Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
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Savonlinna
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#571 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 8. Okt 2015, 18:20

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Eine geistige Objektivität aber gibt es nicht.
Da würde ich meinen, dass es eine geistige Objektivität aus Wahrnehmungs-Sicht NICHT gibt, aber als Objekt selbst schon.
Nur der Verstand trennt. Dein Verstand will trennen.
Aber es gibt keine Trennung zwischen Wahrnehmung und geistiger Objektivität, wenn man in der Lage ist, jenseits des Verstandes etwas zu verstehen.

Der Punkt ist, dass jede noch so subjektive Sicht gleichzeitig von geistiger Objektivität ist.
Aber wie erkläre ich das meinem Kinde? :)
Jeder noch so flüchtige Augenblick ist gleichzeitig ewig.
Es sind die zwei Seiten derselben Medaille.

Rembremerding
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#572 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Rembremerding » Do 8. Okt 2015, 18:42

Savonlinna hat geschrieben: Aber es gibt keine Trennung zwischen Wahrnehmung und geistiger Objektivität, wenn man in der Lage ist, jenseits des Verstandes etwas zu verstehen.

Der Punkt ist, dass jede noch so subjektive Sicht gleichzeitig von geistiger Objektivität ist.
Aber wie erkläre ich das meinem Kinde? :)
Jeder noch so flüchtige Augenblick ist gleichzeitig ewig.
Es sind die zwei Seiten derselben Medaille.
Paulus schreibt an einer Stelle im Epheserbrief (3:17-19), dass es der Glaube ist, in der Liebe verwurzelt, der etwas versteht, dass jenseits der Erkenntnis ist (hier die Liebe Christi).
Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen. In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet,
sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen
und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt.
Ich denke, dass könnte in etwa das treffen, was Du meinst. Die geistige Objektivität wird hier als Dimension beschrieben (Länge, Breite, Höhe Tiefe), die zwar ermessen werden kann, aber nicht vollständig erkannt.
Der subjektive Verstand erfährt also eine Erweiterung im Glauben an Gott, damit er etwas ermisst (mehrdimensional wird, objektiv), was normalerweise jenseits seiner Erkenntnis ist. Wirklich schwierig auszudrücken.
Anselm von Canterbury hat dies in seiner Mystik aufgenommen und erweitert; Der Glaube muss mit der Vernunft durchdrungen werden. Peter Abelard drehte es um: Zuerst muss man Wissen und dieses dann mit Glauben durchdringen.

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Savonlinna
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#573 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 8. Okt 2015, 18:43

closs hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben:Wie jemand einerseits aufgrund "tüchtiger Verwesung" nicht mehr da sein und andererseits gleichzeitig etwas erfahren soll, übersteigt meine intellektuellen Kapazitäten.
[...] Stelle Dir vor, Du wärest geistig existent und würdest das Dasein sehen und überlegen: Wie würde ich es als Daseins-Wesen mit meinem JETZIGEN Wissen (also dem Wissen nach dem leiblichen Tod) anstellen, wenn ich jetzt noch mal "runter" käme. - Als Gedanken-Experiment sollte das intellektuell NICHT überfordernd sein.

Dann hören wir vielleicht mal, was der Dichter Rainer Maria Rilke dazu sagt? =>

Rilke hat geschrieben:
Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen,
kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben,
Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen
nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben;
das, was man war in unendlich ängstlichen Händen,
nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen
wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug.
Seltsam, die Wünsche nicht weiterzuwünschen. Seltsam,
alles, was sich bezog, so lose im Raume
flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam
und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig
Ewigkeit spürt. – Aber Lebendige machen
alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden.

Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter
Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung
reißt durch beide Bereiche alle Alter
immer mit sich und übertönt sie in beiden.

Quelle:
Aus der Ersten Elegie der Duineser Elegien

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#574 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 8. Okt 2015, 19:04

Queequeg hat geschrieben:um was für ein Gedankenexperiment ging es hier wirklich?
Stelle Dir vor, Du würdest nach Deinem leiblichen Tod feststellen, dass Du als Queequeg noch existierst. - Wie würdest Du einem Naturalisten (für den prämisse-mäßig nur eine leibliche Existenz denkbar ist) vermitteln, was Du dann weisst?

SilverBullet hat geschrieben:Schlechtes Beispiel: alle Zusammenhänge liegen in der materiellen Welt.
Schon mal was von "Transfer" gehört?

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Savonlinna
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#575 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 8. Okt 2015, 19:12

Rembremerding hat geschrieben: Wirklich schwierig auszudrücken.
Ja. Weil wir etwas nacheinander beschreiben müssen, was als Gleichzeitiges aufgenommen wurde.

NIetzsche sagt: "Denn alle Dinge sind getauft am Borne der Ewigkeit" - ein Satz, der aus seinem Munde so erstaunlich ist; er hat vieles gewusst, meine ich, und konnte es irgendwie nicht tragen.

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#576 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 8. Okt 2015, 19:30

Savonlinna hat geschrieben: es gibt keine Trennung zwischen Wahrnehmung und geistiger Objektivität, wenn man in der Lage ist, jenseits des Verstandes etwas zu verstehen.
Wenn Du damit meinst, dass Wahrnehmung immer mit einem bestehenden Gegenstand (auch geistig gemeint) verbunden ist, würde ich zustimmen. - Ich bezweifle doch nicht die Verschmelzung von Subjekt und Objekt, sondern behaupte lediglich, dass das, was sich da verschmelzt, zwei verschiedene Dinge sind.

Im übrigen ist diese Verschmelzung das, was mystisch "Visio Beatifica" genannt wird bzw. als "Alles in Einem" - das entspricht auch meiner Auffassung (in meinem Jargon wäre das die "Aufhebung der Dialektik"). - Aber das ändert aus meiner Sicht nichts daran, dass wir VOR dieser Aufhebung mit zwei VERSCHIEDENEN Dinge zu tun haben.

Savonlinna hat geschrieben:Jeder noch so flüchtige Augenblick ist gleichzeitig ewig. - Es sind die zwei Seiten derselben Medaille.
Auch da sind wir uns sehr einig. - Nicht dass wir in allem einig sein müssten - aber es überrascht mich immer wieder, dass wir so unterschiedliche Sprachen für möglicherweise dasselbe zu haben scheinen.

Savonlinna hat geschrieben:Dann hören wir vielleicht mal, was der Dichter Rainer Maria Rilke dazu sagt?
Schön gesagt. - Rilke war aber kein Naturalist - mein Bestreben ist es, einmal NAturalisten rein gedanklich in die Denkwelt eines Rilke (und vielen anderer) zu versetzen - einfach als Transfer-Leistung aus den naturalistischen Prämissen hinaus.

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Andreas
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#577 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Andreas » Do 8. Okt 2015, 19:41

closs hat geschrieben:mein Bestreben ist es, einmal NAturalisten rein gedanklich in die Denkwelt eines Rilke (und vielen anderer) zu versetzen - einfach als Transfer-Leistung aus den naturalistischen Prämissen hinaus.
Vielleicht wäre es einfacher Tiefseefische zu einem Picknick im Grünen zu überreden.

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#578 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 8. Okt 2015, 20:14

closs hat geschrieben: Im übrigen ist diese Verschmelzung das, was mystisch "Visio Beatifica" genannt wird bzw. als "Alles in Einem" - das entspricht auch meiner Auffassung (in meinem Jargon wäre das die "Aufhebung der Dialektik"). - Aber das ändert aus meiner Sicht nichts daran, dass wir VOR dieser Aufhebung mit zwei VERSCHIEDENEN Dinge zu tun haben.
Es gibt kein "davor". Nur der Verstand gliedert das zeitlich.
Du bringst das sogar in verschiedene Kategorien.
Und kein Thema scheint Dir wichtiger als dies, dass das Sein auch "unabhängig" von der Wahrnehmung sein kann und dass "Dasein" etwas anderes sei als "Sein".
Das schlägt aber aller mystischen Tradition die Basis weg.

Sobald ich mich äußere, sagst Du: "Ich würde dir recht geben, wenn du damit das 'Dasein' meinst."
Aber ich meine eben nie das 'Dasein' in Deinem Sinne.
Das zeigt doch deutlich, dass wir gänzlich unterschiedlicher Meinung sind.
Du würdest doch nie akzeptieren, dass ich Sein und Dasein nicht trenne.

Gerade das Rilke-Gedicht zeigt, dass auch er Deine Sicht nicht teilt.

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NIS
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#579 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von NIS » Do 8. Okt 2015, 20:24

Dein A/D - Wandler lässt Dich Gefühle analysieren und erkennen! ;)
TYP = C3PO (Mensch Maschine Kommunikator)
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#580 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 8. Okt 2015, 20:32

Savonlinna hat geschrieben:Und kein Thema scheint Dir wichtiger als dies, dass das Sein auch "unabhängig" von der Wahrnehmung sein kann
Richtig - weil nur so der Verdacht ausgeräumt werden kann, "Sein" (bspw. "Gott") sei ein Produkt der Wahrnehmung. - Sobald hier abgegrenzt ist, kann man alles andere bereden.

Savonlinna hat geschrieben:und dass "Dasein" etwas anderes sei als "Sein".
Es ist immer mit dem Sein verbunden - insofern ist es nichts "anderes". - Aber kategorial meine ich schon, dass es etwas anderes ist. - Aus meiner Sicht ist Wahrnehmung die mehr oder weniger geglückte Thematisierung des Seins.

Savonlinna hat geschrieben:Du würdest doch nie akzeptieren, dass ich Sein und Dasein nicht trenne.
Sie sind IMMER verbunden, aber auch nicht dasselbe.

Savonlinna hat geschrieben:Gerade das Rilke-Gedicht zeigt, dass auch er Deine Sicht nicht teilt.
Das weiss ich nicht. - Wenn er die untrennbare Verbindung von Wahrnehmung und Sein meint, sind wir gleicher Meinung. - Wenn er meint, Wahrnehmung sei Quelle des Seins an sich, wären wir unterschiedlicher Meinung.

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