DeMorgan hat geschrieben:Es besteht die Gefahr, die eigene Moralvorstellung zu “Gottes Moralvorstellung“ zu machen?
Ja und nein - der Ansatz ist zunächst ein anderer - nämlich ein objektiver gegen einen subjektiven - also nicht auf Ebene "Moral" - ist zwar nicht falsch, aber von der Schnittebene nicht weiterführend - ich versuch's mal:
Vom Grunde her ist "gut" und "böse" nicht anderes als "gott-zugewandt" und "gott-abgewandt" - dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob Du "aus freiem Willen" wegguckst oder ob Dir jemand den Kopf wegdreht. - Wie überhaupt das AT (und ich vermute auch das NT) phänomenologisch und nicht wertend tickt.
Gott sagt also: DeMorgan, Dein Blick geht nach unten (KAIN!!) - Du bist "böse" - das stimmt auch. - Aber es stimmt (aus göttlichem Wesen, wie ich es verstehe) nicht im Sinne von "Du unverschämtes Schwein", sondern eher wie ein Arzt, der Dir sagt: "Du hast Krebs". - Es "ist" so.
DANACH kann man fragen, ob - bleiben wir beim Beispiel Krebs - das was mit DIngen zu tun hat wie Rauchen, etc. - Die Antwort auf diese Frage kann sein "ja" - es kann aber auch genauso sein, dass es genetisch bedingt ist (Analogie: Geschlechterfluch). - Unterm Strich sind diese Fragen aber extrem unwichtig - was unsere Zeit nicht versteht, weil sie individualistisch gepolt ist: Wenn heute etwas passiert, muss jemand dafür "verantwortlich" sein. - Falsch. - Der geistige Bogen ist ein anderer.
Insofern sind "gut" und "böse" im spirituellen Sinne objektiv, also absolut (siehe Thread-Thema).
Relativ/subjektiv sind sie dann, wenn es um UNSERE (nötige!) Einordnung von Verhaltensweisen geht.
Die Verbindung zwischen absolut und relativ besteht dann, wenn das subjektive Bestreben orientiert ist an der objektiven Realität Gottes, also gott-zugewandt ist. - Der gute Mensch ist also der, der
wahrhaftig orientiert ist an Gott. - Diese Wahrhaftigkeit kann bei einem Christen genauso sein wie bei einem Agnostiker - der halt unwissend oder incognito adressiert.
An Taten kann man gut und böse nur bedingt ablesen - Beispiel:
Ich will Dir einen Wein anbieten, der ohne mein Wissen vergiftet ist - Du stirbst. - ICH habe gut gehandelt - die Tat war schlecht. - Umgkehrt: Ich will Dich mit Gift umbringen, erwische aber aus Versehen die falsche Flasche (mit dem besten Wein). - ICH habe böse gehandelt - die Tat war gut.
Insofern ist der Mensch dem objektiven "gut" und "böse" am nächsten in seinem Herz, das entweder erkennend (also Liebe wollend) oder verhärtet ist. - Da Erkennen und Verhärtetsein GEGEBEN ist (passiv), ist sogar der Zustand des Herzens Folge von Gnade (gut) oder Fluch (böse) - mit anderen Worten: Wir können spirituell tatsächlich NICHT über Hitler, Stalin oder Dutroux urteilen - denn wir wissen nicht, ob folgender Satz auf sie zutrifft:
5.Mose, 29, 3 "Und der Herr hat euch bis zum heutigen Tag noch kein verständiges Herz gegeben, Augen, die sehen, und Ohren, die hören".
Aber wir müssen sie natürlich wegsperren aus unserer Verantwortung für das Gemeinwesen.
Erst mal soweit.
DeMorgan hat geschrieben:Das mit der Brutalität des AT hab ich nicht verstanden. Was meinst du damit genau?
Es gibt geradezu Völkermord-Orgien durch das Volk Israel (Bsp: Josua) - auch das berühmte Beispiel mit den Amalekitern (Saul) ist zu nennen. - Typisch "aufgeklärt" versucht unsere Zeit unter dem Aspekt der Delikt-Fähigkeit aufzuarbeiten - eben weil unsere Zeit individualistisch gepolt ist: Wenn heute etwas passiert, muss jemand dafür "verantwortlich" sein. - Auch hier: Falsch.
Dies führt nichtsdestoweniger dazu, dass haarsträubendste Entschuldigungen gefunden werden, warum das Morden in der Bibel "gerecht" war und die Opfer selber schuld sind. - Vollkommen unnötig - auch hier muss man Geschichte als Krankheit verstehen - als "Krebs". - Es ist einfach so.
Der entscheidende Punkt, an dem Objektives und Subjektives dann zusammengeführt (oder besser "aufgehoben" werden), ist das sogenannte "Gericht". - Und wenn Gott sagt "Die Rache ist mein", dann deshalb, weil er damit sagen will: "Das, was Ihr Menschen so an Gerechtigkeit zusammenschustert - überlasst das mal mir - das wird sonst nix". -
Der entscheidende Punkt ist, dass beim letztgültigen "Richten" das Herz des Menschen zum Massstab gemacht wird - konkret: Der "gute" Moses hat nicht bessere Karten als der "böse" Pharao, weil Gott die heilsgeschichtlichen Rollen des Menschen primär gar nicht interessieren - genauso wenig wie es einen Arzt nicht interessiert, ob sein Patient in seiner Freizeit als King Lear auftritt.
Auch da erst mal soweit - sonst komme ich vom Hundertsten ins Tausendstes.