Gott (Natur) hat die Genitalien bei allen Lebewesen geschaffen.
Er hat das getan, damit diese nach natürlichen, göttlichen Gesetzen funktionieren.
Deshalb ist es weder Sakrileg noch Blasphemie, dem Verkünder Gottes auf Erden ein natürliches, göttliches Liebesleben zuzuschreiben.
Dieses ist im Gegenteil die Verwurzelung Gottes in der reinsten Tiefe des Menschen.
Diese Tiefe existiert im Leben von Anfang an.
Die Fortpflanzungsfunktion kommt erst in der Pubertät zur Genitalität hinzu.
Die göttliche, genitale Liebe ist schon lange vor der Fortpflanzungsfunktion da; deshalb wurde auch die genitale Umarmung von der Natur bzw. von Gott nicht nur zum Zweck der Fortpflanzung geschaffen."
Wilhelm Reich, aus dem Vorwort des "Christusmord"
Dazu ein Kommentar von Jürgen Fischer:
"Christusmord ist "den Kindern der Zukunft" gewidmet, denn in jeder Generation, in jedem neuen Menschenleben wird Christus wiedergeboren, ist die Chance gegeben, daß das natürliche Leben nicht gebrochen wird. Die "Kinder der Zukunft" ist Reichs Vision einer neuen Kultur des Menschen, in denen die Gesetze des Lebendigen regieren. Reich sah keine Chance darin, daß unsere menschliche Gesellschaft durch noch so geschickte Therapie Einzelner oder durch politische Veränderung reformierbar wäre. Alle Versuche in unserer Geschichte in dieser Richtung sind gescheitert und oft haben sie die Situation verschlimmert. Und der erste Schritt in die Richtung dieser neuen Kultur ist die Erkenntnis der Situation, die wir vorfinden, die Erkenntnis der Bedingungen, die das natürliche Leben behindern. Nur indem diese Mechanismen aufgedeckt und benannt werden, können die Menschen langfristig lernen sie auszuschalten. Deshalb richtet sich der Blick des Buches nicht auf die Schönheit, Anmut und den natürlichen Liebreiz des lebendigen Lebens in der ersten Schicht. Das Buch erscheint in der Reihe "Die emotionelle Pest der Menschheit". Es deckt auf, klärt auf, erschreckt, es reißt der emotionellen Pest die Maske herunter und es ist deshalb ein durch und durch revolutionäres Buch.
Ob Reichs Gedanken visionär sind oder unrealistisch ist nicht von belang. Sollte es in der Zukunft der Menschheit jemals gelingen, eine natürliche, auf Liebe, Arbeit und Wissen gegründete Gesellschaft aufzubauen, wird sie genau mit den Mechanismen zu kämpfen haben, die Reich im Christusmord beschreibt. So wie jeder Mensch tagtäglich vor der Entscheidung steht, das Lebendige in sich in seinen Kindern und in seiner Umwelt zu schützen oder zu zerstören, so steht auch unsere menschliche Kultur ständig in diesem Entscheidungskonflikt. Es geht hier nicht darum, ob der Standpunkt der Grünen oder der SPD oder der CSU unterstützt wird, es geht nicht um Atommüll oder um Gewässerverschmutzung oder Arbeitslosigkeit. All das sind banale Nebenkriegsschauplätze verglichen mit der täglichen Konfrontation des Lebendigen mit der emotionellen Pest.
Der spirituelle Wilhelm Reich
Wilhelm Reich wird zurecht nachgesagt, ein zutiefst antireligiöser Mensch gewesen zu sein. Die Religion hat die Menschheit jahrtausendlang tiefer und tiefer in das emotionelle Elend hineingetrieben, bis es unsere heutige Kultur erstmals geschafft hat, ein Wertesystem aufzubauen, das sich - zumindest theoretisch - auf rationale Erkenntnis bezieht. Erstmals wagen Menschen öffentlich, sich die Grundfragen menschlicher Existenz zu stellen, ohne auf die vorgefertigten Dogmen von Priestern angewiesen zu sein. Doch die Trennung von Wissenschaft und Religion hatte ihre Schattenseiten, da sich die Menschen gleichzeitig von ihrer spirituellen Basis entfernten.
Reich stellt im Christusmord nicht mehr die Existenz Gottes in Frage wie er es in früheren Schriften tat. Reich beschreibt Gott als die schöpferische Kraft im Universum, die er Orgon nennt. Diese Energie ist nicht nur ein physikalischer Zustand, es ist die ordnende, lebendigen, intelligente Kraft in der Natur. Und es gibt für Reich keine unbelebte Natur.
Das Problem liegt wieder in der Struktur der Menschen, die in der dritten Schicht von ihren eigenen Grundlagen - von Gott - getrennt leben. Was Menschen in der dritten Schicht Gott nennen, ist ein Spiegel ihrer eigenen verzerrten Identität: der grausame Gott, flügelflatternde Engel, der grinsende Buddha - es sind Zerrbilder emotioneller Verstümmelung. Doch es ist jedem Menschen gegeben, Gott direkt zu erfahren, indem der ursprüngliche Kern wieder freigelegt und gelebt wird. Diese gnostische Erfahrung, die Reich auch in den Lehren der großen Religionsstifter wiedergefunden hat, liegt als Möglichkeit in jedem Menschen. Sie sieht nur vom Standpunkt des Lebendigen ganz und gar anders aus, als in der dritten Schicht.
Reich schwärmt nicht von Gott, singt keine Choräle und schreibt nicht darüber, ob und was er betet. Aber Reich hat gebetet, auch wenn er das nie explizit behauptet hat. Er hat seinem Sohn die "Betenden Hände" von Dürer als Postkarte hinterlassen mit der Aufschrift: "Für Pete, damit er danach betet:" Wer Reichs Leben und die überaus große Ehrlichkeit kennt, die er seinen Kindern entgegengebracht hat, weiß, daß er ihm diese Zeilen nie geschrieben hätte, hätte er nicht selber mit seiner ganzen Existenz dahintergestanden.
Reich hat also nicht an "die Orgonenergie" geglaubt, einen Kunstbegriff, ein Wort, das beliebig austauschbar ist. Er wußte, was Gott ist, er hat ihn erfahren, hat ein im besten Sinne spirituelles Leben geführt, auch wenn das für heutige Menschen, die Spiritualität als ein bestimmtes Verhalten mißverstehen, kaum nachvollziehbar ist.
Der Christusmord ist ein weitgehend unverstandenes Buch, gerade bei den Reichianern. Das Buch ist eine gründliche Absage an jedes "Reichianertum" und an jede Religion, und es ist ein Plädoyer für die direkte Erfahrung Gottes."
Quelle
