen-Huene ist selbst Systematiker, und versucht nun aus seiner Perspektive die Wissenschaft in (s)ein System-Korsett zu zwängen. Doch tut er der Wissenschaft damit einen Gefallen?
Ja, ich denke schon. Er brachte vor zwei Jahren eine wissenschaftstheoretische Theorie in die Welt, die seitdem kontrovers diskutiert werden kann. Mal sehen, wie gut sich die Theorie bewährt.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#1186 Re: Wie entstand das Leben?

Beitrag von ThomasM » Do 1. Okt 2015, 15:16

Halman hat geschrieben: Könnte man sagen: Nach den kreativen Ideen ist wissenschaftliche Systematik unabdingbar?
Ich pflege bei so etwas immer darauf hinzuweisen, dass ich während meiner Zeit als PostDoc ziemlich viele, ziemlich kreative Ideen hatte.
Noch nicht einmal ein Bruchteil davon hat es dann auch in eine Publikation geschafft.

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#1187 Re: Wie entstand das Leben?

Beitrag von Halman » Do 1. Okt 2015, 17:38

Anton B. hat geschrieben:Wenn Paläontologen das Modell einer Evolutionsreihe a -> b -> c mit Angaben zum Auftreten in der "Gesteinssäule" bzw. einer zeitlichen Skala machen und b tritt nicht nur vor a sondern auch in der Gesteinssäule wesentlich tiefer und zeitlich wesentlich eher auf (Beobachtungen!), als das Modell für b und a vorhersagt, so stimmen die Beobachtungsvorhersagen des Modells nicht mit den gemachten Beobachtungen überein. Das alles ist schon mehrfach passiert, die betreffenden Modelle waren damit falsifiziert und wurden entsorgt.
Danke für die Erkärung, Anton.

Und wie funktioniert dies bei Historie? Nimm als Beispiel Alexander den Großen. Wie soll bei dieser historischen Rekonstruktion Falsifikation funktionieren?

Anton B. hat geschrieben:Ja, doch! Du sollst den jetzigen Stand der Wissenschaftstheorie in den wesentlichen und akademisch "allgemein" vertretenen Aspekten ausloten. Du setzt "punktuell" in der Auswertung einer Vorlesung an, deren Zielsetzung noch gar nicht mal geklärt ist. Dann konzentrierst Du Dich auf einzelne Aspekte und versuchst, die Relevanz außerhalb der Vorlesung fest zu stellen. Mein Vorschlag war und ist, es mit akademischen Lehrbüchern zu versuchen, deren Zweck es genau ist, " ... den jetzigen Stand der Wissenschaftstheorie in den wesentlichen und akademisch "allgemein" vertretenen Aspekten ..." auszuloten. Und wenn die sich als Begleitmaterial an Lehrende wenden, werden diese Lehrwerke ganz eingehend und systematisch durch die Gilde der Lehrenden und Forschenden unter die Lupe genommen.
Zu Beginn des ersten Teils der zweiten Doppelstunde stellt der Professor fest (2013 ):
Zitat von Paul Hoyningen-Huene:
Es hat in den letzten zwanzig Jahren eigentlich kein Buch mehr gegeben, was sich wirklich nur dieser Frage, "was ist Wissenschaft?", gewitmet hat und das finde ich doch relativ schlecht, weil die Wissenschaftsphilosphie das beantworten sollte.

Lass mich doch erst einmal die Vorlesung studieren. ;)

Außerdem habe ich zurzeit das Gefühl, dass bei mir zu jedem Buch, dass ich gelesen habe, zwei neue Bücher hinzukommen. Ganz nebenbei investiere ich auch hier viel Zeit, als Moderator vermehrt.
Kürzlich habe ich ein Buch von Einstein gelesen; auf dem Programm steht noch ein "hammerschwerer Schinken" über die Logik der Philsophie, ferner noch mindestens ein Buch über Hirnforschung - ich bin mehr als ausgelastet.

Anton B. hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Es scheint also eine kritische und fruchtbare Diskussion durch Hoyningen-Huene angstoßen worden zu sein. Könnte man ihn als "Pionier" der Wissenschaftstheorie bezeichnen?
Sollen wir nicht einfach die Zeit darüber entscheiden lassen? Wenn er mal "Pionier der Wissenschaftstheorie" ist, wird man ihn sicherlich auch so nennen. Aber übrigens, was ist mit den tausend anderen Wissenschaftstheoretikern, die alle mit neuen, nie dagewesenen Erklärungen in den Startlöchern sitzen. Warum Hoyningen-Huene? Kannst Du seine Position von denen der tausend anderen abgrenzen und die Überlegenheit Hoyningen-Huene'scher Denkarbeit darlegen?
Kennst Du tausend Wissenschaftstheoretiker? Dir ist schon klar, dass dies ein beliebtes Totschlagargument ist? :roll:

Die hier verlinkte Vorlesung kenne ich nur, weil sie im Internet veröffentlich wurde, sonst würde ich davon gar nicht wissen. Popper, Kuhn und Feyerabend sagten mir im Groben schon was, bevor ich die Vorlesung kannte. Damit "kenne" ich mit Hoyningen-Huene schon mal vier von "weiter Ferne", auch wenn Kuhn vielleicht mehr Wissenschaftshistoriker war.

Anton B. hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Und? Kannst Du so ein Beispiel bringen?
Die Vorlesung erstreckt sich über viele Teile (Doppelstunden), da habe ich noch sehr viel vor mir.
Wir wollten es ja auch in Ruhe angehen. Zeit ist da.
Danke.

Anton B. hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Das ist auch richtig. Aber da, wo es geht, werden höhere Anforderungen erhoben.
Das ist ja auch nur vernünftig. Dies bedeutet aber doch, dass es auch Fälle gibt, in denen es nicht geht.
Zum Beispiel die Literaturwissenschaften beziehen sich auf Wissenschaft als besonders ausgeprägtes systematisches Vorgehen. Die Historiker im "klassischen Sinne" übrigens auch.
Okay.

Darf ich fragen, wie es sich in Deiner wissenschaftlichen Praxis verhält?

Anton B. hat geschrieben:Aber unser/mein Ausgangspunkt war Dein Post, in dem Du für Modelle der "historischen" Naturwissenschaften die Notwendigkeit der prinzipiellen Falsifizierbarkeit bestritten hast. Und wenig später hattest Du die Paläontologie als Beispiel genannt.
Weil ich dieses Beispiel von Hoyningen-Huene aufgegriffen hatte.

Schauen wir uns den 1. Teil der zweiten Doppelstunde an, angefangen mit der ersten Folie:
Hier vertretende These:
Wissenschaftliches Wissen unterscheidet sich von anderen Wissensarten, insbesondere dem Alltagswissen, primär durch seinen höheren Grad an Systematizität.
Als erstes historisches Beispiel eines Philosophen, der etwas Ähnliches formuliert hatte, führt er John Dewey (1903) an.
Als zweites Beispiel verweist er auf Charles Morris (1960), einem Vertreter des "Wiener Kreises" (logischer Empirismus/Neopositivismus).
Das dritte Beispiel liefert Carl Gustav Hempel, der folgenden Gedankengang vermittelte:
Alle wissenschaftlichen Erklärungen, die versuchen systematisches Verständnis der empirischen Phänomene zu erzeugen, indem sie zeigen, dass diese Phänomene ... in einem naturgesetzlichen Zusammenhang gestellt werden.
Dazu passt meiner Meinung nach die einstein'sche Überzeugung, die in folgenden Worten zum Ausdruck kommt:
Zitat aus "Die Evolution der Physik" (Einstein, Infeld), Seite 318-319 (Schlussgedanken):
... Ohne den Glauben daran, daß es grundsätzlich möglich ist, die Wirklichkeit durch unsere theoretischen Konstruktionen begreiflich zu machen, ohne den Glauben an die innere Harmonie unserer Welt könnte es keine Naturwissenschaft geben. Dieser Glaube ist und bleibt das Grundmotiv jedes schöpferischen Gedankens in der Naturwissenschaft. Alle unsere Bemühungen, alle dramtischen Auseinandersetzungen zwischen alten und neue Auffassungen werden getragen von dem ewigen Drang nach Erkenntnis, dem unerschütterlichen Glauben an die Harmonie des Alls, der immer stärker wird, je mehr Hindernisse sich uns entgegenstürmen.
Dann führt Hoyningen-Huene Ernest Nagel (1961) an:
Wissenschaft wird erzeugt durch das Bedürfnis nach Erklärungen, die gleichzeitig systematisch und kontrollierbar sind.

Zu Deinen Appell, der sinngemäß darauf hinauslief, dass ich mich doch mit den anderen vielen neuzeitlichen wissenschaftsphilosophischen Aussagen zum Thema auseinandersetzen sollte, verweise ich auf Zeitindex 14:42.
In den letzten Hundert Jahren ist Nicholas Rescher eigentlich der einzige Philosoph, der sich wirklich ausführlich mit Systematizität und auch eventuell mit Beziehungen auf die Wissenschaften beschäftigt hat. Das hat Rescher, der sehr viel Literatur kennt, sieht das auch so. Also das war in den letzten Hundert Jahren gab es keine nennenswerte Diskussion, außer diese paar Splitter und die sind nicht entwickelt worden.
Im Jahre 1979 veröffentlichte Rescher ein Buch, dass nahe an der hier diskutierten Vorlesung ist.
Im Weiteren führt Hoyningen-Huene weitere historische Beispiele aus der Physik und Biochemie, der Mathematik, kognitiven Enticklungspsychologie, Geschichtswissenschaft, Bildsemiotik und die Theologie an (insgesamt 11 Beispiele).

Ab Zeitindex 34:35 beginnt er mit fünf Erläuterungen zu seiner These:
1. Teminologisch: Wissen nicht im philosphischen Sinn von "begründeter wahrer Überzeugung" (plantonisch), sondern im Sinne von "scientific belief", d.h. Wissen nicht mit absoluten Wahrheitsanspruch.
"Höherer Grad an Systematizität": nicht quantitativ gemeint
Als Beispiel führt er die Komplexizität an, die analog zur Systematizität nicht quantizierbar ist, obgleich es verschiedene Grade an Komplexizität und Systematizität gibt.

2. Erläuterung: These ist deskriptiv, nicht normantiv.

3. Komparativ: Andere Wissensarten müssen nicht unsystematisch sein.
Zitat von Hoyningen-Huene:
Andere Wissensarten müssen eben deswegen nicht unsystematisch sein, weil meine Behauptung lediglich ist, dass das wissenschaftliche Wissen eine höhreren Grad an Systematizität hat, als das nichtwissenschaftliche Wissen; damit nicht ausgeschlossen ist, dass das nichtwissenschaftliche Wissen selber auch systematisch ist.
Daraus folgt die Möglichkeit eines gleitenden Überganges von Nichtwissenschaft zu Wissenschaft.

Der 2. Teil der Doppelstunde mit der 4. - u. 5. Erläuterung folgt vorausichtlich kommende Woche.
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#1188 Re: Wie entstand das Leben?

Beitrag von Pluto » Do 1. Okt 2015, 18:46

Halman hat geschrieben:Lass mich doch erst einmal die Vorlesung studieren. ;)
Ich habe mir ebenfalls diese zweite Vorlesung "reingezogen". Es kommt mir fürchterlich langatmig vor. :yawn:
Außerdem ist das Beispiel "Mathematik" denkbar schlecht, weil man diese Disziplin heute nicht mehr zu den Naturwissenschaften zählt.

Zudem macht Prof. Hoyningen-Huene viel Gebrauch vom englischen Begriff "sciences", offenbar ohne ihn richtig zu verstehen. Er macht dabei den kardinalen Übersetzungsfehler, "sciences" als Wissenschaften zu erklären. Das Wort "sciences" bedeutet im Englischen "Naturwissenschaften". Geisteswissenschaften bezeichnet man im englischen Sprachraum allgemein als die "humanities" (https://en.wikipedia.org/wiki/Humanities).

Halman hat geschrieben:Ganz nebenbei investiere ich auch hier viel Zeit, als Moderator vermehrt.
Ja, das machst du ganz hervorragend! :thumbup:
Halman hat geschrieben:auf dem Programm steht noch ein "hammerschwerer Schinken" über die Logik der Philsophie,
Bild
Willst du dir das wirklich antun?
Es gibt andere Bücher die ein sehr viel besseres Bild über die Philosophie geben und vermutlich wesentlich "leichtere Kost" darstellen.
Spontan fällt mir das Buch von R.D. Precht ein Was bin ich, und wenn ja wie viele? welches einen Überblick über die Philosophiegeschichte gibt, ohne zu langweilen.

Oder wenn du einen sachlichen Bericht suchst, dann versuchs mit dem alten Klassiker von Wilhelm Weischedel: Die philosophische Wendeltreppe

Halman hat geschrieben:ferner noch mindestens ein Buch über Hirnforschung - ich bin mehr als ausgelastet.
Da kann ich dir folgende Titel empfehlen:
Prof. Antonio Damasio - Descartes Irrtum
und/oder
Prof. Dick Swab - Wir sind unser Gehirn

Falls du noch Zeit hast für etwas Geschichte der Menschheit, dann empfehle ich dir unbedingt Jared Diamonds Arm und Reich
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Anton B.
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#1189 Re: Wie entstand das Leben?

Beitrag von Anton B. » Do 1. Okt 2015, 19:00

Halman hat geschrieben:Und wie funktioniert dies bei Historie? Nimm als Beispiel Alexander den Großen. Wie soll bei dieser historischen Rekonstruktion Falsifikation funktionieren?
Ich bin genausowenig Historiker, wie Du es wohl bist. Als Naturwissenschaftler überlege ich bei jeder (naturwissenschaftlichen) Theorie: "Wie lässt sie sich widerlegen?" Überlege Du doch auch mal, wie dies gehen könnte.

Halman hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Es scheint also eine kritische und fruchtbare Diskussion durch Hoyningen-Huene angstoßen worden zu sein. Könnte man ihn als "Pionier" der Wissenschaftstheorie bezeichnen?
Sollen wir nicht einfach die Zeit darüber entscheiden lassen? Wenn er mal "Pionier der Wissenschaftstheorie" ist, wird man ihn sicherlich auch so nennen. Aber übrigens, was ist mit den tausend anderen Wissenschaftstheoretikern, die alle mit neuen, nie dagewesenen Erklärungen in den Startlöchern sitzen. Warum Hoyningen-Huene? Kannst Du seine Position von denen der tausend anderen abgrenzen und die Überlegenheit Hoyningen-Huene'scher Denkarbeit darlegen?
Kennst Du tausend Wissenschaftstheoretiker? Dir ist schon klar, dass dies ein beliebtes Totschlagargument ist? :roll:
"Totschlagargument" gegen was? Du hattest gefragt, ob H.-H. nicht als "Pionier der Wissenschaftstheorie" bezeichnet werden kann. Ich habe dargestellt, warum es nicht so einfach ist. Gerade dann nicht, wenn die übrigen Forschungsaktivitäten in dem Gebiet nicht bekannt sind und die Leistung des Kandidaten nicht akkurat eingeordnet werden kann.

Halman hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Das ist ja auch nur vernünftig. Dies bedeutet aber doch, dass es auch Fälle gibt, in denen es nicht geht.
Zum Beispiel die Literaturwissenschaften beziehen sich auf Wissenschaft als besonders ausgeprägtes systematisches Vorgehen. Die Historiker im "klassischen Sinne" übrigens auch.
Okay.

Darf ich fragen, wie es sich in Deiner wissenschaftlichen Praxis verhält?
Bemerkungen wie "die Beobachtungen a und b weisen darauf hin, dass es sich so oder so verhält", kann man schon bringen. Es darf aber nicht damit gerechnet werden, damit großen Widerhall zu finden. Ein übermäßiger Gebrauch oder gar die ausschließliche Verwendung von solchen Wendungen ohne echtes falsifizierbares Modell endet dagegen ganz schnell in einer beruflichen Katastrophe.

Halman hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Aber unser/mein Ausgangspunkt war Dein Post, in dem Du für Modelle der "historischen" Naturwissenschaften die Notwendigkeit der prinzipiellen Falsifizierbarkeit bestritten hast. Und wenig später hattest Du die Paläontologie als Beispiel genannt.
Weil ich dieses Beispiel von Hoyningen-Huene aufgegriffen hatte.

Schauen wir uns den 1. Teil der zweiten Doppelstunde an, angefangen mit der ersten Folie:
Hier vertretende These:
[...]
Warum klebst Du eigentlich so an H.-H.? Warum nicht Schmitz-Schmatzelbuff, Berlinger-Bratzhausen, Sober-Sobeldingen oder wie sie auch immer heißen mögen?
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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#1190 Re: Wie entstand das Leben?

Beitrag von Pluto » Do 1. Okt 2015, 19:19

Anton B. hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Nimm als Beispiel Alexander den Großen. Wie soll bei dieser historischen Rekonstruktion Falsifikation funktionieren?
Ich bin genausowenig Historiker, wie Du es wohl bist. Als Naturwissenschaftler überlege ich bei jeder (naturwissenschaftlichen) Theorie: "Wie lässt sie sich widerlegen?" Überlege Du doch auch mal, wie dies gehen könnte.
Alexander der Große.... schwierig, weil Geschichte immer von den Siegreichen geschrieben wird.
Ich kann mir vorstellen dass die glorreichen Schilderungen seines kurzen Lebens vielleicht mit Hilfe von archäologischen Ausgrabungen bestätigt oder widerlegt werden können.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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