Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
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Savonlinna
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#981 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Mo 12. Okt 2015, 21:32

Andreas hat geschrieben:Zur allgemeinen Belustigung:
Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
Die Tiefe ist ein haltloser Abgrund.
Gott steht für Aufhebung.
Aus meiner Sicht.

Außerdem ist der Begriff "Tiefe", wenn man ihn zerreden will, ebenfalls eine leere Worthülse wie "Gott".
"Gott" ist in dem Moment keine leere Worthülse mehr, wo man zu verstehen gibt, was man damit verbindet.
Tillich hat über seinen Begriff "Tiefe" mehrere Essays geschrieben.
Was ich zitiert habe, ist auch schon ein Ansatz, diesen Begriff zu füllen.

Andreas hat geschrieben:Dennoch kann ich verstehen, was Tillich sagen will ohne mich in meinem abweichenden christlichen Standpunkt angegriffen zu fühlen.
Das ist gut.
Tillich eignet sich gut dafür, eine Brücke zwischen den Menschen zu bauen.

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Andreas
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#982 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Andreas » Mo 12. Okt 2015, 21:38

Savonlinna hat geschrieben:"Gott" ist in dem Moment keine leere Worthülse mehr, wo man zu verstehen gibt, was man damit verbindet.
Zu nichts gibt es mehr Literatur als zu "Gott" und "Jesus". Es wurde also jede Menge zu verstehen gegeben. Was verstanden wird, hängt vom Rezipienten ab.

SilverBullet
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#983 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von SilverBullet » Mo 12. Okt 2015, 21:44

closs hat geschrieben:Nach Deiner Definition, wissen wir inzwischen, ist ALLES Vermutung, weil alles einer Setzung bedarf, die nicht falsifizierbar ist.
Ich denke, in geschlossenen Definitions-/Funktionsumgebungen gibt es durchaus Wissen. Informatik würde ich als so einen Bereich ansehen.

Wenn es aber darum geht einen Wahrnehmungsinhalt zu verstehen, dann können wir tatsächlich nur Vorstellungen aufbauen, die auf Basis der Wahrnehmungstechnik nie an den auslösenden Sachverhalt heranreichen. Eine Sensorik kann nur Teilaspekte in Form von Daten erfassen und die Auswertung kann nur nach und nach Vorstellungen aus den Datenzusammenhängen entwickeln.

Bei dieser Entwicklung kommt es aber sehr wohl auf wiederholbare Interaktion in Form von vielen Blickwinkeln an. Je weniger Blickwinkel und je weniger Wiederholbarkeit desto mehr Fantasie enthält eine Vorstellung - falls es überhaupt zum Aufbau einer Vorstellung kommt.

Vor diesem Hintergrund muss man die Qualitäten von Wahrnehmungsinhalten unterscheiden.
„Farben“, „Töne“, usw. haben eine sehr gute Qualität, weil sie sich aus schier unendlich vielen Blickwinkeln (Zusammenhängen) entwickeln konnten. Gedanken, Emotionen, Schmerzen und das „Ich“ haben keine so gute Qualität. Das sind zwar auch Vorstellungen, aber eine direkte Analogie in der Aussenwelt ist schwer zu finden (bei Schmerzen findet man immerhin noch den Auslöser, aber der eigentliche Schmerz entsteht wohl durch ein Bewertungssystem im Gehirn).

Innerhalb der Wahrnehmung ist man somit weit davon entfernt „alles“ gleich setzen zu können.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Was da aber noch „Zusätzliches“ sein soll, kannst du anscheinend nicht sagen und du kannst anscheinend auch keine Hinweise zur Begründung deines Verdachtes bringen.
Du kommst einfach nicht von Deinem naturwissenschaftlichen Ansatz weg.
Was möchtest du?
Dass ich ohne Grund in eine Fantasiewelt hineinhüpfe?

closs hat geschrieben:Es GIBT unterschiedliche Qualitäten ("Sein"), die methodisch jedoch nicht nachweisbar sind ("Wahrnehmung").
Du vermutest nur, dass es eine Nicht-XXXX-Welt gibt…

closs hat geschrieben:ansonsten muss man hoffen, dass das eigene Denken seitens des Objekts (für uns unerkannt) als "qualifiziert" anerkannt ist
Du vermutest, dass da ein „Objekt“ ist, von dem du rein gar nichts weist, dass es dich beobachtet und dein Denken auswertet, dass es dich auf Grund deiner Gedanken des „reinen Nicht-Wissens“ „anerkennt“.
Wie soll das gehen?
Machst du innerlich eine tiefe Verbeugung und hoffst, dass dies das „notwendige Zeichen“ ist?

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Es muss doch zentral wichtig sein, durch welche Gefahren das wertvolle „Hineinfühlen“ vom „Bewusstsein“ „kontaminiert“ werden kann.
Das ist - theologisch gesprochen - der sogenannte "Sündenfall" - das Herausfallen aus der Wahrheit, das den Menschen einerseits in das dialektische Feld des Daseins ("gut"/"böse") wirft, andererseits der einzige Weg ist, um über Dialektik Eigen-Erkenntnis zu erhalten. - Das wäre eine umfassende Antwort, an der allerdings einiges dranhängt - wenn Du den Ansatz verstehst, können wir das vertiefen.
Ich habe den Eindruck, jetzt sind wir doch irgendwie bei der „dunklen Seite der Macht“ angelangt.

Aus meiner Sicht deutest du hier an, dass das Aufbauen von Eigen-Erkenntnis automatisch von der Wahrheit entfernt und einen Menschen in Gefahr bringt vom „Guten“ abzufallen.

Ist das der Grund, warum du nicht bereit bist, analytisch vorzugehen und Konsequenzen auf Basis von fehlenden Hinweisen und Ergebnissen zu ziehen?
Weil du denkst, dass dich das „Objekt“ dann nicht mehr „anerkennt“?

Auf der anderen Seite denkst du vermutlich den Auftrag zu haben, die dialektisch von Naturwissenschaft durchsetzte Gesellschaft zurück zur Wahrheit zu führen, in dem man einfach mal Kurzerhand vergisst, was man ist: ein Wahrnehmungssystem.

closs hat geschrieben:Du vermutest, dass es KEINE nicht-materielle Welt gibt - beides kann man glauben. - Mir geht es deshalb darum, ohne Verhaken in weltanschauliche Fragen rein intellektuell verständlich zu machen, dass allein die kategoriale Trennung von "Sein" und "Wahrnehmung" meine Version als MÖGLICH nachweist.
Nein, ich bin kein Atheist.
Ich nehme keine Haltung zur Existenz einer Nicht-XXXX-Welt ein.
Am Anfang steht die wahrnehmungstypische Was-Soll-Das-Sein-Frage.
Wenn keine brauchbare Antwort kommt, dann bleibt die Frage bestehen – eine Haltungs-Entwicklung ist dann nicht möglich.

Kann ich nach deinem letzten Absatz „ohne Verhaken in weltanschauliche Fragen rein intellektuell verständlich zu machen“ als Missionierungsversuch deuten?
Als Versuch die dialektisch verworrenen Ansichten zu reinigen und den „Denker“ zur Wahrheit zu führen?

closs hat geschrieben:Wir müssen erst mal einvernehmlich kapieren, dass es kategorial unterschiedliche Größen ("Sein"/"Wahrnehmung") gibt, WENN man "Sein" nicht als abhängige Größe von Wahrnehmung definiert. - Alles andere ist dann ziemlich einfach.
Ist das „Alles andere“ dann das „Erkannt werden durch das Objekt“?

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Savonlinna
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#984 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Mo 12. Okt 2015, 21:51

Andreas hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:"Gott" ist in dem Moment keine leere Worthülse mehr, wo man zu verstehen gibt, was man damit verbindet.
Zu nichts gibt es mehr Literatur als zu "Gott" und "Jesus". Es wurde also jede Menge zu verstehen gegeben. Was verstanden wird, hängt vom Rezipienten ab.
Was meinst Du mit "Rezipient"? Von wem hat Tillich das, was er unter "Gott" versteht, rezipiert?

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#985 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von SilverBullet » Mo 12. Okt 2015, 21:55

Andreas hat geschrieben:Was verstanden wird, hängt vom Rezipienten ab.
Ich stelle mir gerade vor, wie gläubige Eltern dies zu ihrem Kind sagen, um es zur "Wahrheit" zu führen.

Das ist Suggestion der Reinform:

Wahrnehmungssysteme (vor allem junge) sind sehr anfällig gegen solche „versteckten Leistungsforderungen/-beweise“.

Auf der anderen Seite kann man dies aber genauso als Hilflosigkeit ansehen, denn was taugt eine Überlegung, wenn keinerlei Nachweis, keinerlei Verbindung zur normalen Wahrnehmung besteht?
Eigentlich gar nichts – aber man will nicht loslassen und erklärt sich kurzerhand zu einem besonderen „Empfänger“…

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Andreas
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#986 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Andreas » Mo 12. Okt 2015, 22:07

Savonlinna hat geschrieben:Was meinst Du mit "Rezipient"?
Leser. Tillich ist der Autor des Textes den du zitiert hast. Jeder andere ist Leser. Das Verstehen des Textes liegt beim Leser. Das kann sich von dem, was der Autor mitteilen wollte stark unterscheiden. Das weißt du doch alles besser als ich.
Wie Tillich zu dem gekommen ist, was er geschrieben hat, spielt doch hierbei keine Rolle wenn es darum geht, wie unterschiedlich du und ich seinen Text verstehen.

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#987 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Novas » Mo 12. Okt 2015, 22:11

SilverBullet hat geschrieben:Ich stelle mir gerade vor, wie gläubige Eltern dies zu ihrem Kind sagen, um es zur "Wahrheit" zu führen

Jeder von uns erzieht seine Kinder nach den Maßstäben und Werten, die man selbst bevorzugt. Man gibt ihnen das, was man selbst für das Beste hält.

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#988 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mo 12. Okt 2015, 22:18

SilverBullet hat geschrieben:Ich denke, in geschlossenen Definitions-/Funktionsumgebungen gibt es durchaus Wissen.
Zustimmung - es gibt Wissen INNERHALB eines definierten Systems, also bei Anerkennung eines Systems als Maßstab. - So kann man Wissen unter den Prämissen haben, dass es Gott gibt oder NICHT gibt. - "Wenn es Gott nicht gibt, dann ..."

SilverBullet hat geschrieben: Eine Sensorik kann nur Teilaspekte in Form von Daten erfassen und die Auswertung kann nur nach und nach Vorstellungen aus den Datenzusammenhängen entwickeln.
:thumbup:

SilverBullet hat geschrieben:Bei dieser Entwicklung kommt es aber sehr wohl auf wiederholbare Interaktion in Form von vielen Blickwinkeln an.
Zur Objektivierung der Wahrnehmung, ja. - Zur Frage, ob etwas absolut "ist" (also jenseits der Prämissen menschlicher Systeme, nein.

SilverBullet hat geschrieben:Innerhalb der Wahrnehmung ist man somit weit davon entfernt „alles“ gleich setzen zu können.
Der Objektivierungs-Grad kann je nach System sehr unterschiedlich sein - deshalb habe ich Dir doch bereits zugestimmt, dass die naturwissenschaftliche Methodik die Königs-Disziplin ist, WENN sie anwendbar ist.

SilverBullet hat geschrieben:Dass ich ohne Grund in eine Fantasiewelt hineinhüpfe?
Nein :lol: - sondern dass Du konsequent Wahrnehmung und Sein kategorial unterscheidest. - Tust Du es, muss Du zum Schluss kommen, dass es "Realität" geben KANN, die prinzipiell nicht naturalistische wahrnehmbar ist.

SilverBullet hat geschrieben:Du vermutest nur, dass es eine Nicht-XXXX-Welt gibt…
Und Du vermutest nur, dass die naturalistische Welt keine Einbildung, sondern unabhängig von Deiner Wahrnehmung "ist". - Ich schließe mich Deiner Vermutung ("Glaube") an, weiss aber, dass es Vermutung/Glaube ist.

SilverBullet hat geschrieben:Machst du innerlich eine tiefe Verbeugung und hoffst, dass dies das „notwendige Zeichen“ ist?
Mit Tricks ist da nichts zu machen.

SilverBullet hat geschrieben:Aus meiner Sicht deutest du hier an, dass das Aufbauen von Eigen-Erkenntnis automatisch von der Wahrheit entfernt und einen Menschen in Gefahr bringt vom „Guten“ abzufallen.
Gut analysiert - ich würde es jedoch anders formulieren: Erkenntnis ist nicht möglich außer im dialektischen Raum von "gut" und "böse".

SilverBullet hat geschrieben:Ist das der Grund, warum du nicht bereit bist, analytisch vorzugehen und Konsequenzen auf Basis von fehlenden Hinweisen und Ergebnissen zu ziehen?
Weder Inhalt noch Begründung sind nachvollziehbar.


SilverBullet hat geschrieben:Kurzerhand vergisst, was man ist: ein Wahrnehmungssystem.
Nee - genau das unterstreiche ich: Der Mensch hat nichts außer seiner Wahrnehmung (incl. Messungen, etc.). - Was diese Wahrnehmung NICHT kann, kann der Mensch per Wahrnehmung nicht ermitteln - er kann nur positiv feststellen: "DAS geht".

SilverBullet hat geschrieben:Kann ich nach deinem letzten Absatz „ohne Verhaken in weltanschauliche Fragen rein intellektuell verständlich zu machen“ als Missionierungsversuch deuten?
Das wäre mir zu dramatisch formuliert - "Erkenntnis-Angebot" tut's auch.

SilverBullet hat geschrieben:Ist das „Alles andere“ dann das „Erkannt werden durch das Objekt“?
Erst mal kann man dann erkennen, welche Gedankengänge realistisch sein KÖNNEN. - Man kann dann beginnen, sich vernünftig aus der Warte verschiedener Weltbilder auszutauschen - man hat ja dann (endlich) die Rahmenbedinungen dazu geschaffen.

Novas
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#989 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Novas » Mo 12. Okt 2015, 22:19

Andreas hat geschrieben:Die Wahrheit ist ein pfadloses Land

Was ist (deiner Meinung nach) mit Wahrheit gemeint?

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Andreas
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#990 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Andreas » Mo 12. Okt 2015, 22:20

SilverBullet hat geschrieben:Nein, ich bin kein Atheist.
Was bist du dann? In deinem Sprachgebrauch sollte die Frage wohl lauten: "Was sollst "du" sein?" so wie "Was soll "Gott" sein?" Eine einzelne präzise Antwort würde genügen.

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