Zeus hat geschrieben:Ich weiß zwar nicht, von welcher "Ritualistik in der Schulmedizin" du sprichst - wie dem auch sei - der unvergleichliche Vorteil der Schulmedizin ist, dass sie ZUSÄTZLICH zum Voodoo echte zigtausendfach bewährte Heilmittel (u.v.A.!) zur Verfügung hat.
oh, das hat Manfred Lütz so viel besser beschrieben, als ich es je könnte:
http://www.kultur-punkt.ch/gesundheit/s ... hn05-2.htm
Ein Architekt hat einmal die Krankenhäuser „die Kathedralen des 20. Jahrhunderts“ genannt, und insofern ist das Aachener Klinikum sozusagen der Petersdom Europas. Und in diesen Kathedralen finden eherne Riten statt. Wir beobachten bei uns im katholischen Rheinland den bruchlosen Übergang von der katholischen Prozessionstradition in die Chefarztvisite. Die Chefarztvisite ist ähnlich wie die katholische Prozession völlig zwecklos, aber höchst sinnvoll. Zwecklos ist sie deswegen, weil ein Chefarzt die Information viel besser kriegt, wenn er in die Kurve schaut oder den Assistenzarzt fragt. Aber nein, der Ritus muss sein, der Patient erwartet das – „War der Chef schon da?“ – und schon entspinnt sich die Prozession, voran die Schwesternschülerinnen als Ministrantinnen, dann die Schwestern, dann die Stationsschwester mit der heiligen Schrift, der Kurve des Patienten, die Assistenzärzte, der Oberarzt und schließlich Er – der Chef.
Der Chef ist meistens schon etwas älter, nicht mehr so orientiert in seinem Fach, kann aber seine Rechnungen noch gut lesen und wirkt vor allem sehr würdevoll. Im ersten Zimmer wird ihm der Name des ersten Patienten zugeflüstert – man kann ja mal was vergessen -, und dann kommt es zum Höhepunkt der Chefvisite, der Chefarzt wird sakralsprachlich. Die Sakralsprachen Griechisch und Latein sind aus dem katholischen Gottesdienst weitgehend entschwunden, aber in der Gesundheitsreligion sind sie wahnsinnig wichtig. Ein Chefarzt, den man komplett versteht, gilt als inkompetent. Und zum Höhepunkt der Chefvisite sagt der Chefarzt zum Oberarzt: „Wissen Sie, Herr Kollege, ich halte das doch am ehesten für eine ideopathische Störung“. Der Chefarzt hat „ideopathisch“ gesagt. Der Patient ist tief ergriffen, der Chefarzt schwebt aus dem Zimmer und schon ist der Patient am Telefon, ruft zuhause an und sagt: „Friedchen, er hat ideopathisch gesagt. Kannst du mal im Gesundheitslexikon nachgucken, was das eigentlich heißt?“. Friedchen geht ans Gesundheitslexikon, kommt zurück und sagt: „Ideopathisch heißt, wir wissen nicht, woran es liegt.“ Und deswegen rate ich immer dringend von der Anschaffung von Gesundheitslexika ab, weil sie den Placebo-Effekt verhindern.
grüsse, barbara