"Sie steht für das Bestreben, durch den Erwerb neuen Wissens Unklarheiten zu beseitigen, Fragen zu beantworten und Irrtümer zu beheben", sagt wiki dazu - und diese Definition ist nicht schlecht. - Das würde ich ebenfalls unter "Aufklärung" verstehen. - Insofern steht "Aufklärung" in Übereinstimmung mit dem Christentum - allerdings Achtung: "Christentum" ist nicht dasselbe wie Heilsgeschichte bzw. Kirchen-Geschichte.Pluto hat geschrieben:Was verstehst du eigentlich unter "Aufklärung".
Das Problem ist nicht die Aufklärung, sondern deren eigene Geschichte. - War es bis zum 19. Jh. im Geist der "conscientia" gemeint, wird es heute monopolistisch säkular-anthropozentrisch verstanden.
"Con-Scientia" heisst wörtlich "Mit-Wissen" und wird üblicherweise mit "Bewusstsein" übersetzt - allerdings als "Bewusstsein" des "Mit-Wissens" am (materiellen und geistigen) Sein - wobei "Bewusstsein"/"Mit-Wissen" das impliziert, was man christlich als "Gewissen" bezeichnet ("Gewissen" kommt von althochdeutsch "gewizzeni", welches seinerseits vom gotischen "mitwizzei" stammt). - Insofern steht Aufklärung ursprünglich für das Bestreben, sein Bewusstsein über Mit-Wissen/Ge-Wissen zu erweitern.
Heute wird "Bewusstsein" fast ausschließlich über - buchstäblich - "Selbst-Bewusstsein" definiert - die Psychologie hat die Theologie seit dem 19.Jh. abgelöst. - Damit hat sich (üblicherweise) das Bewusstsein vom Mit-Wissen-Wollen am geistigen Sein abgelöst - es macht sich selbst zum geistigen Mittelpunkt (indem es neuronale Abläufe als Ursache des Geistes versteht - warum da noch das Geistige im Sein suchen?). - Damit aber ist die Aufklärung von der Ausrichtung her zum Gegenteil ihrer Wurzeln geworden.
Wenn Du also fragst "Was ist Aufklärung", gibt es (mindestens) zwei Antworten - je nachdem, ob Du es im Sinne des 18. Jh. (und vorher) oder im Sinne des 21. Jh. meinst.
Allerdings muss man jetzt auch das Umfeld beachten, in dem Du diese Frage stellst - es war infolge meiner Bemerkung über das forcierte Selbstbild der Naturwissenschaft:
Da wird es etwas schwierig, weil man erklären müsste, warum die Objektivierung und Monopolisierung von Maßstäben (hier der naturwissenschaftliche Maßstab) ausgerechnet anthropozentrisch sein sollte - deren Verfechter würden ja genau eher das Gegenteil beanspruchen. - Die Antwort geht in folgende Richtung:closs hat geschrieben:"Wir haben unsere naturwissenschaftlichen Maßstäbe - was darüber hinaus draußen passiert, wird ignoriert".
Den Menschen wird immer mehr ausgetrieben, die Wirklichkeit über das eigene Gewissen ("mitwizzei"/"Bewusstsein" im Sinne von "con-scientia") wahrzunehmen und zu bewerten. - Als Ersatz dafür treten wissenschaftliche Modelle, die in der Tat in sich selbst objektiv sind. - Dabei kann aber folgendes rauskommen - wie vor einigen Jahrzehnten einmal zu lesen war (natürlich habe ich mir damals die Quelle NICHT aufgeschrieben):
Im Rahmen der sexuellen Befreiung hat man mal Frauen beim Koitus "verdrahtet", um den Orgasmus zu messen. - Am Ende kam heraus, dass es in der Tat erhebliche Ausschläge bei den Apparaten hat, die ein deutliches Bild gegeben haben: Personen A, C, M und N hatten demnach einen heftiger Orgasmus - Personen B, D, H und G einen mittelmäßigen - und Personen E, F, I und M gar keinen. - Als man die Leute danach befragt hat, waren deren Aussagen komplett anders als die Messergebnisse.
Nach heutigem Standard würde man seitens der Wissenschaft sagen: "Im Namen der Aufklärung können wir Dir sagen, was objektive Beobachtung ist - wenn UNSERE Messungen zeigen, dass Du keinen Orgasmus hattest, Du aber sagst, Du hattest einen, täuschst Du Dich. - Es kann eine Wahrnehmungs-Störung gewesen sein oder ein Placebo-Effekt. - Aber mach' Dir nix draus: Das hatten wir schon öfter". - Dass die Messung untauglich sein könnte, wird gar nicht in Erwägung gezogen (nachdem man vielleicht noch mal das Test-Design und die Messgeräte überprüft hat). - Ist beides ok, kann es nicht an der Wissenschaft liegen. - Und so erzieht man die Menschen, sich von ihrer ureigenen Gewissens-Wahrnehmung ("conscientia"/"mitwizzei"/etc.) zu entfremden - folgt man dieser Erziehung nicht, ist man out - nicht zeitgemäß. - Man folgt ja nicht der "objektiven" Wahrnehmung im Sinne der "Aufklärung" (im Sinne des 21. Jh.).
Und jetzt kommt der wirklich schwer erklärbare Punkt: "Aufklärung" im Sinne des 21. Jh. ist sowohl geil nach Objektivität als auch anthropozentrisch - WEIL die Geilheit nach Objektivität ein Produkt des Menschen ist, der sich seine Regeln selbst schafft - also nicht demütig an der Größe des ihn Umfassenden kratzt, sondern es unter seine eigene Hoheit bringen will.
"Aufklärung" im Sinne deren (christischen) Wurzeln ist NICHT anthropozentrisch, weil sie lediglich ihr geistig geprägtes Welt-Verständnis ordnen will - also aus "Aufklärung" keine anthropozentrische Gegen-Religion (wie heute) schaffen will. - Kant ist insofern Höhepunkt der "alten" Aufklärung zu einer Zeit, die selbst bereits bis zu den Knöcheln in der Zukunft des Anthropozentrismus steht (Romantik!!). - Denn Kant sagt nicht umsonst, dass er die menschliche Vernunft aufgeklärt an ihre Grenzen geführt habe, um gerade deshalb Platz für das Dahinter-Stehende (er nennt es "Glauben") zu haben. - Insofern ist Kant heute komplett vergessen.
Du hast eine einfache Frage gestellt, die ich etwas komplizierter beantworten musste. - Ich habe vollstes Verständnis, wenn meine Gedanken nicht erfasst werden - denn das geht nur, wenn man über das naturalistische Bezugs-System hinausgeht - also trans-anthropozentrisch, also trans-zendent denkt.