Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

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Naqual
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#91 Re: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

Beitrag von Naqual » Mo 31. Aug 2015, 15:56

Andreas hat geschrieben: Das Thread-Thema ist: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben.

Das bringt mich jetzt auf Ideen. ;)

Eigentlich müsste man die Frage stellen: wie muss eine Religion beschaffen sein, damit man sie braucht um an Gott zu glauben?
Es gibt nämlich Religionen, bei denen man sie nicht braucht. Beim Christentum, Judentum und Islam habe ich das Gefühl, dass die Betroffenen es sich zumindest nicht ohne Religion vorstellen können.

Der Fall per excellance, bei der man keine Religion braucht für Gott: Der Gläubige hat eine Beziehung zu Gott, bei dem dieser ihm das Notwendige offenbart. Das Christentum (als Religion) gehört für mich nicht dazu.

Das andere ist, was man unter Religion versteht. z.B. Religion ist über Jahrhunderte erstarrte Dogmatik (die nur noch in geringen Teilen verändert werden kann und wird), an die die Mitglieder sich gebunden fühlen, weil alle anderen nicht dazugehören.
Wozu das "Ex-plizite"?

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Savonlinna
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#92 Re: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

Beitrag von Savonlinna » Mo 31. Aug 2015, 16:03

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Erst, wenn man sagt, es war "Gott", der das bewirkt hat, hat man es aus dem Zustand der Unschuld herausgerissen, und es wird ein kritisierbarer Begriff.
Stimmt - aber der Mensch hat eben nicht mehr die Unschuld des Nicht-Reflektierenden.
Doch. Naturlich hat er sie. Sonst könnte ich doch gar nicht den Unterschied feststellen.

closs hat geschrieben: Deute ich wieder weg von dem, was Du sagen willst?
Ich muss da überhaupt nicht deuten. Dass sehr viele das in irgendwelche Konzepte packen, weiß ich. Nur sind die eben wegen der vielen Worte, die da gemacht werden müssen, an jeder Ecke fehleranfällig.
Dann versteht man nur wieder nur die Konzepte, aber nicht das, was ich gemeint habe.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Denn das ist, was den Menschen am meisten ausmacht: das Schöpferische. Auch das Wort "wirken", von Dir, closs, oben benutzt, beinhaltet diesen Gedanken, dass etwas entsteht.
Um es in die Sprache des Christentums zu übersetzen: Eigentlich sprichst Du von "Heilsgeschichte" - der Umgang mit Entwicklung mit dem Ziel der Erkenntnis.
Ich sprach NICHT "eigentlich" von Heilsgeschichte. Ich sprach genau von dem, wovon ich gesprochen habe.
Der Begriff - und überhaupt ein Begriff - macht das wieder kaputt und drängt es in eine mindest weltanschauliche Ecke.

"Schöpferisch" war das Neutralste, was ich da finden konnte, weil es ein transparentes Wort ist. Auch "wirken" ist ein schönes Wort, das man nicht so leicht als festen Begriff auffassen kann.
"Heilsgeschichte" hingegen ist schon von Natur aus ein Begriff, der eine festgefügte Weltsicht voraussetzt.
Darum distanziere ich mich davon.

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Andreas
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#93 Re: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

Beitrag von Andreas » Mo 31. Aug 2015, 16:09

Naqual hat geschrieben:Der Fall per excellance, bei der man keine Religion braucht für Gott: Der Gläubige hat eine Beziehung zu Gott, bei dem dieser ihm das Notwendige offenbart. Das Christentum (als Religion) gehört für mich nicht dazu.
Die Bibel ist in meinen Augen eine Zusammenstellung von Offenbarungen die aus den Beziehungen von Gläubigen zu Gott resultieren.

Was daraus wird, wenn das in Kirchen institutionalisiert wird, ist eine andere Sache. Damit, was seine jüdische "Kirche" daraus machte, war Jesus damals auch nicht einverstanden.

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Savonlinna
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#94 Re: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

Beitrag von Savonlinna » Mo 31. Aug 2015, 16:40

Andreas hat geschrieben:So ähnlich wollte ich Savonlinna gestern schon antworten. Fand es aber vielleicht zu provokativ und wollte noch mal drüber schlafen.
Savonlinna, vielleicht kannst du es spielerisch nehmen.

Savonlinna hat geschrieben:Aber grundsätzlich halte ich jede individuelle Wahrnehmung für heilig. Jede einzelne ist Teil des Prozesses, der zwischen allem, was ist, abläuft, jede bringt den Prozess voran. Nichts ist sozusagen vergeblich, und alles hat seine Funktion.
Das klingt in meinen Ohren nach Heilsgeschichte oder wie eine gute Erklärung zur Entstehung der Bibel. So war Vernetzung anno dazumal, mit Sprache, Schrift, Bildern. --- Regt dich das jetzt auf?
Nein, bei Dir regt mich das nicht auf. Von Dir weiß ich, wie empfindsam Du Vorsprachliches registrierst, bei closs ahne ich das Gleiche zwar auch, aber er schlägt mir das selber immer wieder aus der Hand mit seinen festen Behauptungen und Systembedürfnissen. Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend.

Zur Sache: "Heilsgeschichte" beinhaltet "Geschichte", und beschränkt sich auf Biblisches. Beides ist mir dann wieder zu "weltanschaulich" und "parteiisch".
Meine Überlegungen dazu, oder besser, mein Verstehen, stammt nicht aus dem Christentum; es stammt a. aus meiner künstlerischen Arbeit und b. aus Selbstbeobachtung oder Beobachtung des Lebens.
Theoretische Untermauerungen habe ich sicher auch irgendwo gelesen, aber ich weiß nicht mehr, wo. Stammt aus dem östlichen Weisheitsbereich, vermute ich mal. Kann aber auch sein, dass ich da nie theoretische Untermauerungen gelesen habe.

Andreas hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich empfinde, dass wir Menschen alle miteinander verwandt sind. Dass es ganz egal ist, wie jemand sich bezeichnet, "Christ", "Atheist" etc. Aus derselben Ursuppe stammen die Menschen dennoch.
Nehme die unterschiedlichen Selbstbezeichnungen als künstliche Gräben wahr.
Ich bin auf der Suche nach dem Gemeinsamen, für mich ist das zentral.
Auch hier wieder. Ich höre das alles so was von "biblisch", was du da sagst. Und es macht dich vermutlich wahnsinnig, wenn ich das so sage. Eines von diesem Gemeinsamen das du suchst, nennt Paulus in seinem Denksystem möglicherweise "Gewissen" in dem "gewisse" Weisungen zum tragen kommen. Nichts ist sozusagen vergeblich, und alles hat seine Funktion. Im Leben ist immer alles zugleich richtig und falsch. Die Vergeblichkeit bedarf der Vergebung. Die verlorenen Söhne bedürfen der Versöhnung.
Was Du hier präsentierst, ist ein geöffnetes Christentum, dem ich in Foren manchmal begegne, das ich aber im kirchlichen Raum nie angetroffen habe.
In anderen christlichen Foren würde man das verketzern.

Die Vernetzung sehe ich nicht beschränkt auf Christen oder die biblischen Bücher.
Ich habe closs mal gefragt, und meinte es ernst, ob der "Heilige Geist" nicht quasi in allem wirkt, also auch in Schundblättern etc.
Einfach wegen dieser Vernetzung. Wenn der eine so und so denkt und übertreibt, übertreibt der andere in die andere Richtung.
Das heißt, man kann die Dinge nicht isoliert sehen und bemeckern, sondern man muss versuchen zu "lesen" in dem Geschehen: wozu zum Beispiel irgendeine Übertreibung eine Gegenreaktion ist.

Novas
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#95 Re: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

Beitrag von Novas » Mo 31. Aug 2015, 18:49

Savonlinna hat geschrieben:mit seinen festen Behauptungen und Systembedürfnissen

Was stört Dich daran?

Als System (altgr. σύστεμα sýstÄ“ma, ‚aus mehreren Einzelteilen zusammengesetztes Ganzes‘) wird allgemein eine Gesamtheit von Elementen bezeichnet, die so aufeinander bezogen oder miteinander verbunden sind und in einer Weise interagieren, dass sie als eine aufgaben-, sinn- oder zweckgebundene Einheit angesehen werden können, als strukturierte systematische Ganzheit[...]Darüber hinaus wird σύστημα gebraucht

* im Bereich der Medizin, z. B. für ein „System“ von Pulsschlägen
* im Bereich der Musiktheorie, z. B. für ein „System“ von Intervallen
* im Bereich der Literaturtheorie, z. B. in der Bedeutung einer „Komposition“[4]

An den musiktheoretischen Gebrauch knüpft Platon in seinem späten Dialog Philebos an. Er spricht von den vielen „Verbindungen“, welche aus den „Zwischenräumen“ der Töne entstehen
https://de.wikipedia.org/wiki/System

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Savonlinna
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#96 Re: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

Beitrag von Savonlinna » Mo 31. Aug 2015, 19:07

Novalis hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:mit seinen festen Behauptungen und Systembedürfnissen

Was stört Dich daran?
Das habe ich oft erläutert, und auch ausführlich.
Im Schnellschuss-Verfahren werde ich das lieber nicht tun. ;)

Novas
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#97 Re: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

Beitrag von Novas » Mo 31. Aug 2015, 19:49

Savonlinna hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:mit seinen festen Behauptungen und Systembedürfnissen

Was stört Dich daran?
Das habe ich oft erläutert, und auch ausführlich.
Im Schnellschuss-Verfahren werde ich das lieber nicht tun. ;)

Auch in mir steckt soetwas wie ein "Anarch", weswegen ich auch eine große Sympathie für beispielsweise den Zen Buddhismus oder die christliche Mystik hege. Dieses libertäre Naturell habe ich einfach; aber meinst Du nicht, dass es auch sehr verständlich ist, dass Menschen Systeme erdenken? Man muss es ja nicht tödlich ernst nehmen... und kann seinen Spaß damit haben... ;) was für mich als Christ bedeutet: ich versuche das Einzig Wahre System (den Geist Gottes) verstehen zu lernen, auch wenn ich weiß, dass es jenseits meines Fassungsvermögens bleiben muss. Wir können das Ganze nicht aus den Stückchen unsrer Wahrnehmung verstehen.




Größere Bekanntheit erhielt der Begriff des Anarchen erst durch Ernst Jünger, der in seinem im Alter von 80 Jahren geschriebenen Roman Eumeswil (1977) den Anarchen als positive Figur schuf, die im Gegensatz zur negativen des Anarchisten steht. Die Figur des Anarchen ist eine Weiterentwicklung der Figur des Waldgängers, die Jünger in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entworfen hatte. Nach dem Bankrott aller Politik sollte der Waldgänger „eine neue Konzeption der Freiheit“ symbolisieren. Er „lässt sich durch keine Macht das Gesetz vorschreiben, weder propagandistisch noch durch Gewalt; er ist „entschlossen, Widerstand zu leisten.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Anarch

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#98 Re: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

Beitrag von Rembremerding » Mo 31. Aug 2015, 21:36

Novalis hat geschrieben:
was für mich als Christ bedeutet: ich versuche das Einzig Wahre System (den Geist Gottes) verstehen zu lernen, auch wenn ich weiß, dass es jenseits meines Fassungsvermögens bleiben muss. Wir können das Ganze nicht aus den Stückchen unsrer Wahrnehmung verstehen.
Dies ist zwar nicht das Philosophie-Unterforum, aber man sollte auch Substantielles betrachten.
Zunächst ganz ohne Gott gibt es ein Naturrecht, welches das Gewissen zu erfüllen hat. Ich würde es sogar eher als Naturpflicht betrachten, die der Mensch durch das Gewissen beleuchtet erhält. Dies ist Platons Licht in der Welt, vor dem sich niemand unberührt lassen kann, wohl aber vorüber gehen lassen. Dennoch wird selbst der böseste Mensch für sich Gerechtigkeit fordern, das er aus dem Gewissen anderer zu schöpfen verlangt. Der Mensch kann sich nicht aus einem System selbst entlassen, was seiner Natur, seinem Wesen entspricht. Die Freiheit des Menschen bietet hier ein "sollen müssen dürfen", denn erst im Licht wird es möglich die Finsternis zu scheiden, aber sich auch entscheiden zu müssen.

Die Natur des Menschen muss hier in zweierlei Sicht betrachtet werden: Von seiner biologischen Natur her und aus seiner menschlichen Natur, welche die Vernunft und den Verstand in sich trägt. An jedem neuen Tag seines Lebens ist der Mensch das Du eines anderen Menschen. Im Ich des Anderen wird man selbst zu einem Du, welches im eigenen Ich durch das Gewissen in der Naturpflicht zu einer Beziehung hin gefordert wird. Und in sich dient das Gewissen auch dazu, damit das Ich seinem Wesen in Harmonie folgen kann.

Es ist also falsch, und die meisten Atheisten werden mir zustimmen, zu behaupten, dass dort, wo kein Glaube, kein Gott mehr ist, alles erlaubt wird.
Natürlich darf nun der Philosoph fragen, woher diese Naturpflicht stammt und woher das Gewissen, das dieses berührt, erleuchtet. Und welche Theorie kann ohne das Gewissen den Menschen erklären, ohne dessen menschliche Natur zu verneinen? Jedenfalls die Evolutionstheorie kann dies nicht.

Ich weiß, der Beitrag ist fordernd, man sollte sich deshalb etwas Zeit zum nachsinnen geben.

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Savonlinna
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#99 Re: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

Beitrag von Savonlinna » Mo 31. Aug 2015, 21:44

Novalis hat geschrieben:aber meinst Du nicht, dass es auch sehr verständlich ist, dass Menschen Systeme erdenken?
Ja. Aber es ging mir nur um den Anspruch, dass ein bestimmtes System die Absolute Wahrheit sei. Dass gewisse Kategorien des Systems keinerlei Hinterfragung ermögliche, nicht subjektiv sei, sondern objektiv.

Manche Weltanschauler neigen zum Totalitären, wollen die Eine Wahrheit wissen oder in einem System darlegen, und es dann DURCHSETZEN.
Ich spreche hier jetzt allgemein, denn ich kann in Menschen nicht reinschauen, ich will das nur in seiner Grundstruktur skizzieren.
Aber es reicht auch schon, wenn man es mit Worten immer wieder so formuliert. Die einen sagen es nur, und andere machen daraus Realität.
Darum widerspreche ich da, und manchmal vielleicht zu schroff.
An letzterem muss ich noch arbeiten... Ich hab leider ein überbordendes Temperament. :oops:

Novalis hat geschrieben: Man muss es ja nicht tödlich ernst nehmen...
Es IST tödlich ernst, lieber Novalis, wenn ich Dir da mal eben kurz das Wort im Mund herumdrehen darf.
An der Grenze der DDR wurde geschossen um eines für allgemeingültig gehaltenen Systems willen, und es GAB Tödliches.

Novalis hat geschrieben: und kann seinen Spaß damit haben... ;)
Na, dann können wir ja auch mal ein bisschen Spaß mit den Kriegstoten haben, die im Moment täglich wegen ideologischer Systeme produziert werden.

Novalis hat geschrieben: was für mich als Christ bedeutet: ich versuche das Einzig Wahre System (den Geist Gottes) verstehen zu lernen
Wenn es das Einzig Wahre System gibt, dann sind alle anderen Systeme falsch, und alle, die keine Systeme haben, sind auch im Falschen.
Wie heißt es so schön bei dem finnischen Dichter Paavo Haavikko? "Aus Worten entsteht Krieg".

Warum können Menschen nicht sagen: Ich bastele mir ein Denksystem, durch das ich sehr vieles verstehe?
Das genügt doch. Warum muss man sagen: Mein System ist unanfechtbar?

closs
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#100 Re: Ist überhaupt eine Religion nötig, um an Gott zu glauben?

Beitrag von closs » Mo 31. Aug 2015, 22:10

Rembremerding hat geschrieben:Es ist also falsch, und die meisten Atheisten werden mir zustimmen, zu behaupten, dass dort, wo kein Glaube, kein Gott mehr ist, alles erlaubt wird.
Ja - da würde der Atheist Dir zustimmen.

Rembremerding hat geschrieben: Und welche Theorie kann ohne das Gewissen den Menschen erklären, ohne dessen menschliche Natur zu verneinen? Jedenfalls die Evolutionstheorie kann dies nicht.
Da würde der Atheist Dir widersprechen. - Denn man kann soziales Verhalten als Ausdruck des Überlebenstriebs verstehen.

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