Homöopathie

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sven23
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#2421 Re: Homöopathie

Beitrag von sven23 » Sa 15. Mär 2014, 06:18

closs hat geschrieben:Was "nützt" es, wenn die Leute hordenweise gesund werden, und die Wissenschaft ihnen "falsche Wahrnehmung" vorhält? - Wahrscheinlich war es dann auch eine "falsche Wahrnehmung", dass sie sich beim Arzt vorher NICHT geheilt gefühlt haben.

Das ist exakt das, was ich als "Gap" bezeichne.

Mißverständnis. Nicht die Wahrnehmnung, daß es ihnen besser geht ist falsch, sondern der Schluß, daß die Genesung in unmittelbarem Zusammenhang mit Globuli steht. Daß Beratung und Therapiegespräch einen gewissen Effekt haben, hatten wir ja schon festgestellt.
Das Gap entsteht nur auf Grund falscher Wahrnehmung, wie bei jeder Esoterik.

Bestes Beispiel ist die aktuelle Diskussion um Heidegger. Seine Wahrnehmung der Nazis korrelierte nicht mit der Realität, sondern war verzerrt. Seine jetzt veröffentlichten anisemitischen Notizen bezeichnet die FAZ als "Dokumente der Niedertracht".

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/b ... 44017.html
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closs
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#2422 Re: Homöopathie

Beitrag von closs » Sa 15. Mär 2014, 09:07

Pluto hat geschrieben:Ich würde sie fragen, welches Präparat sie eingenommen haben, und wüsste sofort Bescheid.
Weil Du den Gaul von hinten aufzäumst:
* "Ihr 100 vorher krank - Pharma genommen - jetzt gesund - also Pharma-Wirkung"
* "Ihr 100 vorher ebenfalls krank - HP genommen - jetzt gesund - also ein Effekt"

Wie gesagt: Da haben HP-Patienten nichts dagegen, wenn sie Effekt-Leute sind - Hauptsache gesundet. - Aber man darf auch nie vergessen, dass diese 200 Leute vorher GLEICH krank waren.

sven23 hat geschrieben: Nicht die Wahrnehmnung, daß es ihnen besser geht ist falsch, sondern der Schluß, daß die Genesung in unmittelbarem Zusammenhang mit Globuli steht.
Kann ich im Einzelfall soweit nachvollziehen. - Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass (meinetwegen) 100 Schulmedizin-Patienten, die zum HP-Arzt wechseln, wo sie (der Einfachheit halber) gleich gut geheilt werden, plötzlich zum Placebo-Kandidat werden - im Sinne von:

Früher habe ich auf Medikamente reagiert, jetzt auf Placebo-Effekte, wenn ich wieder zurückwechsle, wird es wieder umgekehrt sein. - Leute - da stimmt was nicht.

Im übrigen auch an Dich: Die Tatsache, dass etwas nicht nachgewiesen ist, ist ein Indiz, aber kein Beweis dafür, dass etwas nicht wirkt. - Insofern ist der Satz "Globuli wirken nicht" rein intellektuell falsch - richtig wäre: "Wir können nicht nachweisen, dass Globuli wirken".

sven23 hat geschrieben: Seine jetzt veröffentlichten anisemitischen Notizen bezeichnet die FAZ als "Dokumente der Niedertracht".
Anderes Thema - aber mal kurz:

* Neulich hat ein Franzose (ich meine sogar, dass er Jude ist), der als Heidegger-Kenner vorab die "Schwarzen Hefte" gelesen hat, in der ZEIT gesagt, dass die Reaktion in D mehr über D als über Heidegger aussage. - Denn bei aufmerksamen Lesen des gesamten Textes (bei Berücksichtigung der deutschen Geschichte des 19. Jh.) käme deutlich heraus, dass Heidegger KEIN Antisemit gewesen sei. Die Deutschen aber neigten dazu, bei diesem Thema sofort zu hyperventilieren, um zu zeigen, wie konsequent sie die Nazi-Zeit aufarbeiten würden.
* Hannah Arendt, mit der Heidegger vor der Nazizeit ein Verhältnis hatte, nahm nach dem Krieg und Exil eben dieses Verhältnis wieder auf. Das hätte sie meines Erachtens nicht gemacht, wenn Heidegger Antisemit gewesen wäre.

Wie auch immer: Man sollte vorsichtig mit dem Vorwurf der Selbst-Täuschung sein - denn auch die eigene Position könnte eine Selbsttäuschung sein.

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sven23
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#2423 Re: Homöopathie

Beitrag von sven23 » Sa 15. Mär 2014, 09:31

closs hat geschrieben: * Neulich hat ein Franzose (ich meine sogar, dass er Jude ist), der als Heidegger-Kenner vorab die "Schwarzen Hefte" gelesen hat, in der ZEIT gesagt, dass die Reaktion in D mehr über D als über Heidegger aussage. -

Als gühender Anhänger von Heidegger muß er ja seinen Säulenheiligen verteidigen. Dabei sind die Zitate ziemlich eindeutig.

Nur 1 Beispiel:

„Das Weltjudentum, aufgestachelt durch die aus Deutschland herausgelassenen Emigranten, ist überall unfaßbar und braucht sich bei aller Machtentfaltung nirgends an kriegerischen Handlungen zu beteiligen, wogegen uns nur bleibt, das beste Blut der Besten des eigenen Volkes zu opfern.“ (XV, 1941)"
Quelle: FAZ

Heidegger feierte Hitler als charismatischen Retter und Überwinder der "Seinsvergessenheit".

Ein schönes Beispiel dafür, wie ein Intellektueller, der über das göttliche Sein philosophiert, mit seiner Wahrnehmung völlig daneben liegen kann. Um den Bogen zurückzuspannen zu Homöopathie: Mit Hahnemann hat Heidegger einen Bruder im Geiste der Wahrnehmungsverwirrung.
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#2424 Re: Homöopathie

Beitrag von closs » Sa 15. Mär 2014, 10:00

sven23 hat geschrieben:Dabei sind die Zitate ziemlich eindeutig.
Klingt durchaus so. - Nur wäre es mir lieber, wenn sich jüdische Heidegger-Kenner damit auseinandersetzen. - Jedenfalls finde ich es erstaunlich, dass es Juden gibt, die mit Heideggers Aussagen (wie diesen) im Gesamt-Kontext kein Problem haben.

Ich kann/will es selbst nicht beurteilen, weil für mich biografistische Aussagen ohnehin autonom sind zu einem geistigen Werk (sei es in der Philosophie - man denke an Luther, sei es in der Musik - man denke an Wagner).

Unsere Medien- und Meinungs-Gesellschaft hat die Neigung, das "richtige" Zitat zu finden und alles darauf aufzuhängen. Mir wäre etwas mehr Tiefe lieber (mit offenem Ausgang).

sven23 hat geschrieben:Mit Hahnemann hat Heidegger einen Bruder im Geiste der Wahrnehmungsverwirrung.
Auch ein klassischer Fall für journalistische Sichtweise: Herleitbar (wie auch immer), griffig (jeder kann nicken) - passt.

Mir fällt auf, dass es heutzutage sehr schwer ist, Dinge differenziert zu sehen, ohne dem Diktat gesellschaftlicher Setzungen zum Opfer zu fallen. Und eine dieser Setzung ist die Vereinfachung (wahrscheinlich auch noch mit Ockham begründet :devil: ) - Ein gutes Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung zwischen Gerhard Schröder und Prof. Paul Kirchof, bei der der Populist Schröder und der Differenzierer Kirchof aufeinandertrafen - selbstverständlich mit besserem Ende für Schröder (er gewann - natürlich nicht nur deshalb - daraufhin die Wahl) .

Dieses Muster ist recht gut auch auf die Heidegger-Rezeption und unser HP-Problem übertragbar.

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#2425 Re: Homöopathie

Beitrag von sven23 » Sa 15. Mär 2014, 10:17

closs hat geschrieben: - Nur wäre es mir lieber, wenn sich jüdische Heidegger-Kenner damit auseinandersetzen. - Jedenfalls finde ich es erstaunlich, dass es Juden gibt, die mit Heideggers Aussagen (wie diesen) im Gesamt-Kontext kein Problem haben.

Auch unter Juden gibt es verwirrte Geister. Die Aussage ändert sich ja nicht mit dem Leser.

"Und es gibt noch weitere Strategien, wie man einen Denker verteidigt, ohne über sein Denken zu reden: Man verweist auf Freunde und Bewunderer, die über jeden Zweifel erhaben sind und im Fall von Heidegger am besten auch noch jüdisch - Hannah Arendt etwa wäre so ein Joker, obwohl es sogar antisemitisch sein kann, speziell auf jüdische Bewunderer zu verweisen, und sich übrigens auch Juden irren können."
Quelle: Spiegel online


closs hat geschrieben: - Ein gutes Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung zwischen Gerhard Schröder und Prof. Paul Kirchof, bei der der Populist Schröder und der Differenzierer Kirchof aufeinandertrafen - selbstverständlich mit besserem Ende für Schröder (er gewann - natürlich nicht nur deshalb - daraufhin die Wahl) .

Das war aber auch die Schuld Kirchhoffs und seiner Partei, die nicht plausibel erklärt haben, warum sie zwar das Steuerrecht vereinfachen wollen, dafür aber die Reichen noch mehr entlasten wollen als es ohnehin schon der Fall ist.
Damit liefen sie Schröder ins offene Messer. Selber Schuld.
Im übrigen ist bisher noch jeder an der Vereinfachung des Steuerrechts gescheitert. Müßte man sich auch mal fragen, woran das liegt.
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#2426 Re: Homöopathie

Beitrag von closs » Sa 15. Mär 2014, 10:40

sven23 hat geschrieben:Auch unter Juden gibt es verwirrte Geister.
Es wäre unwahrscheinlich, wenn nicht. - Aber merkst Du es nicht? - Da ist eine gesellschaftliche Formatierung, die sich im Sinne dieser Formatierung ( wahrscheinlich sogar unbewusst) seine Argumente nach Belieben zusammenklaubt. - Diese Argumente sind am besten als Zitate zu vermarkten, weil damit der eigene Anspruch auf "Nachweisbarkeit" erfüllt wird - und schon ist das Ragout fertig. - Goethe sagt dazu:

"Viel Irrum und ein bißchen Wahrheit - so wird der beste Trank gebraut". - Für mich ist das System-Onanie.

sven23 hat geschrieben: Selber Schuld.
Im Sinne der gesellschaftlichen Formatierung ist das richtig. - Kirchof hätte wissen müssen, dass differenziertes Denken (allein als solches) von den Medien auseinandergenommen wird. - Anderes Beispiel:

Die SPD war 2013 die einzige Partei, die ein halbwegs schlüssiges Regierungs-Programm im Wahlkampf kommuniziert hat - 25,7%. - Es war einfach zu anspruchsvoll für die mediale und gesellschaftliche Erziehung unseres Volkes - damit kann man in einer Demokratie keinen Blumentopf gewinnen. - In den USA weiß man das schon lange.

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#2427 Re: Homöopathie

Beitrag von closs » Sa 15. Mär 2014, 10:41

sven23 hat geschrieben:Im übrigen ist bisher noch jeder an der Vereinfachung des Steuerrechts gescheitert. Müßte man sich auch mal fragen, woran das liegt.
Lobby-Arbeit. - Würde man den Höchststeuersatz von 45 auf 25% senken, ABER diese 25% als pauschale Abschlagssteuer, würden Vermögendere weit mehr zahlen als jetzt.

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#2428 Re: Homöopathie

Beitrag von sven23 » Sa 15. Mär 2014, 10:54

closs hat geschrieben:- Goethe sagt dazu:

"Viel Irrum und ein bißchen Wahrheit - so wird der beste Trank gebraut". - Für mich ist das System-Onanie.

Trifft ja auch irgendwie auf Goethe selber zu. Um zu einem Gesamtbild eines Menschen zu gelangen, gehören auch die Widersprüche, die inneren Brüche und Abgründe dazu.
Um bei Hahnmann zu bleiben: wenn man einen fundamenalen Bibelchristen gegen Hahnmann aufbringen will, muß man nur erwähnen, daß er Okkultist war. Da ist mir aber zu billig. Mich interessiert allein, welche Lehre er vertritt und ob sie plausibel und nachvollziehbar ist.
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#2429 Re: Homöopathie

Beitrag von sven23 » Sa 15. Mär 2014, 10:59

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Im übrigen ist bisher noch jeder an der Vereinfachung des Steuerrechts gescheitert. Müßte man sich auch mal fragen, woran das liegt.
Lobby-Arbeit. - Würde man den Höchststeuersatz von 45 auf 25% senken, ABER diese 25% als pauschale Abschlagssteuer, würden Vermögendere weit mehr zahlen als jetzt.

Aber nur, wenn im Gegenzug die unzähligen Steuersparmöglichkeiten abgeschafft würden. Die sind ja mal eingeführt worden, um Investitionen anzuregen und zu lenken.
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#2430 Re: Homöopathie

Beitrag von closs » Sa 15. Mär 2014, 11:24

sven23 hat geschrieben:Aber nur, wenn im Gegenzug die unzähligen Steuersparmöglichkeiten abgeschafft würden.
Die wären ja automatisch bei einem pauschalen Abschlag abgeschafft.

sven23 hat geschrieben:Trifft ja auch irgendwie auf Goethe selber zu.
Ganz bestimmt nicht. - Er hat sich sicherlich auch ab und zu geirrt, aber Deine Aussage ist typisch demokratistisch. - Es gibt schon noch Unterschiede, die aber in einer Meinungs-Gesellschaft nicht wahrgenommen werden.

sven23 hat geschrieben: wenn man einen fundamenalen Bibelchristen gegen Hahnmann aufbringen will, muß man nur erwähnen, daß er Okkultist war.
Genau - ob HP wirkt oder nicht, ist damit natürlich nicht geklärt, aber man hat halt Stimmung.

Und wenn man Agnostiker gegen das Christentum aufbringen will, muss man nur auf die Inquisition verweisen - was Christentum ist, ist damit natürlich nicht geklärt, aber man hat halt Stimmung.

Und wenn man die moderne Intelligenzia gegen Heidegger aufbringen will, muss man auf seine nationalistischen Zweifelhaftigkeiten verweisen - was Ontologie ist, ist damit natürlich nicht geklärt, aber man hat halt Stimmung.

Und wenn man die Journaleska gegen Wagner aufbringen will, muss man auf seinen Anti-Semitismus verweisen - was seine Musik ist, ist damit natürlich nicht geklärt, aber man hat halt Stimmung.

Es ist immer dasselbe Muster: Im Grunde ist man nicht tief drin (und will es wahrscheinlich auch gar nicht sein), sucht sich einen Statthalter via Glaubwürdigkeit ("Wenn Heidegger (oder wer oder was auch immer) nicht glaubwürdig ist, muss ich erst gar nicht nachdenken, was er geschrieben hat"). - Dann poppert man rum, in dem man nach einer Unglaubwürdigkeit sucht und findet (also Falsfizierung). - Hat man aber falsifiziert, kann man den Ball zurückgeben, sich also mit fauler Meinung zurücklehnen.

Dieser Mechanismus beschreibt geradezu exemplarisch die Geistlosigkeit unserer Zeit - geistiger Anspruch wird durch Meinung ersetzt.

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