Vergiftet der Neo-Atheismus?

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closs
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#81 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von closs » Sa 16. Mai 2015, 15:27

Savonlinna hat geschrieben:Das weiß ich nicht.
Das wäre jetzt exakt der Punkt, wo es bei mir nicht aufhören, sondern anfangen würde: Man stellt fest, dass es so ist, und sucht Antworten, warum es so ist.

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Savonlinna
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#82 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Savonlinna » Sa 16. Mai 2015, 16:07

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Das weiß ich nicht.
Das wäre jetzt exakt der Punkt, wo es bei mir nicht aufhören, sondern anfangen würde: Man stellt fest, dass es so ist, und sucht Antworten, warum es so ist.
Die "Warum"-Frage ist ein Erzeugnis naturwissenschaftlichen Denkens.
In das sind wir hineingeboren worden. Ich habe mich damit die Hälfte meines Lebens abgequält - bis ich auf Lukács und Ähnliche gestoßen bin, durch die es mir wie Schuppen von den Augen fiel: ich bin an dieses Ursache-Wirkungs-Denken nicht gebunden. Es ist nur die Natuwissenschaft bzw. unser abendländisches Denken, die mich bisher dominiert haben.

Es führt in die Irre, weil das nur ein Interpretationsschma ist, das nicht befriedigt werden kann. Jedenfalls nicht bei mir, weil ich alle kausalen Rekonstruktionen in ihrer Scheinhaftigkeit sah, ob ich wollte oder nicht.
Möglicherweise läuft auch die Naturwissenschaft gar nicht auf kausale Zusammenhänge hinaus, man missversteht das nur.

closs
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#83 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von closs » Sa 16. Mai 2015, 16:16

Savonlinna hat geschrieben:Die "Warum"-Frage ist ein Erzeugnis naturwissenschaftlichen Denkens.
Hmm - wenn ein Mensch sagen würde "Ich bin, weil ich von Gott geschaffen wurde", ist das doch keine Referenz an naturwissenschaftliches Denken?

Savonlinna hat geschrieben:Es führt in die Irre, weil das nur ein Interpretationsschma ist, das nicht befriedigt werden kann.
Das wiederum finde ich ok. - Das erinnert an Kant, der sinngemäß (ich glaube 1797) gesagt hat, dass er die Vernunft an ihre Grenzen geführt habe, um Platz für den Glauben zu haben.

Eigentlich ist das auch "romantisch" (im ernsten Sinne des Wortes), was Du da sagst. - Aber ich glaube, dass man solche Dinge erst sagen kann/darf, wenn man "durch" ist - NACHDEM man also die Nicht-Maßstäblichkeit eigener Wahrnehmung(s-Systeme) begriffen hat. - Hiob.

"Romantik" geht nur NACH der "Klassik". - Entschuldige meine faulen Wortfetzen - ich teste einfach mal, ob wir uns (halb-) blind verständigen können. ;)

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Savonlinna
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#84 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Savonlinna » Sa 16. Mai 2015, 16:38

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Die "Warum"-Frage ist ein Erzeugnis naturwissenschaftlichen Denkens.
Hmm - wenn ein Mensch sagen würde "Ich bin, weil ich von Gott geschaffen wurde", ist das doch keine Referenz an naturwissenschaftliches Denken?
Ich präzisiere: Die "Warum"-Frage ist ein Erzeugnis rein rationalen Denkens, aus dem das naturwissenschaftliche Denken entstanden ist.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Es führt in die Irre, weil das nur ein Interpretationsschma ist, das nicht befriedigt werden kann.
Das wiederum finde ich ok. - Das erinnert an Kant, der sinngemäß (ich glaube 1797) gesagt hat, dass er die Vernunft an ihre Grenzen geführt habe, um Platz für den Glauben zu haben.
Du findest meine Aussage darum okay, weil sie Dich an Kant erinnert? :shock:
Ich habe keinen Glauben wie Kant. Darum meinte ich naturgemäß was anderes. ;)

Kant hat auch noch gesagt, dass man zwanghaft in Raum und Zeit und Kausalität wahrnimmt.
Und darin hat er sich geirrt. Man kann alle drei Dinge vorübergehend beiseite lassen.
Aber da war Kant eben noch zu sehr seiner Zeit oder Kultur verhaftet. Ich habe ja auch ewig lange gebraucht, bevor ich kapierte, dass "die Grenzen der Menschheit" nur die Grenzen unserer Kultur sind, die man übersteigen kann.

Ja, die Epoche der Romantik hat viel damit zu tun. Sie hat vorgebuddelt. Und, wie bei allen Frontarbeitern, dafür viel bezahlt.

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#85 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Novas » Sa 16. Mai 2015, 18:28

Hier werden künstlich Probleme und Fronten herbei geredet. Die östliche Denkweise kennt gar kein solches "entweder-oder" Denken, weil man dort eher einer mehrwertigen Logik - "sowohl-als-auch" - folgt. Deshalb gibt es dort auch die Theodizee-Frage gar nicht in einem vergleichbaren Ausmaße.

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#86 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Pluto » Sa 16. Mai 2015, 18:30

Savonlinna hat geschrieben:Das erinnert an Kant, der sinngemäß (ich glaube 1797) gesagt hat, dass er die Vernunft an ihre Grenzen geführt habe, um Platz für den Glauben zu haben.
Das ist aus der Kritik der reinen Vernunft, und er hat das mitten in seinem schöpferischten Lebensabschnitt geschrieben. Die KrV erschien meines Wissens Anfang der 1780'er.

Savonlinna hat geschrieben:Kant hat auch noch gesagt, dass man zwanghaft in Raum und Zeit und Kausalität wahrnimmt.
Und darin hat er sich geirrt. Man kann alle drei Dinge vorübergehend beiseite lassen.
Aber da war Kant eben noch zu sehr seiner Zeit oder Kultur verhaftet. Ich habe ja auch ewig lange gebraucht, bevor ich kapierte, dass "die Grenzen der Menschheit" nur die Grenzen unserer Kultur sind, die man übersteigen kann.
Kant hat sich in vielen Dingen geirrt, z Bsp. auch in seinen Vorstellungen zur Anthropologie, aber die KrV war aus meiner Sicht schon eines der bedeutendsten philosophischen Werke überhaupt.

Aber... was meinte Kant eigentlich mit der Aussage, dass er Platz für den Glauben haben wollte?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#87 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Novas » Sa 16. Mai 2015, 18:58

Pluto hat geschrieben:Aber... was meinte Kant eigentlich mit der Aussage, dass er Platz für den Glauben haben wollte?

Die Kritik der Vernunft beginnt für mich schon damit, dass der Mensch zu einem großen Teil ein Gefühlswesen ist und erst dann kommt die Ratio. "Glaube" würde ich - im spirituellen Verständnis - vielleicht definieren, als ein starkes Empfinden von Resonanz mit etwas Höherem. Ein Buddhist spricht beispielsweise dieses Glaubensbekenntnis:

Buddham saraṇam gacchami
Dhammam saraṇam gacchami
Sangham saraṇam gacchami.

Ich nehme Zuflucht zu Buddha
Ich nehme Zuflucht zum Dharma
Ich nehme Zuflucht zum Sangha.

"Dharma" bedeutet Lehre, "Sangha" spirituelle Gemeinschaft und "Buddha" meint nicht nur die historische Figur, sondern die große Kette der Buddhas, Bodhisattvas, Weisen und Heiligen, die es gab, gibt und geben wird. Du spürst, hoffst, glaubst, vertraust, dass es für Dich richtig ist, weil es Dir deine Intuition sagt.

Wenn Du beginnst einen spirituellen Weg zu gehen, dann kannst Du gar nicht wissen, was für Dich dabei heraus kommst. Du gibst dem eher einen Vertrauens-Vorschuss und überprüfst es, in dem Du den Weg gehst. ;)
Zuletzt geändert von Novas am Sa 16. Mai 2015, 19:14, insgesamt 1-mal geändert.

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#88 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Savonlinna » Sa 16. Mai 2015, 19:14

Novalis hat geschrieben:Hier werden künstlich Probleme und Fronten herbei geredet. Die östliche Denkweise [...]
Ich bin mit der westlichen Denkweise groß geworden. Insofern rede ich da keine künstlichen Probleme herbei, sondern sie waren lebensecht für mich. Und fast lebensgefährlich.

Aber ich verstehe schon, was Du meinst. Du willst sagen, dass der Westen insgesamt künstliche Probleme hat und der Osten ihm turmhoch überlegen ist.

Novalis hat geschrieben:[...] kennt gar kein solches "entweder-oder" Denken, weil man dort eher einer mehrwertigen Logik - "sowohl-als-auch" - folgt. Deshalb gibt es dort auch die Theodizee-Frage gar nicht in einem vergleichbaren Ausmaße.
Letzteres war ja das, was ich meinte. Was man oft für Grenzen der Menschheit hält, sind nur die Grenzen der eigenen Kultur.

Nur kann man eben die Kulturen auch nicht gegeneinander ausspielen. Auch da gilt das "sowohl, als auch".
Denn die westliche Denkweise bringt die Wirtschaft voran, die östliche bringt den Menschen voran, etwas platt ausgedrückt.
Beides könnte man ja auch gleichzeitig gelten lassen.
Dann muss man als Individuum zwischen den beiden Logiken hin- und herpendeln oder gar gleichzeitig in sich installiert haben.
Letzteres wär nicht das Schlechteste.

closs
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#89 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von closs » Sa 16. Mai 2015, 19:27

Savonlinna hat geschrieben:Du findest meine Aussage darum okay, weil sie Dich an Kant erinnert?
Nee - weil ich analytisches Denken mag.

Savonlinna hat geschrieben:die Epoche der Romantik hat viel damit zu tun. Sie hat vorgebuddelt. Und, wie bei allen Frontarbeitern, dafür viel bezahlt.
Freut mich, dass Du es so einordnest.

Pluto hat geschrieben:Das ist aus der Kritik der reinen Vernunft, und er hat das mitten in seinem schöpferischten Lebensabschnitt geschrieben.
Interessant - dann ist es schon lange in ihm rumgegeistert - meine Quelle sind die (späten) Briefe an Christian Carve.

Pluto hat geschrieben: was meinte Kant eigentlich mit der Aussage, dass er Platz für den Glauben haben wollte?
Platt geantwortet: Dass der Punkt kommt, an dem das eigene Denk-System und somit auch die Vernunft ausgereizt ist - siehe auch Chaos-Theorie.

Savonlinna hat geschrieben:Dann muss man als Individuum zwischen den beiden Logiken hin- und herpendeln oder gar gleichzeitig in sich installiert haben.
Oder werden wie die Kinder.

Novas
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#90 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Novas » Sa 16. Mai 2015, 19:37

Savonlinna hat geschrieben:Aber ich verstehe schon, was Du meinst. Du willst sagen, dass der Westen insgesamt künstliche Probleme hat und der Osten ihm turmhoch überlegen ist

Ich sage, dass die wissenschaftliche Empirie und hochentwickelte Technik des Westens nicht alles ist... und wir können vieles von der östlichen Weisheit und Intuition lernen... außerdem ist es interessant, dass wir nun - über den Umweg der Kernphysik - zu ähnlichen Einsichten kommen... beispielsweise, dass sich die subatomaren Bausteine der Materie, die Elementarteilchen im Unbegreiflichen verlieren... im Yoga würde man sagen, dass sie Maya (Schein) ist.
Zuletzt geändert von Novas am Sa 16. Mai 2015, 20:15, insgesamt 1-mal geändert.

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