Das Christentum und die "Bergpredigt" von Jesus

Judentum, Islam, Hinduismus, Brahmanismus, Buddhismus,
west-östliche Weisheitslehre
Ruth
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#1 Das Christentum und die "Bergpredigt" von Jesus

Beitrag von Ruth » Sa 5. Dez 2020, 14:38

In anderen Threads hatte ich schon mehrmals angedeutet, dass ich zwar quasi als Christ geboren wurde, und mein Glaube auch heute noch mehr oder weniger vom Christentum geprägt ist. Aber eigentlich möchte ich mich nicht mehr direkt zum Verfechter des Christentums zählen.

Ich glaube überhaupt nicht (mehr), dass man nur über Religionszugehörigkeit mit Gott kommunizieren und leben kann. Weil ich auch Menschen aus anderen Religionen (und solchen, die ihre eigene Religion hinterfragen) begegnet bin, an denen ich zu erkennen glaube, dass sie tatsächlich auch mit Gott leben und ähnliche Erfahrungen machen wie ich selbst.

So habe ich mich selbst mal gefragt, wieso ich überhaupt noch Merkmale aus dem Christentum (Texte aus der Bibel) benutze (?)
Meine Antwort dazu lautet: Weil ich in den biblischen Geschichten und Predigten genau diese Freiheit erkenne, Texte hinterfragen zu dürfen und die eigene Blickrichtung verändern zu lassen.

Dabei kam mir dann der typische Kritikpunkt in Diskussionen zwischen Christen untereinander, sowie mit Nichtchristen in Erinnerung: die sogenannte „Bergpredigt“ von Jesus.
Nachzulesen in Matthäus, die Kapitel 5-7


Dieser Text wird von den meisten Christen als Verschärfung der Gebote Gottes verstanden.
Von den Nichtchristen wird er darum auch gerne als Beweis gegen das Liebesgebot, zB aus Markus 12, 28-31, benutzt.

Die Texte der Bergpredigt weisen aber viel mehr darauf hin, dass es nicht in erster Linie darauf ankommt, festzustellen, ab wann das Handeln eines Menschen zur „Sünde“ erklärt werden soll … wie es hauptsächlich von Gläubigen eingeordnet wird. Sondern sie zeigen auf, dass der Ursprung zu sündigen, im Menschen selbst liegt. Dabei gilt es dann eher darum, Wege zu finden, wie man mit den Gedanken sinnvoll umgehen kann.

Ich verstehe inzwischen alle Gebote, die (angeblich) ihren Ursprung in Gott haben, sowie den Text der Bergpredigt viel mehr, von genau diesen festzementierten Mauern (Dogmen) der Geboten Abstand zu nehmen, und stattdessen den Blick auf sich selbst zu lenken…. in sich zu gehen, und darüber nachdenken, wie man sie wirksam, zum Guten hin, steuern kann.

Die Botschaft der Bergpredigt hat damit eine Schlüsselbotschaft, die in der ganzen Bibel zu finden ist:
Römer 12, 21
 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Die Texte der Bergpredigt zeigen auf, dass es nicht in erster Linie darauf ankommt, festzustellen, ab wann das Handeln eines Menschen zur „Sünde“ erklärt werden soll … wie es hauptsächlich von Gläubigen eingeordnet wird.

Genau dieses Denken haben die Pharisäer und Obersten des Volkes als Hauptsache deklariert und nach diesem .Muster Urteile über andere Menschen gesprochen ... während sie sich selbst gerne als rein und makellos darstellten.
Jesus weist hier aber darauf hin, dass der Ausgangspunkt der Taten in den Menschen selbst liegt. In dem Moment, wo ein Mensch darüber nachdenkt, dem anderen Böses zu tun (oder auch nur zu wünschen) ist das Böse geboren. Der Mensch muss dann entscheiden, ob dieser Gedanke Wurzeln schlagen kann und weiterwächst, oder ob man ihn vernichtet. Wobei das vernichten keine einmalige Angelegenheit ist, sondern immer wieder neu angeregt werden muss, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. „Überwinden“ ist da das Schlüsselwort, nicht verdrängen und vergessen.

Christen setzen besonders auf das Opfer Jesu, indem sie die eigenen Sünden auf Jesus abwälzen. Sie verdrängen im Grunde nur die Gedanken, packen diese in eine Schublade, und legen immer wieder neue oben drauf … ohne sich den eigenen Gedanken zu stellen und sie bewusst zu überwinden. Es besteht dann die Gefahr, dass diese Munition irgendwann explodiert, und dann mehr Schaden anrichtet.

Die Pharisäer damals haben ihre eigenen Fehltritte gut vor den Blicken Außenstehender verborgen. Nach Außen waren sie fromm .. was dann einfach auch als gottesfürchtig dargestellt werden sollte. Sie haben die Funktion der Richter übernommen, wonach eine Sünde (so wie sie selbst es einordneten) als Sünde behandelt und bestraft werden sollte.

Genau gegen dieses Denken hat Jesus in der Bergpredigt gepredigt.
Wenn man dieses In-sich-schauen mal eine Weile praktiziert, kann man schnell merken, das man selbst im Grunde zu allem Bösen fähig ist … zumindest vom Ansatz aus.
Angestoßen zu diesen Gedanken wurde ich persönlich u.a. auch durch ein kleines Buch, mit dem Titel: Ich bin ein Mörder“, von Jan Overduin

Ich behaupte also: Die Bergpredigt stellt nicht die Sünden in den Vordergrund, sondern regt an, den Ursprung in sich selbst zu finden und zu überwinden. Kann das jemand hier so nachvollziehen?
Ist es für dich wert, darüber mal auf diese Weise nachzudenken und anzuwenden?

Wie verstehst du die Bergpredigt? Gibt es noch eine andere Version, wie sie zu verstehen ist, als einerseits darum, den Begriff "Sünden" und dessen Folgen zu verschärfen - sowie die, dass man den Ursprung in sich selbst findet und versucht zu überwinden ?

Und noch eine Grundsatzfrage: Was zieht dich speziell zum Christentum hin ... oder was lehnst du am Christentum ab ?

Nachsatz:
Ich persönlich finde es auch wichtig, dass man alles das, was man tut, weil man denkt, dass Gott dies fordert, mit Gott bespricht und ihn bittet, den persönlichen guten Weg zum Ziel zu zeigen. Das bedeutet für mich "mit Gott leben". Und für mich hat sich das in allen Bereichen meines Lebens immer als sinnvoll und "gut" bewiesen.

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#2 Re: Das Christentum und die "Bergpredigt" von Jesus

Beitrag von ProfDrVonUndZu » Sa 5. Dez 2020, 15:18

Die Pharisäer und Schriftgelehrten hatten bereits die Gesinnung, die man heute als rechts bezeichnen würde. Der Mensch sei schlecht und müsse erzogen und in Schach gehalten werden. Das Problem : Es sind wiederum die selben Menschen, die sich zur Aufgabe machen, die Menschheit demgemäß kontrollieren zu wollen. Sie verstecken sich aber hinter ihrer Institution und machen ihre Menschlichkeit unsichtbar und stellen sie als göttlichen Willen dar. Das trifft auf jede institutionelle Vereinigung zu, da sie kritikimmunisierende Mechanismen aufbauen und sich selbst zum Maß nehmen. Das wäre so, als würde man einem Dieb oder Mörder die eigene Verurteilung oder Freisprechung überlassen.
"Viele, die leben, verdienen den Tod. Und manche, die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es ihnen geben? Dann sei auch nicht so rasch mit einem Todesurteil bei der Hand." - Gandalf in J.R.R Tolkien - Herr der Ringe, Band 1

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#3 Die andere Backe - erneute Sünde

Beitrag von Anthros » Sa 5. Dez 2020, 20:44

Haut dich einer auf eine Backe, dann halt' ihm noch die andere hin.

Sollte dem Schläger noch die andere Backe hingehalten werden, ist das eine Aufforderung an ihn, sich noch einmal an seinem Opfer zu versündigen.

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sven23
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#4 Re: Das Christentum und die "Bergpredigt" von Jesus

Beitrag von sven23 » So 6. Dez 2020, 08:56

Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Genau dieses Denken haben die Pharisäer und Obersten des Volkes als Hauptsache deklariert und nach diesem .Muster Urteile über andere Menschen gesprochen ... während sie sich selbst gerne als rein und makellos darstellten.
Hier muss man aufpassen, dass man dem negativen Image, das die Evangelisten den Pharisäern andichteten, nicht auf den Leim geht. Die Pharisäer verlangten keinen Opferkult wie die Sadduzäer, die als die eigentlichen Gegenspieler Jesu angesehen werden müssen. Mit den Pharisäern hatte Jesus viele Gemeinsamkeiten und er pflegte wohl auch freundschaflichen Umgang mit Pharisäern, die im Volk sehr beliebt waren.
Das negative Image rührt wohl daher, dass nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. die Sadduzäer keine Basis mehr hatten und nur die Pharisäer als Bewahrer des Judentums in Frage kamen. Aber mit der Vergottung eines Menschen kann sich kein gläubiger Jude einverstanden erklären. Diese ablehnende Haltung der Pharisläer gegenüber der neuen Sekte projizierten die Schreiber in die Zeit Jesu zurück. So entsteht ein verzerrtes Bild der tatsächlichen Verhältnisse. Auch ist hier der Beginn des christlichen Antijudaismus zu suchen.
Im übrigen entpuppt sich Jesus ja selbst als Schriftgelehrter, wenn er die mosaischen Gesetze noch schärfer interpretiert als der Mainstream.
Strengere Gesetzesauslegung ist immer auch ein Zeichen von Eiferertum oder sogar Fanatismus.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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sven23
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#5 Re: Das Christentum und die "Bergpredigt" von Jesus

Beitrag von sven23 » So 6. Dez 2020, 11:04

Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Dieser Text wird von den meisten Christen als Verschärfung der Gebote Gottes verstanden.

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die meisten Christen überhaupt begriffen haben, dass es hier um eine Gesetzesverschärfung geht. Auch geht die Forschung davon aus, dass es sich bei der Bergpredigt um eine weitgehend freie Eigenkomposition des Evangelisten Matthäus handelt. Markus kannte die Bergpredigt noch nicht.

Auch die Antithesen der Bergpredigt werden häufig als Beleg für das Neue angesehen,
das mit Jesus gekommen sein soll. Dabei werden in der Forschung nicht alle Antithesen
als jesuanisch angesehen, zumindest die Antithesen über das Töten, den Ehebruch und
das Schwören werden aber meist Jesus zugeschrieben. Formuliert sind sie in einer
zunächst klaren Gegenüberstellung: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist
[…]. Ich aber sage euch […].“ Nun wird aber die Formel Ich aber sage euch auch für die
rabbinische Diskussion zur Auslegung des Gesetzes gebraucht. Es wird dann damit eine
Auslegung zum Ausdruck gebracht im Sinne von:
Ihr habt gehört, daß einst [am Sinai] zu den Vorfahren [von Gott] gesagt wurde: Du sollst nicht töten […]. Ich aber
sage euch [darüber hinausgehend, aber nicht im Widerspruch dazu]: […]. Die Thora wird nicht interpretiert, nicht
kritisiert, nicht aufgehoben, sie wird transzendiert.“ (so Theißen/ Merz, Der historische Jesus, S. 325)
Rudolf Bultmann meinte in seinem Jesusbuch bereits: „Jesus hat nicht das Gesetz
bekämpft, sondern er hat es, dessen Autorität für ihn selbstverständlich war, erklärt“
(Bultmann, Jesus, S. 46). Aus der vermeintlichen Gegenüberstellung wird so eine
Interpretation, in diesem Fall eine Verstärkung des Gesagten, eine Verschärfung des
Gesetzes. Auch die Antithesen sind jüdisches Gedankengut, Jesus bewegt sich auch mit
ihnen innerhalb der Grenzen seiner Religion.

Kubitza, Der Jesuswahn
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Lena
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#6 Re: Das Christentum und die "Bergpredigt" von Jesus

Beitrag von Lena » So 6. Dez 2020, 11:56

Die Bergpredigt zeigt wie Menschen werden, die von Gott etwas erhalten haben: Den Heiligen Geist.
Unreines/Böses/Fehlverhalten - wird durch das Gewissen erkannt, bereut und überwunden. Das neue 
Leben schenkt versöhnende, liebevolle Gemeinschaft. 






 
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

Spice
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#7 Re: Das Christentum und die "Bergpredigt" von Jesus

Beitrag von Spice » So 6. Dez 2020, 12:29

Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38

Die Texte der Bergpredigt weisen aber viel mehr darauf hin, dass es nicht in erster Linie darauf ankommt, festzustellen, ab wann das Handeln eines Menschen zur „Sünde“ erklärt werden soll … wie es hauptsächlich von Gläubigen eingeordnet wird. Sondern sie zeigen auf, dass der Ursprung zu sündigen, im Menschen selbst liegt. Dabei gilt es dann eher darum, Wege zu finden, wie man mit den Gedanken sinnvoll umgehen kann.

Ich verstehe inzwischen alle Gebote, die (angeblich) ihren Ursprung in Gott haben, sowie den Text der Bergpredigt viel mehr, von genau diesen festzementierten Mauern (Dogmen) der Geboten Abstand zu nehmen, und stattdessen den Blick auf sich selbst zu lenken…. in sich zu gehen, und darüber nachdenken, wie man sie wirksam, zum Guten hin, steuern kann.

Die Botschaft der Bergpredigt hat damit eine Schlüsselbotschaft, die in der ganzen Bibel zu finden ist:
Römer 12, 21
 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Die Texte der Bergpredigt zeigen auf, dass es nicht in erster Linie darauf ankommt, festzustellen, ab wann das Handeln eines Menschen zur „Sünde“ erklärt werden soll … wie es hauptsächlich von Gläubigen eingeordnet wird.
...
Jesus weist hier aber darauf hin, dass der Ausgangspunkt der Taten in den Menschen selbst liegt. In dem Moment, wo ein Mensch darüber nachdenkt, dem anderen Böses zu tun (oder auch nur zu wünschen) ist das Böse geboren. Der Mensch muss dann entscheiden, ob dieser Gedanke Wurzeln schlagen kann und weiterwächst, oder ob man ihn vernichtet. Wobei das vernichten keine einmalige Angelegenheit ist, sondern immer wieder neu angeregt werden muss, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. „Überwinden“ ist da das Schlüsselwort, nicht verdrängen und vergessen.

Dem kann ich voll und ganz zustimmen. Es kommt darauf an, dass wir uns Verinnerlichen, d.h. aufmerksam werden auf uns selbst und so erkennen unter welchen Bedingungen welche Gedanken und Gefühle entstehen, damit wir lernen uns selbst zu leiten und nicht mehr von unbewussten Gedanken und Gefühlen beherrscht werden.
Christen setzen besonders auf das Opfer Jesu, indem sie die eigenen Sünden auf Jesus abwälzen. Sie verdrängen im Grunde nur die Gedanken, packen diese in eine Schublade, und legen immer wieder neue oben drauf … ohne sich den eigenen Gedanken zu stellen und sie bewusst zu überwinden. Es besteht dann die Gefahr, dass diese Munition irgendwann explodiert, und dann mehr Schaden anrichtet.
Das hast Du völlig richtig erkannt!

Die Pharisäer damals haben ihre eigenen Fehltritte gut vor den Blicken Außenstehender verborgen. Nach Außen waren sie fromm .. was dann einfach auch als gottesfürchtig dargestellt werden sollte. Sie haben die Funktion der Richter übernommen, wonach eine Sünde (so wie sie selbst es einordneten) als Sünde behandelt und bestraft werden sollte.

Genau gegen dieses Denken hat Jesus in der Bergpredigt gepredigt.
Wenn man dieses In-sich-schauen mal eine Weile praktiziert, kann man schnell merken, das man selbst im Grunde zu allem Bösen fähig ist … zumindest vom Ansatz aus.
Angestoßen zu diesen Gedanken wurde ich persönlich u.a. auch durch ein kleines Buch, mit dem Titel: Ich bin ein Mörder“, von Jan Overduin
So ist es!

Ich behaupte also: Die Bergpredigt stellt nicht die Sünden in den Vordergrund, sondern regt an, den Ursprung in sich selbst zu finden und zu überwinden. Kann das jemand hier so nachvollziehen?
:clap:
Ist es für dich wert, darüber mal auf diese Weise nachzudenken und anzuwenden?
Das lebe ich seit Jahrzehnten.

M.N.
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#8 Re: Das Christentum und die "Bergpredigt" von Jesus

Beitrag von M.N. » So 6. Dez 2020, 23:56

Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
In anderen Threads hatte ich schon mehrmals angedeutet, dass ich zwar quasi als Christ geboren wurde, und mein Glaube auch heute noch mehr oder weniger vom Christentum geprägt ist. Aber eigentlich möchte ich mich nicht mehr direkt zum Verfechter des Christentums zählen.
Das macht Dich für mich auch so sympathisch. Ich finde Deine ganze Art sehr angenehm; obwohl wir unterschiedliche Meinungen haben. Wollte ich nur mal gesagt haben.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Ich glaube überhaupt nicht (mehr), dass man nur über Religionszugehörigkeit mit Gott kommunizieren und leben kann.

Das Problem ist doch das Wort „Gott“, das noch nichteinmal gut definiert ist, mit einem menschlichen Glaubenssystem und/oder einer Religionzugehörigkeit zu verknüpfen. Sollte es einen „personellen“ Gott geben (von dem reden wir doch, oder?) wird er sich doch kaum in so ein menschengemachtes Glaubenssystem einsperren lassen. Du siehst dies in meinen Augen also schon richtig.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Weil ich auch Menschen aus anderen Religionen (und solchen, die ihre eigene Religion hinterfragen) begegnet bin, an denen ich zu erkennen glaube, dass sie tatsächlich auch mit Gott leben und ähnliche Erfahrungen machen wie ich selbst.

Ja, klar. Wäre anders ja auch bescheuert. Sonst müsste „Gott“ ja fast ganze Kontinente ausblenden weil sie eine ihm nicht genehme Religion ausüben. Das wäre schon armselig und nicht eines Gottes würdig.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
So habe ich mich selbst mal gefragt, wieso ich überhaupt noch Merkmale aus dem Christentum (Texte aus der Bibel) benutze (?)

In meinen Augen ist so etwas viel Gewohnheit. Was man jahrzehntelang als Heiligtum in sich getragen hat kann man nicht einfach so leicht verwerfen.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Meine Antwort dazu lautet: Weil ich in den biblischen Geschichten und Predigten genau diese Freiheit erkenne, Texte hinterfragen zu dürfen und die eigene Blickrichtung verändern zu lassen.
Es gibt zweifelsfrei viele biblische Geschichten die einem Menschen zutiefst berühren und auch verändern können. Ich zitiere immer noch im Alltag die Bibel. 
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Dabei kam mir dann der typische Kritikpunkt in Diskussionen zwischen Christen untereinander, sowie mit Nichtchristen in Erinnerung: die sogenannte „Bergpredigt“ von Jesus.

Ich habe jahrelang die Bergpredigt ausgedruckt in meinem Alltag mit mir rumgetragen und immer wieder darin gelesen. Bei wichtigen Vertragsordnern lag die Bergpredigt oben auf. Mein Ziel war im Alltag damit zu leben. Ich habe es versucht.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Dieser Text wird von den meisten Christen als Verschärfung der Gebote Gottes verstanden.
Ja, das ist wohl so zu sehen. Ich wollte damals einfach so leben wie Jesus es vermeintlich für mich vorgesehen hat. Aus Liebe zu ihm. Nicht mehr und nicht weniger.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Sondern sie zeigen auf, dass der Ursprung zu sündigen, im Menschen selbst liegt. Dabei gilt es dann eher darum, Wege zu finden, wie man mit den Gedanken sinnvoll umgehen kann.
Ja, so sehe ich das auch. Die Frage ist doch aber auch: 
a.) Was ist Sünde überhaupt. (Die biblische Antwort kenne ich; braucht mir keiner zu erklären..)
b.) Warum sind wir Menschen offensichtlich „Sündig“

Mehr will ich dazu jetzt gar nicht schreiben. Ist Dein Thread.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Ich verstehe inzwischen alle Gebote, die (angeblich) ihren Ursprung in Gott haben, sowie den Text der Bergpredigt viel mehr, von genau diesen festzementierten Mauern (Dogmen) der Geboten Abstand zu nehmen, und stattdessen den Blick auf sich selbst zu lenken…. in sich zu gehen, und darüber nachdenken, wie man sie wirksam, zum Guten hin, steuern kann.

Genau
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Genau dieses Denken haben die Pharisäer und Obersten des Volkes als Hauptsache deklariert und nach diesem .Muster Urteile über andere Menschen gesprochen ... während sie sich selbst gerne als rein und makellos darstellten.

Erinnert mich an viele heutigen Gemeinden
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Jesus weist hier aber darauf hin, dass der Ausgangspunkt der Taten in den Menschen selbst liegt.

Würde ich so pauschal nicht unterschreiben. Die Umstände dieser verkorksten Welt spielen wohl auch eine Rolle.

Überspitztes Beispiel: Ein verhungerndes Kind klaut sich etwas zum Essen. Ist das Sünde im Falle des biblisches Gesetzes der Bibel „Du sollst nicht stehlen“. = Ja, durchaus. Kann das Kind etwas dafür? Nein, natürlich nicht. Es versucht zu überleben. Diese Welt ist aber für dieses Kind so ungerecht und verkorkst dass die Schuld ausserhalb liegt. Ich sehe Gott hier in Verantwortung für Umstände zu sorgen wo diese Übertretung des Gesetzes nicht notwendig ist.

Nächstes Beispiel: Dein Haus ist umzingelt von feindlichen Soldaten im Krieg. Das Haus wird gestürmt - deine Familie akut bedroht. Du greifst zur Waffe und tötest um Deine Familie zu beschützen. Also klassisch Notwehr. Ist das Sünde im Falle des biblisches Gesetzes der Bibel „Du sollst nicht töten“. = Ja, durchaus. Kann der Täter etwas dafür? Nein, natürlich nicht. Es versucht das Überleben seiner Familie zu schützen. Diese Welt ist aber so ungerecht und verkorkst dass die Schuld ausserhalb liegt. Ich sehe Gott hier in Verantwortung für Umstände zu sorgen wo diese Übertretung des Gesetzes nicht notwendig ist.

Nächstes Beispiel: Ein Junge wurde bei einem Giftgasangriff optisch so enstellt dass er nur mehr eine „Fratze“ hat. Keine Frau dieser Welt würde solch ein Man attraktiv finden und ihn Heiraten. Dieser Junge wird ein Mann und geht in den Puff um seine Triebe auszuleben. Ist das Unzucht und dadurch Sünde?Ja, durchaus. Kann der Mann etwas dafür? Nein, natürlich nicht. Es ist dauerhaft nicht möglich seine Natur und seine Triebe zu verleugnen. Dies beweißt seit Jahrhunderten ganz erfolgreich die Katholische Kirche.I ch sehe Gott hier in Verantwortung für Umstände zu sorgen wo diese Übertretung des Gesetzes nicht notwendig ist.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
In dem Moment, wo ein Mensch darüber nachdenkt, dem anderen Böses zu tun (oder auch nur zu wünschen) ist das Böse geboren. Der Mensch muss dann entscheiden, ob dieser Gedanke Wurzeln schlagen kann und weiterwächst, oder ob man ihn vernichtet. Wobei das vernichten keine einmalige Angelegenheit ist, sondern immer wieder neu angeregt werden muss, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. „Überwinden“ ist da das Schlüsselwort, nicht verdrängen und vergessen.
Meistens kommt vor der bösen Tat der Gedanke. Aber doch auch nicht immer: Beispiel: Ein Hitzkopf erschlägt im Affekt seinen Widersacher. Verwerlich, keine Frage! Aber viel Zeit zum Denken und Wurzeln schlagen gabs ja wohl nicht, oder?
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Christen setzen besonders auf das Opfer Jesu, indem sie die eigenen Sünden auf Jesus abwälzen. Sie verdrängen im Grunde nur die Gedanken, packen diese in eine Schublade, und legen immer wieder neue oben drauf … ohne sich den eigenen Gedanken zu stellen und sie bewusst zu überwinden. Es besteht dann die Gefahr, dass diese Munition irgendwann explodiert, und dann mehr Schaden anrichtet.
So ist es.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Die Pharisäer damals haben ihre eigenen Fehltritte gut vor den Blicken Außenstehender verborgen. Nach Außen waren sie fromm .. was dann einfach auch als gottesfürchtig dargestellt werden sollte. Sie haben die Funktion der Richter übernommen, wonach eine Sünde (so wie sie selbst es einordneten) als Sünde behandelt und bestraft werden sollte.

Auch das erinnert mich an viele heutige Gemeinden.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Ich behaupte also: Die Bergpredigt stellt nicht die Sünden in den Vordergrund, sondern regt an, den Ursprung in sich selbst zu finden und zu überwinden. Kann das jemand hier so nachvollziehen?
Kann ich nachvollziehen. Obwohl ich nicht alles für richtig erachte.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Ist es für dich wert, darüber mal auf diese Weise nachzudenken und anzuwenden?
Habe mich jahrelang daran versucht. Ob ich es in der Zukunft anwenden will hängt doch entscheidend davon ab ob

a.) wer diese Forderung aufstellt (Ein altes Buch mit menschenworten oder „Gott“ selbst)
b.) die Bergpredigt ins sich logisch und stimmig ist
c.) die Bergpredigt auch wirklich umsetzbar ist. In der Realität.
d.) es müsste klar getrennt werden was unsere Aufgabe als Mensch ist und was Gott verlässlich hinzusteuert.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Wie verstehst du die Bergpredigt?

Nette Theorie. Nicht Praxiskonform.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Und noch eine Grundsatzfrage: Was zieht dich speziell zum Christentum hin ... oder was lehnst du am Christentum ab ?
Ich bin da viel emotionsloser gestrickt. Die Frage ist: Kommt das Christentum, die Bibel, die Gebote usw. von „Gott“ würde ich das
Christentum befürworten und versuchen danach zu leben. Ist es aber eine menschliche Religion ist es für mich ablehnenswert.
 
Ruth hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 14:38
Ich persönlich finde es auch wichtig, dass man alles das, was man tut, weil man denkt, dass Gott dies fordert, mit Gott bespricht und ihn bittet, den persönlichen guten Weg zum Ziel zu zeigen.

Puh, das bereitet mir echt Bauchschmerzen. Deine Aussage ist total verständlich und wohl auch eine normale Ansicht für einen gläubigen Menschen. aich habe aber in meinem Leben auch schon radikale Islamisten kennengelernt die Ihre Verbrechen auch alle mit „Gott“ besprochen haben und zutiefst überzeugt waren das Richtige zu tun und in Übereinstimmung mit Gott.

Du wirst solche Dinge nie tun; dafür bist Du ein zu guter Mensch. Aber Du verstehst meine Bedenken zu dieser generellen Aussage?














 

 
Wenn ein Gott diese Welt gemacht hat, so möchte ich nicht der Gott sein: ihr Jammer würde mir das Herz zerreißen.
(Arthur Schopenhauer)
(1788 - 1860), deutscher Philosoph
 

Helmuth
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#9 Re: Das Christentum und die "Bergpredigt" von Jesus

Beitrag von Helmuth » Mo 7. Dez 2020, 04:43

ProfDrVonUndZu hat geschrieben:
Sa 5. Dez 2020, 15:18
Die Pharisäer und Schriftgelehrten hatten bereits die Gesinnung, die man heute als rechts bezeichnen würde.
Die Meinung eines Linken? Und du meinst die sind besser?

Was die Pharisäer anbelangt, stufe ich sie weder links noch rechts ein, sondern ich würde sie schlicht als Arschlöcher bezeichnen. Und wer sich an dem Wort stößt, der nehme halt "Schlangenbrut" oder Otterngezücht", dann hat er es eben "biblisch". Das waren die Worte aus Jesu Mund und ich denke er meinte damit "Arschlöcher" wie wir das heute sagen würden. Er nannte sie auch Heuchler.

Diese SB bzw. dieses OG ist, so wie ich es sehe, statistisch recht gleichmäßig verteilt, d.h. von ganz links bis nach ganz rechts. wobei die Extremformen die sichtlich auffälligeren sind und in der Mitte verstecken sie sich nur besser mit hochtrabenden aufgeblähten Worten aufgrund ihrer Bildung, aber es ist dieselbe Heuchelei.

Jesus gab sich mit den ALn nicht weiter ab, ihnen predigte er die Bergpredgt gar nicht. Im übrigen war es keine Bergpredigt, sondern historisch war es eine Feldrede, das nur nebenbei. Wenn wir aufmerksam lesen, so erging diese Predigt auch nicht an AL sondern an seine Jünger:
Lukas 6:20 hat geschrieben: Und er hob seine Augen auf über seine Jünger und sprach: Glückselig seid ihr Armen, denn das Reich Gottes ist euer!
Er sah dabei seine Jünger an. Und ob nun Feld oder Berg, so wichtig ist das an sich ja für unsere Betrachtung nicht, aber jedenfalls berichtet auch Mt., dass er seine Jünger dabei ansprach:

Matthäus 5:2 hat geschrieben: Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
Mit "sie " meinte Mt. seine Jünger.
Der Herr steht zu mir, deshalb fürchte ich mich nicht. Was kann ein Mensch mir anhaben?
Ps 118:6

M.N.
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#10 Re: Das Christentum und die "Bergpredigt" von Jesus

Beitrag von M.N. » Mo 7. Dez 2020, 05:29

Helmuth hat geschrieben:
Mo 7. Dez 2020, 04:43
sondern ich würde sie schlicht als Arschlöcher bezeichnen.
Helmuth hat geschrieben:
Mo 7. Dez 2020, 04:43
Und wer sich an dem Wort stößt, der nehme halt "Schlangenbrut" oder Otterngezücht", dann hat er es eben "biblisch". Das waren die Worte aus Jesu Mund und ich denke er meinte damit "Arschlöcher" wie wir das heute sagen würden. Er nannte sie auch Heuchler.
Matthäus 5, 22 Ich aber sage euch:[12] Schon wer auf seinen Bruder oder seine Schwester[13] zornig ist, gehört vor Gericht. Wer zu seinem Bruder oder seiner Schwester sagt: ›Du Idiot‹, gehört vor das oberste Gericht. Und wer zu seinem Bruder oder seiner Schwester sagt: ›Geh zum Teufel‹, gehört ins Feuer der Hölle.






 
Wenn ein Gott diese Welt gemacht hat, so möchte ich nicht der Gott sein: ihr Jammer würde mir das Herz zerreißen.
(Arthur Schopenhauer)
(1788 - 1860), deutscher Philosoph
 

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