Funktioniert Veränderung nur in Gegensätzen?

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
Ruth
Beiträge: 2572
Registriert: Mi 3. Dez 2014, 12:42

#1 Funktioniert Veränderung nur in Gegensätzen?

Beitrag von Ruth » Mi 9. Dez 2020, 12:32

Da ich in einem anderen Thread dazu animiert werde, über meine Vergangenheit nachzudenken, besonders im Bezug zum Leben mit dem Glauben an Gott, ist mir ein besonderes Merkmal aufgefallen: Mein Leben hat sich besonders in den Punkten verändert, von denen ich glaubte, keine Fähigkeiten zu besitzen.

Fast alles, was sich verändert hat, waren Eigenschaften, die ich früher nicht hatte, oder wenigstens glaubte, sie nicht zu haben, und in manchen Fällen auch nicht haben wollte.

Bei der Rückschau entsteht fast der Eindruck, dass Veränderungen besonders da geschehen, wo Mängel vorliegen … die ich früher als gegeben hinnahm, als persönliche Eigenschaft … die dann aber erst den Anreiz bildeten, Veränderungen zuzulassen.

In meiner Ursprungsfamilie war ich die zweite von 6 Kindern. Meine ältere Schwester war dabei in meiner Kindheit für mich in der Rolle einer Anführerin, weil sie immer zielsicher vorpreschte, wenn sie meinte, etwas ändern zu müssen in der Familie … dabei auch oft gehörig ins Fettnäpfchen trat. Ich sah mich absolut nie in der Rolle einer Kämpferin. Darum habe ich mich immer irgendwie im Windschatten und Fahrwasser meiner Schwester aufgehalten und vorwärts bewegt. Dieses Muster, als Nichtkämpferin habe ich auch lange beibehalten, weil ich einfach nicht kämpfen wollte – eher harmoniebedürftig war, und mich anderen Dominationen untergeordnet habe.

Als ich dann selbst Kinder hatte und einen Ehemann, der überhaupt nicht willig war, eigene Entscheidungen zu treffen (um bei schlechtem Ergebnis die Fehler auf mich abwälzen zu können) und trotzdem dominierend auftrat kam meine Kämpfernatur dann doch zum Vorschein. Und heute finde ich den Kampf und die Veränderung sogar lebensnotwendig und aufbauend.

Lustig finde ich, dass ich meine ältere Schwester (die selbst 10 Kinder hat) jetzt als extrem anderen Menschen und Systemen untergeordnet empfinde. Beinahe wirkt sie auf mich dabei naiv hörig auf alles, was von außen an sie herangetragen wird, und kaum noch kämpferisch. Möglicherweise ist sie aber auch in diesem Punkt genauso, wie sie es damals war … und ich habe mich da extrem verändert.

An meinen persönlichen Beispielen kommt es mir vor, als seien es besonders die Mängel, welche dazu bewegen, etwas zu verändern. Angefangen damit, dass man den Mangel als solchen wahrnimmt, und dann, indem man die eigenen Hindernisse anschaut und sich in Bewegung setzt, diese zu überwinden.

In meiner Ehe war eigentlich schon ziemlich am Anfang erkennbar, dass es so nicht klappen kann. Trotzdem war es die Zeit, wo ich am längsten sesshaft war, und mich unterdrücken ließ. Erst als ich zum x-ten Mal ankündigte, dass ich die Trennung will, und mein jüngster Sohn meinte:“Dann tue es doch auch endlich mal“, habe ich es geschafft, die Trennung zu planen und durchzuführen. Damals, am Anfang, hätte ich die Trennung als „Scheitern“ empfunden. Als ich es tat, empfand ich sie als Sieg.

Als Kind hatte ich Angst, vom richtigen Glauben abzufallen, und betete viele Male inbrünstig, dass Gott so etwas bitte bei mir verhindern möge. In der damaligen Gemeinde wurde eine Mitgliedschaft in Gemeinden Andersgläubigen, also auch anderen christliche Freikirchen, schon als Abweichung vom richtigen Weg/Glauben dargestellt.
Ein wechseln in eine Landeskirche wurde dann schon als absoluter Abfall vom richtigen Glauben bewertet. Nachdem ich über Jahre hinweg durch mehrere verschiedene Freikirchen gewechselt habe, fühlte ich mich als Sieger, als ich mich sogar einer evangelischen Landeskirche als Mitglied anschloss.

Wenn ich die verschiedensten, teilweise extremen, Veränderungen in meinem Leben anschaue, dann meine ich darin das Prinzip zu erkennen, dass besonders dort, wo am Anfang ein Mangel oder Schwachstellen waren, deutlich erkennbares Wachstum und Stärke entstanden ist.

Für mich ist das auch teilweise eine Antwort dazu, warum „Gut und Böse“ existiert, und wie das Gleichgewicht hergestellt werden kann. Ich meine, ein Prinzip zu erkennen, wo zunächst überhaupt erst einmal Schwachstellen/Mängel da sein müssen… diese als solche wahrgenommen werden um sie aktiv anzuschauen und zu überwinden.

Als Fazit stelle ich hier einfach mal ein paar Thesen in den Raum:

Veränderung funktioniert in Gegensätzen!
Überwindung kann dort geschehen, wo „Gut + Böses“ vorhanden ist!
Licht wird nur im Dunkeln wahrgenommen!
Freiheit findet man dort, wo Grenzen überwunden werden!

Vielleicht habt Ihr ja dieses Prinzip schon längst in eurem eigenen Leben erkannt. Vielleicht aber auch noch nicht, und der Gedanke regt euch an, drüber nachzudenken.
Mich würde interessieren, wie Ihr über diese Lebensregel denkt, was für euch persönlich zutreffend ist oder eben nicht.

Beispiele sind natürlich auch sehr willkommen, denn die machen einen Austausch erst lebendig.

Ruth
Beiträge: 2572
Registriert: Mi 3. Dez 2014, 12:42

#2 Re: Funktioniert Veränderung nur in Gegensätzen?

Beitrag von Ruth » Mi 9. Dez 2020, 14:50

Ruth hat geschrieben:
Mi 9. Dez 2020, 12:32
.....meine ältere Schwester (die selbst 10 Kinder hat)....
.... könnte missverstanden werden, als wenn ich auch so viele hätte.....aber ich habe nur 3 Kinder ;)

Anthros

#3 Re: Funktioniert Veränderung nur in Gegensätzen?

Beitrag von Anthros » Mi 9. Dez 2020, 17:51

Ruth hat geschrieben:
Mi 9. Dez 2020, 12:32
Als Fazit stelle ich hier einfach mal ein paar Thesen in den Raum:

Veränderung funktioniert in Gegensätzen!
Überwindung kann dort geschehen, wo „Gut + Böses“ vorhanden ist!
Licht wird nur im Dunkeln wahrgenommen!
Freiheit findet man dort, wo Grenzen überwunden werden!

Hui, da hast du dir aber Mühe gemacht, uns so viel über dich kundzutun. Aber es tut auch der Seele gut, seine Gedanken niederzuschreiben.

Hinter dem, was du als Thesen beschreibst, steckt das "Gesetz der Polarität" und es fordert das Bestreben unseres Bewusstseins, sich zu erweitern, den rechten Umgang mit ihm zu finden. Findet man den Gegensatz zu einem, das schon bekannt ist, dann wird das bereits Bekannte in seiner Tiefe und Bedeutung noch viel mehr bewusst, was ein bereicherndes Gefühl bewirkt. Ist man sich der Gegensätze bewusst, so beginnt das Bewusstsein, mit ihnen zu arbeiten, zu hantieren, mit ihnen umzugehen, es beginnt mit beiden eine neue Gestalt zu bilden, sie in Harmonie zu setzen. Beim Maler ist das so schön bildhaft zu sehen, wie er Farben und Formen miteinander in harmonische Beziehung setzt. 
 

Ruth
Beiträge: 2572
Registriert: Mi 3. Dez 2014, 12:42

#4 Re: Funktioniert Veränderung nur in Gegensätzen?

Beitrag von Ruth » Mi 9. Dez 2020, 18:48

Anthros hat geschrieben:
Mi 9. Dez 2020, 17:51
Hui, da hast du dir aber Mühe gemacht, uns so viel über dich kundzutun.
Eigentlich war das nicht mein Antrieb, möglichst viel von mir erzählen. Damit wollte ich nur das Thema und den Ursprung dessen untermalen, damit es lebendiger wirkt, als eben nur ein trockenes Thema.

Anthros hat geschrieben:
Mi 9. Dez 2020, 17:51
Aber es tut auch der Seele gut, seine Gedanken niederzuschreiben.

An anderen Stellen im Forum habe ich ab und zu schon immer mal Informationen von mir persönlich einfließen lassen. Die letzten Tage war es dann noch ein bisschen mehr, was ich von mir selbst erzählt habe. Das hat sich irgendwie ergeben, im Laufe des Gesprächs.
Grundsätzlich erzähle ich hier nur Dinge, von denen ich weiß, dass sie mir nicht schaden können ... weil mich kaum jemand hier aus dem realen Leben kennt. Genau genommen bin ich nur zwei von den Usern hier schon im realen Leben begegnet. Einige wenige wissen, wo ich wohne, und wie mein echter Name ist.

Ich sehe zB auch gerne Filme, in denen die Handlungen aus dem wirklichen Leben abgeschaut und übernommen werden. Weil diese Filme für mich dann lebendig sind und mir auch oft Gedanken inspirieren, die für mich aufbauend sind, für mein persönliches Leben..

Anthros hat geschrieben:
Mi 9. Dez 2020, 17:51
Hinter dem, was du als Thesen beschreibst, steckt das "Gesetz der Polarität" und es fordert das Bestreben unseres Bewusstseins, sich zu erweitern, den rechten Umgang mit ihm zu finden. Findet man den Gegensatz zu einem, das schon bekannt ist, dann wird das bereits Bekannte in seiner Tiefe und Bedeutung noch viel mehr bewusst, was ein bereicherndes Gefühl bewirkt. Ist man sich der Gegensätze bewusst, so beginnt das Bewusstsein, mit ihnen zu arbeiten, zu hantieren, mit ihnen umzugehen, es beginnt mit beiden eine neue Gestalt zu bilden, sie in Harmonie zu setzen. Beim Maler ist das so schön bildhaft zu sehen, wie er Farben und Formen miteinander in harmonische Beziehung setzt. 
 
Ich gestehe, dass das, was du hier schreibst für mich ein wenig so wirkt, wie ein Gemälde, das für meinen Blick nur ein kunterbuntes Durcheinander von Farben darstellt. Aber was es wirklich darstellen soll, das muss jeder selbst für sich erraten oder sich ein Bild machen.

Genau das war der Grund, warum ich einfach meine ganz persönlichen Erfahrungen als Grundlage zum Thema dargestellt habe. Ich stelle diese Fragen nicht, um irgendwelche Antworten zu finden, die man vielleicht irgendwann in ein Lexikon oder einen Bericht einflechten kann, bei dem ich der Urheber dieser Informationen bin. Die Fragen sind entstanden im Rückblick und Vergleich meines eigenen Lebens. Und das, was für mich hilfreich daran war, von dem wünsche ich mir, dass es auch anderen Menschen vielleicht helfen kann, Dinge einzuordnen und Handlungen umzusetzen, damit etwas Gutes daraus entsteht. Mehr will ich gar nicht.

Mirjam
Beiträge: 311
Registriert: Sa 17. Mär 2018, 19:51

#5 Re: Funktioniert Veränderung nur in Gegensätzen?

Beitrag von Mirjam » Do 10. Dez 2020, 09:42

Hmmm, das sind interessante Überlegungen, aber es gibt auch noch eine andere Erklärung:

Menschen sind faul und ängstlich. So, wie die meisten Tiere.
Faul: denn warum sollte man wertvolle Energie unnötig verschwenden
Ängstlich: denn jede Verletzung kann in der Wildnis den Tod bedeuten, daher vermeidet man Risiken.

Jede Veränderung bedeutet, Energie aufzuwenden und sich in neue, unbekannte Situationen zu begeben. Unbekanntes ist für unsere Instinkte grundsätzlich riskant.
Und darum wagen Menschen nur dann eine Veränderung, wenn entweder der Leidensdruck oder der Anreiz hoch genug sind ( aber meistens ist es der Leidensdruck)

Diese Erklärung muss nicht immer zutreffen, aber nimm es einmal als Möglichkeit auf....



Liebe Grüße

Mirjam

Anthros

#6 Re: Funktioniert Veränderung nur in Gegensätzen?

Beitrag von Anthros » Do 10. Dez 2020, 10:18

Ruth hat geschrieben:
Mi 9. Dez 2020, 18:48
was du hier schreibst für mich ein wenig so wirkt, wie ein Gemälde, das für meinen Blick nur ein kunterbuntes Durcheinander von Farben darstellt.

Der Maler ist ein Fachmann für Bildgestaltung, aber erkennt es auch der Betrachter an des Malers Bild?

Anthros

#7 Re: Funktioniert Veränderung nur in Gegensätzen?

Beitrag von Anthros » Do 10. Dez 2020, 10:25

Mirjam hat geschrieben:
Do 10. Dez 2020, 09:42
Menschen sind faul ...
Faulheit ist ein moralisierender Begriff. Jemand, der beispielsweise nicht die Konzentration für etwas aufbringen kann, obwohl er es durchaus wollte, kann schnell als faul beschimpft werden. 

Um vom Moralisierenden fortzukommen, bedarf es eines neutralen Begriffs, der hier "Passivität" heißen kann. Und ihr steht die Aktivität entgegen.
 

Mirjam
Beiträge: 311
Registriert: Sa 17. Mär 2018, 19:51

#8 Re: Funktioniert Veränderung nur in Gegensätzen?

Beitrag von Mirjam » Do 10. Dez 2020, 11:16

Anthros hat geschrieben:
Do 10. Dez 2020, 10:25
Mirjam hat geschrieben:
Do 10. Dez 2020, 09:42
Menschen sind faul ...
Faulheit ist ein moralisierender Begriff. Jemand, der beispielsweise nicht die Konzentration für etwas aufbringen kann, obwohl er es durchaus wollte, kann schnell als faul beschimpft werden. 

Um vom Moralisierenden fortzukommen, bedarf es eines neutralen Begriffs, der hier "Passivität" heißen kann. Und ihr steht die Aktivität entgegen.
 

Passivität trifft es auch nicht ganz.
Klar, "faul" war absichtlich zugespitzt formuliert.
Aber dann vielleicht eher: "sparsam" oder "in Ruhe"

Ich spreche hier von dem Phänomen, dass eine satte, zufriedene Katze sich zum dösen oder schlafen hinlegt.
Das ist nicht so sehr "Passivität", die Katze erleidet nichts, was die Umwelt ihr aufzwingt. Sie sieht schlicht keinen Grund, irgendetwas tun zu müssen. Sie ist, für diesen Moment, im Frieden mit der Welt.

Interessant auch: das Phänomen, dass aus diesem Verhaltensmuster des "Energiesparens" bei Tieren ausbricht... das ist das Spielen.


LG
Mirjam

Anthros

#9 Neutralität

Beitrag von Anthros » Do 10. Dez 2020, 11:38

Mirjam hat geschrieben:
Do 10. Dez 2020, 11:16
Das ist nicht so sehr "Passivität", die Katze erleidet nichts
Gründe zu finden, warum etwas passiv ist, darum geht es ja nicht, sondern zunächst nur um grundlos und damit neutral auf den Gegensatz zu stoßen.

Mirjam
Beiträge: 311
Registriert: Sa 17. Mär 2018, 19:51

#10 Re: Neutralität

Beitrag von Mirjam » Do 10. Dez 2020, 12:53

Anthros hat geschrieben:
Do 10. Dez 2020, 11:38
Mirjam hat geschrieben:
Do 10. Dez 2020, 11:16
Das ist nicht so sehr "Passivität", die Katze erleidet nichts
Gründe zu finden, warum etwas passiv ist, darum geht es ja nicht, sondern zunächst nur um grundlos und damit neutral auf den Gegensatz zu stoßen.
Sorry, in meinen Ohren klingt "Passivität" immer noch unpassend. Du magst es als neutralen Begriff und Gegensatz zu "Aktivität" sehen, aber ich komme von der Wortbedeutung nicht los, für mich klingt es immer nach dem "erleiden / den Aktionen eines Anderen ausgesetzt sein"
Dabei bin ich hier eher auf einen weder/noch Status aus: weder selbst aktiv noch unter dem direkten Einfluss fremder Aktion.
"Htp" (Ruhe, Frieden, Ausgleich) würde am besten passen, finde ich, aber das ist halt ägyptisch und nicht Latein.

Liebe Grüße
Mirjam

Antworten