Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

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closs
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#101 Re: Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

Beitrag von closs » Fr 10. Apr 2015, 18:36

Pluto hat geschrieben:Die Bedeutung von Fügung und Determiniertheit ist identisch. Beide Begriffe widersprechen der Wahlfreiheit des Menschen.
Das ist eben falsch.

Fügung und Wahlfreiheit interferieren nicht. - Wenn Du nachher beschließt, ins Kino zu gehen und auf dem Weg einen alten Schulkameraden triffst und beschließt, mit ihm ein Bier zu tringen, statt ins Kino zu gehen, und das Kino abbrennt und kein Kinobesucher überlebt, dann hast Du in voller Wahlfreiheit gehandelt - selbst wenn es so gefügt ist. - Wo ist hier das Verständnis-Problem?

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sven23
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#102 Re: Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

Beitrag von sven23 » Fr 10. Apr 2015, 18:44

closs hat geschrieben:Dass es Teil der Fügung ist, stimmt doch auch. - Aber es geschieht, ohne dass dem Menschen dabei von Gott ins Handwerk gepfuscht wird - derjenige, der umgebucht hat, hat es in diesem Moment aus freien Stücken und nicht im Bewusstsein einer Marionette einer göttlichen Anweisung gemacht.
Dann mußt du auch erklären, worin die Fügung besteht.

closs hat geschrieben: Wenn 250.000 Menschen durch einen Tsunami sterben, dann deshalb, weil die Naturgesetze dies möglich machen - da greift Gott nicht ein.
Offensichtlich nicht. Es sei denn, er hätte ihn verursacht.

closs hat geschrieben: Woher willst Du das wissen? - Geistig gesehen hatten sie sich nicht mit dem Daseins-Gerümpel auseinanderzusetzen und waren nach einem kurzen Auftritt wieder da, wo sie herkamen.
Nun, wenn man tot ist, hat man weder Willens- noch Entscheidungsfreiheit.
Das, was du Daseins-Gerümpel nennst, ist das Leben. Ein anderes gibt es nicht. Das ist auch der Vorwurf an die Religionen: sie neigen dazu, das Leben (Daseins-Gerümpel) zu entwerten. Das Dasein wird zum Leben zweiter Klasse, weshalb es gar nicht so tragisch ist, wenn man etwas im Sinne Gottes nachhilft. Siehe Kreuzzüge und Inquistition.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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sven23
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#103 Re: Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

Beitrag von sven23 » Fr 10. Apr 2015, 19:03

Eng verbunden mit der Fügung ist der Begriff der Vorsehung.
http://de.wikipedia.org/wiki/Vorsehung
Selbst Adolf Hitler glaubte ein Werkzeug der göttlichen Vorsehung zu sein. Und wenn man an die vielen gescheiterten Attentate denkt, könnte man fast dran glauben. ;)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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Halman
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#104 Re: Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

Beitrag von Halman » Fr 10. Apr 2015, 19:32

sven23 hat geschrieben:Selbst Adolf Hitler glaubte ein Werkzeug der göttlichen Vorsehung zu sein. Und wenn man an die vielen gescheiterten
Das war nur ein Propaganda-Trick. Im Gewand des sog. positiven Christentums sollten Kerninhalte des Christentums verschwinden. Die von Begriffsverblendungen durchsetzte NS-Propaganda bediente sich bei germanischen und christlichen Ritualen; sie war aber im Kern sozialdarwinistisch und auf Basis des pseudowissenschaftlichen Biologismus extrem rassistisch. Dies stand im krassen Widerspruch zur christlichen Rechtfertigungslehre und jesuanischer Ethik (s. Barmer Erklärung), zumal Jesus selbst durch und durch ein Jude war.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

ThomasM
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#105 Re: Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

Beitrag von ThomasM » Fr 10. Apr 2015, 20:08

closs hat geschrieben: Unser Denkfehler besteht darin, unser Zeit-Verständnis zu hinterlegen und "in den Vortagen" nicht göttlich über-zeitlich, sondern menschlich zeitlich ("vorher") zu verstehen. - Löst man sich von diesem Denkfehler, sind Version 1 und 2 de facto identisch.
Nun, Zeitparadoxien sind immer sehr schwierig, du wirst bei deiner Vorstellung da nicht rauskommen.

Aber der wesentliche Unterschied zu meiner Vorstellung ist die folgende:
Gott übersieht zwar "über-zeitlich" den gesamten Verlauf der Geschichte, aber es gibt nicht nur einen Strang der Realität werden kann. Für Gott gibt es ein Kontinuum von Möglichkeiten. Aus diesem Kontinuum kann der Mensch wählen.

Du drängst alles auf einen Strang zusammen, der eben auch die Freiheit des Menschen ausschaltet.
Wie eben bei einem Film, wo du vor- und zurückspringen kannst, es bleibt alles gleich.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

closs
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#106 Re: Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

Beitrag von closs » Fr 10. Apr 2015, 21:56

sven23 hat geschrieben:Dann mußt du auch erklären, worin die Fügung besteht.
WIE es geht, aus göttlicher Sicht zu fügen, weiss ich wirklich nicht. :lol:

sven23 hat geschrieben:Offensichtlich nicht. Es sei denn, er hätte ihn verursacht.
Richtig - und durch Fügung hätte er sie eben NICHT verursacht.

sven23 hat geschrieben: wenn man tot ist, hat man weder Willens- noch Entscheidungsfreiheit.
Erstens: Was ist daran so wichtig? Ich könnte ganz gut ohne leben - frühs aufstehen, lernen, erkennen wäre doch auch schon was.

Zweitens: Woher willst Du das überhaupt wissen?

sven23 hat geschrieben:was du Daseins-Gerümpel nennst, ist das Leben.
Das Daseins-Leben. - Wer sagt, dass dieses die Hauptsache in der Existenz einen Menschen ist?

sven23 hat geschrieben: Das ist auch der Vorwurf an die Religionen: sie neigen dazu, das Leben (Daseins-Gerümpel) zu entwerten.
Dürften sie nicht. - Der Mensch ist ins Dasein gestellt, um das Beste daraus zu machen.

sven23 hat geschrieben:Das Dasein wird zum Leben zweiter Klasse, weshalb es gar nicht so tragisch ist, wenn man etwas im Sinne Gottes nachhilft. Siehe Kreuzzüge und Inquistition.
Stimmt - es gibt (wie immer) die satanische Ausdeutung. :

closs
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#107 Re: Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

Beitrag von closs » Fr 10. Apr 2015, 22:11

ThomasM hat geschrieben:Du drängst alles auf einen Strang zusammen
Ja.

ThomasM hat geschrieben:der eben auch die Freiheit des Menschen ausschaltet.
Nein.

Dieser eine Strang kommt dadurch zustande, dass er bereits eine Retrospektive ist - Gott fügt also de facto in der Retrospektive - wobei es einem dabei allerdings schwindlig wird, sich das genau vorzustellen.

Gott weiss in seiner Allwissenheit, Über-Zeitlichkeit, Allmacht, was der Mensch am Ende seines Lebens "frei" getan haben wird, weshalb er in dieses Leben Geschehnisse einbaut, die dem entsprechen. - Oder: Gott weiss, was der Mensch am Ende seines Lebens "frei" getan haben wird, weshalb er einrichtet, wenn dieser Mensch ihm (Gott) nah sein kann. - Sicherlich gibt es noch weitere Formulierungen.

Gemeinsam ist diesen Formulierungen, dass der innere Erkenntnis-Weg des betroffenen Menschen abgestimmt ist mit seinem "frei" gewählten Lebensweg. - Vielleicht ein etwas flapsiges Bild: Gott weiss, dass der Wanderer Thomas mit 63 Jahren in folgende Sackgasse einbiegt, weshalb Gott an deren Ende auf ihn wartet.

ThomasM hat geschrieben:Aus diesem Kontinuum kann der Mensch wählen.
Da sind wir uns schon einig - nur dass ich die Vergangenheitsform wählen würde: Aus diesem Kontinuum hat der Mensch rückblickend folgendes gewählt: ... ----- "Und ich, Gott, kenne diese Retrospektive bereits 'in der Vortagen', also 'bevor' es Zeit gibt und kann man Fügung darauf aufbauen".

ThomasM hat geschrieben:Zeitparadoxien sind immer sehr schwierig, du wirst bei deiner Vorstellung da nicht rauskommen.
Stimmt - ich glaube, man kann Gott nur intellektuell dadurch näherkommen, dass man Paradoxien als Wahrnehmungs-Problem und nicht als Seins-(Gott-) Problem versteht. -

Bildete man sich ein, man könne Gott mit UNSERER Wahrnehmung sauber rekonstruieren, wäre dies vermutlich genau der Irrweg, den wir NICHT gehen sollen. - Wobei wir bei der Kernaussage des Buchs Hiob wären.

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#108 Re: Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

Beitrag von Pluto » Fr 10. Apr 2015, 22:25

closs hat geschrieben:Gott weiss in seiner Allwissenheit, Über-Zeitlichkeit, Allmacht, was der Mensch am Ende seines Lebens "frei" getan haben wird, weshalb er in dieses Leben Geschehnisse einbaut, die dem entsprechen.
Mit anderen Worten, die Wahlfreiheit ist eine menschliche Illusion.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#109 Re: Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

Beitrag von closs » Fr 10. Apr 2015, 22:46

Pluto hat geschrieben:Mit anderen Worten, die Wahlfreiheit ist eine menschliche Illusion.
Nein - eben nicht. - Der Mensch findet eine Situation vor, innerhalb derer er komplett frei entscheiden kann. - Gott kennt schon alle freie Entscheidungen des Menschen (aus der Retrospektive - wenn Du so willst).

Ein vereinfachtes Beispiel: Wenn Du siehst, dass jemand nackig bei -5° Celsius ins Freie geht, ist es KEINE Einschränkung dessen Wahlfreiheit, wenn Du schon mal heißes Wasser ins Bad lässt - weil Du weisst, dass da einer in kurzer Zeit frierend zurückkommt. - Das ist wirklich vereinfacht, könnte aber vielleicht das Grundprinzip erhellen.

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#110 Re: Determinismus/ persönliche Verantwortung/ Schuldfrage

Beitrag von Pluto » Fr 10. Apr 2015, 23:17

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Mit anderen Worten, die Wahlfreiheit ist eine menschliche Illusion.
Nein - eben nicht. - Der Mensch findet eine Situation vor, innerhalb derer er komplett frei entscheiden kann. - Gott kennt schon alle freie Entscheidungen des Menschen (aus der Retrospektive - wenn Du so willst).
Genau das macht logischerweise alle unsere Entscheidungen zu "vorgefügten" Illusionen.

closs hat geschrieben:Ein vereinfachtes Beispiel: Wenn Du siehst, dass jemand nackig bei -5° Celsius ins Freie geht, ist es KEINE Einschränkung dessen Wahlfreiheit, wenn Du schon mal heißes Wasser ins Bad lässt - weil Du weisst, dass da einer in kurzer Zeit frierend zurückkommt. - Das ist wirklich vereinfacht, könnte aber vielleicht das Grundprinzip erhellen.
Danke für das schöne Beispiel!
Das beweist meine These, dass Fügung keine Wahlfreiheit zulässt... Welcher Idiot geht denn freiwillig nackig bei -5°C ins Freie, wenns nicht gefügt ist?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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