Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

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Zeus
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#21 Re: Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

Beitrag von Zeus » Do 2. Mai 2013, 20:51

Zeus hat geschrieben: dass - nach Ockhams Prinzip - alle anderen Erklärungsversuche der Theodizee weniger plausibel sein müssen.
closs hat geschrieben:"Müssen" geht schon mal gar nicht.
Doch, wenn Ockham recht hat. Es sei denn du würdest eine andere genauso simple Erklärung finden.

closs hat geschrieben: Möglicherweise ist Ockham aber tatsächlich die ultima ratio einer naturalistischen Erklärung - gut möglich.

Nicht unbedingt die ultima ratio, aber eine gute Richtlinie.
Zuletzt geändert von Zeus am Fr 3. Mai 2013, 01:48, insgesamt 1-mal geändert.
e^(i*Pi) + 1 = 0
Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, noch nicht einmal existieren muss.
(Charles Baudelaire, frz. Schriftsteller, 1821-1867)

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DeMorgan
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#22 Re: Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

Beitrag von DeMorgan » Do 2. Mai 2013, 23:17

Zeus hat geschrieben: Und eine einfachere Theorie als die meinige gibt es nicht.

Da hat er Recht, der Zeus, dann müssten wir aber hier nicht diskutieren. Also tun wir mal so als hätte Ockham lieber Gitarre gespielt als Rasiermesser geschnitzt und kommen zur Diskussion zurück.

Also closs, ich glaub ich hab dich verstanden. Du meinst:

“Gut“ und “böse“ wie wir es sehen ist anders als man es spirituell sehen muss.
Vereinfacht: unser Urteil und Gottes Urteil sind verschiedene paar Stiefel.
Unser Urteil ist relativ an unsere Moralvorstellung geknüpft.
Gottes Urteil hingegen ist klar, absolut und eindeutig.

Es besteht die Gefahr, die eigene Moralvorstellung zu “Gottes Moralvorstellung“ zu machen.

1. Hab ich dich richtig verstanden, closs?
2. Das mit der Brutalität des AT hab ich nicht verstanden. Was meinst du damit genau?

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#23 Re: Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

Beitrag von closs » Fr 3. Mai 2013, 00:02

DeMorgan hat geschrieben:Es besteht die Gefahr, die eigene Moralvorstellung zu “Gottes Moralvorstellung“ zu machen?
Ja und nein - der Ansatz ist zunächst ein anderer - nämlich ein objektiver gegen einen subjektiven - also nicht auf Ebene "Moral" - ist zwar nicht falsch, aber von der Schnittebene nicht weiterführend - ich versuch's mal:

Vom Grunde her ist "gut" und "böse" nicht anderes als "gott-zugewandt" und "gott-abgewandt" - dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob Du "aus freiem Willen" wegguckst oder ob Dir jemand den Kopf wegdreht. - Wie überhaupt das AT (und ich vermute auch das NT) phänomenologisch und nicht wertend tickt.

Gott sagt also: DeMorgan, Dein Blick geht nach unten (KAIN!!) - Du bist "böse" - das stimmt auch. - Aber es stimmt (aus göttlichem Wesen, wie ich es verstehe) nicht im Sinne von "Du unverschämtes Schwein", sondern eher wie ein Arzt, der Dir sagt: "Du hast Krebs". - Es "ist" so.

DANACH kann man fragen, ob - bleiben wir beim Beispiel Krebs - das was mit DIngen zu tun hat wie Rauchen, etc. - Die Antwort auf diese Frage kann sein "ja" - es kann aber auch genauso sein, dass es genetisch bedingt ist (Analogie: Geschlechterfluch). - Unterm Strich sind diese Fragen aber extrem unwichtig - was unsere Zeit nicht versteht, weil sie individualistisch gepolt ist: Wenn heute etwas passiert, muss jemand dafür "verantwortlich" sein. - Falsch. - Der geistige Bogen ist ein anderer.

Insofern sind "gut" und "böse" im spirituellen Sinne objektiv, also absolut (siehe Thread-Thema).

Relativ/subjektiv sind sie dann, wenn es um UNSERE (nötige!) Einordnung von Verhaltensweisen geht.

Die Verbindung zwischen absolut und relativ besteht dann, wenn das subjektive Bestreben orientiert ist an der objektiven Realität Gottes, also gott-zugewandt ist. - Der gute Mensch ist also der, der wahrhaftig orientiert ist an Gott. - Diese Wahrhaftigkeit kann bei einem Christen genauso sein wie bei einem Agnostiker - der halt unwissend oder incognito adressiert.

An Taten kann man gut und böse nur bedingt ablesen - Beispiel:
Ich will Dir einen Wein anbieten, der ohne mein Wissen vergiftet ist - Du stirbst. - ICH habe gut gehandelt - die Tat war schlecht. - Umgkehrt: Ich will Dich mit Gift umbringen, erwische aber aus Versehen die falsche Flasche (mit dem besten Wein). - ICH habe böse gehandelt - die Tat war gut.

Insofern ist der Mensch dem objektiven "gut" und "böse" am nächsten in seinem Herz, das entweder erkennend (also Liebe wollend) oder verhärtet ist. - Da Erkennen und Verhärtetsein GEGEBEN ist (passiv), ist sogar der Zustand des Herzens Folge von Gnade (gut) oder Fluch (böse) - mit anderen Worten: Wir können spirituell tatsächlich NICHT über Hitler, Stalin oder Dutroux urteilen - denn wir wissen nicht, ob folgender Satz auf sie zutrifft:

5.Mose, 29, 3 "Und der Herr hat euch bis zum heutigen Tag noch kein verständiges Herz gegeben, Augen, die sehen, und Ohren, die hören".

Aber wir müssen sie natürlich wegsperren aus unserer Verantwortung für das Gemeinwesen.

Erst mal soweit.

DeMorgan hat geschrieben:Das mit der Brutalität des AT hab ich nicht verstanden. Was meinst du damit genau?
Es gibt geradezu Völkermord-Orgien durch das Volk Israel (Bsp: Josua) - auch das berühmte Beispiel mit den Amalekitern (Saul) ist zu nennen. - Typisch "aufgeklärt" versucht unsere Zeit unter dem Aspekt der Delikt-Fähigkeit aufzuarbeiten - eben weil unsere Zeit individualistisch gepolt ist: Wenn heute etwas passiert, muss jemand dafür "verantwortlich" sein. - Auch hier: Falsch.

Dies führt nichtsdestoweniger dazu, dass haarsträubendste Entschuldigungen gefunden werden, warum das Morden in der Bibel "gerecht" war und die Opfer selber schuld sind. - Vollkommen unnötig - auch hier muss man Geschichte als Krankheit verstehen - als "Krebs". - Es ist einfach so.

Der entscheidende Punkt, an dem Objektives und Subjektives dann zusammengeführt (oder besser "aufgehoben" werden), ist das sogenannte "Gericht". - Und wenn Gott sagt "Die Rache ist mein", dann deshalb, weil er damit sagen will: "Das, was Ihr Menschen so an Gerechtigkeit zusammenschustert - überlasst das mal mir - das wird sonst nix". -

Der entscheidende Punkt ist, dass beim letztgültigen "Richten" das Herz des Menschen zum Massstab gemacht wird - konkret: Der "gute" Moses hat nicht bessere Karten als der "böse" Pharao, weil Gott die heilsgeschichtlichen Rollen des Menschen primär gar nicht interessieren - genauso wenig wie es einen Arzt nicht interessiert, ob sein Patient in seiner Freizeit als King Lear auftritt.

Auch da erst mal soweit - sonst komme ich vom Hundertsten ins Tausendstes.

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#24 Re: Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

Beitrag von DeMorgan » Fr 3. Mai 2013, 07:14

Oo
Unglaublich, aber ich glaube, ich habs verstanden.
Ich werde das nun aber erst mal sacken lassen müssen bevor ich meine Unterschrift druntersetze. Danke dir, dass du nochmal darauf zurückgekommen bist.

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#25 Re: Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

Beitrag von DeMorgan » Fr 3. Mai 2013, 07:31

Nun doch noch was...
Du sagst ja, dass man an Ende gemäß des Herzens gerichtet werden. Dh. am Ende wäre ich böse, wenn ich dich vergiften wollte, aber die falsche Flasche genommen habe. Soweit klar.
Aber wie kommst du drauf, dass es bis dahin nicht so ist? Sieht Gott nicht immer in unsere Herzen? Müsste es dann nicht so sein, dass die spirituelle Einordnung von gut und böse ebenfalls relativ ist?

Oder meintest du eine reine spirituell-objektive Bemessung anhand von Gottes Wort (ohne den Einbezug von Herzensumständen), die ja nicht zwingend mit der wahren Meinung Gottes übereinstimmen muss, der ja noch das Herz berücksichtigen kann.

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#26 Re: Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

Beitrag von closs » Fr 3. Mai 2013, 08:43

DeMorgan hat geschrieben:Nun doch noch was...
Verstehe ich nur der Spur nach.

Nochmal zum Sammeln:
Das Absolute von gut und böse besteht in der lakonischen Definition der Gott-Zugewandtheit und der Gott-Abgewandtheit (egal, ob dies christlich herzensmäßig oder agnostisch herzensmäßig geschieht) - wenn sich jemand der Sonne zuwendet, bekommt er Wärme, egal ob er den Wärmespender als Sonne oder als Wärmelampe versteht. - Realität ist unabhängig von unserem Wahrnehmungs-Vermögen.

Das Relative liegt ausschließlich in unserer Wahrnehmung - indem wir beispielsweise nicht wissen, was gut und böse ist. - Man kann dieses Relative auch nicht schein-objektivieren, indem man sagt: 5 Menschen umbringen ist 5 x so böse wie 1 Menschen umbringen. - Absolutes ist nicht quanitifizierbar, sondern funktioniert binär.

Was sich ändern kann, ist, dass "1" zu "0" und das "0" zu "1" werden kann - konkret: Wenn Du (nicht kalkulierend, sondern) wahrhaft bereust, wird aus der 0 eine 1. - Das gilt aber nur für Einzel-"Projekte", nicht aber für den ganzen Menschen, weil der Mensch überhaupt nicht zu 100% gott-zugewandt sein KANN - das heisst: 1x1x1x1x1x1x1x1x1x0 = 0. - Genau DAS ist der Grund, warum es Jesus geben muss, weil bei ihm die 0 fehlt, die alles zu 0 macht - andersrum: bei ihm ist auch die letzte Ziffer eine 1, sodass 1 herauskommt.

Unter "Gericht" gibt es unterschiedliche Vorstellungen. - Ich bin persönlich spirituell sicher, dass "Gericht" und "Liebe" sich NICHT (wie oft exegetisch kolportiert) widersprechen: "Wer die Liebe ablehne, müsse halt gerichtet = hingerichtet werden". - Falsch.

"Gericht" ist vielmehr im AT-Sinne (!!!!!) "Bewahrheitung" (so heisst die Original-Übersetzung) in dem Sinne, dass der Mensch zur Wahrheit hingeführt wird - allerdings unter Schmerzen. - Stell Dir vor, Du wärest ein verbogener Metallstab, der gerade "gerichtet" werden soll, damit er "passt" (= Analogie: aufhebungsfähig wird in Gott). - Man muss den Stab erhitzen, ihn formbar machen, hämmern, etc., bis er "gerichtet" ist. - Insofern kommt kein Mensch kerzengerade vor Gott. - Übrigens: "gute Gesinnung" heisst urtextnah "Gradheit des Herzens" (5. Mose 9,5).

Soweit mal.

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#27 Re: Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

Beitrag von Pluto » Fr 3. Mai 2013, 10:38

closs hat geschrieben:
DeMorgan hat geschrieben:Es besteht die Gefahr, die eigene Moralvorstellung zu “Gottes Moralvorstellung“ zu machen?
Ja und nein - der Ansatz ist zunächst ein anderer - nämlich ein objektiver gegen einen subjektiven - also nicht auf Ebene "Moral" - ist zwar nicht falsch, aber von der Schnittebene nicht weiterführend - ich versuch's mal:

Vom Grunde her ist "gut" und "böse" nicht anderes als "gott-zugewandt" und "gott-abgewandt" - dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob Du "aus freiem Willen" wegguckst oder ob Dir jemand den Kopf wegdreht. - Wie überhaupt das AT (und ich vermute auch das NT) phänomenologisch und nicht wertend tickt.
Genau an diesem Punkt scheiden sich unsere Geister. Diese Begrifflichkeit von Gut und Böse ist konstruiert und deswegen keineswegs absolut denn sie geht von einem real existierenden Gott aus. Wenn nicht, wenn Gott nur eine Chimäre, bzw. eine trostspendende menschliche Vorstellung ist, dann verkümmert de von dir angepriesene Absolutheit von Gut und Böse zur reinen Augenwischerei.

Und so sehe ich die Begriffe auch in der Praxis als vollkommen relativ.
Nimm mal als Beispiel Martin Luther. In den Augen der meisten Christen war er ein fast unfehlbarer Lehre und gütiger Mensch, von Gott begnadet und gesegnet. Und dann vergleich das mit seiner in meinen Augen völlig deplatzierten Antipathie gegen die Juden, die er ausrotten wollte. Sein Judenhass ist nichts weiter als das chistliche Pendant der alten Moral der Bibel gegenüber Andersdenkende (5.Mose 20). Sie werden als Freiwild angesehen, sprich man darf (soll?) sie nach Strich und Faden ausbeuten.

Das dabei das Gute auf der Strecke bleibt, sollte uns hier doch sehr deutlich ins Auge fallen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#28 Re: Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

Beitrag von DeMorgan » Fr 3. Mai 2013, 10:42

Ich denke nun kann ichs unterschreiben. (also den Beitrag von Closs - Pluto hat sich dazwischengemogelt, den muss ich erst lesen ;-))

Die „Schmerzen“ bei Gericht kann ich mir durchaus vorstellen. Dies sind keine Schmerzen, die „zur Strafe“ zugefügt werden. Es ist eher die schmerzliche Reue, die man fühlt, wenn man merkt, dass man an mancher Stelle jemanden (z.B. Gott oder seinem Nächsten) absolut Unrecht getan hat.

Diese Art von Schmerz fühlt man ja jetzt schon, wenn man die erkennt, wie falsch man lag und wie viel Enttäuschung und Schmerz man verursacht hat.

Mir kommt dabei immer die Szene in „Schindlers Liste“ vor Augen, in der Schindler sich am Ende vorwirft, dass er viel mehr hätte retten können. Diese Art von Schmerz der Reue wird das wohl sein, meine ich. (Schauspielerisch übrigens grandios dargestellt).

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#29 Re: Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

Beitrag von closs » Fr 3. Mai 2013, 10:46

Pluto hat geschrieben:Und so sehe ich die Begriffe auch in der Praxis als vollkommen relativ.
Da genau ich auch.

Aber das ist wie in der Realitivitäts-Theorie: Man beobachtet relative Systeme, die in sich funktionieren - vergisst aber, dass diese Systeme nur deshalb relativ sind, weil sie an einem Absoluten bemessen werden. -

Ohne die Konstante c gäbe es keinen Masstab für Relativität (dazu). - Ohne Gott gibt es keinen Massstab für Relaitivität dazu.

Die gute Nachricht: Es ändert sich im relativen System nichts, wenn das absolute dazu nicht bekannt ist. - Übertragen und auch schon vorher erwähnt: Es ist de facto kein Unterschied, ob etwas Gutes durch einen Christen oder durch einen Agnostiker geschieht - denn die Fakten ändern sich ja dadurch nicht.

DeMorgan hat geschrieben:Dies sind keine Schmerzen, die „zur Strafe“ zugefügt werden.
Genau - so - und jetzt überlege Dir mal, was es für eine Herkules-Arbeit ist, die Bibel-Exegese vom subjektiven zu objektiven Charakter der Bibel zurückzuführen. - Das wird Jahrhunderte dauern.

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#30 Re: Gut und Böse sind relativ, nicht absolut

Beitrag von DeMorgan » Fr 3. Mai 2013, 13:11

closs hat geschrieben:
DeMorgan hat geschrieben:Dies sind keine Schmerzen, die „zur Strafe“ zugefügt werden.
Genau - so - und jetzt überlege Dir mal, was es für eine Herkules-Arbeit ist, die Bibel-Exegese vom subjektiven zu objektiven Charakter der Bibel zurückzuführen. - Das wird Jahrhunderte dauern.

Ich sehe worauf du hinauswillst. In der Tat, das wird lange dauern. :shock:
Aber danach ist es :D würd ich mal sagen.

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