Religiöse Rituale ...

Säkularismus
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Ruth
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#1 Religiöse Rituale ...

Beitrag von Ruth » Sa 3. Jul 2021, 14:25

…. welchen Nutzen haben sie, und welche Wirkung wird daraus erhofft (geglaubt)?


Eine Zeit lang haben ich geglaubt, dass Gott großen Wert auf Rituale legt, und bestraft, wenn man solche nicht richtig ausführt. Schließlich wurde die Belehrung zur Bekräftigung ja immer auch mit Bibelworten belegt.

Später habe ich dann immer mal versucht, diese Bibeltexte so zu lesen, als würde ich die vorgefertigte Auslegung nicht kennen … und kam oft auch noch zu ganz anderen Ergebnissen.

In meinem eigenen Leben habe ich letztendlich Gott und seine Reaktion auf scheinbare Fehler meinerseits ganz anders erlebt, als es mir von Gläubigen beigebracht wurde.


Trotzdem kommen mir ab und zu immer noch Zweifel, ob ich Gott verärgert haben könnte, wenn ich altbekannte Rituale nicht so nutze, wie sie (scheinbar) vorgeschrieben wurden. Aber immer wieder erfahre ich, dass Gott ganz anders reagiert, als ich es fürchte.

Mit Ritualen meine ich zB die Art, wie man beten (sollte?), und welche Worte oder äußere Haltung man dabei einnehmen sollte…. Oder wie man die Bibel lesen sollte, wie oft und ob und warum man die Menschheit als verdorben betrachten sollte … sowie alle fest einstudierten sichtbaren und hörbaren Haltungen und Äußerungen, die man „für Gott“ macht, damit dieser einen "annehmen" kann.

Vielleicht ist die Frage, was Rituale für einen Gläubigen bedeuten, und wozu sie gut sind, ja auch für ein paar Leute hier interessant. Bevor ich alleine darüber nachdenke, werfe ich diese Frage also einfach mal in den Raum und schaue, wie das sich entwickelt.

piscator
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#2 Religiöse Rituale ...

Beitrag von piscator » Sa 3. Jul 2021, 14:47

Hallo liebe Ruth,

ein hochinteressantes Thema, hoffen wir mal auf eine lebhafte Diskussion.

Ich glaube, dass religiöse Rituale das Gemeinschaftsgefühl stärken. Rituale kann man natürlich auch allein im stillen Kämmerlein ausüben.

Wenn man es nicht übertreibt und Rituale zum Fetisch macht, haben Rituale eine positive Wirkung. Es soll ja Gemeinschaften gegen in den alles ganz genau geregelt ist, die exakte Haltung beim Gebet, die Gebetszeiten, welche Wort man sprechen darf, wer steht wo, was zieht man an, usw.  

Gott als Notar und das Christentum als amtliche Durchführungsverordnung, jedes Gebet genau aufgezeichnet, abgestempelt und archiviert.

Dann gibt es so schöne Bibelstellen, wie Matthäus 18:20  Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen

die mir sagen, dass Gott bzw. Jesus sich den Menschen offenbaren, einfach so, ohne irgendwelche Konventionen oder Rituale, einfach auf gleicher Augenhöhe.

LG piscator

 
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Ruth
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#3 Religiöse Rituale ...

Beitrag von Ruth » Sa 3. Jul 2021, 15:24

piscator hat geschrieben:
Sa 3. Jul 2021, 14:47
Hallo liebe Ruth,

ein hochinteressantes Thema, hoffen wir mal auf eine lebhafte Diskussion.

Hallo lieber Piscator .... schaun wir mal, was draus wird. Aber schön, dass du es auch interessant findest.

piscator hat geschrieben:
Sa 3. Jul 2021, 14:47
Dann gibt es so schöne Bibelstellen, wie Matthäus 18:20 Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen

die mir sagen, dass Gott bzw. Jesus sich den Menschen offenbaren, einfach so, ohne irgendwelche Konventionen oder Rituale, einfach auf gleicher Augenhöhe.

Das ist auch ein interessanter Vers, der eben nicht NUR darüber redet, dass zwei oder drei schon ausreichen, um eine Gemeinschaft zu bilden, die "Gott mitten unter ihnen" zu erkennen. Der kleine Zusatz "in meinem Namen" ist mMn dabei das, was letztlich den Sinn des Beisammenseins ausmacht.

Gott ist da! Das ist erst einmal Fakt. Ganz unabhängig davon, ob die Menschen auch "da" sind.

Mir zeigt das auch ganz besonders, dass es auf Herzenshaltung ankommt, damit Mensch(en) dieses "Gott ist (sowieso) da" auch SO wahrnehmen können.
Alle Anwesenden können fromme Rituale auf die gleiche oder ähnliche Art ausüben ... ohne dass sie "Gott in der Mitte" (alles dreht sich um seine Gegenwart) .. wahrnehmen. Es können viele auch dabei sein, die einfach nur Rituale ausführen .... ohne "Gott mitten unter ihnen" wahrzunehmen. Der Wert und der Draht zu Gott entsteht im Herzen und wird auch von dort aus gesteuert.

Für mich zeigen gerade diese Zahlen: 2 oder 3, dass es immer darauf ankommt, welche Herzenshaltung der Einzelne annimmt. Gott ist also auch schon da, wenn ein einzelner mit ihm kommuniziert. Ab zwei zusammen wird eine Gemeinschaft gebildet, in der man gemeinsam Erfahrungen machen kann .. die durch die Gemeinschaft gefestigt werden kann. Die Rituale sind dann so etwas wie eine "Sprache", mit der man untereinender kommunizieren kann.

... wie du es ja auch schon treffend ausgedrückt hast:

piscator hat geschrieben:
Sa 3. Jul 2021, 14:47

Ich glaube, dass religiöse Rituale das Gemeinschaftsgefühl stärken. Rituale kann man natürlich auch allein im stillen Kämmerlein ausüben.

Rituale nützen also den Menschen, die sie benutzen, um untereinander und miteinander zu teilen, was sie mit Gott erleben. Gott braucht diese Rituale nicht.

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Naqual
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#4 Religiöse Rituale ...

Beitrag von Naqual » So 4. Jul 2021, 08:47

Ruth hat geschrieben:
Sa 3. Jul 2021, 14:25
…. welchen Nutzen haben sie, und welche Wirkung wird daraus erhofft (geglaubt)?
 Rituale sind standardisierte Handlungsabläufe von Gruppen bis hin zu ganzen Gesellschaften. Im Extremfall aber auch bei einem Einzelnen: vom Aufstehen über Zähneputzen bis hin zum Frühstück und weiter folgen manche ganz eng gezogenen Gewohnheitsmustern! :-)

Rituale mögen Sicherheit geben, mögen Mitglieder von Gruppen zusammenschweißen, Gemeinschaftsgefühl usw. vermitteln. Sie sind sicher auch notwendig. Aber....

Im religiösen Leben wird das Ritual jedoch verbunden mit einer "magischen Bedeutung". Also da sitzt man nicht mehr nur um ein brennendes Lagerfeuer um das Gemeinschaftsgefühl bei Bratwürsten und Liedern zu fördern. Da wird dem Ritual eine "Extra-Kraft" zugeschrieben. Also wenn die Standardisierung des Handlungsablaufs exakt genug eingehalten wird (mit der richtigen innerlichen Einstellung), dann kommt eine übernatürliche Komponente hinzu. Der Handlung und/oder den dabei beteiligten Gegenständen werden Kräfte zugeschrieben. Man kann es auch "okkult" nennen, auch wenn die Anwendung des Begriffs eher auf den religiösen Gegner zielt. Da schwenkt ein Priester eines monotheistischen Kults etwas, das so wie eine Klobürste aussieht und Wasser wird dabei auf etwas gespritzt. Das kann die A-Bombe vor dem Abwurf auf Hiroshima sein, aber auch einfach ein neues Feuerwehrauto. Gerade letzteres müsste dann dem Denken hinter dem Ritual zufolge, besonders gut löschen bei Einsätzen.
Ich persönlich halte von diesen okkulten Riten nix. Aber religiöse Riten können unser Bewusstsein steuern ... und das auch zum Guten. So wie Derwische beim ewigen Um-sich-selbst-drehen-Tanz innerlich einer abgeht vor freudig-religösem Verzücken. Dann ist es aber noch - m.E. - durchaus rational. Denn man hat eine nachvollziehbare Wirkung, die immer wieder auftritt, wenn man es praktiziert. So auch bei Meditation und ähnliches. Da helfen "Wiederholungen" durchaus.

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#5 Religiöse Rituale ...

Beitrag von oTp » So 4. Jul 2021, 10:31

Schon mal brauchbare Überlegungen von dir dazu, Naqual.

lg

Ruth
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#6 Religiöse Rituale ...

Beitrag von Ruth » So 4. Jul 2021, 11:16

Naqual hat geschrieben:
So 4. Jul 2021, 08:47
Ich persönlich halte von diesen okkulten Riten nix. Aber religiöse Riten können unser Bewusstsein steuern ... und das auch zum Guten. So wie Derwische beim ewigen Um-sich-selbst-drehen-Tanz innerlich einer abgeht vor freudig-religösem Verzücken. Dann ist es aber noch - m.E. - durchaus rational. Denn man hat eine nachvollziehbare Wirkung, die immer wieder auftritt, wenn man es praktiziert. So auch bei Meditation und ähnliches. Da helfen "Wiederholungen" durchaus.

Danke Naqual, du hast das ziemlich gut auf den Punkt gebracht.

Rituale sind "Techniken", die den Menschen dienen, und deshalb nur dann nützen, wenn sie den Bedürfnissen der Menschen (die sie praktizieren) angepasst sind.
So dass man es so erleben kann:
Naqual hat geschrieben:
So 4. Jul 2021, 08:47
....beim ewigen Um-sich-selbst-drehen-Tanz innerlich einer abgeht vor freudig-religösem Verzücken

oder von außen betrachtet, so:
Naqual hat geschrieben:
So 4. Jul 2021, 08:47
Da schwenkt ein Priester eines monotheistischen Kults etwas, das so wie eine Klobürste aussieht....
:roll2:

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#7 Religiöse Rituale ...

Beitrag von sven23 » So 4. Jul 2021, 11:17

Naqual hat geschrieben:
So 4. Jul 2021, 08:47
Im religiösen Leben wird das Ritual jedoch verbunden mit einer "magischen Bedeutung". ....
Da helfen "Wiederholungen" durchaus.

Rituale sind ja nicht auf Religionen beschränkt. Man findet sie in allen Lebensbereichen.

Auch der schon erwähnte Theologe Lüdemann scheinte sie zu brauchen.

Literaturen Wann haben Sie das letzte Mal gebetet?

Gerd Lüdemann Gestern Nacht. Ich kam gerade aus Amerika zurück, wo ich an der Universität von Nashville eine Sammlung talmudischer Schriften studiert hatte. Wegen des Jetlags lag ich wach. In solchen Momenten spreche ich ein Kindergebet, fünfzigmal hintereinander, das beruhigt mich. Ich habe nun einmal diese religiöse Seite.

Quelle
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#8 Religiöse Rituale ...

Beitrag von oTp » So 4. Jul 2021, 12:36

Naqual hat geschrieben:
So 4. Jul 2021, 08:47
So wie Derwische beim ewigen Um-sich-selbst-drehen-Tanz innerlich einer abgeht vor freudig-religösem Verzücken.

Ist ja leicht zu erkennen als psychosomatisch wirkende Handlung, um in eine tranceartige religiöse Verzückung zu geraten.

lg

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SamuelB
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#9 Religiöse Rituale ...

Beitrag von SamuelB » So 4. Jul 2021, 13:14

piscator hat geschrieben:
Sa 3. Jul 2021, 14:47
Rituale kann man natürlich auch allein im stillen Kämmerlein ausüben.
Ja, sehr gut sogar. Nachts, wenn alle anderen schlafen und einen keiner unterbricht. 8-)
piscator hat geschrieben:
Sa 3. Jul 2021, 14:47
Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen
Ich finde dieses "in meinem Namen" auch entscheidend. Man führt Rituale idealerweise mit einer bestimmten Absicht aus, es soll etwas erreicht werden mit den sich wiederholenden Handlungen. Und zwar möchte man das, was hinter diesem jeweiligen Namen steckt, wofür er steht, realisiert haben.
 

piscator
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#10 Religiöse Rituale ...

Beitrag von piscator » So 4. Jul 2021, 15:36

Rituale können natürlich aus dazu benutzt werden, sich innerhalb der Glaubenden abzugrenzen und eine Machtposition zu erlange bzw. zu festigen.
Das ist insbesondere  dann der Fall, wenn nur bestimmte Personen diese Rituale ausüben dürfen und dem normalen Glauben dies verwehrt ist.

Letztendlich führt dies dazu, dass eine Barriere zwischen dem Glaubenden und dem Göttlichen aufgebaut wird und der Zugang reglementiert wird.

Organisierte Religionen sind da besonders gefährdet, ein Klerus, der sich aus einem bestimmten Personenkreis zusammensetzt, besonders ausgebildet wird und  
Rituale ausführt, die nur ihm zugänglich sind, sind das beste Beispiel dafür.

Und das bezieht sich nicht nur auf große organisierte Religionen, auch kleine Sekten sind  davor nicht gefeit. Sonderrechte, Vorrechte und sei es nur die "Erlaubnis" Gesangbücher zu verteilen oder Stühle aufzustellen, stellen Rituale dar, die "verdient" werden müssen. 

Dazu kommen die ganzen Amtsträger, wo man manchmal wirklich Ausschau halten muss, ob sich irgendwo auch noch zwei oder drei ganz normale Glaubende finden lassen.
:lol:

 
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