Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
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Savonlinna
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#241 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Mi 30. Sep 2015, 13:09

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Der naturwissenschaftliche Aspekt ist dabei richtungsweisend.
Keine Widerrede meinerseits - aber man muss sich immer wieder mal dran erinnert, dass "richtungsweisend" Ausdruck für Konvention ist, also inhaltlich erst mal nichts bedeutet.
Konvention wäre hier die Übereinkunft, ob Äste im Wasser "wirklich" gekrümmt sind.
Das bedeutet inhaltlich schon eine Menge, weil wir sonst mit Ästen nicht umgehen können.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Bei der sogenannten geistigen Wahrnehmung hat unsere Kultur keinen Maßstab ausgebildet.
Deine "UNSERE Kultur" ist dabei wichtig.
Wenn man der Meinung ist, dass eine andere Kultur Maßstäbe hat, die die dortige Konvention als "Norm" empfindet, dann kann man sie ja in unsere Kultur übernehmen.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Aber auch da wird es die Unterscheidung "Illusion" und "Wirklichkeit" geben, wenn man einmal entschieden hat, welche Art der geistigen Wahrnehmung man als "normal" setzt.
Rein inhaltlich wäre im geistigen Sinn "Illusion" das an Wahrnehmung, was nicht authentisch ist zum "Sein". - Deshalb mag ich die Unterscheidung von "Wahr-Nehmung" und "Falsch-Nehmung" - lässt sich aber wohl nicht durchsetzen.
"Authentisch zum Sein" ist ideologiebefrachtet, das sortiere ich da gleich aus. ;)
Man kann auch im geistigen Bereich ideologiefrei argumentieren, indem man das beschreibt, das dort intersubjektiv vorhanden ist.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Wenn wir beide keine Mogeler sind, sondern wirklich wissen, wovon wir sprechen, es also wirklich wahrgenommen haben, dann findet man unter den unterschiedlichen Definitonen das Gleiche.
Das vermute ich auch.
Und wenn man es nicht findet, dann ist es eben nicht intersubjektiv.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Also Du solltest definieren, was Du in Satz A unter "Geist" verstehst, wenn Du den Begriff da benutzt.
OK - ein Versuch: "Geistiges Denken ist der Versuch, über die naturalistische Welt hinaus 'Sein' zu erkennen". - Innerhalb der naturalistische Weltanschauung würde ich das Wort "Geist" generell streichen (täte es da nicht auch - je nach Zusammenhang - "Intellektualität" oder "Kognition"?) - einfach um Sprachklarheit zu ermöglichen.
Du hast ja keinen Satz A gebildet, wo Du "Geist" anwendest, den Du dann für diesen Satz definieren willst.
Außerdem: Eine Definition, mit der man eine Unbekannte durch Einbeziehung drei anderer Unbekannten erklären will, bringt nichts.

Ich mache mal einen Vorschlag:
Satz 1: "Der Mensch hat Geist."
Angenommen, der Satz stammt von Dir: Wie würdest Du für diesen einen Satz "Geist" definieren.

Satz 2: "Der Mensch ist nicht nur Natur, sondern auch Geist".
Angenommen, auch dieser Satz stammt von Dir: Wie würdest für diesen Satz dann "Geist" definieren.

Satz 3: "Man muss die Bibel geistig lesen."
Da Du diesen Satz ja tatsächlich oft sagst, wäre jetzt die Frage:
Wie würdest Du für diesen Satz "geistig" definieren.

closs
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#242 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mi 30. Sep 2015, 13:28

Pluto hat geschrieben: Deine Wortwahl, "naturalistische Welt" ist dein persönliches Konstrukt.
Wie nennst Du es? - Die Welt, die naturwissenschaftlich untersuchbar ist?

Pluto hat geschrieben:Dennoch erinnert mich Heidegger allzu sehr an Shakespeares Worte
Das kann aus Deiner Formatierung heraus sehr wohl naheliegend sein.

Pluto
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#243 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Mi 30. Sep 2015, 13:35

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Deine Wortwahl, "naturalistische Welt" ist dein persönliches Konstrukt.
Wie nennst Du es? - Die Welt, die naturwissenschaftlich untersuchbar ist?
Die ganze Welt.
Mehr hinzufügen zu wollen, wie es Heidegger vresucht, bezeichne ich als ideologisches Wunschdenken.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#244 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mi 30. Sep 2015, 14:00

Savonlinna hat geschrieben:Konvention wäre hier die Übereinkunft, ob Äste im Wasser "wirklich" gekrümmt sind. Das bedeutet inhaltlich schon eine Menge, weil wir sonst mit Ästen nicht umgehen können.
Dann hieße dies, dass die dahinter stehende Konvention sinnvoll ist. - Es sagt ja keiner, dass etwas hohl sei, nur weil es Konvention ist.

Savonlinna hat geschrieben:Wenn man der Meinung ist, dass eine andere Kultur Maßstäbe hat, die die dortige Konvention als "Norm" empfindet, dann kann man sie ja in unsere Kultur übernehmen.
Das tut man ja auch - mit wechselhaftem Erfolg. - Es kann aber tatsächlich so sein, dass frühere "Normen" einfach nicht mehr verstanden sind, weil die Menschen über Generationen so nachhaltig neu formatiert sind, dass sie das Frühere nicht mehr verstehen.

Das ist zunächst eine wertfreie Aussage - denn es kann genauso sein, dass etwas Früheres erhaltungswürdig ist oder nicht erhaltungswürdig ist. - Eher mehrheitlich wird es als NICHT erhaltungswürdig verstanden, weil die neue Norm ja selber entscheidet, was erhaltungswürdig ist - also nur das als erhaltungswürdig ansieht, was sie überhaupt in der Lage ist zu verstehen.

Wenn man sich - ein beliebiges Beispiel - in die Zeit der mittelalterlichen Mystik einführen lässt (und überhaupt dazu in der Lage ist, sich einführen zu lassen) und dann Texte von Meister Eckart liest, merkt man schnell, dass man das heute nicht mehr versteht. - Nicht weil die Menschen dümmer werden, sondern anders formatiert sind.

Ich stelle mir das so vor wie Menschen, deren Urur-Großeltern noch Chinesisch lernen mussten, das von Ur-Großeltern abgelehnt wurde, von den Großeltern noch vom Hörensagen bekannt war, von den Eltern vergessen war und von einem selbst dann sowieso. - Und jetzt wird einem ein chinesischer Text vorgelegt, der für einem ein spanisches Dorf ist (die Engländer sagen dazu "It's Greek to me".

Da ist nichts zu wollen. Da muss man von ganz vorne anfangen. - Komischerweise hält sich aber jede neue Formatierung für die fortschrittlichste aller Zeiten. :lol:

Savonlinna hat geschrieben:"Authentisch zum Sein" ist ideologiebefrachtet, das sortiere ich da gleich aus.
Ich habe immer noch nicht verstanden, warum das wertfreie "authentisch zu dem, was ist, egal, was es ist" ideologie-befrachtet sein sollte. - Aus meiner Sicht ist es ein bescheidener Satz, der dem, was auch ungekannterweise "ist", den Vorrang vor dem gibt, welches Bild man sich davon macht. - Also wenn DAS ideologisch sein soll, weiss ich echt nicht mehr ...

Savonlinna hat geschrieben:Man kann auch im geistigen Bereich ideologiefrei argumentieren, indem man das beschreibt, das dort intersubjektiv vorhanden ist.
Wieso "intersubjektiv"?

Mit diesem Begriff habe ich eh ein Problem. - In der Wissenschaft versteht man unter intersubjektiv, dass - überm Daumen gesagt - ein Phänomen von allen Menschen einvernehmlich als dasselbe verstanden wird ("Das was ich hier sehe, ist ein Baum"). - Nur sieht ein Blinder eben keinen Baum. - Ist dieser Satz trotzdem intersubjektiv? - Die Wissenschaft sagt meines Wissens JA - "Blindheit" sei eine klar definierbare Ausnahme, die der Grundsätzlichkeit der Aussage nichts nähme (oder so ähnlich).

Warum sollte es nicht anders in geistigen Dingen sein, nur dass es dort mehr Blinde gibt?

Savonlinna hat geschrieben:Und wenn man es nicht findet, dann ist es eben nicht intersubjektiv.
Als allgemeinen Satz würde ich das nicht so stehen lassen - ich könnte blind sein und trotzdem wäre es "an sich" intersubjektiv.

Gehen wir mal ins Religiöse: Ich bin voll überzeugt, dass "Gott" für jeden prinzipiell wahrnehmbar ist, wenn seine geistigen Anlagen aktiviert sind (warum auch immer das so wäre) - gleichzeitig haben wir eine erdrückende Mehrheit an Agnostikern. - Das schließt sich für mich nicht aus.

Savonlinna hat geschrieben:Ich mache mal einen Vorschlag: Satz 1: "Der Mensch hat Geist."
OK - ich versuche jetzt mal, brav in Deiner Disziplin zu bleiben.

Savonlinna hat geschrieben:Angenommen, der Satz stammt von Dir: Wie würdest Du für diesen einen Satz "Geist" definieren.
Aus der Tradition, aus der ich spreche, könnte das sein: "Der Mensch ist Ebenbild (Ableitung/Derivat/???) von "etwas", von dem wahrzunehmen er Anlagen hat, die er "geistige Anlagen" nennt".

Savonlinna hat geschrieben:Satz 2: "Der Mensch ist nicht nur Natur, sondern auch Geist". Angenommen, auch dieser Satz stammt von Dir: Wie würdest für diesen Satz dann "Geist" definieren.
Der Mensch ist nicht nur definiert durch seine Materie, sondern auch durch den Ursprung, aus dem Materie ist".

Savonlinna hat geschrieben:Satz 3: "Man muss die Bibel geistig lesen." Da Du diesen Satz ja tatsächlich oft sagst, wäre jetzt die Frage: Wie würdest Du für diesen Satz "geistig" definieren.
Dass der Text auf eine menschliche Instanz ("Der Mensch ist Ebenbild (Ableitung/Derivat/???) von "etwas", von dem wahrzunehmen er Anlagen hat, die er "geistige Anlagen" nennt") stößt, die in der Lage ist, den Text zu verstehen.

Das steht natürlich in herbem Widerspruch zur sogenannten "Ergebnisoffenheit" der Wissenschaft (eine Ergebnisoffenheit,die ohnehin letztlich keine ist, weil es immer nur Ergebnissoffenheit INNERHALB eines Systems gibt, also nie universal ist). - Aber anders geht's nicht.
Zuletzt geändert von closs am Mi 30. Sep 2015, 14:31, insgesamt 2-mal geändert.

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#245 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mi 30. Sep 2015, 14:01

Pluto hat geschrieben:Die ganze Welt.
Auch das ist eine willkürliche Glaubens-Aussage: "Nur das 'ist', was wissenschaftlich fassbar ist". - Nicht dass ich das Gegenteil beweisen könnte - wie auch: Glaubens-Aussagen sind in der Regel nicht falsifizierbar.

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#246 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Mi 30. Sep 2015, 16:24

closs hat geschrieben:Nicht dass ich das Gegenteil beweisen könnte.
Eben das scheint das Problem des "Seins" zu sein: Nur recht nebulöse Spekulation.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Lena
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#247 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Lena » Mi 30. Sep 2015, 16:31

Meine Wahrnehmung ist, dass wir alles anders wahrnehmen können,
als der andere, den ich gerade wahrnehme.

Und meine Frage dazu:

Darf das nicht sein?! :)
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

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#248 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mi 30. Sep 2015, 16:34

Pluto hat geschrieben:Eben das scheint das Problem des "Seins" zu sein: Nur recht nebulöse Spekulation.
Der Teil des "Seins", der naturalistisch nachweisbar ist, ist ja nicht spekulativ. - Spekulativ wird es, wenn man diese mutmaßliche Teilmenge verlässt - dann geht nur noch Spekulation, weil man zu Erkenntnissen gelangen will, die über die herkömmliche empirische oder praktische Erfahrung hinausgehten, wenn sie sich auf das Wesen der Dinge und ihre ersten Prinzipien richten. - Da werden wir zu Lebzeiten nichts dran ändern können.

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#249 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Mi 30. Sep 2015, 16:41

Lena hat geschrieben:Meine Wahrnehmung ist, dass wir alles anders wahrnehmen können,
als der andere, den ich gerade wahrnehme.

Und meine Frage dazu:

Darf das nicht sein?! :)
In der Tat: Das darf nicht sein.
Wenn ich im Restaurant ein Schnitzel mit Pommes bestelle, dann erwarte ich nicht, grünen Wackelpudding serviert zu bekommen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#250 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Mi 30. Sep 2015, 16:47

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Eben das scheint das Problem des "Seins" zu sein: Nur recht nebulöse Spekulation.
Der Teil des "Seins", der naturalistisch nachweisbar ist, ist ja nicht spekulativ.
Nein. Das ist die ganze erklärbare Welt.
Was darüber hinausgeht, sind Windmühlen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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