Anton B. hat geschrieben:Du selbst schiebst der Wissenschaft einen Anspruch unter, den sie aufgrund ihrer "Regeln" gar nicht hat.
Eigentlich nicht ich - mein Ansatz ist vielmehr, dass die Wissenschaft ausschließlich positive Aussagen machen kann:
a) Wir stellen fest, dass folgende Hypothese durch Beobachtung wissenschaftlich bestätigt werden kann.
b) Wir stellen fest, dass folgende Hypothese durch Beobachtung wissenschaftlich NICHT bestätigt werden kann (auch DAS ist eine positive Aussage).
Die Wissenschaft kann aber NICHT sagen (negative Aussage):
c) Weil wir etwas NICHT durch Beobachtung bestätigen können, "ist" es nicht. - Daran hapert's doch ständig.
Anton B. hat geschrieben: Und das macht es "alten Konzepten" wie Metaphysik und Ontologie genauso wie neuen Konzepten sehr sehr schwer, sich über die Wissenschaft zu setzen und sie für sich zu vereinnahmen.
Aus dieser Richtung droht keine Gefahr. - Gefahr droht vom Materialismus, der mit Verweis auf Wissenschaft Weltanschauung betreibt - ein oft hier genanntes Beispiel: Die Tatsache, dass Wissenschaft eine Korrelation zwischen Hirn-Komplexität und kognitiven Fähigkeiten (zu Recht!!) beobachtet, erlaubt NICHT die WISSENSCHAFTLICHE Schlussfolgerung, dass Geist genuin/primär/ursprünglich Produkt von Materie ist - das ist keine wissenschaftliche, sondern eine weltanschauliche Aussage. - Auch hier hapert's.
Anton B. hat geschrieben:Und wo liegt das Korrektiv gegenüber einer kritischeren Sicht auf Erfahrungen und dem Anlegen strengerer Kriterien?
Du stellst Deine Frage listig: Gegenüber kritischer Sicht und strengeren Kriterien bedarf es kein Korrektiv durch die "praktische Vernunft" - das ist doch gar nicht das Thema.
DasThema ist, dass Studien gelegentlich mit Definitionen arbeiten, die der "Praxis-Vernunft" nicht entsprechen UND nicht erkennbar machen, dass es so ist. - Gehen wir zurück auf das "Extremismus"-Beispiel. - Da wir in einer Talkshow (= ein Ort, von dem aus Bevölkerung informiert werden soll) mit Verweis auf eine wissenschaftliche Studie als Ergebnis präsentiert, dass 35% deutscher Moslems "extremistisch" seien. - Das Volk empört sich (würde ich auch). - Dann stellt sich NEBENBEI über einen Diskutanten, der die Studie genauer zu kennen scheint, heraus, dass EINE Frage lautet: "Würde Sie göttliche Gebote über weltliche Gesetze stellen?" - Bei Antwort "Ja" gibt's ein Häkchen bei "extremistisch".
Fakt ist, dass auf diese Frage jeder Jude, Christ und Moslem "Ja" antworten MÜSSTE ("Gibt dem Kaiser ...") - es ist also sogar überraschend, dass nur 35% mit "Ja" geantwortet haben. - Das heisst nun nicht, dass die Studie handwerklich fehlerhaft durchgeführt wurde - aber es heisst sehr wohl, dass innerhalb der Studie ein Begriff absichtlich oder aus Unwissen komplett schräg definiert wurde. - Die Studie ist also unterm Strich keine "kritischeren Sicht auf Erfahrungen und ein Anlegen strengerer Kriterien", sondern eine Täuschung gegenüber der Bevölkerung. - Und im Gegensatz zu Mitforisten ist es NICHT die Aufgabe der Bevölkerung, diese Täuschung zu erkennen, indem sie sich eine vielseitige Erläuterung der Studie zukommen lässt. - Es ist vielmehr in der Verantwortung der Wissenschaft, zur Veröffentlichung bestimmte Studien in Übereinstimmung mit allgemeinem Sprachgebrauch zu verfassen - wäre es eine Studie für den rein internen Bereich, wäre es etwas anderes. - Dass die Medien solche Bolzen aufdecken müssten, versteht sich von selbst - tun sie aber oft nicht, weil sie gelegentlich die geile Nachricht der seriösen vorziehen.
Und in DIESEM Zusammenhang ist nun das Korrektiv der "praktischen Vernunft" gefragt: "Moment - in unserem Umfeld gibt es keine 35% extremistisch Moslems. Punkt". - Pikanterweise gibt es ja dann noch die Studie vom Innenministerium, die auf (weniger als) 1% kommt - da würde die "praktische Vernunft" sagen: "Ja - das könnte passen". - Aber was, wenn nur die 35% von BILD & Co veröffentlicht werden? - Und da ist eben mein Vorwurf: Geistige Brandstifterei in geistiger Tradition des "Stürmer".
Wenn DAS geklärt, wird man selbstverständlich zugestehen, dass auch die "praktische Vernunft" daneben liegen kann - es gibt sicherlich einige Urban Legends, die es zu korrigieren gilt. - Aber hier liegt der Ball erst mal ganz klar im Feld von Wissenschaft und Medien. - Ein Appell an Seriosität wäre angebracht - kommt dieser Appell an, glauben die Leute auch wieder mehr, was von Wissenschaft und Medien kommt (denn das ist ja kein Einzelfall).