Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Das Problem ist deine extrem tendenziöse Beschreibung hier. D. h. dass wenn man annimmt, dass die Sinne einen nicht vollständig täuschen, dass das gleiche ist wie zu glauben, dass die Welt nach der menschlichen Vernunft funzt.
Du interpretierst tendenziös - das trifft es möglicherweise besser.
Formal ist es in der Tat das Gleiche - entweder so oder so - beides möglich. --- Dass es dann doch nicht das Gleiche ist, ist doch dem Bemühen etwa von Descartes geschuldet, Begründungen zu finden, warum man an das eine und nicht an das andere glaubt. - Natürlich mit menschlicher Vernunft - man hat ja nichts anderes. - Aber auch im Wissen, dass menschliche Vernunft keine Ultima Ration ist - religiös formuliert: "Der Mensch denkt, Gott lenkt".
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Aber die Erfahrung des Bewusstseins allein enthält nicht “Ich denke”.
Es sei denn, man definiert "Bewusstsein" so - und genau das tut Descartes (das Christentum übrigens plusminus ebenfalls). - Genau aus diesem Grund bettele ich doch ständig, bitteschön Begriffe zu definieren, die man benutzt - konkret: "Bewusstsein" im Sinne der KI (falls es da überhaupt eine einheitliche Definition gibt) ist etwas ganz Anderes als das christliche "Ebenbildlichkeits-Bewusstsein", das nah oder gar identisch ist mit Descartes' Cogito-Verständnis.
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
dass gefälligst die epistemologische Brücke zur Außenwelt hier, beim “absolut sicheren”, ihren Ausgangspunkt nehmen soll.
Sind wir uns einig, dass das Wort "epistemologisch" nur dann einen Sinn macht, wenn man damit das Verhältnis von Ich zu Objekt meint?
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Der Gewinn ist also “nur”, dass die totale Beliebigkeit des cartesischen Skeptizismus gezeigt wurde.
Wovon sonst als vom Ich sollte Skeptizismus ausgehen?
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Last-Thursday-Hypothese. Dabei besteht bei genauer Betrachtung kein Unterschied zum cartesischen Skeptizismus.
Bei Descartes geht es darum zu sagen "Wir können es nicht wissen" - siehe auch Russell.
Aber Descartes will das doch gar nicht so stehen lassen, sondern dieses Problem lösen, indem er einen Gottes-"Beweis" konstruiert, der natürlich keiner ist, sondern eine intelligente Glaubens-Begründung. - Aber egal wie: Was bleibt, ist, dass "wissenschaftliches Wissen" eines solchen spirituellen Unterbaus bedarf, um als "ontisch wahr" bezeichnet werden zu dürfen. - Dieser Gedanke scheint mir in heutigen Denkweisen nicht vorgesehen zu sein.
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Wie viele Vernunftbegriffe willst du denn noch einführen?
Nur insgesamt 2:
1) Menschliche Vernunft
2) Universale Vernunft
Wenn Verhaltensforscher Anlass sehen, auch von Känguruh- und Giraffen-Vernunft zu sprechen, kann ich diesbezüglich nicht mitreden.
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Zu glauben, dass Tenzin Gyatso die Wiedergeburt des XIII. Dalai Lamas ist, ist genauso Glaube wie dass Napoleon Kaiser von Frankreich war. Klar.
"Glaube" ist kein Qualitäts-Zertifikat, sondern sagt nur aus, dass etwas nicht objektiv nachweisbar ist (wobei das mit dem "objektiv" auch ein eigenes Thema wäre).
Außerdem müssten wir unterscheiden zwischen
1) in tiefster Überzeugung etwas zur Grundlage seines Lebens machen ("Ich glaube, dass positive Ergebnisse der Wissenschaft ontisch wahr sind"), oder
2) etwas vermuten ("Ich glaube, meine Bauchschmerzen kommen von der Pasta gestern")
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Es ging darum, ob es methodisch oder ontisch wahr ist, dass der Mensch nur zu methodischen Wahrheiten gelangen kann.
Es ist ein logisch ziemlich gut begründbarer Glaube, dass es ontisch wahr ist. ----- Du versuchst mich in logische Aporien zu locken.
Letztlich geht es immer wieder darum, ob menschliches Vermögen maßstäblich zur Beurteilung all dessen ist, was der Fall ist, oder nicht. - Das ist unterm Strich das Thema.
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Und auf einmal wird wieder “Hermeneutik” auf die Realität an sich bezogen!
Natürlich. - Texte sind doch "nur" Statthalter für eben diese Realität. - H. bringt die philosophische Grundhaltung zum Ausdruck, mit dem der Mensch reflektierend an ein Stück "Realität" herantritt.
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Und funktioniert die Welt nun nach der anthropozentrischen Vernunft? Anscheinend doch wieder, sonst wäre “[lässt sich ] auf intersubjektiv nachvollziehbare Weise verargumentieren” kein Kriterium auf dem richtigen Weg zu sein.
Natürlich haben wir nicht anderes als die in uns liegende Vernunft - also anthropozentrisch (das kann man sehr neutral meinen). - Und natürlich ist das Zirkeln-Lassen der Hermeneutischen Spirale ein Menschenwerk.
Aber es ist doch ein Unterschied, ob eine Hermeneutik davon ausgeht, dass methodische Ergebnisse "ontische Fakten" sind, weil man Ergebnisse selbst-gemachter MEthodiken als ontisch zertifiziert versteht, oder ob eine Hermeneutik davon ausgeht, dass unsere Vernunft-Ergebnisse nicht notwendigerweise mit einer universalen Vernunft übereinstimmen müssen. - Glaubensvorbehalt nein oder ja?
Ich könnte Dir einige Beispiele aus diesem Forum nennen, in denen methodische Ergebnisse der Geisteswissenschaften unschuldig offensiv als "Fakten" ausgegeben wurden und "Fakten" auf Nachfrage als synonym mit "Was (ontisch) der Fall ist/war" bezeichnet wurden. - Mein Thema ist also kein Potemkinsches Dorf.
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
was ist nun mit dem verlinkten Brockhaus-Artikel zur Hermeneutik: “Hermeneutik (grch.), die Wissenschaft von den Grundsätzen und Hilfsmitteln, durch die man den Sinn einer Rede oder Schrift, den der Redner oder Verfasser ursprünglich mit seinen Worten verbunden hat, aufzufinden und festzustellen vermag.” Andere Denkformatierung? Oder kann man das übergehen, da es sich nur um ein Lexikon handelt?
Aus meiner Sicht eine verengende Definition - innerhalb eines Rhetorik-Seminars ausreichen, aber philosophisch nicht. - Hier ein Zitat aus Focus, 29,3,17:
"Mit dem Theologen, Altphilologen und Philosophen Friedrich Schleiermacher (1768-1834) verändert sich die Hermeneutik in ihren Grundsätzen. Er sucht die Einheit der Hermeneutik nicht mehr in der inhaltlichen Einheit von textlichen Überlieferungen. Denn dieser Ansatz trägt immer einen dogmatischen Aspekt in sich, etwa den Glauben an die Bibel als Ganzes oder das römische Recht als Ganzes. Schleiermacher betrachtet das Verfahren des Verstehens an sich, abgelöst vom speziellen Inhalt.
Damit gründet er eine universelle Theorie des Verstehens, die sich als Kunstlehre auf die Bedingungen bezieht, derer es bedarf, um Lebensäußerungen nachzuvollziehen. Nach Schleiermacher soll Hermeneutik Missverstehen vermeiden, sowohl in schriftlichen Texten als auch in der Rede überhaupt. Damit dehnt sich der Gegenstand aus. Denn die Fremdheit, die durch die Hermeneutik überwunden werden soll, ist nun viel weiter und genereller geworden. Jedes Verstehen ist ein individueller Prozess".
Das passt zu dem, was WIR gelernt haben - und Schleiermacher&Co sind rund 200 Jahre her!
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Was genau soll denn bitte an meiner “Denkformatierung” in der westlichen Hemisphäre en vogue sein? Lass doch mal die Unterstellungen und werde konkret, wo ich “typisch modern” bin!
Du denkst puzzlehaft - bottom up. - Man macht sich ein System und rechnet es logisch hoch - und das, was rauskommt, nennt man dann "Wahrheit". - Tue ich Dir unrecht?
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Wann hat man Hermeneutik jemals so verstanden wie du, also dass sie sich auch auf die Realität außerhalb der Sphäre menschlicher Kultur bezieht?
Spätestens seit Schleiermacher, F. Schlegel und F. Ast. "Universelle Theorie des Verstehens" ist ein guter Begriff dafür.
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Da wo es um Kolumbus ging. Descartes Gottesbeweis ist für dich doch ein Irrtum, oder meinst du, der Beweis wäre schlüssig?
Er ist systemisch schlüssig, aber nicht notwendigerweise ontisch wahr. -Das heißt erneut NICHT, dass systemische Schlüsse ontisch falsch sein müssen.
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Es geht hier um die extreme Leichtfertigkeit mit der dieser angebliche Glaubensentscheid getroffen wird.
Wieso denn das? - Wenn Du bspw. Jesus nur als Mensch oder umgekehrt auch als göttlich verstehst, sind das (hoffentlich) keine leichtfertigen Glaubensentscheide, sondern jeweils - ähm - hermeneutisch gut begründbar. - Das Entscheidende: Man sollte halt wissen, dass GLAUBENS-Entscheide sind und nicht ontisches Wissen.
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Es ist bezeichnend, dass du als Analogie hier Spiele nimmst.
Denk-Systeme sind intellektuellen Spielen nicht unähnlich - man führt auf der Agora das Florett.
Claymore hat geschrieben: ↑So 1. Sep 2019, 15:31
Aber das Argument, dass die gesamte Mathematik auf Beobachtbares anwendbar ist, das ist dann doch nicht mehr ganz so einfach.
Stimmt - wie kann eine induktive Disziplin in ihren Ergebnissen mit einer deduktiven Disziplin übereinstimmen? - Aus meiner Sicht nur deshalb, weil es etwas Koordinierendes darüber gibt - nenne es universale Vernunft (die menschliche ist es bestimmt nicht).