sven23 hat geschrieben: ↑So 18. Apr 2021, 07:29
Karl Valentin sagt mal: keine Toleranz gegenüber den Intoleranten. Hinter dieser humoristischen Bemerkung steckt aber ein tieferes Problem. Karl Popper hat das in seinem Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" als Toleranzparadoxon thematisiert.
„Weniger bekannt ist das Paradoxon der Toleranz: Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihn
Guten Morgen!
Es ist klar, was damit gemeint ist. Der Gedankengang ist gut verständlich. Aber trifft das auch zu? Ich denke: Nicht unbedingt. Es ist ein möglicher Verlauf, bestimmt.
Die erste Frage für mich ist: Was bedeutet es, "
eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen" ?
Eine Gesellschaft, in der die Intoleranten eine bedeutungslose Minderheit darstellen, braucht keine Verteidigung, nicht wahr?
Und Toleranz schließt Widerspruch nicht aus. Es geht nur darum: Wie wird widersprochen? Ist es Gewalt? Oder ist es einfach nur ein "Contra"?
Wenn natürlich die Intoleranten mächtig sind und diese Macht einsetzen, um die tolerante Gesellschaft zu unterdrücken, sieht es anders aus.
Aber auch dann gibt es einen Spielraum, wie man damit umgeht.
Davon abgesehen: Verständnislosigkeit ist nochmal eine andere Sache als Intoleranz. Und Intoleranz hat viele Gesichter.
Es ist auch eine ganz persönliche Frage, wie man mit etwas umgeht oder was man sich vornimmt. Aber mir ging es jetzt nicht um so ein Thema. Das ist eine andere Ebene.
Mir ging es einfach nur darum:
Der Zusammenhalt, die Einheit einer Gesellschaft, einer Nation, ist beschädigt und droht, größeren Schaden zu nehmen. Menschen, die eigentlich zusammen gehören und einander brauchen, driften auseinander bez. bestimmter Themen und Fragen. Das gefällt mir nicht. Ich halte das für sehr problematisch, sehr schädlich für uns alle. Die Basis einer gesunden Gesellschaft ist aus meiner Sicht ein Zusammenhalt. Wenn alle zusammen halten, können wir gut leben und miteinander auskommen. Das bedeutet Frieden und auch Wohlstand. Je mehr Disharmonie, desto gestörter ist der Austausch untereinander und desto weniger funktioniert die Gesellschaft. Die Folge: Misserfolge, Zerstörung, ein schlechtes emotionales Klima, Armut, Unglück.
Natürlich ist es nicht so, dass wir das wollen. Wir werden da in eine Sache hineingezogen, vor allem durch die Medien und die Politik. Und das, was auf uns wirkt, wirkt sich auf eine Art und Weise auf uns aus, die uns dazu drängt, einander zu beurteilen, verurteilen und schlecht zu behandeln. Wir sind es gewohnt, in gewissen Bahnen zu leben, denken und empfinden.
Einfaches Beispiel:
Mir wurde es schon immer so vorgelebt und quasi anerzogen, dass auf einen Grund zur Aufregung natürlicherweise auch eine Aufregung folgt. Menschen sind ruhig und friedlich, solange es keinen Grund gibt, sich aufzuregen. Gibt es aber einen solchen Grund, ist die Aufregung ganz nah, je nachdem. Aber muss das so sein? Heute denke ich: Nein, auf keinen Fall. Nur weil es vielleicht einen - noch so triftigen - Grund gibt, sich zu ärgern, jammern, klagen, beschweren etc. - heißt das nicht, dass sich das daraus automatisch ergibt oder ergeben sollte.
Es ist wie eine Programmierung. Weil es normal ist, sich aufzuregen, tut man es auch. Nicht, weil man das müßte. Sicher - es ist dann auch ein gewisser "Drang" dazu vorhanden. Dem man aber nicht zwingend nachgeben muss. Vielleicht gibt es auch einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten des Drangs / seiner Intensität und der Bereitschaft dazu, ihm nachzugeben. Anders gesagt: Vielleicht kommt ein Drang erst garnicht auf, wenn keine Bereitschaft da ist, ihm nachzugeben.
Also nochmal das Thema: Wir haben eine schwierige Situation. Und im zwischenmenschlichen Bereich haben sich daraus gravierende zwischenmenschliche Verwerfungen in unserer Gesellschaft ergeben. Man kann sagen: Na und? Das ist doch ok. So soll es sein, kann es sein, muss es sein etc... Aber ich denke: Nein, das ist sehr schlecht für uns. Das sollte nicht Überhand nehmen. Es ist besser, auf persönlicher Ebene dagegen zu arbeiten. Nichts von Politik. Politik ist etwas anderes, anderes Thema. Mir geht es um das, was jeder Einzelne denkt, fühlt, tut.
Dieser Spaltung etwas entgegensetzen - das meine ich. Das hat für mich auch etwas mit Reife und Bewusstheit zu tun. Es ist klar, wenn man dieses Problem nicht sieht, anerkennt, kann man auch keine solchen Ambitionen haben. Vielleicht ist die Corona-Krise auch eine Art Prüfung, durch die sich zeigt, wie reif und bewusst wir in zwischenmenschlicher Hinsicht sind. Eine Herausforderung.