Sein und Wahrnehmung II

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#201 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Fr 11. Dez 2015, 22:10

Thaddäus hat geschrieben:Ich finde, der Fortgang eurer Diskussion, zeigt sehr schön, worin das große Problem besteht, wenn man versucht, mentale Fähigkeiten, Bewusstsein, Geist und "geistige Inhalte" etc. rein naturwissenschaftlich/biologisch fassen zu wollen
Es zeigt zumindest, wie facettenreich die Herangehensweise sein kann, wie problematisch unnötige Verallgemeinerungen sind und wie leicht man Zusammenhänge, die im Bewusstsein eine Rolle spielen, fälschlicherweise zum Aufstellen einer Erklärung zum Herstellen des Bewusstseins verwenden kann.

Deshalb ist es (aus meiner Sicht) notwendig, die versteckten Annahmen/Voraussetzungen, genau auf ihre Berechtigung und Notwendigkeit zu prüfen.

Vor allem sollte man keine Vergleiche zwischen Details und Verallgemeinerungen aufstellen, weil dies am Ende nur das Bauchgefühl anspricht, mehr aber nicht.

Thaddäus hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Zum Körper (insgesamt):
Es geht um die Behauptung, dass die „mentalen Fähigkeiten“ (lesen und schreiben von Textbeiträgen) durch den gesamten Körper zustande kommen, dass wir also mit „dem gesamten Körper denken“ können sollen.
Das habe ich eigentlich nicht gemeint.
Ich meine nicht, dass der ganze Körper denkt. Ich meine vielmehr, dass wir immer nur den ganzen Menschen mit seinem ganzen Körper dabei beobachten können, wie er etwas tut.
Das war mir schon klar.
Deshalb wollte ich schnellstens weg von dieser „einleitenden Grobbetrachtung“.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn jemand aus bestimmten politischen, religiösen oder sonstigen Gründen in einen Hungerstreik (vielleicht bis zum Tode) tritt, dann haben wir es auf der Sinnebene seines Verhaltens sogar mit dem Freiheitsbegriff zu tun
Ich erkenne nicht, was es bringen soll, wenn man „Mensch hat Hungergefühl“ auf „Mensch verwaltet Hungergefühl auf Basis von Freiheitsgefühl“ erweitert.

Das ist nur wieder ein neuer Bereich, der die Sache unnötig verallgemeinert.

Bleiben wir beim Hungergefühl:
Der Körper kommt in eine Bedarfslage und als Reaktion sollte er Nahrung aufnehmen.

Ich schlage vor, wir gehen davon aus, dass das zentrale Nervensystem exakt die „Station“ ist, die auf irgendeine chemisch/biologisch/physikalische Weise „angestossen“ wird.
Wir verlassen damit die „Welt der Muskeln, Sehnen, Knorpel, Atmung, Blutkreislauf usw.“ und treten ein in die „Welt der Impulsverschaltung“. Gehen wir weiter davon aus, dass man diese „Impuls-Aktivität“ über Gehirnuntersuchungen per bildgebenden Verfahren feststellen kann.
Bevor die Motoneurone im Gehirn die jeweiligen Impulse erhalten, um den Körper zu einer konkreten Bewegung (Muskulatur oder Ausschüttung von Stoffen) zu bringen, erfolgt eine aufwendige „Flimmerarbeit“ aus Milliarden von Impulsübergängen – keine einheitlichen Übergänge sondern irgendwie „problembezogen“.

Während dieser „Flimmerarbeit“ findet das Hungergefühl statt.
Von „aussen“ (3.Person) kann man davon nichts beobachten.
Von „innen“ (1.Person) taucht da etwas auf, das nicht sprachlich formuliert wird, sondern das auf irgendeine Art „hier und jetzt, auf eine ganz bestimmte Weise beschaffen und vorhanden zu sein scheint“, das an sich vollkommen rätselhaft ist (es kann nicht durchdacht und nicht 1:1 vermittelt werden), das aber eindeutig und unzweifelhaft in der Bedeutung als „Anlass zur Nahrungsaufnahme“ (bzw. bei Neugeborenen als Anlass zum Schreien) identifiziert wird.

Nun stellen sich Fragen:
Was passiert in diesem Moment?
Aus was ist diese Szene gemacht?
Wie und wo kommt es zustande, dass ein „dingliches Phänomen“ vorzuliegen scheint, zwar nicht greifbar, aber dennoch „irgendwie präsent“?
Wie kommt es zustande, dass kein Analyseumgang mit dem Phänomen möglich ist, dass es aber exakt, unzweifelhaft und ohne Lernaufwand (von der 1.Person) „korrekt“ verstanden wird?

(das mit dem nicht „vorhandenen Lernaufwand“ ist evtl. mit Vorsicht zu geniessen. Auf jeden Fall hat sich die Szene irgendwann so eingespielt, dass nichts daran mehr falsch interpretiert werden kann – d.h. das Hungergefühl kann „danach“ nicht für eine Farbe gehalten werden)

Benutzeravatar
Thaddäus
Beiträge: 1231
Registriert: Sa 14. Sep 2013, 18:47

#202 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Fr 11. Dez 2015, 22:26

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Wenn du bewusst entscheiden kannst, dein Hungergefühl zu unterdrücken (aus Gründen!), dann sind diese Gründe nicht erklärlich durch das Verständnis der Biochemie, wie es zu Hunger kommt. Das ist doch nicht schwer zu verstehen ... oder?!
Naja...
Ich denke, die Tatsache das unser Verstand in der Lage ist, die Signale des Körpers zu unterdrücken ist kein Beweis, dass es ein fehlendes "magisches Etwas" gibt wie es einst David Chalmers anzudeuten versuchte.
Ich spreche nicht von einem fehlenden magischen Etwas. Ich spreche davon, dass man mit der biochemischen Erklärung des Hungergefühls nicht erklären warum, warum und nach welcher Idee Menschen freiwillig hungern. Oder kannst du das biochemisch erklären? Falls Münek es weiß, kann er dir auch gerne zur Seite springen. ;)

Pluto hat geschrieben: Wie sagte Wolf Singer (ehemaliger Chef des MPI für Hirnforschung in Frankfurt) sinngemäß?
"Unsere Kognitionsfähigkeit entsteht aus nichtlinearen Komplexitäten der neuronalen Netzwerke im Gehirn: Das Ergebnis ist mehr als die Summe der Einzelteile hergibt."
Das Ergebnis eines Sinnhorizontes des Hungerns (z.B. um bessere Haftbedingungen zu erreichen oder weil man glaubt, es sei religiös oder politisch geboten so zu handeln o.ä.) ist sogar ganz sicher mehr als die Summe der Einzelereignisse des Hirns des Hungernden.
Dieser Sinnhorizont ist sogar etwas, das andere Menschen wahrnehmen und erkennen können (um es wahlweise für blöd oder bewundernswert zu halten).
Dies nennt man gemeinhin die "geistige Ebene". Das ist nichts Merkwürdiges, nichts Humunculushaftes im Hirn oder dergleichen. Dennoch wird sie durch ein solches Verhalten geschaffen. Und andere können diese Sinnebene auch erkennen.
Mit Biologie oder Chemie hat es offenbar nichts zu tun (und wenn ihr anderer Meinung seid, erklärt mir die Biochemie eines Hungerns für bessere Haftbedingungen). Viel Spaß beim Versuch ...

Versteht mich nicht falsch: alle beteiligten körperlichen Vorgänge sind notwendige Bedingungen dafür, damit Menschen Gefühle, Motive, Ideen usw. für z.B. solch extreme Verhaltensweisen haben können. Es sind notwendige Bedingungen des Körperlichen, aber keine hinreichenden Bedingungen, um die so mit-entstehende geistige Ebene - an der auch andere Menschen teilhaben können, indem sie ein solches Verhalten zumindest zu verstehen vermögen - erklären zu können.

Die Sprache der Naturwissenschaft und auch der Neurobiologie oder Neurochemie versagt schlichtweg bei der vollständigen Erklärung des Verhaltens von Menschen.

Worauf ich hinaus will ist, dass, wenn das so ist, man eine Theorie schaffen muss, die auch das erklären kann (ohne dabei in einen cartesischen Dualismus zu verfallen). Und ich denke, dass ist möglich.

Benutzeravatar
Thaddäus
Beiträge: 1231
Registriert: Sa 14. Sep 2013, 18:47

#203 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Sa 12. Dez 2015, 08:02

SilverBullet hat geschrieben: Deshalb ist es (aus meiner Sicht) notwendig, die versteckten Annahmen/Voraussetzungen, genau auf ihre Berechtigung und Notwendigkeit zu prüfen.
Da ich bemerke, dass nicht ausreichend klar wird, worauf ich hinaus will, möchte ich genau das jetzt tun: versteckte Annahmen/Voraussetzungen, genau auf ihre Berechtigung und Notwendigkeit prüfen.

Mein Beispiel des aus bestimmten Gründen und Motiven Hungerstreikenden läuft auf folgendes Fazit hinaus:

Thaddäus hat geschrieben: Wir verstehen einen Hungerstreikenden nicht schon dadurch, dass wir die bio-chemischen Vorgänge in seinem Körper kennen und wir können seine Motive und Überzeugungen, z.B. damit bessere Haftbedinungen durchsetzen zu wollen, nicht über die bio-chemischen Ursachen verstehen, die in ihm das Gefühl des Hungers auslösen.
Wenn dieses Fazit zutrifft, dann bedeutet dies, dass die Naturwissenschaften mit ihren spezifischen Möglichkeiten der Beschreibung und Erklärung von Wirklichkeit eben nicht die ganze Wirklichkeit abbilden können.

Achtung! Zu diesem Resumée gelangt auch closs an anderer Stelle. Ganz anders als er, schließe ich aus diesem Resumée aber ausdrücklich nicht auf irgendwelche transzendenten Entitäten oder metaphysisch-inspirierte "Fundamente". Ich sehe hierfür keinerlei argumentative Berechtigung.
Für mich handelt es sich lediglich um ein epistemisches Faktum, dass die Naturwissenschaften nicht die ganze Wirklichkeit dessen, womit wir es in der Welt zu tun haben, zu erfassen vermögen. Der aus Gründen und Motiven Hungerstreikende gehört zweifellos zur Wirklichkeit der Welt, in der wir leben. Für einige politisch links gerichtete Menschen in der BRD war der RAF-Terrorist Jan Karl Raspe - der sich in Haft zu Tode hungerte - ein Held. Das ist ein Fakt in der Welt. Mit naturwissenschaftlicher Methodik und Sprache können wir diesen Fakt in der Welt (dass er für bestimmte linksradikale Ideen stand, aus ganz konkreten Motiven in Hungerstreik trat und für andere Menschen zu einem Helden werden konnte) aber nicht erfassen und beschreiben, egal wieviel wir über die Biochmie oder die neuronalen Verknüpfungen im Hirn von Jan Karl Raspe auch herausfinden mögen.

Der Anspruch des Physikalismus ist es, die gesamte Wirklichkeit dessen, was uns in der Welt begegnet, letztlich physikalisch beschreiben und erklären zu können. In meinen Augen ist das ein Anspruch, den der Physikalismus nicht einlösen kann. (Auch aus weiteren Gründen, die noch nicht angesprochen wurden.) Es herrscht heute ein geradezu naives Vertrauen in die Erklärungsmöglichkeiten der Naturwissenschaften oder auch der Neurowissenschaften vor. Meiner Ansicht nach völlig zu unrecht. (Keines der großen Versprechen der Neurowissenschaften in den 90er Jahren wurde bislang übrigens eingelöst!)

Ich vermute nun, dass ihr (Pluto, SilverBullet, JackSparrow, Münek) eine solche physikalistische Sicht als Voraussetzung eurer Argumentation einnehmt. Wie gesagt, halte ich diese Voraussetzung für falsch. Falls ich jemanden zu unrecht diese physikalistische Sicht unterstelle, möge er dies bitte klarstellen.

Ich selbst nehme eine andere philosophische Grundhaltung ein, die man "Neuen Realismus" nennt, der hier noch nicht angesprochen wurde. Bei Gelegenheit werde ich natürlich gerne erklären, inwiefern der Neue Realismus eine Alternative zu Physikalismus, Neuro-Konstruktivismus etc. darstellt.

Ich nehme aber an, es gibt noch einigen Diskussionsbedarf zu meiner Vermutung, inwiefern ein rein physikalistisches Verständnis als falsch angesehen werden muss. ;)



SilverBullet hat geschrieben: Vor allem sollte man keine Vergleiche zwischen Details und Verallgemeinerungen aufstellen, weil dies am Ende nur das Bauchgefühl anspricht, mehr aber nicht.
Ich lege sehr viel Wert darauf, dass meine Ausführungen hier nicht irgendeinem Bauchgefühl entspringen!
Ich argumentiere oben und wer mit dieser Argmentation nicht einverstanden ist, sollte sie bitte konkret kritisieren.
Wer z.B. gegen meine Einschätzung argumentieren möchte, dass eine rein physikalisch-biochemische Beschreibung der Vorgänge im Körper und im Gehirn nicht hinreichend ist, um z.B. das Verhalten eines Hungerstreikenden zu erklären, sollte bitte deutlich machen, inwiefern das seiner Meinung nach doch geht und hinreichend ist.

SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#204 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Sa 12. Dez 2015, 10:20

@Thaddäus
Wenn man sich einem unbekannten Bereich nähert, dann sollte man darauf bedacht sein, dass man sich nicht von der augenblicklich vorhandenen Komplexität einschüchtern lässt.

Deshalb gilt:
Die Komplexität auf möglichst einfache isolierte Fragestellungen zurückzuführen.

Wir kennen genügend Systeme, die sich für uns extrem komplex gestallten, obwohl das einzelne Detail relativ gut erklärbar ist.

Wenn man den Vorgang und die Motivation, einer politischen Meinungsbildung und/oder einer Freiheitsüberzeugung als Anfangsproblem für die Erforschung der Gehirnvorgänge und ihrer Funktion auswählt, dann ist das so als würde man ein Hochhaus von oben nach unten „aufbauen“ wollen.
Selbst das könnte funktionieren, aber es ist nicht gerade der beste Weg und sehr anschaulich ist es auch nicht.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn dieses Fazit zutrifft, dann bedeutet dies, dass die Naturwissenschaften mit ihren spezifischen Möglichkeiten der Beschreibung und Erklärung von Wirklichkeit eben nicht die ganze Wirklichkeit abbilden können.
Ich habe konkrete Fragen gestellt. Versuch gute, nachvollziehbare und bewiesene Antworten zu finden, dann wird man leicht feststellen können, in wie weit die Wissenschaften beteiligt sein können.

Thaddäus hat geschrieben:Ich vermute nun, dass ihr (Pluto, SilverBullet, JackSparrow, Münek) eine solche physikalistische Sicht als Voraussetzung eurer Argumentation einnehmt. Wie gesagt, halte ich diese Voraussetzung für falsch. Falls ich jemanden zu unrecht diese physikalistische Sicht unterstelle, möge er dies bitte klarstellen.
Sorry, Ich erkenne in deiner Herangehensweise ein gewisses Schubladendenken.

Mich interessieren Funktionen und deren Realisierungen.

Mich interessieren keine philosophischen Denkrichtungen. Insofern werde ich weder den „Physikalismus“ noch irgendeine andere „Philosophierichtung“ verteidigen können.

Auch hierbei wäre es besser, du würdest dich mit dem konkreten Fallbeispiel des Hungergefühls beschäftigen.
Du könntest dabei, nach Belieben, die Qualität der philosophischen Erkenntnisse durch den Praxiseinsatz demonstrieren.

Fang also damit an, dass du philosophische Antworten auf die konkreten Fragen zum Hungergefühl aufstellst.

Thaddäus hat geschrieben:Wer z.B. gegen meine Einschätzung argumentieren möchte, dass eine rein physikalisch-biochemische Beschreibung der Vorgänge im Körper und im Gehirn nicht hinreichend ist, um z.B. das Verhalten eines Hungerstreikenden zu erklären, sollte bitte deutlich machen, inwiefern das seiner Meinung nach doch geht und hinreichend ist.
Was verstehst du unter „physikalisch-biochemische Beschreibung“?
Geht es hierbei um die Substanzvorgänge an einem einzelnen Neuron?
Geht es hierbei um die Vorgänge an Milliarden von raffiniert vernetzten Neuronen, die eine, über die Zeit ablaufende Funktionalität bilden?

Demonstriere deine Vorstellungen am Beispiel bzw. den Fragen zum Hungergefühl.

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#205 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Pluto » Sa 12. Dez 2015, 10:45

Thaddäus hat geschrieben:Ich spreche nicht von einem fehlenden magischen Etwas.
Da bin ich erleichtert! :thumbup:
Thaddäus hat geschrieben:Ich spreche davon, dass man mit der biochemischen Erklärung des Hungergefühls nicht erklären warum, warum und nach welcher Idee Menschen freiwillig hungern. Oder kannst du das biochemisch erklären?
Nein. Auf Grund des heutigen Wissensstandes lassen sich solche Phänomene NOCH nicht erklären. Aber inwiefern bedeutet das, dass sie prinzipiell nicht biologischen Ursprungs sind?

Thaddäus hat geschrieben:Dieser Sinnhorizont ist sogar etwas, das andere Menschen wahrnehmen und erkennen können (um es wahlweise für blöd oder bewundernswert zu halten).
Dies nennt man gemeinhin die "geistige Ebene". Das ist nichts Merkwürdiges, nichts Humunculushaftes im Hirn oder dergleichen. Dennoch wird sie durch ein solches Verhalten geschaffen. Und andere können diese Sinnebene auch erkennen.
Da bin ich ganz deiner Meinung! :D

Thaddäus hat geschrieben:Mit Biologie oder Chemie hat es offenbar nichts zu tun (und wenn ihr anderer Meinung seid, erklärt mir die Biochemie eines Hungerns für bessere Haftbedingungen). Viel Spaß beim Versuch ...
Versteht mich nicht falsch: alle beteiligten körperlichen Vorgänge sind notwendige Bedingungen dafür, damit Menschen Gefühle, Motive, Ideen usw. für z.B. solch extreme Verhaltensweisen haben können. Es sind notwendige Bedingungen des Körperlichen, aber keine hinreichenden Bedingungen, um die so mit-entstehende geistige Ebene - an der auch andere Menschen teilhaben können, indem sie ein solches Verhalten zumindest zu verstehen vermögen - erklären zu können.
Wie gesagt, noch weiß man zu wenig über die Entstehung des Verstandes im Gehirn um solche Phänomene zu erklären. Aber prinzipiell bleibt der Geist ein Prozess der allein durch das (biologische) Gehirn hervorgebracht wird.

Du bist so nahe dran, aber irgendwie scheinst du immer noch von dem Gedanken eines steuernden "Homunculus" im Gehirn nicht wegkommen zu können.
Noch eine Aussage von Wolf Singer: "Das Gehirn funktioniert wie ein Orchester OHNE Dirigenten".

Thaddäus hat geschrieben:Worauf ich hinaus will ist, dass, wenn das so ist, man eine Theorie schaffen muss, die auch das erklären kann (ohne dabei in einen cartesischen Dualismus zu verfallen). Und ich denke, dass ist möglich.
Denk' ich auch.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Benutzeravatar
Münek
Beiträge: 13072
Registriert: Di 7. Mai 2013, 21:36
Wohnort: Duisburg

#206 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Münek » Sa 12. Dez 2015, 10:47

Thaddäus hat geschrieben: Ich spreche nicht von einem fehlenden magischen Etwas. Ich spreche davon, dass man mit der biochemischen Erklärung des Hungergefühls nicht erklären warum, warum und nach welcher Idee Menschen freiwillig hungern. Oder kannst du das biochemisch erklären? Falls Münek es weiß, kann er dir auch gerne zur Seite springen. ;)

Nee - kann ich nicht...

Möglicherweise hast Du mich missverstanden.

Ich schrieb, dass ich keinen Zusammenhang erkennen könne - nämlich zwischen der biochemischen
Entstehung des Hungergefühls und der bewussten Entscheidung, dieses Gefühl mit Willensanstrengung
(aus welcher Motivation auch immer) zu unterdrücken.

Die beiden Sachverhalte haben m.E. nichts miteinander zu tun.

SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#207 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Do 17. Dez 2015, 19:56

dieser Text ist eine Antwort auf den Beitrag aus einem anderen Thread

Thaddäus hat geschrieben:Die Kritik ist vehement, weil sie u.a. die Widersprüche dieser Weltanschauungen philosophisch und logisch offenlegt.
Das bedeutet, die Kritik enthält „Denkargumente“ und wird von den jeweiligen Vertretern als „vehement“ tituliert.

Thaddäus hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:In wieweit wird ein „Markus Gabriel“ derart konkret, dass seine Existenzfestlegungen à la „alles was wir denken, existiert innerhalb einzelner Sinnfelder“ oder „Gedanken gehören zur Welt der Dinge und sind genauso real“ eine nachvollziehbare Verbindung zur Virtualität der Bedeutungszusammenhänge (aus elektrischen Impulsen und Milliarden neuronaler Übergänge) erlangen?
Mir ist nicht ganz klar, was du damit meinst
Ich spreche über den bereits sehr gut erforschten Sachverhalt des Überganges von physikalischen Einwirkungen auf Sinneszellen zu elektrischen Impulsen (wer möchte: „biochemische Impulse“ oder nur „Impulse“).

Hier liegt offensichtlich eine Art „Wert-Umwandlung“ vor, denn es werden definitiv keine Lichtstrahlen-, Schallwellen- oder Wärmepakete durchs Gehirn geschleust.
Das sind eher Werte, deren Ausprägung nicht zwischen den Sinnesarten unterschieden werden kann.
D.h. ein Wert von der Netzhaut ist genauso ein elektrischer Impuls, wie ein Wert aus dem Gehörgang, usw.

Eine derartige Umwandlung ist der Eintritt in die Virtualität, d.h. die spätere Verarbeitung entscheidet über den Bedeutungszusammenhang, in dem dieser Wert eingesetzt wird.

Wenn man nun sagt, „Gedanken sind genauso real, wie materielle Dinge“, dann sollte man aufzeigen können, wie dies mit den virtuell vorliegenden Bedeutungszusammenhängen in Einklang zu bringen ist, also: „aus was sind Gedanken und wie entstehen sie aus den vorhandenen Impulsen?“

Dazu würden mich die Aussagen von „Gabriel“ oder gerne auch einem anderen Philosophen dieses Alles-Ist-Real-Entwurfs interessieren.

Thaddäus hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:In wieweit beweissen diese Philosophen den Anspruch der absoluten Gültigkeit ihres Denkens, ihres Verständnisses von Realität?
Man kann nur die Gültigkeit einer Schlussfolgerung oder Rechenoperation und die Wahrheit einer wahrheitsfähigen Aussage nachweisen.
Das ist aber schlecht, denn wenn man über das Denken, die Existenzzusammenhänge des Denkens nachweisen möchte, dann benötigt man zuerst eine Voraussetzung, also keine „Schlussfolgerung oder Rechenoperation“.
Die Bezeichnung „absolute Gültigkeit“ verwende ich, weil sich das Denken, laut Evolutionstheorie in einer bestimmten Umweltauflösung zu einem bestimmten Zweck gebildet hat, man es aber in unserem Zusammenhang, über eine stillschweigende Voraussetzung, ausserhalb dieses Bereiches einsetzen möchte – hier, für die Existenzgrundlage des Denkens.

Wie ich schon mal gesagt habe, kann das die Technik einer sensorischen Wahrnehmung nicht leisten. Die einzige Chance, die ich aktuell sehe, besteht in der Untersuchung des Gehirns und im Umgang mit der Technologie: Datenverarbeitung.

Thaddäus hat geschrieben:Die Korrektheit der Argumentation jedes rational argumentierenden Menschen zeigt sich darin, dass sie inhaltlich nachvollziehbar und logisch konsistent ist
Das mag im philosophischen Bereich der Fall sein.

Bei der Wissenschaft ist das Experiment die Bestätigung bzw. die Widerlegung.
Bei der Technik ist es das geforderte Resultat bzw. der funktionierende Ablauf.

Aus deinem Text kann ich nicht entnehmen, wie die (von mir bezeichnete) „absolute Gültigkeit“ des Denkens von den Philosophen nachgewiesen wurde.

Die Ansätze der Philosophen verlassen wohl eher nicht den Zusammenhang des Denkens und können somit die Gültigkeit des „Denkens über das Denken“, also die absolute Gültigkeit, nicht nachweisen.
Plausibilität innerhalb des Denkens ist hierbei (aus meiner Sicht) in keiner Weise ausreichend.

Thaddäus hat geschrieben:Eine bestimmte Weltanschauung, Ideologie, Theorie, Hypothese oder Aussage ist um so absurder, je offensichtlicher sie falsch ist
Das „Offensichtlich falsch sein“ beziehst du hier bestimmt wieder nur auf philosophische Zusammenhänge. Das ist (für mich) nicht ausreichend.

Thaddäus hat geschrieben:Damit du ein Beispiel von der philosophischen Argumentationsweise in diesem Falle von Markus Gabriel bekommst, stelle ich einen Textauszug mit seiner Kritik des Churchland'schen eliminativen Materialismus ein.
…
Mir ist dieses Textbeispiel zu schwammig.
Da heisst es „..das es propositionale Einstellungen gibt“

Welche Existenzaussage verfolgt dabei der einzelne Diskussionsteilnehmer?

Wenn „Gabriel“ sagt, „es gibt sie“, zielt er vermutlich auf eine „dingliche Existenz“ ab.
Hierzu müsste man fragen:
„Aus was ist die propositionale Einstellung?“
„Wo ist die propositionale Einstellung?“
„Wie lange existiert die propositionale Einstellung?“
„Wer lässt die propositionale Einstellung entstehen?“
„Durch was vergeht die propositionale Einstellung?“
„Wer interagiert mit der propositionalen Einstellung?“
„Wie funktioniert die Interaktion mit der propositionalen Einstellung?“

Wenn „Churchland“ sagt, „es gibt sie nicht“, zielt er vermutlich exakt nicht auf eine „dingliche Existenz“ ab, kann aber sehr wohl von der Funktion als einem „sich über die Zeit ergebenden Ablauf“ ausgehen. Somit wäre auch bei „Churchland“ die Fähigkeit des Zweifelns gegeben, ohne dass es sich um eine „dingliche Existenz“ handeln muss.
Hierzu müsste man fragen:
„Wo findet der Ablauf statt?“ (-> Gehirn)
„Wie ergibt sich die Funktionalität, also die Fähigkeit?“ (-> neuronale Schaltauswertung, d.h. Auswirkungen von Bedeutungszusammenhängen auf den weiteren Umgang mit Bedeutungszusammenhängen – allerdings: nach uns unbekannten Verstehregeln)

Benutzeravatar
Thaddäus
Beiträge: 1231
Registriert: Sa 14. Sep 2013, 18:47

#208 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Do 17. Dez 2015, 21:09

SilverBullet hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Die Kritik ist vehement, weil sie u.a. die Widersprüche dieser Weltanschauungen philosophisch und logisch offenlegt.
Das bedeutet, die Kritik enthält „Denkargumente“ und wird von den jeweiligen Vertretern als „vehement“ tituliert.
Ob etwas vehement ist, ist doch ein subjektives Werturteil. Es bezeichnet, wie heftig jemand z.B. etwas kritisiert oder auch vertritt. Du selbst kannst aber jederzeit einschätzen, ob ich beispielsweise Thesen von dir vehement oder nur moderat kritisiere oder ihnen zustimme.
Es scheint mir immer, du wolltest solche ganz gewöhnlichen subjektiven Einschätzungen, die wir tagtäglich vermutlich dutzendfach vornehmen, schlichtweg abstreiten, was ich dann wiederum für eher absurd halte. ;)

SilverBullet hat geschrieben: [...]
Wenn man nun sagt, „Gedanken sind genauso real, wie materielle Dinge“, dann sollte man aufzeigen können, wie dies mit den virtuell vorliegenden Bedeutungszusammenhängen in Einklang zu bringen ist, also: „aus was sind Gedanken und wie entstehen sie aus den vorhandenen Impulsen?“
Nun ja, was Gedanken sind und wie das Gehirn sie hervorbringt, ist sicherlich keine leicht zu klärende Sache. Dennoch können wir ja feststellen, dass wir Gedanken offensichtlich haben. Zumindest wäre es ziemlich absurd, wenn man das Vorhandensein von Gedanken leugnete (weil du ja jetzt z.B. bestimmte Gedanken äußerst und schlecht gleichzeitig der Überzeugung sein kannst, keine Gedanken zu äußern). Man muss also zunächst einmal von dem ausgehen, was wir unmittelbar (an uns selbst und anderen) feststellen können. Ich stelle, fest, dass du Gedanken hast (und ich habe wiederum meine eigenen Gedanken dazu, die ich genau jetzt, in diesem Moment kund tue). Du hast genau den Gedanken, den ich zitiere. Das ist auf jeden Fall ein Faktum in diesem Universum, und zwar völlig unabhängig davon, ob du deinen Gedanken im obigen Zitat naturwissenschaftlich beweisen kannst. Du musst da nicht erst etwas nachmessen. Könnten wir keine Gedanken austauschen, gäbe es genau dieses Gespräch nicht.

SilverBullet hat geschrieben: Dazu würden mich die Aussagen von „Gabriel“ oder gerne auch einem anderen Philosophen dieses Alles-Ist-Real-Entwurfs interessieren.
Das ist eine Frage, die einer längeren Antwort bedürfte, da ich ja darstellen muss, was Gabriel unter Sinnfeldontologie versteht. In aller Kürze nur das: Markus Gabriel ist ja kein Idiot. Naürlich weiß er, dass Tische und Stühle und Planeten und Badelatschen auf eine andere Weise, nämlich materiell, existieren, Frodo Beutlin oder Zahlen oder die Verfassung der BRD aber offensichtlich nicht. Wenn es aber Mathematik gibt und Meter von Literatur über Frodo Beutlin und juristische Kommentare über das Grundgesetz der BRD, dann ist es offenbar nicht ganz plausibel, wenn man die Meinung vertritt, Frodo und Zahlen und Verfassungen gäbe es nicht. Wenn es sie aber gibt, auf welche Weise existieren sie dann?
Gabriel sagt nun, dass dasjenige existiert, was in einem Sinnfeld erscheint (und nimmt damit Bezug auf Kants Begriff der Erscheinung eines Gegenstandes, der aber eben auch immateriell sein kann).
Der Grundfehler besteht - nach Gabriel - darin, zu glauben, es könne nur existieren, was materiell existiert. Diese Annahme schränkt das, was wir in der Welt real vorfinden können (also auch Frodo, Zahlen und Verfassungen etc.) viel zu sehr ein. Auch diese "Gegenstände" existieren, aber eben nicht materiell, sondern sie existieren immateriell in ihren entsprechenden Sinnfeldern. Nur deshalb kann man sagen, dass der Gegenstand einer Doktorarbeit z.B. die literarische und fiktionale Figur des Frodo ist oder die natürlichen Zahlen oder die argentinische Verfassung im Vergleich mit der bundesrepublikanischen.

SilverBullet hat geschrieben: Die Bezeichnung „absolute Gültigkeit“ verwende ich, weil sich das Denken, laut Evolutionstheorie in einer bestimmten Umweltauflösung zu einem bestimmten Zweck gebildet hat, ...
Wie ich schon mal gesagt habe, kann das die Technik einer sensorischen Wahrnehmung nicht leisten. Die einzige Chance, die ich aktuell sehe, besteht in der Untersuchung des Gehirns und im Umgang mit der Technologie: Datenverarbeitung.
Es ist auch nach Gabriel z.B. keine Frage, dass alles, worüber wir uns überhaupt Gedanken machen können, eine Hervorbringung unseres Gehirns ist, als der biologischen Grundlage dafür, dass wir überhaupt denken können. Um uns über Frodo, Zahlen und Verfassungen Gedanken machen zu können, benötigen wir genau so ein Gehirn, wie wenn wir uns über Evolution, Atome, Tische und Stühle Gedanken machen. Dennoch gibt es offenbar "Gegenstände des Denkens", denen in der Welt reale und materielle Gegenstände entsprechen, wie Tische und Stühle, aber auch solche, denen fiktionale und also immaterielle Gegenstände entsprechen, wie Zahlen, Frodo und Verfassungen. Es ist nur ein physikalistischer Fehler zu glauben, es gäbe nur die materiellen Gegenstände, da man damit behaupten würde, es gäbe keine Arithmetik, keine Untersuchungen über die Abenteuer Frodos oder die Berechtigung, die Würde des Menschen in Artikel 1 des Grundgesetzes aufzunehmen.

SilverBullet hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Die Korrektheit der Argumentation jedes rational argumentierenden Menschen zeigt sich darin, dass sie inhaltlich nachvollziehbar und logisch konsistent ist
Das mag im philosophischen Bereich der Fall sein.
Nein, das ist grundsätzlich so.
Schau doch, was du selbst hier in diesem Thread und deinem obigen Post faktisch machst! Du schreibst mir eine Antwort, stellst Fragen an mich und versuchst deine kritischen Gedanken zu dem, was ich schreibe, möglichst argumentativ plausibel, logisch stringent und einleuchtend darzustellen. Du appelierst damit an meine Einsichtsfähigkeit und die der anderen User und ich tue ja nichts anderes auch.
Wir können hier ja nur über die Sprache kommunizieren und wir beurteilen unsere sprachlichen Äußerungen daraufhin, ob sie inhaltlich korrekt sind, vernünftig nachvollziehbar, logisch konsistent usw. Deshalb ist die Sprachphilosophie tatsächlich auch sehr grundlegend. Das schließt nicht aus, dass wir uns auch über Gebärdensprache oder Zeichnungen unterhalten könnten. Aber das würde jedenfalls beschwerlicher werden.

SilverBullet hat geschrieben: Bei der Wissenschaft ist das Experiment die Bestätigung bzw. die Widerlegung.
Bei der Technik ist es das geforderte Resultat bzw. der funktionierende Ablauf.
ja, das stimmt, wenn es um Aussagen geht, die die materielle Welt betreffen. Wenn der Physiker Wolfgang Pauli postuliert, es gäbe Neutrinos, dann müssen die auch irgendwann mit Messgeraäten nachgewiesen werden können, ansonsten hätte er sich einfach geirrt. Aber wie willst du die Korrektheit des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch in der klassischen Logik [ ~(P & ~P) ] experimentell überprüfen? Das geht nicht, - und dennoch ist er gültig, was du mit deiner Vernunft a priori einsehen kannst.

SilverBullet hat geschrieben: Aus deinem Text kann ich nicht entnehmen, wie die (von mir bezeichnete) „absolute Gültigkeit“ des Denkens von den Philosophen nachgewiesen wurde.
Das geht auch nicht, weil du nur an die experimentelle, also empirische Überprüfung denkst. Aber du musst die Aussage: "Alle Junggesellen sind unverheiratet" nicht experimentell überprüfen (und es geht ja auch gar nicht), um wissen zu können, dass diese Aussage immer wahr ist. Die Wahrheit dieser Aussage ergibt sich bereits logisch aus den Definitionen des Begriffe "Jungeselle" und "unverheiratet".

SilverBullet hat geschrieben: Plausibilität innerhalb des Denkens ist hierbei (aus meiner Sicht) in keiner Weise ausreichend.
Dann sitzt du aber einem Irrtum auf, denn die Korrektheit von 3+4=7 ist nicht empirisch überprüfbar. Auch dann nicht, wenn du 3 Äpfel und 4 Äpfel nebeneinander legst und sie dann zusammentust zu 7 Äpfeln, denn um zu wissen, dass da 3 Äpfel sind und 4 Äpfel, setzt genau so den Begriff der Zahlen "3" + "4" voraus, wie zu wissen, dass ihre Addition 7 Äpfel ergibt. Zudem wird durch die Äpfel nicht klar, was "+" bedeutet, was also eine Addition ist.

SilverBullet hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Eine bestimmte Weltanschauung, Ideologie, Theorie, Hypothese oder Aussage ist um so absurder, je offensichtlicher sie falsch ist
Das „Offensichtlich falsch sein“ beziehst du hier bestimmt wieder nur auf philosophische Zusammenhänge. Das ist (für mich) nicht ausreichend.
Nun ja, wenn ich hier z.B. schreibe "??? !!!" und gleichzeitig behaupte, es gibt nichts und niemand, der das schreibt, dann ist das offensichtlich falsch. Und zwar in einer so offensichtlichen Weise, dass man es getrost als "absurde Behauptung" bezeichnen kann.

SilverBullet hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Damit du ein Beispiel von der philosophischen Argumentationsweise in diesem Falle von Markus Gabriel bekommst, stelle ich einen Textauszug mit seiner Kritik des Churchland'schen eliminativen Materialismus ein.
…
Mir ist dieses Textbeispiel zu schwammig.
Da heisst es „..das es propositionale Einstellungen gibt“
Ja, und es wird auch erklärt, was eine propositionale Einstellung ist: z.B. zu glauben oder zu wissen, dass der Krieg in Syrien schlimm ist oder zu hoffen, dass er bald zuende geht.
Eine propositionale Einstellung ist es aber auch zu glauben, dass es propositionale Einstellung nicht gibt!
Wenn Churchland also bezweifelt, ob es propositionale Einstellungen überhaupt gibt, dabei aber offensichtlich eine propositionale Einstellung hat, dann verwendet er offenbar etwas, dessen Vorhandensein er gleichzeitig bezweifelt, - und das ist ein performativer Widerspruch!

Benutzeravatar
Thaddäus
Beiträge: 1231
Registriert: Sa 14. Sep 2013, 18:47

#209 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Fr 18. Dez 2015, 10:26

@ SilverBullet
Damit der Gabrieltext, auf den wir uns beziehen, nicht erst gesucht werden muss, kopiere ich ihn hierhin, wo er hingehört.

[Damit du ein Beispiel von der philosophischen Argumentationsweise in diesem Falle von Markus Gabriel bekommst, stelle ich einen Textauszug mit seiner Kritik des Churchland'schen eliminativen Materialismus ein. Da man verstehen sollte, worum es überhaupt geht, zitiere ich in einem größeren Textzusammenhang. Fette und kursive Hervorhebungen von Gabriel. Rotsetzung seines Retorsionsargumentes durch Thaddäus.]

Seines Erachtens schreiben wir anderen und uns selber bewusste geistige Zustände zu, weil wir eine bestimmte Theorie solcher Zustände haben, die wir unserer Erfahrung entnehmen. In der gegenwärtigen Psychologie und Kognitionswissenschaft wird dies »Theory of Mind« genannt: die Fähigkeit, Annahmen über Bewusstseinsvorgänge und damit auch Gefühle, Absichten, Hoffnungen und Überzeugungen anderer Personen zu treffen. Auf dieser Grundlage, so Churchland, hätten wir Menschen nun unsere Alltagspsychologie errichtet, bei der es sich um eine ganz normale empirische Theorie handele. Allerdings hält er diese Theorie für ziemlich schlecht. Insbesondere behauptet er, dass sie seit Jahrtausenden keinerlei Fortschritte und Entwicklungen gemacht habe, was aus meiner Sicht falsch ist.

Churchland sagt jedenfalls, so sein Eröffnungszug, es gebe eine Alltagspsychologie und diese sei eine empirische Theorie. Seine Absicht dahinter ist allerdings, dem Leser nahezulegen, dass diese Theorie nicht nur möglicherweise falsch sein könnte, sondern, dass sie sogar mit Sicherheit falsch ist. Er vergleicht sie ausdrücklich mit dem geozentrischen Weltbild, das sich auch als falsch herausgestellt habe. Die Theorie, dass die Sonne aufgeht, kann man als falsch bezeichnen, weil sich die Erde bekanntlich um die Sonne und um sich selbst dreht, was auf der Erde nur so aussieht, als ob die Sonne aufginge. Genaugenommen geht die Sonne ebenso wenig auf, wie die Erde im Zentrum des Sonnensystems steht. In Wirklichkeit gibt es von dieser Warte aus gesehen also keine Sonnenaufgänge, sondern nur eine Art Illusion, die uns dazu verleitet, an Sonnenaufgänge zu glauben. Die empirische Theorie, dass die Sonne jeden Morgen aufgehe, habe sich nun einmal als falsch erwiesen. Übrig bleibe jedoch die alltägliche Illusion, wir stünden auf einer fest verankerten Platte und sähen einen Sonnenaufgang.

Churchland meint nun im nächsten Schritt, unsere Alltagspsychologie nehme insbesondere an, dass es propositionale Einstellungen gebe. Allerdings ist dies ein typischer philosophischer Fachausdruck und damit genaugenommen alles andere als Bestandteil unserer Alltagspsychologie, was für Verwirrungspotenzial bei Churchland sorgt. Deswegen möchte ich den Ausdruck kurz erläutern: Eine propositionale Einstellung ist eine geistige Einstellung, die man zu einer Tatsache haben kann: Man kann zum Beispiel befürchten, dass der syrische Bürgerkrieg weitergeht; hoffen, dass es noch Körnerbrötchen gibt; glauben, dass man in China Katzen grillt; wissen, dass man Finger hat und so weiter. Furcht, Hoffnung, Glaube und Wissen sind insofern propositionale Einstellungen. Eine Proposition nennt man in der Sprachphilosophie den Inhalt einer Aussage, die wahr oder falsch sein kann und die man sprachlich mit Dass-Sätzen bildet. Eine Person kann verschiedene Einstellungen zur selben Proposition haben. Nehmen wir einfach ein Beispiel:

... dass in Syrien der Bürgerkrieg wütet.

Man kann dies wissen, glauben, sich darüber ärgern, zutiefst betrübt darüber sein oder es ignorieren. Es ist also möglich, sich zu dieser Proposition auf verschiedene Weisen zu verhalten. In der Tat nehmen viele Philosophen an, dass der menschliche Geist im Wesentlichen das Vermögen ist, propositionale Einstellungen zu haben, was meiner Ansieht nach ein guter Ausgangspunkt ist.
Churchland bezweifelt nun aber, dass wir überhaupt propositionale Einstellungen haben. Und damit ist er auch schon sofort in die Falle eines Widerspruchs getappt, den die USamerikanische Philosophin Lynne Rudder Baker (*1944) ziemlich zutreffend als kognitiven Selbstmord bezeichnet hat." Fragen wir uns nämlich einmal, was Churchland bezweifelt. Nun, dies kann man leicht feststellen. Er bezweifelt:

... dass es propositionale Einstellungen gibt.

Gäbe es propositionale Einstellungen, könnte man nämlich auf den Gedanken kommen, dass die Wirklichkeit nicht nur aus materiellen Zuständen und Vorgängen besteht, die naturwissenschaftlich untersucht werden können. Churchland will mit diesem vermeintlichen Aberglauben aufräumen. Der Widerspruch besteht aber darin, dass Churchland damit die propositionale Einstellung des Zweifels zur Proposition, dass es propositionale Einstellungen gibt, einnimmt. Wenn es keine propositionalen Einstellungen gibt. dann glaubt Churchland also auch gar nicht, dass es keine gibt! Und wissen kann er es ebenso nicht.

Deswegen flüchtet er sich am Ende seines Aufsatzes »Eliminativer Materialismus und propositionale Einstellungen« in Science-Fiction-Phantasien, die diesen Widerspruch kaschieren sollen. Er malt sich aus, dass wir Gehirne in der Zukunft irgendwie miteinander verdrahten könnten und empfiehlt uns, alles Mögliche dafür zu tun, um diese tolle Zukunft näher heranzuholen:
[...]
[Gabriel, Ich ist nicht Gehirn, 2015, S. 102-105]

SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#210 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Fr 18. Dez 2015, 19:10

Thaddäus hat geschrieben:Es scheint mir immer, du wolltest solche ganz gewöhnlichen subjektiven Einschätzungen, die wir tagtäglich vermutlich dutzendfach vornehmen, schlichtweg abstreiten, was ich dann wiederum für eher absurd halte.
Das Zustandekommen dieser Einschätzungen wird von meiner Vermutung ohne Probleme abgedeckt.

Ich gehe sogar davon aus, dass es in einer sensorischen Wahrnehmung, die mit einem evolutionär entstandenen Verstehmechanismus arbeitet, unumgänglich ist, dass es zu „phänomenalen Versteheindrücken“ kommt.

Die Frage ist, ob man das Ziel dieser Einschätzungen, also die behaupteten Existenzen, ohne weitere Beweise voraussetzen darf – ob man sich also nur auf diese Einschätzungen verlassen sollte.

Meine Antwort ist: „auf keinen Fall“.

Vertreter „der Philosophie“ sind da offensichtlich ganz anderer Meinung.

Thaddäus hat geschrieben:Nun ja, was Gedanken sind und wie das Gehirn sie hervorbringt, ist sicherlich keine leicht zu klärende Sache.
Richtig, aber dennoch ist diese Frage elementar.
Wenn man hier vorschnell von unbestätigten Existenzen ausgeht, dann kann man irgendwann die Suche nicht mehr mit der vorliegenden Gehirntechnik in Einklang bringen.

Ich wundere mich, dass Philosophen diese Frage nicht detailliert klären.

Thaddäus hat geschrieben:Dennoch können wir ja feststellen, dass wir Gedanken offensichtlich haben. Zumindest wäre es ziemlich absurd, wenn man das Vorhandensein von Gedanken leugnete (weil du ja jetzt z.B. bestimmte Gedanken äußerst und schlecht gleichzeitig der Überzeugung sein kannst, keine Gedanken zu äußern).
Weisst du, aus was ein Gedanke aufgebaut ist?
Weisst du, wie er zustande gekommen ist?
Weisst du, was du machst, wenn du einen Gedanken „hast“?
Weisdt du, was du machst, wenn du ihn „loslässt“, wenn er abklingt oder ersetzt wird?
Weisst du, was du machst, wenn du „zerstreut“ bist und ein Gedanke nicht „eindeutig aufkommt“?

Wenn du zu keiner dieser Fragen eine klärende Detailantwort aufstellen kannst, dann musst du dich selbst fragen, wie die Aussage „ich habe Gedanken“ überhaupt zustande kommen kann.

Es ist die alte Qualia-Problematik:
„Wieso bin ich von etwas überzeugt und gehe korrekt damit um, obwohl ich keinerlei Detailkenntnisse habe?“
„Wer hat diese Detailkenntnisse und welche Funktionen bleiben am Ende für ‚mich’, also für das Bewusstsein, übrig?“

Thaddäus hat geschrieben:Man muss also zunächst einmal von dem ausgehen, was wir unmittelbar (an uns selbst und anderen) feststellen können.
Wenn ich deine Aussage auf das Bewusstsein beziehe, dann kann ich dir nicht zustimmen. Das Bewusstsein kann offensichtlich nicht allzu viel feststellen.
Es spielen sich viele Überzeugungen ab, aber ob darin irgendeine Art von Analysemöglichkeit enthalten ist, ist sehr fraglich.

Thaddäus hat geschrieben:Könnten wir keine Gedanken austauschen, gäbe es genau dieses Gespräch nicht.
Wir tauschen keine Gedanken aus.
Wir tauschen Codierungen aus.

Mir ist kein bestätigter Fall von Gedankenübertragung bekannt (ich kann es zumindest nicht).

Thaddäus hat geschrieben:Das ist eine Frage, die einer längeren Antwort bedürfte, da ich ja darstellen muss, was Gabriel unter Sinnfeldontologie versteht
Für die Behauptung von unsichtbaren Existenzen ist es elementar wichtig, die jeweiligen Begriffskreationen zu erklären.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn es aber Mathematik gibt und Meter von Literatur über Frodo Beutlin und juristische Kommentare über das Grundgesetz der BRD, dann ist es offenbar nicht ganz plausibel, wenn man die Meinung vertritt, Frodo und Zahlen und Verfassungen gäbe es nicht.
Literatur ist wieder nur eine Codierung (egal ob über Mathematik oder sonstiges)

Thaddäus hat geschrieben:Wenn es sie aber gibt, auf welche Weise existieren sie dann?
Ich habe dir dazu bereits sieben Fragen gestellt.
Ich bin gespannt, wie der Begriff „Sinnfeld“ diese Fragen „behandelt“.

Thaddäus hat geschrieben:Der Grundfehler besteht - nach Gabriel - darin, zu glauben, es könne nur existieren, was materiell existiert.
Für die Einführung dieses Konzeptes sollte er aber mächtig „Butter bei die Fische“ machen.

Thaddäus hat geschrieben:Es ist auch nach Gabriel z.B. keine Frage, dass alles, worüber wir uns überhaupt Gedanken machen können, eine Hervorbringung unseres Gehirns ist, als der biologischen Grundlage dafür, dass wir überhaupt denken können. Um uns über Frodo, Zahlen und Verfassungen Gedanken machen zu können, benötigen wir genau so ein Gehirn, wie wenn wir uns über Evolution, Atome, Tische und Stühle Gedanken machen. Dennoch gibt es offenbar "Gegenstände des Denkens", denen in der Welt reale und materielle Gegenstände entsprechen, wie Tische und Stühle, aber auch solche, denen fiktionale und also immaterielle Gegenstände entsprechen, wie Zahlen, Frodo und Verfassungen. Es ist nur ein physikalistischer Fehler zu glauben, es gäbe nur die materiellen Gegenstände, da man damit behaupten würde, es gäbe keine Arithmetik, keine Untersuchungen über die Abenteuer Frodos oder die Berechtigung, die Würde des Menschen in Artikel 1 des Grundgesetzes aufzunehmen.
Sorry, auf mich wirkt dies ein wenig hilflos.

Weil die Neurowissenschaften die Beteiligung des Gehirns immer eindeutiger nachweisen können, muss auch die Philosophie diesen Umstand anerkennen.
Allerdings ohne sich viel um die Technik zu kümmern.
Man „nutzt“ die Zeit anders und behauptet lieber die alt bekannte Doppelexistenz (Dualismus), nur eben durch das Gehirn „hervorgebracht“.
Da man nach wie vor (philosophisch) nichts mit Datenverarbeitung als „Denkgrundlage“ anfangen kann, ist es eben irgendwie eine „biologische Funktion“ (ich habe dies zumindest von einem Philosophen gehört).

Thaddäus hat geschrieben:Das geht auch nicht, weil du nur an die experimentelle, also empirische Überprüfung denkst. Aber du musst die Aussage: "Alle Junggesellen sind unverheiratet" nicht experimentell überprüfen (und es geht ja auch gar nicht), um wissen zu können, dass diese Aussage immer wahr ist. Die Wahrheit dieser Aussage ergibt sich bereits logisch aus den Definitionen des Begriffe "Jungeselle" und "unverheiratet".
Was hat eine sprachliche Begriffsfestlegung (Junggesellen=unverheiratet) mit einem Nachweis für den Anspruch zu tun, dass sich das Denken selbst analysieren können soll?
„Denken“, „Wissen“ und „Logik“ sind doch alles die Fragestellungen, die man herstellungstechnisch klären möchte.

Thaddäus hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Plausibilität innerhalb des Denkens ist hierbei (aus meiner Sicht) in keiner Weise ausreichend.
Dann sitzt du aber einem Irrtum auf, denn die Korrektheit von 3+4=7 ist nicht empirisch überprüfbar.
Die Mathematik ist ein Werkzeug, das auf Basis des Denkens entstanden ist.
Man kann somit nicht die Mathematik als Korrektheitsanalogie für „das Denken kann sich selbst existenziell durchschauen“ heranziehen.
(gleiches gilt auch für Sprache)

Wenn du sagst „3+4=7“ ist nicht empirisch überprüfbar, dann kannst du sicherlich genau aufzeigen, aus was „3+4=7“ bestehen soll?

Thaddäus hat geschrieben:Wenn Churchland also bezweifelt, ob es propositionale Einstellungen überhaupt gibt, dabei aber offensichtlich eine propositionale Einstellung hat, dann verwendet er offenbar etwas, dessen Vorhandensein er gleichzeitig bezweifelt
Wenn du so argumentierst, gehst du davon aus, dass eine „propositionale Einstellungen“ ein Ding ist, das vorhanden ist.

Ich will nicht für „Churchland“ sprechen, deshalb sage ich:
Die Fähigkeit zum Durchlaufen einer „propositionalen Einstellung“ bzw. das tatsächliche Durchlaufen, ist für mich kein existierendes Ding.
Dennoch liegt das Resultat, also die Wirkung der Funktion vor
(aber wiederum: nicht als existierendes Ding)

Antworten