"Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

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Naqual
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#71 Re: "Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

Beitrag von Naqual » Fr 12. Jul 2013, 21:57

closs hat geschrieben:
Naqual hat geschrieben:Die einzelnen Dogmen stützen sich teils gegenseitig.
Das ist wohl wahr. - Die Frage sollte aber nicht sein, ob Dogmen an sich schlecht sind, sondern welche aus welchen Gründen schlecht sind. Und da komme ich wieder auf das Thema "Zeitgeist-Denken".
Ich denke, das siehst Du genauso: Dogmen an sich sind weder gut noch schlecht, die Inhalte von Dogmen können im Einzelfall aber zum einen oder anderen neigen. Dogmen sind eigentlich eine gedankliche Hilfestellung, mit der man Erkanntes zusammenfasst. Ohne geht es gar nicht. Gefährlich wird das "Dogmatische" erst, wenn Dogmen gegen rationale Vorhaltungen von Andersdenkenden als kritikresistente Axiome normativ gesetzt werden. Oder wenn gegen Kritik ein Dogma das andere stützen darf, das kommt eben auf das Gleiche.
Das Wort "Zeitgeist" gibt es nur in der Deutschen Sprache und es mutet immer ganz lustig an, wenn man in einem englischen Text "the zeitgeist" findet. Der Zeitgeist ist nicht ganz ungefährlich, weil man ihn genausowenig merkt wie ein Schwimmer, die Strömung, in der er sich gerade befindet. Außer er fixiert seinen Blickpunkt auf einen festen Punkt außerhalb der Strömung. Ich kann Dein Beispiel mit den "heimlichen Gemeinsamkeiten" von Agnostikern und Christen gut nachvollziehen. Denn vieles merkt man selbst nicht. Zeitgeist ist meist stark verinnerlicht. Z.B. die humanistischen Werte werden heute als selbstverständlich akzeptiert, selbst von der christlichen Fraktion, die gegen den Humanismus predigt und vor diesem warnt. Und das kann manchmal zu enormen inneren Spannungen führen, wenn man Stellen im AT liest, die mit diesem eigentlich als selbstverständlich Gedachten nicht kompatibel sind. Und das ist ein Problem von nicht wenigen wirklich überzeugten Christen. Aber es wird meist nicht aktiv angegangen.
Aber es gibt noch andere Gründe, warum ich bei Dogmen skeptisch bin (auch wenn ich ihre grundsätzliche Notwendigkeit akzeptiere). Eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt hat war, wie konnte es kommen, das man mit dem christlichen Glauben in der Kirchengeschicht so schief liegen konnte, mit so vielen Gruseligkeiten? M.E. gibt es naturgemäß Wechselbeziehungen zwischen dem Geglaubtem (Dogmen) und dem konkreten Verhalten als Folge hieraus.
Und hier spielt auch ein Zeitgeist rein. Man spricht denen von damals das Christsein ab, weil ein "echter Christ" solche Dinge nicht täte. Gleichzeitig hat man dann aber die gleichen Dogmen, mit denen die proklamiert "Unechten" ihr Verhalten erst ganz rational begründen konnten und es auch so sahen. Konkretes Beispiel zu Veranschaulichung.
Wenn man glaubt, dass der falsche dogmatische Glaube in die ewige Verdammnis führt, dann ist es ein ganz rationales Verhalten (und perverserweise nicht lieblos in der Intention) wenn man Ketzer tötet die andere mit falschem Glauben in das Schrecklichste führen, das es gibt. Heute spricht "nur" der humanistische Zeitgeist dagegen, den es damals nicht gab. Man gesteht also den Leuten von damals nicht zu, dass sie in ihrem Glauben felsenfest gestanden haben und sich rational verhalten haben (wenn man die dogmatischen Grundlagen ihres Verhaltens anerkennt).


Je länger ich in christlichen Foren und mit agnostischen Denkern Kontakt habe, desto klarer wird mir, dass beide Seiten sich ähnlicher sind, als sie es selber bemerken - denn: Sowohl die säkulare als auch die christliche "Fraktion" nimmt das menschliche Individuum (als wäre das selbstverständlich) zum Maßstab der Bewertung geistiger Dinge. - Die säkulare Gesellschaft macht das sowieso und begründet dies mit der Aufklärung - insofern folgerichtig. - Die christliche Seite (bei allen Unterschieden) macht dasselbe anders: Sie setzt zwar Gott über alles und macht ihn damit zum Maßstab des Menschlichen, definiert aber subjektiv, was der objektive Gott ist (etwa über "bibeltreue" Interpretationen) - mit anderen Worten: man subjektiviert Gott, indem man sich zum Maßstab des Gottesbildes macht.
Da muss ich mir noch einmal in Ruhe Gedanken darüber machen, denn Deine Beobachtung halte ich für äußerst interessant.
Im Moment kann ich mir bloß nicht plastisch genug vorstellen, wo die pragmatische Alternative ist (also NICHT den Menschen in die Überlegungen einzubauen), vermute aber mal die Lösung ist bei Dir in einem ausgefeilten System der Unterscheidung von Sein und Dasein.
z.B. wenn Gott ständig allgegenwärtig und unendlich ist, dann haben wir aber das enorme Defizit, dass ALLES was wir erfahren nicht unendlich und nicht allgegenwärtig ist. Gott im Sein kann nun im Dasein wirken, aber alles was er wirkt, wird damit zwangsläufig endlich. Die Bezugspunkte sind immer endlich. - Jetzt nicht genau auf das Gesagte festnageln, mir geht es nur um das strukturelle Denken dahinter. Auf diese Denkart müssten wir die beiden "Pole" "Gott schafft den Menschen sich zum Bilde (nicht erfahrbar im Dasein) und "der Mensch schafft Gott" als abstrakte Überlegung aus dem Dasein, vermeiden können. Meinst Du es so in etwa oder wandere ich gedanklich in die falsche Richtung?

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Naqual
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#72 Re: "Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

Beitrag von Naqual » Fr 12. Jul 2013, 22:01

Heliaia hat geschrieben:ich bin begeistert,richtig begeistert,was du auf den letzten Seiten geschrieben hast-da fehlen einem schlicht die Worte.
So sage ich schlicht und einfach:
bravissimo!
Und danke.

Freut mich Heliaia und ebenfalls Danke für das dicke Lob. :oops:
Beachte allerdings, dass ich als "Theist" schreibe. Ich habe da so ein "Axiom", das mich nicht loslässt. .. :mrgreen:

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#73 Re: "Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

Beitrag von Heliaia » Fr 12. Jul 2013, 23:18

Naqual hat geschrieben:
Heliaia hat geschrieben:ich bin begeistert,richtig begeistert,was du auf den letzten Seiten geschrieben hast-da fehlen einem schlicht die Worte.
So sage ich schlicht und einfach:
bravissimo!
Und danke.

Freut mich Heliaia und ebenfalls Danke für das dicke Lob. :oops:
Beachte allerdings, dass ich als "Theist" schreibe. Ich habe da so ein "Axiom", das mich nicht loslässt. .. :mrgreen:
he he,noch Theist,du bist NOCH ein Theist. :mrgreen:

Dort wo du dich gerade gedanklich befindest stand ich vor nicht allzulanger Zeit auch.
Es ist als ob ich eigene Texte lesen würde.
Ich war nach meiner christlichen Phase ne zeitlang Pantheistin,am Ende jedoch führte kein Weg am Atheismus vorbei.
Es war die logischste und unvermeidbare Folge der Erkenntnisse ,die ich in den Religionen gewonnen hatte...
Ich finde deine Gedankengänge sehr tiefschürfend und wunder mich eigentlich schon immer wieder warum du noch ein Theist bist. :shock:
Aber wie auch immer,große Achtung vor deinem Wissen in Sachen Christentum und Bibel.So was liest man in Religionsforen nicht sehr oft.
MfG
H.
An individual who breaks a law that conscience tells him is unjust, and who willingly accepts the penalty of imprisonment in order to arouse the conscience of the community over its injustice, is in reality expressing the highest respect for the law

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#74 Re: "Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

Beitrag von Pluto » Sa 13. Jul 2013, 00:26

Naqual hat geschrieben:Ich denke, das siehst Du genauso: Dogmen an sich sind weder gut noch schlecht, die Inhalte von Dogmen können im Einzelfall aber zum einen oder anderen neigen. Dogmen sind eigentlich eine gedankliche Hilfestellung, mit der man Erkanntes zusammenfasst. Ohne geht es gar nicht. Gefährlich wird das "Dogmatische" erst, wenn Dogmen gegen rationale Vorhaltungen von Andersdenkenden als kritikresistente Axiome normativ gesetzt werden.
Hi Naqual,
Lass mich das Gesagte ergänzen...

Umgangssprachlich werden Dogmen oft negativ ausgelegt, weil sie als Kritikresistent und normativ angesehen werden. Deshalb bin ich froh, dass du auch und gerade das Positive an Dogmen hervorhebst.

Dogmen sind für mich Wertevorstellungen an denen man festhält. Jeder Mensch hat Dogmen; so auch ich.
Meine Dogmen sind Dinge wie Gerechtigkeit, Wahrheit, körperliche Unversehrtheit, Nächstenliebe, Verlässlichkeit...

Allerdings sind Axiome und Dogmen zwei "Paar Schuhe", die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der grosse Unterschied liegt in der Falsifizierbarkeit. Ein Dogma ist eine reine Werteäusserung, an die ohne Begründung festgehalten wird, während ein Axiom eine falsifizierbare Annahme ist, die jederzeit widerlegbar ist.

Z. Bsp. ist eines meiner Axiome die Annahme, dass wir Sinnvolle Modelle der Welt erstellen können, deren Aussagen sich überprüfen lassen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#75 Re: "Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

Beitrag von closs » Sa 13. Jul 2013, 01:36

@Naqual:
zunächst mal vielen Dank für Deine klugen Kommentare.

Naqual hat geschrieben:M.E. gibt es naturgemäß Wechselbeziehungen zwischen dem Geglaubtem (Dogmen) und dem konkreten Verhalten als Folge hieraus.
Nein - leider nicht. - Mir sind im AT massenweise Szenen aufgefallen, bei denen die Botschaft (hier Dogma) und der Bote (hier Kirche) völlig autonom zueinander waren. - Blöderweise wird dies aufgrund der exegetischen Setzung (oder soll ich Dogma sagen?), die herausgehobene heilsgeschichtliche Rolle einer Person koinzident mit deren persönlichem Charakter resp. Erkenntnisstand zu sehen, ignoriert.

Naqual hat geschrieben: Der Zeitgeist ist nicht ganz ungefährlich, weil man ihn genausowenig merkt wie ein Schwimmer, die Strömung, in der er sich gerade befindet.
DAs ist meines Erachtens das allergrößte Problem bei christlichen Glaubensgemeinschaften - sie erkennen nicht, dass die Strömung immer eine Daseins-Strömung ist.

Naqual hat geschrieben: Außer er fixiert seinen Blickpunkt auf einen festen Punkt außerhalb der Strömung.
Genau das wäre die Voraussetzung, bevor man die Bibel überhaupt aufschlägt.

Naqual hat geschrieben: Man gesteht also den Leuten von damals nicht zu, dass sie in ihrem Glauben felsenfest gestanden haben und sich rational verhalten haben
Der Komparativ ist immer satanisch - insofern kann es nicht angehen, dass man die persönliche (!) Heilsfähigkeit eines Menschen zu allen Zeiten beurteilt.

Naqual hat geschrieben: Gott im Sein kann nun im Dasein wirken, aber alles was er wirkt, wird damit zwangsläufig endlich. Die Bezugspunkte sind immer endlich. -
Exakt - jetzt sind wir mitten in der Ontologie Heideggers. - Man muss (göttliches) Sein und (menschliches) Dasein prinzipiell trennen. - Das Problem ist nun tatsächlich, wie der Mensch mit seiner daseins-beschränkten Wahrnehmung über seins-unbeschränkte Realität sprechen kann - weil er ja auch darüber nur beschränkt sprechen kann. - Die Lösung liegt in der Hermeneutik insofern, dass man den (im Dasein unbesteigbaren) Erkenntnis-Berg trotzdem angeht und mit jedem Stück Teil-Aufstieg die Route überprüft. - Man schaut ("speculatio") den Berg immer besser, sieht aber, dass sein Gipfel unerreichbar bleibt. - Insofern gilt für Spiritualität tatsächlich das, was man unter "Der Weg ist das Ziel" versteht. - Die ontologische Differenz zwischen Sein und Dasein gibt es erst mit dem Tod.

Deswegen ist doch Jesu Tod das Leben - weil damit die ontologische Differenz aufgehoben wird. - Und diese Differenz kann nur von Gott aufgehoben werden (top-down), weshalb ich Trinitarier bin, also Gott in Jesus am Kreuz sehe. - Der Mensch kann deshalb diese Differenz nicht aufheben, weil er seine Daseins-Wurzeln selbst nie abstreifen kann - er schafft es also nie, "character" und "actor" absolut koinzident zu bringen. - Aber ich seh schon - jetzt wird's zu kryptisch. :)

Martinus
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#76 Re: "Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

Beitrag von Martinus » Sa 13. Jul 2013, 07:58

closs hat geschrieben:
Naqual hat geschrieben: Der Zeitgeist ist nicht ganz ungefährlich, weil man ihn genausowenig merkt wie ein Schwimmer, die Strömung, in der er sich gerade befindet.
DAs ist meines Erachtens das allergrößte Problem bei christlichen Glaubensgemeinschaften - sie erkennen nicht, dass die Strömung immer eine Daseins-Strömung ist.


Liebe Freunde der vielen Worte und langen Beiträge, für Christen gilt: wer die Strömung nicht bemerkt schwimmt in die falsche Richtung.
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#77 Re: "Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

Beitrag von closs » Sa 13. Jul 2013, 08:37

Martinus hat geschrieben:für Christen gilt: wer die Strömung nicht bemerkt schwimmt in die falsche Richtung.
Aber genau das tun doch die Glaubensgemeinschaften in aller Regel. Sie deuten die Bibel nach ihrem Gusto und merken dabei die Strömung nicht, die sie es so tun lässt.

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#78 Re: "Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

Beitrag von Martinus » Sa 13. Jul 2013, 08:49

closs hat geschrieben: Aber genau das tun doch die Glaubensgemeinschaften in aller Regel.
Richtig, in aller Regel. Und doch muss es Ausnahmen geben. "Christen" die es anders machen, die gegen den Strom schwimmen, muss es geben. Diese Info gab Jesus schon vor 2000 Jahren.
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#79 Re: "Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

Beitrag von sven23 » Sa 13. Jul 2013, 08:53

closs hat geschrieben:
Martinus hat geschrieben:für Christen gilt: wer die Strömung nicht bemerkt schwimmt in die falsche Richtung.
Aber genau das tun doch die Glaubensgemeinschaften in aller Regel. Sie deuten die Bibel nach ihrem Gusto und merken dabei die Strömung nicht, die sie es so tun lässt.

Und wer sagt, welche Strömungsrichtung die "richtige" ist?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#80 Re: "Only Jesus" oder: Gleichberechtigung aller Religionen?

Beitrag von Martinus » Sa 13. Jul 2013, 09:03

sven23 hat geschrieben:
Und wer sagt, welche Strömungsrichtung die "richtige" ist?

das sollte grundsätzlich der Schwimmer bemerken. Wer schon mal gegen den Strom geschwommen ist, kennt das Gefühl.
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