Naqual hat geschrieben:Sie funktioniert nur, wenn die Staatsbürger pluralistisch gesinnt sind und eine gewisse "demokratische Praxis mit einigen wesentlichen Prinzipien" zum Teil der Kultur geworden ist. Siehe Hitler, der 1933 die Demokratie schlicht mit dem Einverständnis des Volkes abgeschafft hat.
War's da nicht eher das Parlament, das sich selbst abschaffte, nicht das Volk? Soviel ich weiss, kriegte Hitler in Wahlen nie die notwendigen Mehrheiten, die eine Diktatur auch nur halbwegs rechtfertigen konnten.
Das gute Beispiel von Barbara mit der Minarette-Diskussion zeigt, wie abstrus es werden kann. Ausgerechnet in der Schweiz, die so viel auf ihre Demokratie hält, drangsaliert man eine Minderheit per Volksvotum.
naja, so sehr drangsaliert wurde nicht. Es war eine typische Abstimmung, wo es de facto um fast gar nichts geht (halt um ein oder zwei Minarette, die nicht gebaut werden dürfen), aber kein Muslim wird an der Ausübung seiner Religion behindert. Es war eher ein deutliches Zeichen gegenüber einer laschen Multikulti-Politik, die die Augen vor Problemen verschloss und sie tabuisierte.
Ich stimmte zwar nein, bin aber inzwischen nicht böse darüber, dass es ein Ja war.
Das Irrationale daran war, dass es hiergegen erhebliche Bedenken von Schweizer Verfassungsrechtlern gab und mit Sicherheit die Schweiz bei Anwendung internationales Recht bricht, das sie bei Verträgen mit der EU selbst unterschrieben hat.
Wie Pluto sagte: der Souverän ist das Volk. Und der Souverän hat das Recht, Dinge zu beschliessen, die in sich widersprüchlich sind. Was die internationalen Verträge betrifft: die wurden, soweit ich mich erinnere, nur in seltenen Fällen durch eine Volksabstimmung legitimiert. Das heisst, was die da in Bern alles international unterschreiben, kommt hinter den Entscheiden von Volksabstimmungen. Auch wenn das in andern Ländern eine abstruse Haltung scheinen mag, ich halte sie für die richtige. Sie bewährt sich immerhin schon seit 150 Jahren mit gutem Erfolg.
Rational wäre es in der Schweiz gewesen, dies den lokalen Baubehörden zu überlassen, die alle Gesichtspunkte (z.B. evtl. bauliches "Unpassendsein" in die Gebäudekultur der Umgebung, etc. konkret mit berücksichtigen können.
Politik ist nicht rational und kann es auch nie sein - schliesslich geht es um die Gestaltung der Zukunft, und was die Zukunft alles bringt, weiss man nicht. Es fehlen in der Politik
immer die notwendigen Informationen, die man für eine rationale Entscheidung bräuchte.
Oder mache mal nen Volksentscheidung zur Einführung der Todesstrafe zum richtigen Zeitpunkt (z.B. nach terroristischen Aktionen oder medienwirksamen Brutaloaktionen von nichtreligiösen Gangstern).
Es gibt gewisse Sicherheitsinstrumente: eins davon ist, dass sie viel Zeit benötigen. Wer eine Volksinitiative plant, muss einen langen Atem haben - mindestens drei Jahre. In manchen Fällen noch viel länger; Minder mit seiner Abzockerinitiative brauchte zehn Jahre. In dieser Zeit wird das Thema bis ins letzte Detail diskutiert.
Und nein, bis jetzt gab's in der Schweiz noch nie eine Initiative zur Todesstrafe. Irgendwie kommt einfach niemand auf die Idee, sowas zu fordern.
Im Mittelpunkt steht eigentlich immer inwieweit Leute egoistisch agieren oder ganze Bevölkerungsgruppen egoistisch agieren. Und das funktioniert - wenn auch mit Einschränkungen - auch in Demokratien.
Egoismus ist ja ganz in Ordnung, wenn es ein weit gefasster Egoismus ist, in der Art: wenn es allen Leuten rund um mich gut geht, ist die Chance gross, dass es mir selbst auch gut geht.
grüsse, barbara