Agent Scullie hat geschrieben:Oder die Stellen in der Bibel besonders gut zu kennen, in denen nicht der Reglementierungs-Aspekt im Vordergrund steht.
Oder die Stellen in der Bibel besonders zu priorisieren, in denen nicht der Reglementierungs-Aspekt im Vordergrund steht. So finde ich es besser, denn gut kennen sollte man die Reglementierungs-Aspekte schon, weil man "das Gesetz" (Tora) und die darin enthaltenen mosaischen Gesetze berücksichtigen muss, wenn man die Texte im Kontext der Abfassungszeit verstehen will.
In den Gesetzen ist nämlich so mancher Schlüssel zum Verständnis ganz anderer Texte verborgen, die scheinbar nichts mit den Gesetzen zu tun haben. Haben sie aber doch, weil manche Erzählungen erst nach oder zeitgleich mit den Gesetzen geschrieben bzw. redigiert wurden, aber trotzdem vor den Gesetzen im AT stehen. So begründen sie sich scheinbar gegenseitig.
Wichtige Beispiele dafür wären:
Die Verhandlung um den Brautpreis für Dina, Jakobs Tochter zwischen Hamor und Jakob, und das gesetzeswidrige Verhalten der Jakobsöhne Levi und Simeon:
Das mosaische Gesetz, welches die Sache mit Dina verständlich macht ist:
Ex 22,15-16 hat geschrieben:Wenn jemand ein noch nicht verlobtes Mädchen verführt und bei ihm schläft, dann soll er das Brautgeld zahlen und sie zur Frau nehmen. Weigert sich aber ihr Vater, sie ihm zu geben, dann hat er ihm so viel zu zahlen, wie der Brautpreis für eine Jungfrau beträgt.
Das führte dazu, dass diese beiden Stämme kein Land in Israel erbten. Das ist im Jakobssegen zu lesen:
Gen 49,5-7 hat geschrieben:Simeon und Levi, die Brüder, /
Werkzeuge der Gewalt sind ihre Messer.
Zu ihrem Kreis mag ich nicht gehören, /
mit ihrer Rotte vereinige sich nicht mein Herz. /
Denn in ihrem Zorn brachten sie Männer um, /
mutwillig lähmten sie Stiere.
Verflucht ihr Zorn, da er so heftig, /
verflucht ihr Grimm, da er so roh. /
Ich teile sie unter Jakob auf, /
ich zerstreue sie unter Israel.
Ähnlich verhält es sich bei Ruben, der mit der Frau seines Vaters Jakobs schlief ...
Lev 20,11 hat geschrieben:Ein Mann, der mit der Frau seines Vaters schläft, hat die Scham seines Vaters entblößt. Beide werden mit dem Tod bestraft; ihr Blut soll auf sie kommen.
... und deshalb ebenfalls im Jakobsegen enterbt wird:
Gen 49,3 hat geschrieben:Ruben, mein Erster, du meine Stärke, /
meiner Zeugungskraft Erstling, /
übermütig an Stolz, übermütig an Kraft, brodelnd wie Wasser. Der Erste sollst du nicht bleiben. /
Du bestiegst ja das Bett deines Vaters; geschändet hast du damals mein Lager.
Das Herausfallen aus der Erbfolge der Jakobsöhne 1 (Ruben), 2 (Simeon) und 3 (Levi) ist die "göttliche", weil mosaisch "gesetzestreue" Begründung für das Judentum, denn Jakobs 4. Sohn (Juda) ist so in der Erbfolge auf Platz 1 gerückt und der Haupterbe geworden.
Erst vor kurzem, am 24.12.2016, hat der Vertreter des Staates Israels im UN-Sicherheitsrat die Siedlungspolitik seines Landes mit der Bibel in der Hand zu rechtfertigen versucht und gesagt: "Man baue auf Land, das dem jüdischen Volk gehöre. Die Bibel, dieses Heilige Buch, enthält 3000 Jahre jüdischer Geschichte im Land Israel. Niemand, niemand kann diese Geschichte ändern."
Ich war wirklich überrascht, dass der restliche UN-Sicherheitsrat darauf nicht mit schallendem Gelächter geantwortet hatte. Es ist einfach absurd, mit den religiösen Legenden der Jakobsöhne und dem mosaischen Gesetz im 21. Jahrhundert Besitzrechte für ein Land einzufordern, welches seit 2000 Jahren von Andersgläubigen besiedelt ist.
Dennoch halte ich es für wichtig zu verstehen, woher das kommt, und dass die Intensionen beim Verfassen der Bibel von Anfang an schon ein Gemisch aus geistlich-reliösen und ganz profanen Aspekten war. Die von den Babyloniern enteignete und ins Exil gebrachte Elite Judas brauchte ja schließlich eine überzeugende Begründung, eine die nicht abzulehnen war, um die Herrschaft über das Land der zurückgebliebenen Leute niederen Standes wieder zu erlangen. Diese Situation ist mit der in Deutschland nach dem Fall der Mauer vergleichbar, wo es auch darum ging enteigneten Besitz wieder zurück zu bekommen. Adel und Priesterschaft nutzten fleißig die Zeit im Exil um am AT weiter zu schreiben und es gründlich zu redigieren um ihre Rückkehr vorzubereiten.
Wegen der christlich-kirchlich vorgegebenen Hermeneutik, dass das AT angeblich "geistgehaucht vom eigentlichen Autor - Gott - auf Christus hin" verfasst wurde, wird halt gerne "vergessen", dass das AT die Heilige Schrift der Juden war und ist, und diese mit Jesus als "ihrem" Messias nun mal gar nichts am Hut hatten und haben.
In Bezug auf heutige Ehe-Gesetze ist die Bibel heute auch nicht das Maß aller Dinge. Gott sei Dank.
So sehe ich das, aber was weiß ich schon?