Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
Pluto
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#1 Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Beitrag von Pluto » Mi 4. Sep 2013, 01:51

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Du gehst von falschen Voraussetzungen aus
Da liegt der Hase im Pfeffer: die Voraussetzungen. - Wir sollten einmal gemeinsame Voraussetzungen finden.
Stimmt das?
Wen Christen mit Agnostikern über den Glauben reden, gehen sie dann von unterschiedlichen Voraussetzungen aus, und reden deshalb aneinander vorbei?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Pflanzenfreak
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#2 Re: Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Beitrag von Pflanzenfreak » Mi 4. Sep 2013, 09:09

Ja unbedingt.
Wie oft lese ich hier dass es den Glauben und damit Gott erst seid Anno xxy geben soll.
Gott war aber schon vor allem Anfang da.

closs
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#3 Re: Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Beitrag von closs » Mi 4. Sep 2013, 09:15

Pluto hat geschrieben:Wenn Christen mit Agnostikern über den Glauben reden, gehen sie dann von unterschiedlichen Voraussetzungen aus, und reden deshalb aneinander vorbei?
Davon gehe ich aus. - Allerdings gilt das (um es richtig kompliziert zu machen) auch innerhalb der Christen. :mrgreen:

Das einzige, was dieses Chaos zusammenhält, ist die Liebe - also das innere Zusammengehörigkeits-Gefühl jenseits jeder Intellektualität. - Was die geistige (nicht intellektuelle(!)) Auseinandersetzung angeht, bin ich dagegen sehr pessimistisch - dazu ist unsere Zeit nicht geeignet, da sie die Voraussetzungen dazu nicht anerkennt.

Sola
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#4 Re: Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Beitrag von Sola » Mi 4. Sep 2013, 11:41

Ich finde, "Chaos" trifft die Sache gut.
Für einen Gläubigen ist Gott derjenige, der hinter der Ordnung im Chaos steht, die letzte Ursache und Voraussetzung für alles, so wie es in der Schöpfungsgeschichte der Bibel ausgedrückt ist:

Tohuwabohu (hebr. תהו ובהו, tōhÅ« ṿāṿōhÅ«; wörtl. „wüst und leer“) bezeichnet ein heilloses Durcheinander und wird modernisiert mit „Wirrwarr“ und/oder „Chaos“ übersetzt.
...

Im ersten Buch Mose (Moses 1:1-2) beginnt die Bibel mit dem Satz: „1. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. 2. Und die Erde war wüst und leer (tohu vavohu).“. Daraus wurde der hebräische Begriff entnommen und bedeutet nach Luther „wüst und leer“. Dabei bezeichnet tohu die Wüstheit, wa bedeutet „und“ und vohu ist die Leere. In der Einheitsübersetzung ist die Stelle mit „wüst und wirr“ übersetzt (Genesis 1,2 EU). Andere Übersetzungen (zum Beispiel Die Schrift von Buber und Rosenzweig) sprechen von „Irrsal und Wirrsal“.
Deutungen

Im Buch Jeremias (genauer: Jer 4,23) findet sich der Satz: „Ich sah die Erde an und siehe, sie war ein Tohuwabohu.“. In Vers 26 steht unter Anderem: „Und siehe, das Fruchtland war zur Wüste geworden und alle Städte waren zerstört.“ Die Passagen in Kapitel 4 beschreiben demnach einen Zustand heillosen Durcheinanders nach einem Krieg. Ob die Jeremiaspassage Bezug auf die Schöpfungsgeschichte nimmt, oder umgekehrt, muss dabei offen bleiben. Tohu drückt möglicherweise aber auch „geistliche Leere“ (also eine Art Führungslosigkeit) aus – bohu dagegen meint eventuell „geistige Leere“ (also Mangel an denkenden Wesen).
http://de.wikipedia.org/wiki/Tohuwabohu
Paulus drückt das im Römerbrief so aus:
19 Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart.
20 Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt,

Ein Atheist setzt an diese oberste Stelle im Denksystem, von dem aus alles seinen Sinn und seine Ordnung erhält, eine andere Grösse oder mehrere andere Grössen oder klammert den letzten Bezugspunkt der Ordnung als "unbekannt", "nicht zu ergründen" einfach aus.

Da wir Gott mit unseren Sinnen sowieso nicht erfassen können, kommen wir Gläubigen natürlich auch nicht so weit, ein "konkretes Gottesbild" zu erstellen und es einem Atheisten "nachvollziehbar" zu beweisen und zu erklären, gerade Fragen nach dem Leid in der Welt zeigen das immer wieder.
Der Unterschied zur atheistischen Weltsicht ist aber, dass Gläubige in ihrem Denksystem diesem Gott eben die "oberste Stelle des Ordnungsprinzips" einräumen, auch wenn er in gewisser Weise immer eine unbekannte Grösse bleibt, quasi das "X" im Weltentwurf. Und unser Leben im Einlassen auf diesen unerforschlichen Gott, der uns aber doch so nahe kommt und konkret erfahrbar wird, leben; offen für das, was über unsere Sinneserfahrung und Erkenntnis hinausgeht, was aber erfahrbar wird, wenn wir uns darauf einlassen.
Liebe Grüsse
Sola

closs
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#5 Re: Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Beitrag von closs » Do 5. Sep 2013, 23:53

Sola hat geschrieben:Der Unterschied zur atheistischen Weltsicht ist aber, dass Gläubige in ihrem Denksystem diesem Gott eben die "oberste Stelle des Ordnungsprinzips" einräumen, auch wenn er in gewisser Weise immer eine unbekannte Grösse bleibt, quasi das "X" im Weltentwurf.
Gleich sind sich aber atheistisches und christliches Weltbild darin, dass sie einem Etwas die "oberste Stelle des Ordnungsprinzips" einräumen - nur dass Atheismus/Agnostizismus dies nicht so ohne weiteres eingestehen.

Im Grunde müssten beide - Atheismus/Agnostizismus und Christentum - einsehen, dass sie beide ihre Voraussetzungen nicht beweisen können. Dann wäre wenigsten EINE Gemeinsamkeit da - also EINE gleiche gemeinsame Voraussetzung. - Erstaunlicherweise hapert es sogar da. - Dann wäre wenigstens die gemeinsame Voraussetzung da, dass beide Seiten einsehen, dass ihr Weltbild ein Glaubens-Bild ist.

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sven23
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#6 Re: Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Beitrag von sven23 » Fr 6. Sep 2013, 11:39

closs hat geschrieben: Dann wäre wenigstens die gemeinsame Voraussetzung da, dass beide Seiten einsehen, dass ihr Weltbild ein Glaubens-Bild ist.

Der Naturalismus hat einen entscheidenen Vorteil: seine Setzungen sind für jeden sichtbar und nachvollziehbar. Aus dieser Sicht heraus kann ich schon verstehen, daß der Naturalismus sich weigert, mit Metatphysik auf eine Stufe gestellt zu werden. Ein Begegnung auf Augenhöhe ist einfach nicht möglich auf Grund der fehlenden Evidenzen der Metaphysik.
Da ist der Naturalismus in einer komfortablen Position. :thumbup:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#7 Re: Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Beitrag von Sola » Fr 6. Sep 2013, 12:17

sven23 hat geschrieben: Da ist der Naturalismus in einer komfortablen Position. :thumbup:
Ja, in derselben komfortablen Position wie eine Mathematik ohne die Rechnung mit "Unbekannten".
Alles ist evident und unmittelbar nachvollziehbar für jedermann, ob Mathematiker oder nicht.

Aber wenn's an "Eingemachte" geht, muss man schon bereit sein, sich in eine mathematische Beweisführung mitnehman zu lassen und über die Dimension der "natürlichen Zahlen" hinauszugehen.
Liebe Grüsse
Sola

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sven23
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#8 Re: Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Beitrag von sven23 » Fr 6. Sep 2013, 12:42

Sola hat geschrieben:
Aber wenn's an "Eingemachte" geht, muss man schon bereit sein, sich in eine mathematische Beweisführung mitnehman zu lassen und über die Dimension der "natürlichen Zahlen" hinauszugehen.

Auch dann bewegen wir uns immer noch im Bereich der Mathematik. Die Metaphysik hat nichts auch nur annähernd vergleichbares vorzuweisen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#9 Re: Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Beitrag von Pluto » Fr 6. Sep 2013, 13:29

Sola hat geschrieben:Ich finde, "Chaos" trifft die Sache gut.
Was wir im Kosmos beobachten, is eben nicht Chaos, sondern deutlich Spuren von Struktur und Ordnung. Die Frage nach der Ursache ist aber sicher berechtigt.

Für einen Gläubigen ist Gott derjenige, der hinter der Ordnung im Chaos steht
Das kann ich gut verstehen und auch nachvollziehen.

Ein Atheist setzt an diese oberste Stelle im Denksystem, von dem aus alles seinen Sinn und seine Ordnung erhält.
Das sehe ich nicht so. Ich brauche auch kein ausgeklügeltes "Denksystem" dazu. IMO hat das mit den bereits vorhandenen Eigenschaften der Materie selbst im Universum zu tun.
Wir können beobachten wie sich Wolken aus Staub und Wasserstoff zusammenziehen und daraus Sterne und Planetensysteme entstehen, und wie solche Sterne zich dann zu Galaxien zusamnenziehen. Auch auf der Erde ist der Hang zur Selbststruktutierung sehr schön zu beobachten, bspw. an den Eisblumen an den Fensterscheiben aus meiner Kindheit. Das gefrierende Wasser bildet wunderbar seltsame Formen, die mitmeines Erachtens keinen Architekten benötigten.

Das Weltbild eines Ungläubigen, hat demzufolge nichts mit dem Glauben an ein "Denksystem" zu tun.
Nicht Chaos, sondern Ordnung und Struktur bilden die Grundlage unseres Kosmos. Es gibt unzählige natürliche Ursachen für diese Ordnung, so dass ich mich nicht unbedingt dazu verleiten lassen muss, dahinter eine schöpfersiche Kraft oder Intelligenz zu vermuten, die das Ganze sozusagen mit "magischer Hand" dirigiert.

Eine solche Annahme ist auch nur eine Scheinantwort, denn sie führt gleich zur nächsten Frage nach dem Urpsrung, bzw. der Herkunft eines solchen Schöpfers.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#10 Re: Gehen wir von anderen Voraussetzungen aus?

Beitrag von closs » Fr 6. Sep 2013, 13:31

sven23 hat geschrieben:Der Naturalismus hat einen ... Vorteil: seine Setzungen sind für jeden sichtbar und nachvollziehbar.
Ja, das ist komfortabel - man könnte neidisch werden. - Wäre alle Realität naturalistisch fassbar, wäre es für alle komfortabel.

sven23 hat geschrieben: einen entscheidenen Vorteil
"Entscheidend" nicht, denn diese Entscheidung könnte so interpretiert werden, dass man nur das als Realität anerkennt, was naturalistisch fassbar ist. Und damit macht man sich selbst zum Maßstab der Realität (das ist das, was ich als metaphysischen Solipsismus der Agnostiker meine).

sven23 hat geschrieben:daß der Naturalismus sich weigert, mit Metatphysik auf eine Stufe gestellt zu werden
Das gilt umgekehrt auch. - Ein Christ würde sich nie (wahrnehmungsmäßig) auf eine Stufe mit dem Naturalismus stellen - weil Naturalismus nur für Naturalistisches zuständig ist. - Zwar gut gemacht, aber reduziert.

sven23 hat geschrieben:Die Metaphysik hat nichts auch nur annähernd vergleichbares vorzuweisen.
Naja - Dialektik kann (richtig angewendet) schon sehr weit führen. Aber sie führt (logischerweise!!!) immer aus dem Naturalismus heraus und findet aus der Warte des Daseins nie ihr Ziel. Das ist der Preis dafür, dass sie sich in Bezug auf Realität nicht reduziert.

Für das naturalistisch Fassbare ist die wissenschaftliche Methodik alternativlos - so weit herrscht Einigkeit. - Insofern ärgere ich mich immer wieder, wenn Metaphysik/Glaube/Spiritualität in den Naturwissenschaften rumpfuscht (gewisse Kreationismus-Strömungen beispielsweise). - Umgekehrt sollten sich Naturwissenschaftler abgewöhnen, ihren Maßstab anzulegen für Realität außerhalb ihres Systems.

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