Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
Salome23
Beiträge: 5029
Registriert: Do 22. Aug 2013, 00:11

#121 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Salome23 » So 27. Sep 2015, 01:42

Savonlinna hat geschrieben:
Vielleicht kannst Du ja bei Gelegenheit auch mitteilen, warum wir Deiner Meinung nach zu viel Worte für ganz Enfaches verschwenden?
So habe ich das aber nicht gesagt-lies nochmals, was genau ich schrieb und gerade du hast es ja schon auf den Punkt gebracht mit diesem Pilzbeispiel, was es mit dem "seienden " auf sich hat. :thumbup:
Die Essbarkeit gehört zum Sein des Pilzes, jedenfalls in den Augen des Pilze Suchenden.
NUR in den Augen des Suchenden gehört die Essbarkeit(komisches Wort) zum "sein" des Pilzes...
Ein Kleinkind (im Bezug auf seinem "noch nicht wissend") sieht den Pilz nur als seiend
Kind zur Mutter: Was ist das?
Mutter: Ein Pilz.
Und als diesen seienden Pilz nimmt das Kleinkind ihn wahr (ohne Attribute zuzuweisen)
Verstehst du, was ich meine?

SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#122 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von SilverBullet » So 27. Sep 2015, 10:37

closs hat geschrieben:Denn die Frage, ob das Gehirn Folge des Geistes oder Erzeuger des Geistes ist, lässt sich neurowissenschaftlich nicht lösen - die Beobachtungen wären in beiden Fällen exakt die gleichen.
Ohne die Information, was „Geist“ sein soll, kann ich das nicht beurteilen.

Würde man „Geist“ irgendwie mit Bewusstsein in Verbindung bringen, gäbe es sonderbare Konstellationen, die man erklären müsste (Synästhesien, Agnosien, Split-Brain, usw.)

Eine konkrete Festlegung des Wortes „Geist“ müsste schon sehr robust sein, um sich halten zu können.

closs hat geschrieben:Setzt man aber aus materialistischer Weltanschauung, dass "Geist" durch Materie erzeugt wird, ist der "alte" Begriff "Geist" ausgehebelt
Das wäre meiner Ansicht nach falsch, denn das Wort „erzeugt“ sowie die Verallgemeinerung auf Materie, halte ich für nicht angebracht und was „Geist“ sein soll, ist aktuell noch nicht festgelegt.

closs hat geschrieben:Ganz nüchtern könnte ich Dir was zum Fraße vorwerfen: "Gott" ist die Aufhebung der Dialektik und somit über Zeit und Materie
Naja, „Dialektik“ ist anscheinend ein uneinheitlich verwendeter Begriff und „Aufhebung“ deutet darauf hin, dass „Gott“ gerade dies nicht sein soll (plus Nicht-Zeit und Nicht-Materie).

Dieser „Gott-Ist-Genau-Dies-Nicht“-Ansatz ist mir schon häufig begegnet.
Wenn man auf die Technik des Gehirns schaut, ist dieses Vorgehen mit Vorsicht zu geniessen, denn es führt zu einer Denktäuschung, also der Überzeugung zu „wissen“ was es sein soll, wobei man aber tatsächlich nur weiss, was es nicht sein soll.
Im Grunde liegt dann gar keine Festlegung vor.

closs hat geschrieben:Jedenfalls ist er ein gutes Beispiel im Sinne dieses Threads - nämlich, dass "Wahrnehmung" im Sinne der Naturwissenschaft dazu nicht das Mittel der Wahl sein kann.
Naturwissenschaft beachtet exakt die Technik und die Prinzipien von Wahrnehmung – deshalb funktioniert sie so gut (irgendwo muss es dafür ja einen Grund geben).

Das andere „Mittel der Wahl“ um das Wort "Gott" festzulegen, möchte ich zuerst genauer untersuchen – da bin ich gespannt, was ich in diesem Thread noch erfahren werde.

closs hat geschrieben:Oft macht der Standpunkt das Ergebnis.
Wenn es um Verdacht und Vermutung geht, ist es bestimmt genau so.

Wenn es aber um Wahrnehmung geht, also die Integration von immer neuen Zusammenhängen in eine Vorstellung, werden sich die Vorstellungen entweder angleichen (zumindest was ihren funktionalen Einsatz anbelangt) oder es fehlen wichtige Daten und die daraus gewinnbaren Zusammenhänge.

closs hat geschrieben:Also wäre der "Sachverhalt" (auch ein Wort für das, was ich mit "Sein" meine) unabhängig davon, ob und wie er wahrgenommen wird - richtig?
Nein, denn Wahrnehmung umfasst auch die Sensorik und die kann, je nach Kontakt zum realen Sacherhalt durchaus einwirken (Beispiel: Tasten/Berühren).

Wenn es aber um den Aufbau von Vorstellungen geht, dann geschieht dies allein auf den Daten, die aus der Sensorik stammen, also rein im Gehirn.
Dieser Vorgang hat keinen Kontakt zur Realität und kann somit nicht einwirken.

closs hat geschrieben:Jetzt hängen wir wieder an der Definition des Wortes "Realität" - ich meine damit: Alles, was "ist", ob wir es wissen oder nicht - sogar, ob wir es untersuchen können oder nicht
Bei „Verbindung zur Realität“ (wenn es um ein "Modell" geht) denke ich an mehrere Dinge:
1.
Eine Erklärung, einen Bezug, zu dem, was wir untersuchen können und auch schon untersucht haben: Gehirn, elektrische Impulse, Krankheiten, Verletzungen , neuronale Aktivität.
Ein „Modell“ muss diese Dinge in irgendeiner Weise „abdecken“. Wenn ein „Modell“ diese Dinge nicht behandeln würde, wäre das für mich ein klares Qualitätsdefizit.
2.
Vorstellbarkeit der Antwort auf die „Was-Soll-Sein“-Frage.
Zu sagen: „es handelt, wirkt und ist dabei dies und das“ nicht, ist keine Vorstellung.
Mein Zugang zur Realität ist die Wahrnehmung (man könnte sogar sagen: „ich bin ein Wahrnehmungszusammenhang“).
Ohne die Möglichkeit zum Aufbau einer Vorstellung hat ein „gedachter Sachverhalt“ mit mir erst einmal nichts zu tun und es wäre dann ratsam genau zu untersuchen, wie der anfängliche Verdacht aufgekommen ist – evtl. liegt dort ein verborgener Fehler.
Also auch der Bezug zu mir und den Möglichkeiten aus der Wahrnehmungstechnik hat mit Realität zu tun.

Mit „Alles was ist“ hast du natürlich das Problem, dass du selbst nur Teil eines Wahrnehmungssystems bist. Dadurch ist das „reale Sein“ nicht erreichbar.
Wenn man die Wahrnehmung nicht als zentralen Bezugspunkt beachtet, schleichen sich leicht Fehler um Umgang mit Realität ein.
Das menschliche Denken wird dann schnell als „absolut gültig“ eingesetzt, was aber so gar nicht bewiesen ist.

closs hat geschrieben:Wenn der Maßstab dafür, was "qualitativ" ist, die naturwissenschaftliche Methodik ist, kann es NICHT gleichwertig sein. - Vergiss nicht: Spirituelle Fragestellungen gäbe es nicht, hätte der Materialismus recht.
Es gibt den Effekt, dass man sich in 5 Minuten durch Fantasie, mehr zusammenreimen kann, als ein Wissenschaftler in seinem ganzen Leben untersuchen kann.

Sollten die spirituellen Fragestellungen zu den 5 Minuten gehören, dann würde die Wissenschaft einfach nur sehr lange brauchen, bis sie funktionierende, nachvollziehbare Erklärungen liefert.

closs hat geschrieben:Kannst Du Dir vorstellen, dass es menschliche Vorstellungen gibt, die insofern real sind, dass sie damit auf einen "Sachverhalt" treffen, der naturwissenschaftlich nicht untersuchbar ist?
Nun, ein Wahrnehmungssystem beruht auf der Technik der Senordaten und ihrer Schaltverarbeitung.
Vorstellungen werden somit aus den Zusammenhängen in den Daten aufgebaut.

Warum sollte die Wissenschaft diese Zusammenhänge nicht untersuchen können?

Natürlich kann die Analyse sehr schwierig sein und die Wissenschaft wird vielleicht noch eine sehr lange Zeit benötigen, bis die Datenauswertung des Gehirns nachvollzogen werden kann, aber prinzipiell deutet die vorhandene Wahrnehmungstechnik nicht auf einen nicht-erforschbaren Vorgang hin.

Ich vermute du zielst mehr auf die „Realität“ der Vorstellung selbst ab (z.B. Liebe), also die Fragestellung „aus was ist die Vorstellung gemacht“ oder „wie kommt die Vorstellung zustande“.

Vorstellungen sind für mich Bedeutungszusammenhänge (sozusagen ein Verstehen von Bedeutung), von denen ich annehme, dass sie vom Gehirn explizit berechnet werden, um die vielen Vorgänge im Gehirn zu koordinieren.
Zum Berechnen verwendet das Gehirn Regeln, die nicht ins Bewusstsein „eingearbeitet“ werden (wozu auch). Das ist im Grunde ein normaler Vorgang, denn das Gehirn verwendet oft Regeln, die im Bewusstsein nicht auftreten (Beispiel: Kinder lernen das Sprechen).

Benutzeravatar
Savonlinna
Beiträge: 4300
Registriert: So 2. Nov 2014, 23:19

#123 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » So 27. Sep 2015, 11:46

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Was ist daran denn nun plötzlich falsch für Dich?
"Falsch" ist da nichts - ich stelle nur fest, dass dies eine innerbetriebliche Fragestellung der Wahrnehmung ist, die vollkommen unabhängig vom Objekt ist - oder nicht?
Zurück also zu den Pilzen.

Wenn ich fixiert bin darauf, essbare Pilze zu sammeln, dann nehme ich im Extremfall an den Pilzen nur die Essbareit wahr.
Das ist die Brille der Wahrnehmung.
Wenn eine Katze ein Eichhörnchen töten will, dann nimmt sie das Eichhörnchen nur als zu Tötendes wahr.
Wenn ein Naturwissenschaftler das Alter eines Baumes feststellen will, nimmt er das in den Blick, was ihm Merkmale für das Alter liefert.
Wenn jemand den Baum expressionistisch malt, hat er sein Expressionsistisch-Sein wahrgenommen oder nimmt es spätestens beim Malen wahr.

Das ist Wahrnehmung. Sie ist die Basis für die Subjekt-Objekt-Beziehung.
Wobei ich, um sauber unterscheiden zu können, das als Subjekt bezeichne, was das Objekt im Blick hat. Also nicht die Katze als Ganzes ist das Subjekt, sondern das an der Katze, was in dem Eichhörnchen das zu Tötende sieht.
Und das Objekt ist "das Objekt der Begierde", also nur das an dem Eichhörnchen, was es tötungsfähig macht.

Die Wahrnehmung ist also in allen meinen Beispielen das, was den Bezug zwischen Subjekt und Objekt herstellt und beides durch den Prozess der Wahrnehmung zu Subjekt und Objekt macht.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Das Pilze suchende Subjekt will nicht dem Pilz gerecht werden, sondern macht das am Pilz zum Objekt, das ihn als essbaren qualifiziert.
Ja - und wir sind uns einig, dass diese Besetzung des Objekts durch Wahrnehmung nicht notwendigerweise etwas mit dem Wesen des Objekts haben muss?
Ob es überhaupt ein Wesen gibt, wäre ja erst zu untersuchen.
Bisher habe ich nur festgestellt, dass das jeweilig Wahrgenommene einem Interesse entspricht, das im schlimmsten Fall das Anvisierte auf das reduziert, was an ihm wahrgenommen wird.

MIt dem Beispiel des expressionistischen Malens hatte ich die sinnliche Wahrnehmung schon mal kurz verlassen.
"Wahrnehmung" hat da eine andere Bedeutung bekommen.
Eine ähnliche Bedeutung hat sie, wenn jemand in einem Menschen schon die schauspielerische Begabung wahrnimmt.

Hier wäre dann die Frage, welches "Organ" dergleichen wahrnimmt.
Teilweise sind hier auch die Sinne beteiligt: man sieht das Expressive an den Gebärden - aber da liegt dann auch ein Deutungsakt vor.
Insofern passt da vielleicht besser: jemand erkennt in dem anderen die schauspielerische Begabung.

Es gälte dann also, "Wahrnehmen" und "Erkennen" voneinander begrifflich zu unterscheiden.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ob es Wahrnehmung gibt, ohne dass eine Intention dahinter steht, ist für mich noch offen.
Ich glaube schon - denn man nimmt auch wahr, was unerwartet, also unvorbereitet, kommt.
Okay.
Wir haben natürlich einen ganzen Wahrnehmungsapparat, der teils angeboren, teils geschult ist.

Ein trainierter Minenfinder wird rascher reagieren als die Person neben ihm und die Person reaktionsschnell zurückreißen, bevor sie auf eine Mine tritt.
Der Minenfinder ist auf Minen geeicht und nimmt sie schneller wahr. Die Person neben ihm wäre einfach draufgetrampelt.
Was wir wahrnehmen, entspricht schon unserem Interesse; auf der Straße sehen die einen nur die schönen Frauen, andere die schönen Häuser usw.

Wenn dann grad ein Dachziegel runterfällt, springt der beiseite, der gelernt hat, dass Dachziegel auf dem Kopf nichts Gutes sind.
Die Wahrnehmung des Dachziegels als Gefährliches geht dem also voraus.

Darum ist für mich weiterhin die Frage, ob ich etwas frei von dem wahrnehmen kann, wie ich etwas wahrnehme.
Bisher ist meine Antwort: nein.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Darum schrieb ich: "Darin sieht man doch schon, dass "Sein" im Sprachgebrauch abhängig ist vom jeweiigen Subjekt".
Das Blaue ist der Knackpunkt, weil es die Usurpierung des Seins durch Wahrnehmung zeigt.
Da Du Dich sehr massiv weigerst, das Wort "Sein" zu problematisieren, muss ich das Wort einfach ignorieren.
Für mich existiert kein Sein, wohl aber nehmen wir etwas als seiend wahr.
Aber in welcher Form seiend, das wird in meinen bisherigen Beispielen durch das Interesse beantwortet.

So kann ich zum Beispiel nicht anders - habe ich auch schon geschrieben - als die Welt in Rot und Nicht-Rot einzuteilen.
Will ich "rot" identifizieren, muss der Rest nicht-rot sein.
Das ist ein Maßstab, den ich anlegen muss.
Oder ich klassifiziere alles nach Stuhl und Nicht-Stuhl oder nach Hund und Nicht-Hund.

Aber dieser Maßstab, das haben wir gestern beide festgestellt, closs, liegt den Dingen selber nicht inne.
Diesen Maßstab braucht aber die Wahrnehmung, sonst kann sie nicht wahrnehmen. Sie kann die Dinge nicht unterscheiden, wenn sie diesen Maßstab nicht anlegt.

Woraus erst mal folgt, dass wir, wenn wir diesen Maßstab nicht hätten, alles ein einförmiger Brei wäre. Wir könnten nichts unterscheiden.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Der landläufige Begriff Wahrnehmung passt hier aber nicht. Denn die Menschen nehmen das nicht nur so wahr, sondern sie sterben tatsächlich nicht an essbaren Pilzen.
Genau so würde ich aber Wahrnehmung definieren: Das Objekt lässt einen etwas erkennen - hier, dass man nicht vergiftet wird. ("Dieser Pilz ist nicht giftig und schmeckt gut" ist aus meiner Sicht eine Wahrnehmung)
Okay. So formuliert ist es klar.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich fürchte, ich habe mich mit dem Wort "Wahrnehmung" verschrieben.
Dann war es ein genialer Verschreiber - denn Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.
Deinen Nagel auf Deinen Kopf, ja.
Da ich aber methodisch denke und der Begriff "Wahrnehmung" überhaupt noch nicht dran war, habe ich ihn wohl darum aus Versehen hingeschrieben, weil Du ihn so oft erwähnst.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:"streng genommen" ist ein Ding nicht das, wozu es benutzt wird, ja. Aber man spricht es ihnen zu.
Genau.
Genau. :)

closs hat geschrieben:ich habe echt jahrzehnte-lang übe dieses Thema nachgedacht, bis ich zu einem Ergebnis gekommen bin, das (aus meiner Sicht) keine Fragen mehr offen lässt. - Bei dieser Gelegenheit habe ich tatsächlich erst begriffen, wer "Jesus" EIGENTLICH ist. - "Eigentlich" im Sinne von: Was bleibt eigentlich übrig, wenn man das ganze Rezeptions- und Glaubens-Gedöns weglässt? - Was geht hier eigentlich ontologisch ab. - Im Grunde ist die Antwort einen Satz lang (habe es gerade an SilverBull geschrieben): "Gott" ist die Aufhebung der Dialektik.

Aber wer soll sowas verstehen - ich würde selber monatelang rumhaspeln, um es (wieder) halbwegs herzuleiten. - Also kann man den Satz einfach nur stehen lassen. - Komischerweise wird er von gläubigen Menschen, die intellektuell etwas interessiert sind, sehr schnell verstanden - weil sie es nach-EMPFINDEN können.
Du kannst in den anderen nicht reingucken. Was er dabei versteht, weißt Du nicht.
Möglicherweise meinst Du auch gar nicht "Dialektik", sondern "Antinomie".

Was ich dazu beitragen kann im Moment, ist das, was ich schon geschrieben habe:
Die Einteilung der Welt in "betrunken - nicht-betrunken" etc. scheint erst mal unerlässlich, und unterließen wir es, wäre es Sense mit uns, wir wären dann alle eine ungeschiedene Masse, könnten weder uns noch etwas anderes erkennen.

Allerdings halte ich es ebenfalls für möglich, dass wir uns als Mensch in dieser Hinsicht "übersteigen" können eines Tages.
Insofern kann ich Dir da schon folgen in dem, was Du da geschrieben hast.
Nur möchte ich das herleiten und nicht einfach behaupten.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#124 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » So 27. Sep 2015, 11:48

SilverBullet hat geschrieben:Ohne die Information, was „Geist“ sein soll, kann ich das nicht beurteilen.
Was "Geist" ist, kann man nur setzen - es geht nur deduktiv. - Wobei diese Setzung natürlich nicht willkürlich ist ("Ich setze, dass SilverBullet zwei Köpfe hat"), sondern Zusammenfassung von Erfahrungen, die in verschiedensten Kulturen ziemlich homogen zu sein scheinen.

Demnach gibt es ein traditionelles Geist-Verständnis, demnach Geist nicht Folge von Materie, sondern Materie von Geist ist - reine Glaubenssache, beide Setzungen sind nicht falsifizierbar. - Die Interaktion zwischen Materie und Geist sind zwar neurowissenschaftlich beobachtbar, nicht aber die Frage nach "Henne und Ei" beantwortbar.

In diesem Sinne ist nach der (m)einen Glaubensrichtung "Geist" der Ursprung und nicht die Folge von Materie - die andere Glaubensrichtung sieht das umgekehrt.

SilverBullet hat geschrieben:Eine konkrete Festlegung des Wortes „Geist“ müsste schon sehr robust sein, um sich halten zu können.
"Robust" ist sie, weil es diese (m)eine Festlegung seit ewigen Zeiten gibt und auch noch in 1000 Jahren geben wird - weil es eine Grundsatz-/Glaubens-Frage und keine wissenschaftliche Frage ist.

SilverBullet hat geschrieben:Das wäre meiner Ansicht nach falsch, denn das Wort „erzeugt“ sowie die Verallgemeinerung auf Materie, halte ich für nicht angebracht
Ist aber heute üblich (soweit man neuronale Vorgänge als "materiell" versteht - was ich tue).

SilverBullet hat geschrieben:„Dialektik“ ist anscheinend ein uneinheitlich verwendeter Begriff
"Nach Hegel" wäre vielleicht weiterführend - aber unter anderem Etikett gibt es das bereits im Alten Testament.

SilverBullet hat geschrieben:und „Aufhebung“ deutet darauf hin, dass „Gott“ gerade dies nicht sein soll (plus Nicht-Zeit und Nicht-Materie).
Gott ist NICHT dialektisch - in der Tat (falls Du das meinst).

SilverBullet hat geschrieben:ieser „Gott-Ist-Genau-Dies-Nicht“-Ansatz ist mir schon häufig begegnet.
Geht mindestens auf Th.v.Aquin zurück, der meint, es sei leichter zu sagen, was Gott NICHT ist, als was Gott "ist". - Das hat damit zu tun, dass "Gott" als unerkennbar (= jenseits unseres Horizonts) zu verstehen ist, so dass nur indirekte Annäherung möglich ist ("Gott ist NICHT SilverBull"/"Gott ist NICHT weltlich"/etc.)

SilverBullet hat geschrieben:Wenn man auf die Technik des Gehirns schaut, ist dieses Vorgehen mit Vorsicht zu geniessen, denn es führt zu einer Denktäuschung, also der Überzeugung zu „wissen“ was es sein soll, wobei man aber tatsächlich nur weiss, was es nicht sein soll.
Das wäre der Moment darauf hinzuweisen, dass der Mensch prinzipiell NICHTS "weiss" - der Satz weiser Menschen, sie wüssten, dass sie (absolut) nichts wüssten, ist NICHT als rhetorisches Bonmot gemeint, sondern bitter-ernst. - Menschliches Wissen ist IMMER System-Wissen, also Ausschnitts-Wissen.

SilverBullet hat geschrieben:Im Grunde liegt dann gar keine Festlegung vor.
Stimmt - deshalb gibt es den "Hermeneutischen Zirkel" - man schraubt sich quasi zum Wissen hoch, das als solches im Dasein unerreichbar ist - aber man kann sich ihm trotzdem authentisch nähern. - Es gibt ganz wesentliche Unterschiede zwischen naturwissenschaftlicher und geistiger Erkenntnis-Wege.

SilverBullet hat geschrieben:Naturwissenschaft beachtet exakt die Technik und die Prinzipien von Wahrnehmung – deshalb funktioniert sie so gut (irgendwo muss es dafür ja einen Grund geben).
Wenn Subjekt ("Forscher") und Objekt ("Forschungs-Gegenstand") in gleicher Dimension sind, ist Naturwissenschaft immer das Mittel der Wahl - aber genau das ist bei "Geist" nicht der Fall. - "Geist" wäre in diesem Bild ein ins Dasein Hineinreichende, das aber selbst seinen Ursprung nicht in der Dimension des Daseins hat.

SilverBullet hat geschrieben:Wenn es aber um Wahrnehmung geht, also die Integration von immer neuen Zusammenhängen in eine Vorstellung, werden sich die Vorstellungen entweder angleichen (zumindest was ihren funktionalen Einsatz anbelangt)
Das gibt es im Geistigen auch - allerdings nicht intersubjektiv nachweisbar, da auf jeweils persönlicher Ebene ablaufend.

Mir (und wahrlich nicht nur mir) ist es einige Male im Leben passiert, dass man sich gegenseitig geistig "erkannt" hat - man schaut sich an und ist nach 5 Minuten geistig weiter als woanders nach 2 Jahren oder nie. - Egal, ob diese Begegnungen um die Ecke oder in Kasachstan stattfinden - der jeweils andere ist drauf oder nicht.

SilverBullet hat geschrieben:Dieser Vorgang hat keinen Kontakt zur Realität und kann somit nicht einwirken.
Zustimmung (lassen wir spezielle QM-Sachen mal weg).

Meine Nachfrage beruht darauf, dass nicht selten kolportiert wird, es könne etwas nicht "sein", wenn es nicht wahrnehmbar ist. - Mit anderen Worten: Man entscheidet aus eigenem Wahrnehmungs-Verständnis, ob etwas "sein" kann oder nicht - und das ist meines Erachtens sehr wohl ein Eingriff ins Objekt (sogar der Maximal-Eingriff, wenn man sagt "Dich gibt's nicht, ätsch").

SilverBullet hat geschrieben:Ein „Modell“ muss diese Dinge in irgendeiner Weise „abdecken“.
Das heisst: Es gibt aus Deiner Sicht nur Modelle, die eine Berührung von Subjekt und Objekt voraussetzen ("Ich kann Dich wahrnehmen, und dazu verwende ich folgendes Modell") - richtig? - Andererseits: Die Gravitationswellen hat noch keiner gemessen (wahrgenommen) und trotzdem kümmert man sich (sicherlich mit gutem Grund) drum - will heißen: Es gibt auch Modelle ohne Bezug zu physikalischen Wahrnehmungs-Nachweisen. - Oder nicht?

SilverBullet hat geschrieben:Mein Zugang zur Realität ist die Wahrnehmung (man könnte sogar sagen: „ich bin ein Wahrnehmungszusammenhang“).
Das würden Christen genauso sagen, die ja nur in Ausnahmefällen an irgendwelchen theoretischen Gedanken interessiert sind. - Man stellt als Christ dann fest, dass es anderen genauso geht, darf es aber nicht "intersubjektiv" nennen, weil es nicht jeden betrifft.

SilverBullet hat geschrieben:Mit „Alles was ist“ hast du natürlich das Problem, dass du selbst nur Teil eines Wahrnehmungssystems bist. Dadurch ist das „reale Sein“ nicht erreichbar.
E-B-E-N. - Du triffst den Nagel auf den Kopf. :thumbup:

Dieses Problem wird gängigerweise dadurch gelöst, dass man sich auf die methodische Ebene zurück-verkriecht und sagt: "Nicht nachweisbar, ALSO NICHT RELEVANT". - Lass Dir diesen Satz mal auf der Zunge zergehen. :)

SilverBullet hat geschrieben:Wenn man die Wahrnehmung nicht als zentralen Bezugspunkt beachtet, schleichen sich leicht Fehler um Umgang mit Realität ein.
Da sollte man zwischen Alltag und Grundsatz-Diskussionen unterscheiden.

Im Alltag bin ich voll auf Deiner Seite - bei Grundsatz-Diskussionen muss man meines Erachtens anders vorgehen, nämlich wirklich prinzipiell denken (auf keine Fall utilitaristisch). - Also nicht "Wozu etwas gut ist", sondern "Ob etwas sauber gedacht ist".

SilverBullet hat geschrieben:Das menschliche Denken wird dann schnell als „absolut gültig“ eingesetzt, was aber so gar nicht bewiesen ist.
Das dürfte erst gar nicht passieren - menschliches Denken ist NIE absolut gültig. - Allerdings muss ich Dir zustimmen, dass Menschen/Religionen dazu neigen, in Vertretung eines Absoluten zu meinen und sich so darzustellen, als hätte es auf sie abgefärbt. :devil: - Das ist im christlichen Jargon "Sünde" - "Demut" im Sinne des "Ich weiss, dass ich nichts weiss" wäre angebracht.

Aber da müssen wir jetzt aufpassen, dass wir Fundamental-Geistiges und die Rezeptions-Geschichte desselben nicht durcheinander-werfen.

SilverBullet hat geschrieben:Sollten die spirituellen Fragestellungen zu den 5 Minuten gehören, dann würde die Wissenschaft einfach nur sehr lange brauchen, bis sie funktionierende, nachvollziehbare Erklärungen liefert.
Wenn er schlau wäre, würde er es gar nicht versuchen. - Denn substantiell kann Wissenschaft zu geistigen Fragen (im obigen Sinn von "Geist") nichts beitragen - Wissenschaft hat bei geistigen Fragen allenfalls eine Hilfsfunktion.

SilverBullet hat geschrieben:Vorstellungen sind für mich Bedeutungszusammenhänge (sozusagen ein Verstehen von Bedeutung), von denen ich annehme, dass sie vom Gehirn explizit berechnet werden, um die vielen Vorgänge im Gehirn zu koordinieren.
Das denke ich auch. - Allgemein gesagt: Selbstverständlich gehen auch geistige Vorgänge nicht spurlos am Gehirn vorbei, können also dort nachgewiesen werden (wir haben nur mal nichts anderes als unser Gehirn, um zu denken und Empfindungen anzuzeigen). - Als Arbeitsebene ist das Gehirn selbstverständlich unverzichtbar.

JackSparrow
Beiträge: 5501
Registriert: Mi 30. Okt 2013, 13:28

#125 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » So 27. Sep 2015, 13:34

closs hat geschrieben:Stimmst Du damit überein, dass man per Wahrnehmung nur über Wahrnehmung, nicht aber über von Wahrnehmung unabhängige Existenz sicher sprechen kann?
Man kann nur über statistische Wahrscheinlichkeiten sprechen. Während einer Wahrnehmung nimmt die Wahrscheinlichkeit den Wert 1 an. Vorher und hinterher bleibt sie stets kleiner als 1.


janosch hat geschrieben:Hallo,
Heute habe ich einen interessanten Bericht im Netz gelesen.
http://info.kopp-verlag.de/neue-weltbil ... n-tod.html
Der Artikel ist irreführend, weil er einen Herzkreislauf-Stillstand (welcher spätestens seit Erfindung des Defibrillators und nicht etwa erst seit Bekanntgabe der Studienergebnisse ein "potenziell reversibler Prozess" ist) mit dem Hirntod gleichzusetzen versucht.

Da es sich um den renommierten und für seine ausgewogene Berichterstattung berühmten Kopp-Verlag handelt, war das aber bestimmt keine Absicht.

SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#126 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von SilverBullet » So 27. Sep 2015, 14:16

closs hat geschrieben:Demnach gibt es ein traditionelles Geist-Verständnis, demnach Geist nicht Folge von Materie, sondern Materie von Geist ist - reine Glaubenssache, beide Setzungen sind nicht falsifizierbar. - Die Interaktion zwischen Materie und Geist sind zwar neurowissenschaftlich beobachtbar, nicht aber die Frage nach "Henne und Ei" beantwortbar.
Ein „Geist“-Verständnis, ohne sagen zu können, was „Geist“ sein soll?
Natürlich ist das nicht falsifizierbar, es fehlt ja die konkrete Vorstellung.
Ohne eine konkrete Vorstellung kann ich keine Haltung dazu aufbauen, denn es stellt sich sofort die Frage, zu „was“ ich eine Haltung aufbauen soll.

Vermutete Zusammenhänge zwischen „Geist“ und „Materie“ helfen da nicht weiter.
Glaubensrichtungen, die diese Zusammenhänge mal so oder so voraussetzen, haben im Grunde keine Bedeutung, solange sie nicht sagen können, an was sie bei „Geist“ glauben.

closs hat geschrieben:„Robust" ist sie, weil es diese (m)eine Festlegung seit ewigen Zeiten gibt und auch noch in 1000 Jahren geben wird - weil es eine Grundsatz-/Glaubens-Frage und keine wissenschaftliche Frage ist.
„Ewige Zeiten/1000Jahre“ ist keine Argumentationsgrundlage und die Robustheit kann ich erst bestätigen, wenn ich eine konkrete Festlegung prüfen kann.

closs hat geschrieben:"Nach Hegel" wäre vielleicht weiterführend
Das habe ich schon vermutet. Bestimmt steckt der „hegelsche Gottesbeweis“ dahinter (wobei ich den nicht kenne).

closs hat geschrieben:Gott ist NICHT dialektisch - in der Tat (falls Du das meinst).
Ob „Gott ist“, kann ich erst ab dem Moment einer brauchbaren Festlegung prüfen.

closs hat geschrieben:Geht mindestens auf Th.v.Aquin zurück, der meint, es sei leichter zu sagen, was Gott NICHT ist, als was Gott "ist". - Das hat damit zu tun, dass "Gott" als unerkennbar (= jenseits unseres Horizonts) zu verstehen ist, so dass nur indirekte Annäherung möglich ist ("Gott ist NICHT SilverBull"/"Gott ist NICHT weltlich"/etc.)
Wenn man sagt, dass „Gott“ etwas nicht ist, dann schränkt man lediglich den Suchumfang ein wenig ein.

Da aber gleichzeitig mit „unerkennbar/jenseits unseres Horizontes“ argumentiert wird, öffnet man diesen Suchumfang auf ???

Was übrig bleibt ist lediglich eine Denktäuschung.

closs hat geschrieben:Es gibt ganz wesentliche Unterschiede zwischen naturwissenschaftlicher und geistiger Erkenntnis-Wege.
Welche wären das und wie ist die Qualität vor dem Hintergrund der Wahrnehmungstechnik einzuschätzen?

closs hat geschrieben:Wenn Subjekt ("Forscher") und Objekt ("Forschungs-Gegenstand") in gleicher Dimension sind, ist Naturwissenschaft immer das Mittel der Wahl - aber genau das ist bei "Geist" nicht der Fall. - "Geist" wäre in diesem Bild ein ins Dasein Hineinreichende, das aber selbst seinen Ursprung nicht in der Dimension des Daseins hat.
Es handelt sich immer um denselben Definitionsansatz:
„Geist“ ist nicht das, was die Naturwissenschaften analysieren können, "ist nicht der gleichen Dimension", "ragt aber hinein".
Was „Geist“ sein soll und wie die Hineinragkonstellation möglich sein soll, wird nicht gesagt. Das wäre aber das Wesentliche.

closs hat geschrieben:Mir (und wahrlich nicht nur mir) ist es einige Male im Leben passiert, dass man sich gegenseitig geistig "erkannt" hat - man schaut sich an und ist nach 5 Minuten geistig weiter als woanders nach 2 Jahren oder nie. - Egal, ob diese Begegnungen um die Ecke oder in Kasachstan stattfinden - der jeweils andere ist drauf oder nicht.
Das Gehirn hat eine sehr grosse Mustererkennungsfähigkeit (sogar fast einen Zwang), die allerdings oft auch ins Leere läuft.

closs hat geschrieben:Meine Nachfrage beruht darauf, dass nicht selten kolportiert wird, es könne etwas nicht "sein", wenn es nicht wahrnehmbar ist.
Wie oft ist bei diesen Fällen festgelegt, um was es bei „etwas“ gehen soll?
Ohne Festlegung, die zu einer konkreten Vorstellungen führt, erübrigt sich jegliches Nachdenken über Existenzen.

closs hat geschrieben:Das heisst: Es gibt aus Deiner Sicht nur Modelle, die eine Berührung von Subjekt und Objekt voraussetzen ("Ich kann Dich wahrnehmen, und dazu verwende ich folgendes Modell") - richtig?
Nein, es gibt bestimmt viele „Modelle“, aber da wir bestimmte Erkenntnisse über das Gehirn haben, ist es ein Qualitätsmerkmal, wenn ein „Modell“ diese Zusammenhänge erklären kann.

closs hat geschrieben:Die Gravitationswellen hat noch keiner gemessen (wahrgenommen) und trotzdem kümmert man sich (sicherlich mit gutem Grund) drum - will heißen: Es gibt auch Modelle ohne Bezug zu physikalischen Wahrnehmungs-Nachweisen. - Oder nicht?
Ich weiss nicht, wie Wissenschaftler mit bisher nicht bewiesenen Zusammenhängen umgehen. Ich tendiere dazu, diesen Vermutungen nicht die „volle Punktzahl“ zu geben.

Wenn also jemand sagt, dass es keine Gravitationswellen gibt und die Wirkungen auf astronomische Objekte (und sonstige Zusammenhänge) anders erklärt werden können, dann sehe ich darin eine Chance die Wahrnehmung zu verbessern. Das sollte geprüft werden und bei einer tatsächlichen Verbesserung hätte jeder was davon.

closs hat geschrieben:Das würden Christen genauso sagen, die ja nur in Ausnahmefällen an irgendwelchen theoretischen Gedanken interessiert sind. - Man stellt als Christ dann fest, dass es anderen genauso geht, darf es aber nicht "intersubjektiv" nennen, weil es nicht jeden betrifft.
Die Frage ist aber: wird die Wahrnehmung von „christlichen Inhalten“ von aussen angeregt oder handelt es sich um eine Art Autosuggestion?

(Wenn ich es richtig verstehe, wird die Beteiligung von Sinneszellen von niemandem behauptet)

closs hat geschrieben:Dieses Problem wird gängigerweise dadurch gelöst, dass man sich auf die methodische Ebene zurück-verkriecht und sagt: "Nicht nachweisbar, ALSO NICHT RELEVANT". - Lass Dir diesen Satz mal auf der Zunge zergehen
Nun, ich habe es bereits geschrieben, dass ich, als Teil eines Wahrnehmungssystems, nur mit Vorstellungen umgehen kann.
Wenn es um einen Sachverhalt geht, der lediglich aus einer unvollständigen Vermutung besteht, dann kann ich keine Vorstellung aufbauen. Dadurch stellt sich die Frage nach der Relevanz (auf Basis von Nachweisbarkeit) gar nicht.

closs hat geschrieben:Im Alltag bin ich voll auf Deiner Seite - bei Grundsatz-Diskussionen muss man meines Erachtens anders vorgehen, nämlich wirklich prinzipiell denken (auf keine Fall utilitaristisch). - Also nicht "Wozu etwas gut ist", sondern "Ob etwas sauber gedacht ist".
Das „saubere Denken“ kann ich nicht bestätigen, wenn die „Was-soll-das-sein“-Fragen offen bleiben und die eindeutig feststellbaren materiellen Umstände nicht einbezogen werden.

Wenn der Umfang des „sauberen Denkens“ keine Verbindung zur Realität hat, dann ist meist ein erhebliches Täuschungsrisiko in den Voraussetzungen enthalten.

closs hat geschrieben:Allerdings muss ich Dir zustimmen, dass Menschen/Religionen dazu neigen, in Vertretung eines Absoluten zu meinen und sich so darzustellen, als hätte es auf sie abgefärbt.
Genau, z.B. beim Verdacht, „jemand“ hätte das Universum erschaffen. Es wird nicht in Frage gestellt, ob unsere Denkmechanismen „dort“ eine Gültigkeit besitzen.

Da wird festgelegt, dass alles eine Ursache haben muss, also gibt es den Erschaffer, der natürlich selbst eine Ausnahme ist und nicht erschaffen wurde – logisch.

Ich nehme mich bei der Ursprungsfrage sehr stark zurück und sage: „moment mal, wieso soll mein Gehirn, das in einer natürlichen Erdsituation entstanden ist, für den Ursprung des gesamten Universums eine vernünftige Datenauswertung liefern?“

closs hat geschrieben:Denn substantiell kann Wissenschaft zu geistigen Fragen (im obigen Sinn von "Geist") nichts beitragen - Wissenschaft hat bei geistigen Fragen allenfalls eine Hilfsfunktion
Was sollen „geistige Fragen“ sein?

closs hat geschrieben:Selbstverständlich gehen auch geistige Vorgänge nicht spurlos am Gehirn vorbei, können also dort nachgewiesen werden (wir haben nur mal nichts anderes als unser Gehirn, um zu denken und Empfindungen anzuzeigen).
Was sollen „geistige Vorgänge“ sein?
Wie wirken „geistige Vorgänge“ auf das Gehirn ein?
Wie wirkt das Gehirn auf „geistige Vorgänge“ ein?
Was ist die Aufgabe des Gehirns?
Warum brauchen „geistige Vorgänge“ ein Gehirn?

Benutzeravatar
NIS
Beiträge: 2677
Registriert: Sa 2. Aug 2014, 15:01
Kontaktdaten:

#127 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von NIS » So 27. Sep 2015, 14:19

Logik?

LEGO
Der Heilige Geist (Hauke)

WISSEN VON MACHT

Benutzeravatar
Halman
Beiträge: 4016
Registriert: Di 25. Feb 2014, 20:51

#128 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Halman » So 27. Sep 2015, 14:29

Savonlinna hat geschrieben:
Salome23 hat geschrieben:@closs
Kurze Bemerkung zu deinem obigen post: zwei Zitate (9+10tes) von Sa-linna wurden mit meinem Namen besetzt , ich hab das nicht geschrieben...
Das ist richtig, das habe ich geschrieben.
Aber wenn closs das nicht sofort korrigiert, müsste ein lieber Mod oder Admin das machen.

Erledigt. :)
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#129 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » So 27. Sep 2015, 14:50

Savonlinna hat geschrieben:Die Wahrnehmung ist also in allen meinen Beispielen das, was den Bezug zwischen Subjekt und Objekt herstellt und beides durch den Prozess der Wahrnehmung zu Subjekt und Objekt macht.
"Macht" - genau so sehe ich das auch.

Savonlinna hat geschrieben:Ob es überhaupt ein Wesen gibt, wäre ja erst zu untersuchen.
Theoretisch, "geistig" kann man das untersuchen - wissenschaftlich aus meiner Sicht NICHT.

Savonlinna hat geschrieben:MIt dem Beispiel des expressionistischen Malens hatte ich die sinnliche Wahrnehmung schon mal kurz verlassen.
"Wahrnehmung" hat da eine andere Bedeutung bekommen. Eine ähnliche Bedeutung hat sie, wenn jemand in einem Menschen schon die schauspielerische Begabung wahrnimmt.
Und da käme jetzt die Frage, was im Mensch ist, dass er über die sinnliche Wahrnehmung im naturwissenschaftlichen Sinne hinausgehen kann. - Ein Beispiel:

Bei Pianisten, mit denen ich viel zu tun hatte, ist mir immer aufgefallen, dass sie innerhalb von Sekunden-Bruchteilen so einen erkennenden Blick draufhatten im Sinne von "In mir wird durch DIESE Stelle der Musik etwas angestoßen". - Das ist aus meiner Sicht keine primär sinnliche Wahrnehmung ("da sind Töne, und da sind meine Ohren"), sondern eine geistige Wahrnehmung ("da sind Töne, die etwas Geistiges transportieren").

Bei Schauspielerei ist das sicherlich dasselbe - und bei Texten auch. Ich kenne es selbst, wenn ein Satz kommt und man merkt: Volltreffer. - Oder man merkt es nicht - und da stellt sich für mich die Frage, ob eine Kultur diese Befähigung verlernen kann (ich vermute, ja).

Savonlinna hat geschrieben:Es gälte dann also, "Wahrnehmen" und "Erkennen" voneinander begrifflich zu unterscheiden.
Ja - demnach wäre "Wahrnehmung" der "technische" (?) Vorgang und "Erkennen" die Auswertung davon, die wiederum abhängig ist von der Substanz dessen, durch den ausgewertet wird. - Einverstanden?

Savonlinna hat geschrieben:Darum ist für mich weiterhin die Frage, ob ich etwas frei von dem wahrnehmen kann, wie ich etwas wahrnehme. Bisher ist meine Antwort: nein.
Meine auch. - Allerdings finde ich, dass in unserem zeitgenössischen Individualitäts-Wahn die Begriffe "Freiheit" und "Wille" maßlos überschätzt sind (allein die Tatsache, dass man nicht politisch festgehalten wird aufgrund seiner Weltanschauung, ist aus meiner Sicht Freiheit genug).

Da passt Goethe rein:
"Wer Großes will, muss sich zusammenraffen;
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur | kann uns Freiheit geben".


Dass damit NICHT das säkulare "Gesetz" gemeint, muss hoffentlicht nicht hinzugefügt werden.

Savonlinna hat geschrieben:Für mich existiert kein Sein, wohl aber nehmen wir etwas als seiend wahr.
Für den Alltagsgebrauch reicht das. - Philosophisch wäre das "Seiende" thematisiertes, also umgesetztes "Sein" - aber das ist Glaubenssache. - Diese Frage ist nur dann interessant, wenn man die Frage stellen möchte, ob das "Seiende" aus sich selbst ist, oder irgendwo herkommt. - Beide Versionen sind nicht falsifizierbar, da nicht überprüfbar.

Savonlinna hat geschrieben:Aber dieser Maßstab, das haben wir gestern beide festgestellt, closs, liegt den Dingen selber nicht inne.
Diesen Maßstab braucht aber die Wahrnehmung, sonst kann sie nicht wahrnehmen. Sie kann die Dinge nicht unterscheiden, wenn sie diesen Maßstab nicht anlegt.
Da sind wir uns einig. - Jede Art von Methodik ist der Versuch, Wahrnehmung zu "sortieren" - mit dem "Sein/Seienden" ("Objekt") hat sie zwar mittelbar, aber nicht primär zu tun.

Savonlinna hat geschrieben:Woraus erst mal folgt, dass wir, wenn wir diesen Maßstab nicht hätten, alles ein einförmiger Brei wäre. Wir könnten nichts unterscheiden.
Ebenfalls Einigkeit. - Das ist ja der Grund, warum Sprache so wichtig ist. Denn durch Sprache wird benannt und somit greifbar gemacht (um so schlimmer finde ich es, wenn Sprache manipuliert wird).

Savonlinna hat geschrieben:Deinen Nagel auf Deinen Kopf, ja.
Da ich aber methodisch denke und der Begriff "Wahrnehmung" überhaupt noch nicht dran war, habe ich ihn wohl darum aus Versehen hingeschrieben, weil Du ihn so oft erwähnst.
Dann halten wir mal fest, dass Dein Unbewusstes weiter ist als Dein Analytisches. :geek: :lol:

Savonlinna hat geschrieben:Du kannst in den anderen nicht reingucken. Was er dabei versteht, weißt Du nicht.
Streng formal hast Du recht - trotzdem gibt es Momente, wo Gesprächsteilnehmern sonnenklar ist, dass der jeweils andere auf der eigenen Welle ist. - Oder wie Wieland (aus dem Gedächtnis zitiert) sagt: "Geist ist nicht nachweisbar - Geist erkennt sich gegenseitig".

Savonlinna hat geschrieben:Möglicherweise meinst Du auch gar nicht "Dialektik", sondern "Antinomie".
Mir ist der Unterschied nicht ganz klar - auch Antinomien können doch unter Umständen (im hegelschen Sinn) "aufgehoben" werden?! - Aber da müsste ich nochmal genauer nachgucken.

Savonlinna hat geschrieben:Insofern kann ich Dir da schon folgen in dem, was Du da geschrieben hast. Nur möchte ich das herleiten und nicht einfach behaupten.
Da bin ich Dir auch dankbar. - Nichts ist schöner, als wenn ein Weg analysiert wird.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#130 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » So 27. Sep 2015, 14:53

JackSparrow hat geschrieben:Man kann nur über statistische Wahrscheinlichkeiten sprechen. Während einer Wahrnehmung nimmt die Wahrscheinlichkeit den Wert 1 an.
Moment: Sind wir uns einig, dass der Begriff "Wahrscheinlichkeit" eines Maßstabs bedarf? - Also "wahrscheinlich im Sinne der Methode x" - also nicht absolut gesehen wahrscheinlich. - Einverstanden?

Antworten