Aberglaube im 21. Jahrhundert

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closs
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#301 Re: Aberglaube im 21. Jahrhundert

Beitrag von closs » Fr 10. Apr 2015, 17:23

Savonlinna hat geschrieben: Ich denke folgendermaßen: Historisch-kritisch ist eine Deutung nie. Wer sie als Deutung sieht, ist ja gerade schon im Feld der Nicht-Wissenschaft - oder gar der Ideologisierung von Wissenschaft. [/color]
Da sind wir uns schon einig - ich würde hinzufügen, dass man aus wissenschaftlicher Arbeit heraus Deutungen erbringen kann, wenn man sie als solche kennzeichnet.

Savonlinna hat geschrieben: Angenommen aber - ich spekuliere hier wild, bitte beachten -, man findet die erste Variante der Dornröschen-Erzählung, dann könnte man textkritisch vergleichen, in welcher Weise a. das historische Geschehen verarbeitet wurde, b. die erste Variante sich bis heute verändert hat.
Genau so ist es üblich. - Wobei (das wäre aber ein ganz anderes Thema) die Verwissenschaftlichung der Literatur dazu führen kann, dass keiner mehr kapieren braucht, was eigentlich drin steht.

Savonlinna hat geschrieben: Wenn Du hingegen Dich für die Möglichkeit einsetzt - und das tust Du ja unermüdlich -, dass der reale historische Jesus das Reich Gottes als "inwendig" verstanden haben könnte, dann bist Du im Bereich der historisch-kritischen Forschung. Denn so eine Aussage setzt seine reale Existenz voraus.
Ja - es würde historisch-kritisch die Frage rechtfertigen, welche Spuren es von einem Jesus in dieser Zeit gibt.

Savonlinna hat geschrieben:Wenn wir die Möglichkeiten, die die Textüberlieferung hergibt, erwägen und uns fragen, ob der so überlieferte Text-Jesus ein inwendiges Reich Gottes gemeint haben könnte, dann kann die historisch-kritische Methode ebenfalls Antwort geben: ja, die originalen Texte schließen diese Möglichkeit nicht aus. Damit ist aber eben noch immer nichts über den realen Jesus gesagt, sondern nur über den Text-Jesus.
Das wäre saubere historisch-kritische Arbeit. :thumbup:

Savonlinna hat geschrieben:Ich kenne einige Christen, die sich von dieser Frage nach dem historischen Jesus emanzipiert haben und sagen: entscheidend ist unser eigenes Bild davon.
Das kann zwei Gründe haben:
a)
Man abstrahiert das Ganze soweit, dass man den Weg zur Erkenntnis über Leid definiert (was geistig denkbar ist - aber ein eigenes Thema). Dann wäre dies ein rein spiritueller Zugang, der des historischen Jesus nicht bedarf.
b)
Man begibt sich (ganz im Gegenteil zu a)) in geistige Beliebigkeit, indem man Jesus zur Vorstellungs-Folie macht. - Moderner wäre Variante b).

Savonlinna hat geschrieben:Und gerade das finde ich faszinierend. Ich erwähne in diesem Zusammenhang fast immer den Marxisten Ernst Bloch, der auf die so notwendige Utopiefähigkeit des Menschen hinweist und zeigt, dass solche inneren Bilder dem Menschen Hoffnung verschaffen - weil die Menschen innerlich diese Utopie bereits spüren.
Der unterstrichene Teil Deines Textes würde wieder auf Variante a) hinweisen: Der Mensch spürt seine geistigen Wurzeln und lässt daraus etwas wachsen.

Dies verwiese auf die ursprüngliche Bedeutung von "Bewusstsein" im Sinne von "Erkennen" ("jada"), das sich im Wort "con-scientia" niederschlägt - übersetzt im Mittelalter mit ahd. "mit-wissei" und got. "ge-wizzeni". - Also das "Gewissen" als göttliche Exklave im Menschen. - Bloch mag so weit gedacht haben - aber tut man das heute noch?

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Münek
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#302 Re: Aberglaube im 21. Jahrhundert

Beitrag von Münek » Fr 10. Apr 2015, 17:26

closs hat geschrieben:
Faransil hat geschrieben:]Es ist aber ein Fakt, dass die Bibel darlegt, wie Jesus eine Naherwartung prophezeite.
Nur dann, wenn man Verklärung und Auferstehung außer vor lässt und/oder "nah" auf zeitliche Weise weltgeschichtlich versteht. - Für alle diese Vorbehalte gibt es anderslautende Erklärungen. - Mit anderen Worten: Es ist eben KEIN Fakt, sondern wird lediglich auf einer prämisse-verseuchten Grundlage postuliert.

Richtig ist, dass das Umfeld Jesus (oder ein Teil dieses Umfelds) im Sinne einer Naherwartung interpretiert hat. - Auch das wurde mehrfach diskutiert und begründet.

Dass Jesus diese Naherwartung hatte und in seiner Verkündigung an das Volk immer wieder klar zum Ausdruck brach-
te, wird von keinem ernstzunehmenden Theologen bestritten. In dieser Frage herrscht wissenschaftlicher Konsens.


Deine postulierte "prämissen-verseuchte Grundlage" kannst Du getrost in die Tonne kloppen; sie basiert auf Wunschden-
ken. Du willst es nicht wahrhaben, dass Jesus sich geirrt hat.

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#303 Re: Aberglaube im 21. Jahrhundert

Beitrag von closs » Fr 10. Apr 2015, 17:30

Münek hat geschrieben:Dass Jesus diese Naherwartung hatte, wird von keinem ernstzunehmenden Theologen bezweifelt. Da besteht wissenschaftlicher Konsens.
Zur Ehrenrettung der Wissenschaft möchte ich dies bestreiten - Savonlinna hat diesbezüglich einiges gesagt, dem ich nichts hinzuzufügen brauche.

Zeus hat geschrieben:Daraus würde ich schließen, dass die Naherwartung die wahrscheinlichste Möglichkeit ist.
Wäre Müneks Einschätzung richtig, könnte Dir das keiner übel nehmen.

sven23 hat geschrieben:Das sind alles Spekulationen, die niemand beantworten kann.
Richtig - zumindest nicht objektiv. - Und gerade deshalb hat Wissenschaft sich daran zu halten.

sven23 hat geschrieben:Welche Setzungen?
Ich habe 5 genannt - Savonlinna hat einen ganzen Rosenkranz (in Frageform) hinzugefügt.

Wir müssen jetzt entscheiden: Geht es um geistige Deutung (das tue ich) - dann ist es keine Wissenschaft. - Oder geht es um Wissenschaft - dann darf man nichts als "Fakten" darstellen, was auf dutzenden tönernen Füßen steht.

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sven23
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#304 Re: Aberglaube im 21. Jahrhundert

Beitrag von sven23 » Fr 10. Apr 2015, 17:40

closs hat geschrieben:Richtig - zumindest nicht objektiv. - Und gerade deshalb hat Wissenschaft sich daran zu halten.
Das tut sie doch nicht. Die Fragen hast du doch in den Raum gestellt.
Die historisch kritische Forschung hat nun mal die Endzeitstimmung und Naherwartung als historische Gegebenheit identifiziert. Wenn die alten Schriften in die gleiche Kerbe schlagen, dann hat das wohl seinen Grund. Die Naherwartung wird doch nur bestritten, weil sie sich als falsch erwiesen hat. Der Pathologe ist nun mal immer schlauer. ;)
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#305 Re: Aberglaube im 21. Jahrhundert

Beitrag von closs » Fr 10. Apr 2015, 18:01

sven23 hat geschrieben:Die historisch kritische Forschung hat nun mal die Endzeitstimmung und Naherwartung als historische Gegebenheit identifiziert
Das wiederum klingt glaubwürdig. - Wenn unabhängige Textzeugnisse wissenschaftlich dahingehend zweifelsfrei Auskunft geben, dass dies damals in der Luft lag, ist dies in der Tat Folge historisch-kritischer Forschung - absolut einverstanden.

sven23 hat geschrieben:Wenn die alten Schriften in die gleiche Kerbe schlagen, dann hat das wohl seinen Grund.
Jetzt ml geistig argumentiert: Jesus meint es aber genau NICHT so - er meint es "inwendig": "Ab der Erlösung ist für jeden, der sie begreift, das Himmelreich unmittelbar nah". - "Mit der Erlösung ist die Zeit gekommen, in der diese Nähe Realität ist".

sven23 hat geschrieben:Die Naherwartung wird doch nur bestritten, weil sie sich als falsch erwiesen hat.
Der "naturalistischen" Naherwartung wird eine "inwendige" Naherwartung entgegengesetzt.

Und jetzt kommt eben die Reaktion der Urchristen: Genauso wie die/manche Jünger haben sie nicht gecheckt, dass Jesus von einer "inwendigen" Naherwartung sprach, und habe deshalb auf eine "naturalistische" Naherwartung gesetzt. - Mit anderen Worten: Sie haben's nicht gecheckt.

Nun ist dies auch nur EINE Interpretation - aber einem Wissenschaftler müsste auch diese geistige Interpretation bekannt sein. - Und wenn dies so ist, kann er nicht sagen: "Es ist ein Faktum, dass Jesus eine "naturalistische" Naherwartung hatte". - Das wäre geradezu peinlich.

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sven23
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#306 Re: Aberglaube im 21. Jahrhundert

Beitrag von sven23 » Fr 10. Apr 2015, 18:06

closs hat geschrieben: Nun ist dies auch nur EINE Interpretation - aber einem Wissenschaftler müsste auch diese geistige Interpretation bekannt sein. - Und wenn dies so ist, kann er nicht sagen: "Es ist ein Faktum, dass Jesus eine "naturalistische" Naherwartung hatte". - Das wäre geradezu peinlich.
Ob es ein Faktum ist, weiß heute niemand. Man kann eben nur auf Grund der Quellenlage urteilen und die spricht eindeutig für die Naherwartung. Daß sie sich als falsch erwiesen hat, steht auf einem anderen Blatt, ändert aber nichts an dem, was der Fall ist.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#307 Re: Aberglaube im 21. Jahrhundert

Beitrag von Pluto » Fr 10. Apr 2015, 18:09

closs hat geschrieben:Der "naturalistischen" Naherwartung wird eine "inwendige" Naherwartung entgegengesetzt.

Und jetzt kommt eben die Reaktion der Urchristen: Genauso wie die/manche Jünger haben sie nicht gecheckt, dass Jesus von einer "inwendigen" Naherwartung sprach, und habe deshalb auf eine "naturalistische" Naherwartung gesetzt. - Mit anderen Worten: Sie haben's nicht gecheckt.
Willst du damit sagen, die Menschen damals die damals glaubten, das Ende der Welt sei nah, erlagen einem Aberglauben? Es waren nicht Wenige die das glaubten — die Meisten von Ihnen gute Christen.

closs hat geschrieben:Nun ist dies auch nur EINE Interpretation - aber einem Wissenschaftler müsste auch diese geistige Interpretation bekannt sein.
Naja... es ist nun mal die Meinung der allermeisten seriösen Exegeten.

closs hat geschrieben:Das wäre geradezu peinlich.
Ist es ja auch.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#308 Re: Aberglaube im 21. Jahrhundert

Beitrag von 2Lena » Fr 10. Apr 2015, 18:13

Eine seltsamme Auffassunung von "Wissenschaft" habt ihr.

Darunter scheint alles zu fallen, was zwischen Buchdeckeln zu finden ist.
Verziert, irgendwie "berühmt", grad in den Kram passend,
in Worten formuliert, besonders gern "ausländisch".

Deutsch heißt Wissenschaft - Wissen schafft?
Tut die denn das auch - oder liegt sie etwa im Hintertreffen?

Liest man die Literatur der ersten Jahrhunderte, ist da eine große Begeisterung zu spüren ... Man wusste, wenn die *Gesetze angewendet werden, gibt es einen Durchbruch zu mehr .. und zu Zusammenarbeit. Das sind die "Himmelreichsgleichnisse". Nur heute sieht man die anders.

closs
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#309 Re: Aberglaube im 21. Jahrhundert

Beitrag von closs » Fr 10. Apr 2015, 18:14

sven23 hat geschrieben:Man kann eben nur auf Grund der Quellenlage urteilen und die spricht eindeutig für die Naherwartung.
Das diese "in der Luft lag" - ja, gut möglich.

Pluto hat geschrieben:Willst du damit sagen, Jesus' Zeitgenossen die glaubten, das Ende der Welt sei nah erlagen einem Aberglauben?
Ja - natürlich.

Pluto hat geschrieben: Es waren nicht Wenige die das glaubten — die Meisten von Ihnen gute Christen.
Weil sie Jesus nicht geistig verstanden, sondern weltlich. - Das kommt halt davon.

Pluto hat geschrieben:es ist nun mal die Meinung der allermeisten seriösen Exegeten.
Wie gesagt: Ich möchte das einfach nicht glauben, weil ich mir damit beleidigend vorkäme. - Dass die Exegeten meinen, dass damals so etwas "in der Luft lag", ist dagegen naheliegend.

Pluto hat geschrieben:Ist es ja auch.
Deshalb möchte ich es ja auch nicht glauben.

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sven23
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#310 Re: Aberglaube im 21. Jahrhundert

Beitrag von sven23 » Fr 10. Apr 2015, 18:19

closs hat geschrieben:Wie gesagt: Ich möchte das einfach nicht glauben, weil ich mir damit beleidigend vorkäme.
Das ist ehrlich: du willst es nicht glauben, weil du sonst beleidigt wärst. :lol:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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