Keine 90 Sekunden.
So lange hat es gedauert, bis der gute Arzt hier die erste Aussage getätigt hat, die so zweifelhaft war, dass ich nachrecherchiert habe und ratet mal was dabei rausgekommen ist.
Konkret geht es um folgende Aussage:
"[Die Zirbeldrüse] ist kaum erbsengroß. Bei uns natürlich schon retardiert, also verkleinert gegenüber dem Achtjährigen, dessen Zirbeldrüse ist dann zehnmal größer."
Das klingt zunächst erst einmal nicht verdächtig, wir haben ja eine Menge Dinge im Körper, die im Laufe des Lebens wachsen, schrumpfen, zunehmen, nachlassen, grob gesagt: sich verändern. Was mich stutzig gemacht hat, ist die Erklärung für diese Veränderung, aber dazu später mehr, bleiben wir erst einmal bei der geäußerten Behauptung:
Die Zirbeldrüse ist bei Kindern (Achtjährige) zehnmal größer, als bei Erwachsenen (uns).
Das sollte sich doch einfachst nachrecherchieren lassen. Die Einschätzung "erbsengroß" für Erwachsene scheint soweit akkurat. Wiki beschreibt die Größe als 5–8 mm lang und 3–5 mm breit [1], Encyclopaedia Britannica gibt eine Länge 0,8cm an [2] in beiden Fällen mit dem Zusatz, dass die Angabe für erwachsene Menschen gilt. Soweit gibt es also noch nichts zu beanstanden.
Aber wie sieht es bei Kindern aus? Keine der beiden Seiten macht dazu eine gesonderte Angabe, für die Medizin ist es aber ein interessantes Thema, denn um problematische Veränderungen der Drüse festzustellen, braucht man natürlich eine entsprechende baseline, wie groß eine unveränderte Drüse ist und dementsprechend gibt es Untersuchungen, in denen die Drüsengröße bei Kindern ermittelt wurde.
Jetzt die spannende Frage: Ist die Drüse bei Kindern zehnmal größer?
Die Antwort: Nein.
Galluzzi et al. (2016) haben bei 184 Kindern zwischen 0 und 5 Jahren (0 - 60 Monate) die Größe der Zirbeldrüse untersucht und fanden eine durchschnittliche Drüsenlänge von 4,1mm + 0,046mm * [Alter in Monaten], sowie eine Höhe von 2,6mm + 0,023mm * [Alter in Monaten][3]. Ich weiß nicht wie es euch geht, aber nach "zehnmal größer" klingt das für mich nicht.
Sumida et al. (1996) haben Kinder und Jugendliche zwischen 2 Wochen und 20 Jahren untersucht und für ein Alter zwischen 2 und 20 Jahren eine Länge von 4,8+-0,9, eine Höhe von 2.9+-0.6 und eine Breite von 3.7+-0.9 (alle Angaben in mm) ermittelt. [4]
Das sind nur zwei Untersuchung und es finden sich etliche weitere mit konsistenten Ergebnissen.
Warum also erzählt uns Herr Edinger hier, dass die Drüse bei Kindern zehnmal so groß ist? Dafür muss man sich die Erklärung für die angebliche Reduktion um 90% im Laufe des Älterwerdens anhören: "weil wir die Zirbeldrüse einfach vergiftet haben durch die ganzen Noxen, die von Außen kommen."
Schon herrscht beim Zuhörer Alarm. Vergiftet? Das klingt gefährlich, aber es wird wohl stimmen,
warum sonst sollte die Zirbeldrüse im Laufe eines Menschenlebens um 90% schrumpfen. Wenn ich zur Polizei gehe und sage "Ich komme gerade aus dem Urlaub und in meinem Sparsocken sind noch 1000€", dann wird man mich fragen "Wie viel waren denn denn drin, bevor Sie das Haus verlassen haben?". Antworte ich nun wahrheitsgemäß "1000€" wird man mich wohl verwirrt anschauen und nach Hause schicken, aber antworte ich fälschlicherweise mit "10,000€", dann wird es interessant, denn dann impliziere ich, dass es ein Verbrechen gab und jemand das Geld gestohlen hat.
Das ist natürlich das bekannte Vorgehen.
Scharlatantrick #1: Ein Problem erfinden, das gar nicht existiert.
Was folgt? Richtig, ein Heilmittel anbieten.
Jetzt heben einmal alle die Hand, die überrascht sind, dass niemand geringeres als Herr Edinger einen Onlineshop betreibt, in dem man zum Beispiel eine Blaulichtfilterbrille für 49€ (oder 79€ in der Premiumvariante) angeboten bekommt. Irgendjemand überrascht? Ich bin es nicht.
Oder wie wäre es mit einen Quanten-Energie-Stein für 795€. Und man darf natürlich den Regulus Magic-Energy-Pen für 79€ nicht vergessen. Warum ich diese drei Produkte ausgesucht habe? Weil das die Produkte sind, die einem vorgeschlagen werden, wenn man nach Zirbeldrüse sucht. Der Shop findet man auf der Seite von INAKARB, nur damit es jeder überprüfen kann, aber verlinken werde ich diesen Müll mit Sicherheit nicht.
Wer sich übrigens fragt, warum ich immer Herr Edinger schreibe, anstatt die Titel zu verwenden, sagen wir es mal so, folgende Aussage:
Traugott hat geschrieben: ↑Mi 11. Mär 2020, 14:24
Nun, da spricht ein DoppelDoktor
ist so nicht ganz korrekt. Wer da spricht, ist ein Herr, der wegen Titelmissbrauch und Betrug verurteilt wurde und jetzt immer schön Sternchen hinter zwei seiner Titel macht, weil er sie hier eigentlich gar nicht führen darf, da er sie von einer Einrichtung verliehen bekommen hat, die ihrem Land staatlich gar nicht anerkannt wird.
Konkret geht es um folgende Bezeichnung: Prof.* Dr. nauk* Dr. med. Enrico Edinger (*VEKK Moskau)
Leider finde ich kein Dokument zu Edingers Verurteilung durch das Amtsgericht Sinzig, aber in einem vergleichbaren Fall hat das Verwaltungsgericht Berlin sein Urteil folgendermaßen begründet[5]:
Die von dem Obersten Sachverständigen- und Qualifikationsausschuss (VEKK) nach Prüfung durch die Oberste interakademische Attestationskommission (VMAK) verliehenen Grade – hier: Doktor medizinskich Nauk – und Titel – hier: Professor – sind in der Russischen Föderation selbst mit dem Zusatz „VEKK Moskau“ nicht i.S.v. § 34a BerlHG staatlich anerkannt, sondern ausschließlich die von der Obersten Attestationskommission (VAK) des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft der Russischen Föderation verliehenen Professorentitel und Habilitationsgrade erfüllen diese Anforderung (so auch Amtsgericht Tettnang, Urteil vom 17. Februar 2011 – 6 Cs 36 Js 21025/2008 –
AK 4/2011; Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Gießen, Urteil vom 7. Februar 2013 – 21 K 555/1.Gl.B – bei juris; Verwaltungsgericht München Urteil vom 18. Juni 2013 –
M 16 K 11.6109 – bei juris Rn. 35).
Ich bin kein Jurist, aber mir scheint, dass damit selbst die Titelführung mit Sternchen und Hinweis nicht so richtig rechtens ist.
Die Verurteilung wegen Betrug hat er sich eingefangen, weil er einer todkranken Krebspatientin weis gemacht hat, die Krankenkasse würde 80% der Kosten für seine überteuerte Therapie übernehmen und sie dazu gedrängt hat den Behandlungsvertrag zu unterschreiben, ohne sich vorher bei der Krankenkasse zu versichern, dass die auch wirklich zahlen. Die Kasse würde das erst ablehnen, aber er wird dann einen Brief schreiben und dann wird die Kasse zahlen.
Hat die Kasse natürlich nicht und Edinger hat die Patientin anschließend mit Rechnungen überhäuft.
Das ist die Art von Mensch der wir hier vertrauen sollen.
Ich habe mir das Video nicht komplett angesehen, warum sollte ich auch. Der Mann präsentiert bereits in einem seiner ersten Sätze eine leicht zu widerlegende Lüge. Warum? Um Angst zu machen, denn Edinger ist 100% purer Abschaum, der sich mit Lüge und Betrug eine goldene Nase an der Angst anderer verdient.
Warum sollte ich irgendetwas von dem glauben, was mir dieser Herr erzählt?
Edit: Ich habe mir aus Neugier inzwischen doch einmal das ganze Video angesehen und es ist beachtlich was für ein Trommelfeuer an Unsinn der Mann von sich gibt. Die Moderatorin ist leider vollkommen überfordert und auch gar nicht interessiert irgendetwas davon zu hinterfragen, da waren Aussagen dabei, für die man noch nicht einmal wirklich versiert sein muss, damit sich zumindest der Gedanke aufdrängt, dass er Quatsch redet (was sich teilweise auch extrem leicht bestätigen lässt). Die Kappe, die er gegen Ende präsentiert kostet übrigens 150€, den Brain-Y Chip (mit "Fibonacci-Struktur") gibt es ab 49€, den Energy-Pen wie oben erwähnt für 79€ und der Quanten Stein, auch das habe ich oben erwähnt, aber ich sage es gerne noch einmal, weil es einfach zu absurd ist: 795€.
Wer immer noch nicht verstanden hat, dass das keine Informations- sondern eine Dauerwerbesendung ist, ist wohl wirklich nicht mehr zu retten.
[1]
https://de.wikipedia.org/wiki/Zirbeldr%C3%BCse
[2]
https://www.britannica.com/science/pineal-gland
[3]
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4958126/
[4]
http://www.ajnr.org/content/ajnr/17/2/233.full.pdf
[5]
https://openjur.de/u/754055.html