Kosmischer Christus III
(Gottes- und Christusbilder aus der Sicht der Analytischen Psychologie C.G. Jungs)
Was frühchristliche Kirchenväter in ihrem Symbol-Denken und in der Moderne auch der Künstler Marc Chagall zu einer Einheit zusammenführten: Lebensbaum und Kreuz Christi, Schöpfung und Erlösung, Natur und Religion, das wurde durch den Psychologen C.G.Jung noch einsichtiger erhellt. Er geht aus von einer archetypischen Bilderwelt in dem persönlichen und kollektiven Unbewussten des Menschen. Ihren sichtbaren Ausdruck finden diese archetypischen Bilder häufig in Träumen, Kunstwerken und Mythen (Lebensbaum, Geburt eines Göttlichen Kindes, Himmels- und Höllenreisen, Übergänge und Überfahrten, Gottes- und Engelerscheinungen u.v.a.m.) Der Archetyp selbst kann nicht direkt vorgestellt oder gezeigt werden, sondern nur in Bildern ungenügend ausgedrückt werden.
Ein zentraler Archetypus ist das Selbst, die ursprünglich und unbewusst vorhandene und lebenslang anzustrebende Person-Mitte und Ganzheit des Menschen. Mein Selbst: mein ursprüngliches wahres Gesicht, das mich anschaut, Ursprung und Ziel meiner Individuation, meiner Mensch-Werdung.
Diese ordnende, integrative Mitte zeigt sich oft in Ganzheitssymbolen wie Kreis, Quadrat, Kreuz, Mandala, Quaternität (vier polare Richtungen und Kräfte, die vereint werden). Nach Jung (Erinnerungen 337f) bezeichnen diese figürlichen Symbole die „Ganzheit des Selbst oder veranschaulichen die Ganzheit des Seelengrundes - mythisch ausgedrückt: die Erscheinung der im Menschen inkarnierten Gottheit."
Der Archetypus des Selbst ist also ein psychologischer Ausdruck für das, was der Mensch jeweils als höchste Wirklichkeit in sich empfindet. Diese Erfahrung zum Beispiel in einem Großen Traum (vgl. Jakobs Traum von der Himmelsleiter) vollzieht sich für den Träumenden derart überraschend und überwältigend, dass er sie dem Einwirken einer numinosen Macht von außen zuschreibt, obgleich diese Ur-Bilder oder auch Ur-Worte aus seinem eigenen Innen, aus seinem tiefsten ihm bisher unbekannten Seelengrund aufgestiegen sind.
C.G. Jung verstand sich als Empiriker, nicht als Philosoph oder Theologe. Ihm ging es primär um die psychischen Bilder des Unbewussten, die das Bewusstsein transzendieren, um Bilder von Transzendenz, um Gottes-Bilder, nicht um die Real-Existenz Gottes. Er analysierte nicht den Wahrheitsgehalt von Glaubens- und Offenbarungsinhalten, sondern die Bedingungen ihres Empfangs, wie der Mensch dabei entsprechende Bilder aus seinem Unbewussten aufsteigen sieht, die er selbst nicht erdacht haben kann.
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Aber wie steht Jung zu einer objektiven Transzendenz als Grundlage der psychischen Transzendenz??
„Wenn ich nun der Ansicht bin, dass alle Aussagen über Gott in erster Linie aus der Seele hervorgehen und daher vom metaphysischen Wesen unterschieden werden müssen, so ist damit weder Gott geleugnet noch der Mensch an die Stelle Gottes gesetzt.“ (Erinnerungen 343)
„Wenn wir daher Gott als Archetypus bezeichnen, so ist über sein eigentliches Wesen nichts ausgesagt. Wir sprechen damit aber die Anerkennung aus, daß Â´Gott` in unserer dem Bewußtsein präexistenten Seele vorgemerkt (vorgeprägt) ist und daher keineswegs als Erfindung des Bewußtseins gelten kann. Er wird damit nicht nur nicht entfernt oder aufgehoben, sondern sogar in die Nähe der Erfahrbarkeit gerückt." (350)
„Wenn man annimmt, dass Gott den Seelengrund berühre und bewirke oder gar dieser sei, so sind die Archetypen sozusagen Organe (Werkzeuge) Gottes. Das Selbst ´funktioniert` wie das Christusbild. Das ist der theologische ´Christus in nobis`“. ( Erinnerungen 350)
Tiefe Erfahrungen des Selbst in archetypischen Formen und mystische Erfahrungen des göttlichen Seelengrundes sind also - empirisch oder phänomenologisch gesehen - identisch.
Quelle