Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

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sven23
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#1 Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

Beitrag von sven23 » Fr 31. Mai 2013, 12:00

In der gestrigen Maybritt Illner Sendung ging es mal wieder u. a. um Vorsorgeuntersuchungen. Dabei war auch Gerd Gigerenzer, der den Nutzen vieler Vorsorgeuntersuchungen in Frage stellte. Er beklagte auch die mangelhafte Ausbildung der Ärzte in Bezug auf die Fähigkeit, Statistiken richtig lesen und beurteilen zu können.
Berühmtes Beispiel: Brustkrebsscreening: von 1000 Frauen, die zur Vorsorgeuntersuchung gehen, sterben 4 an Brustkrebs. Von 1000 Frauen, die nicht zur Vorsorge gehen sterben 5.

Die Krankenkassen druckten jahrelang Broschüren, in denen sie mit einer Reduzierung des Risikos von bis zu 35% warben.
Gretchenfrage an alle: wo liegt da der Fehler?
Tip. Nicht bei Wikipedia nachschauen, denn auch da stehen immer noch falsche Zahlen.
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Janina
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#2 Re: Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

Beitrag von Janina » Fr 31. Mai 2013, 13:03

sven23 hat geschrieben:Brustkrebsscreening: von 1000 Frauen, die zur Vorsorgeuntersuchung gehen, sterben 4 an Brustkrebs. Von 1000 Frauen, die nicht zur Vorsorge gehen sterben 5.
Die Krankenkassen druckten jahrelang Broschüren, in denen sie mit einer Reduzierung des Risikos von bis zu 35% warben.
Ähnliche Fehler (und noch viel schlimmere) führen dazu, dass die WHO angeblich Genitalverstümmelung bei Jungen zur Senkung des Ansteckungsrisikos mit HIV empfiehlt.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... 54626.html

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sven23
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#3 Re: Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

Beitrag von sven23 » Fr 31. Mai 2013, 14:02

Janina hat geschrieben:Ähnliche Fehler (und noch viel schlimmere) führen dazu, dass die WHO angeblich Genitalverstümmelung bei Jungen zur Senkung des Ansteckungsrisikos mit HIV empfiehlt.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... 54626.html

Dabei wäre es so einfach und relativ billig, Kondome zur Prävention einzusetzen.
Nomen est omen. Der für Beschneidungsfragen zuständige Mann bei der WHO heißt Kevin Cock. :lol:
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sven23
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#4 Re: Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

Beitrag von sven23 » Fr 31. Mai 2013, 16:42

Kommt schon Leute, wir haben auch einen Bildungsauftrag. Oder sollte Herr Gigerenzer Recht haben, als er sagte, daß Patienten in Rußland besser aufgeklärt sind als in Deutschland? ;)
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Mia
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#5 Re: Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

Beitrag von Mia » Fr 31. Mai 2013, 17:38

Janina hat geschrieben:Ähnliche Fehler (und noch viel schlimmere) führen dazu, dass die WHO angeblich Genitalverstümmelung bei Jungen zur Senkung des Ansteckungsrisikos mit HIV empfiehlt.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... 54626.html

Komische Vorsorge, denn die meisten beschnittenen Männer fühlen so wenig, dass sie Kondome ganz ablehnen, weil sie damit gar nichts mehr fühlen und es ist klar durch eine verhornte Haut dringen nicht so viele Bakterien also ist die Ansteckung geringer aber die Gefühle auch, will mann das???

LG Mia

barbara
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#6 Re: Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

Beitrag von barbara » Fr 31. Mai 2013, 20:12

Beim Thema Brustkrebs-Screenings wär's nett, erst mal den unsinnigen Namen auszutauschen. Als "Vorsorge" bezeichne ich das Vorsorgen - finanziell zB, jeden Monat eine gewisse Summe auf die Seite zu legen - um dann im Falle eines Falles eine Reserve zu haben.

Brustkrebsscreenings haben allerdings nicht den geringsten positiven Effekt auf die Gesundheit der Frau - eher im Gegenteil, die Untersuchung kann sehr schmerzhaft sein und eventuell schädlich - sie sind lediglich Früherkennung. Also quasi, auf die finanzielle Analogie übertragen, dass man ab und zu den Kontostand betrachten täte, aber ohne das Sparen.

und gerade bei Brustkrebsscreenings gibt es eine nicht unbedeutende falsch-positiv-Rate, wo eine nicht geringe Zahl Frauen in Angst und Schrecken versetzt werden, ohne dass es tatsächlich einen Grund dazu gegeben hätte.

grüsse, barbara

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sven23
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#7 Re: Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

Beitrag von sven23 » Fr 31. Mai 2013, 20:20

barbara hat geschrieben:
und gerade bei Brustkrebsscreenings gibt es eine nicht unbedeutende falsch-positiv-Rate, wo eine nicht geringe Zahl Frauen in Angst und Schrecken versetzt werden, ohne dass es tatsächlich einen Grund dazu gegeben hätte.

grüsse, barbara

Respekt Barbara, du hast das sehr schön zusammengefaßt.
Wagst du auch einen Tip über die Risikominimierung in Prozent ausgedrückt?
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#8 Re: Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

Beitrag von barbara » Fr 31. Mai 2013, 20:27

sven23 hat geschrieben: Respekt Barbara, du hast das sehr schön zusammengefaßt.
Wagst du auch einen Tip über die Risikominimierung in Prozent ausgedrückt?

nun, wenn von 1000 Frauen nur noch vier statt fünf an Brustkrebs sterben, sinkt es von fünf Promille auf vier Promille, also eine Senkung von einem Promille. (wie viele an Brustkrebs erkranken, wird damit aber nicht ausgesagt. Tatsächlich nur 5 Promille? Mir scheint, es müssten deutlich mehr sein)

Wenn wir die fünf Frauen, die ursprünglich erkranken, als unsere 100% definieren wollen, dann sinkt es um 20%. Frisst aber immer noch die Zeit und das Geld der andern 995 Frauen, die diese Untersuchung machen lassen.

grüsse, barbara

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sven23
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#9 Re: Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

Beitrag von sven23 » Fr 31. Mai 2013, 20:53

barbara hat geschrieben:
nun, wenn von 1000 Frauen nur noch vier statt fünf an Brustkrebs sterben, sinkt es von fünf Promille auf vier Promille, also eine Senkung von einem Promille. (wie viele an Brustkrebs erkranken, wird damit aber nicht ausgesagt. Tatsächlich nur 5 Promille? Mir scheint, es müssten deutlich mehr sein)

Das statistische Risiko sinkt tatsächlich nur um 0,1 %, ist also 350 mal geringer als öffentlich propagiert wurde. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Nutzen.
Das gleiche gilt übrigens auch für die PSA Bestimmung beim Mann.

barbara hat geschrieben: Wenn wir die fünf Frauen, die ursprünglich erkranken, als unsere 100% definieren wollen, dann sinkt es um 20%.

grüsse, barbara

Richtig, aber so darf man nicht rechnen, um das statistische Risiko zu bestimmen. Hier muß immer die Gesamtzahl der Untersuchten berücksichtigt werden.
Die Zahl von 20% geistert aber immer noch durch die Medien und hält sich so hartnäckig wie einst der angeblich hohe Eisengehalt von Spinat.

Erschreckend finde ich auch, daß viele Ärzte Statistiken nicht lesen und bewerten können, wahrscheinlich die gleichen, die bei IGEL Leistungen besonders gut rechnen können. ;)
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#10 Re: Sinn und Unsinn der Vorsorgeuntersuchung

Beitrag von barbara » Fr 31. Mai 2013, 21:03

sven23 hat geschrieben: Erschreckend finde ich auch, daß viele Ärzte Statistiken nicht lesen und bewerten können,

Es könnte gut sein, dass sie die Statistik gar nicht lesen, sondern lediglich die Werbebroschüren der Hersteller. Welcher Arzt hat heute denn noch Zeit, sich in komplizierte wissenschaftliche Artikel zu vertiefen und sie nachzurechnen?

grüsse, barbara

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