Die Bibel, im Wandel der Zeit

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sven23
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#71 Re: Die Bibel, im Wandel der Zeit

Beitrag von sven23 » Fr 26. Jun 2020, 18:07

Naqual hat geschrieben:
Mo 22. Jun 2020, 17:46
sven23 hat geschrieben:
So 21. Jun 2020, 06:34
R.F. hat geschrieben:
Sa 20. Jun 2020, 14:11
Gemessen an Gottes Gerechtigkeit sind alle Menschen Lügner, auch Paulus.
Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass Paulus Lüge gut heißt. Das tut übrigens keiner der Verfasser der Schriften des Neuen Bundes.

Wenn die Lüge der Verherrlichung Gottes dient, ist sie ja keine Sünde. Wer dennoch behauptet, sie sei Sünde, der soll verdammt sein, meint Pinocchio, äh Paulus.

R.F hat an dieser Stelle mit dem Verweis auf die Einheitsübersetzung schon Recht. Paulus schreibt eben nicht von seiner "Lüge", sondern von der "Unwahrheit/Falsche Aussage.
Na ja, ist das nicht dasselbe?
Manche Theologen versuchen ja, diese Stelle zu retten, indem sie hier eine Prosopopoeia annehmen. Die Sache hat nur einen Haken: es fehlt die rethorische Markierung.
Wie auch immer, zumindest zeigt diese Stelle, dass es Vorwürfe an Paulus und seine Anhänger gab, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen.
Man darf ja auch annehmen, dass die Vorwürfe nicht ganz unberechtigt waren.


 
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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Naqual
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#72 Re: Die Bibel, im Wandel der Zeit

Beitrag von Naqual » Mo 29. Jun 2020, 18:02

sven23 hat geschrieben:
Fr 26. Jun 2020, 18:07
Naqual hat geschrieben:
Mo 22. Jun 2020, 17:46
R.F hat an dieser Stelle mit dem Verweis auf die Einheitsübersetzung schon Recht. Paulus schreibt eben nicht von seiner "Lüge", sondern von der "Unwahrheit/Falsche Aussage.
Na ja, ist das nicht dasselbe?
Manche Theologen versuchen ja, diese Stelle zu retten, indem sie hier eine Prosopopoeia annehmen. Die Sache hat nur einen Haken: es fehlt die rethorische Markierung.
Das griechische Wort ist umfassend und bedeutet Lüge, Unwahrheit, falsche Äußerung. Lüge ist hier eine kleine Teilmenge, Lüge ist vorsätzliches Erzählen von Unwahrheit. Also ich würde hier einen großen Unterscheid sehen und nicht dasselbe. Eben wegen dem Vorsatz. Eine Rethorische Markierung bedarf es nicht, da diese bereits in Rm 3,8 steht:
wie wir verlästert werden und einige behaupten, dass wir sagen: Lasst uns Böses tun, damit Gutes daraus komme? Deren Verdammnis geschieht zu Recht.
Also Paulus führt hier aus, dass die Absicht (des Bösen, z.B. des Lügen) zu Recht zur Verdammnis führt. Und es in Bezug auf ihn und die seinen nur Behauptungen sind. Noch deutlicher kann man es eigentlich schon nicht mehr schreiben. Insofern ist es m.E. eindeutig, dass Paulus vorher nur gemeint haben kann, dass wenn er mit einer unabsichtlichen Unwahrheit Gott verherrlicht, ihm das nicht zum Nachteil (Gottes Strafe) gereichen kann.

Wie auch immer, zumindest zeigt diese Stelle, dass es Vorwürfe an Paulus und seine Anhänger gab, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen.
Man darf ja auch annehmen, dass die Vorwürfe nicht ganz unberechtigt waren.
Jeder, der von irgendeinem Glaube spricht und vertritt, wird Gegner haben, die ihm streitig machen die Wahrheit zu sagen. Insbesondere wenn sie einen anderen Glauben haben. Das kann man dann - von dieser Bibelstelle ausgehend -nicht verwenden um Paulus in Bezug auf Wahrheit madig zu machen.

Gleichwohl gehe ich davon aus, dass die Vorwürfe an den Paulus berechtigt sind. Er wird sicher (auch) die Unwahrheit gesagt haben. Es gibt viele Punkte seiner speziellen Theologie, die man nicht nachvollziehen muss und die bereits von den Christen der ersten Stunde moniert wurden (siehe: Jakobus in seinem Brief).
Deswegen ist es auch hoch interessant, z.B. die Evangelien zu lesen ohne Dogmen, die auf Paulus aufbauen. Genauso wie es interessant ist, das AT zu lesen ohne es mit den Dogmen des NT zu interpretieren. (Das folgende Beispiel würde jetzt in den Trinitarier-Thread passen, der gerade läuft: Warum gibt es im AT keine jüdische Lehre der Zweieinigkeit (nachdem Jesus noch nicht ein Erscheinung getreten war. Die Zweieinigkeit hätte ja da sein müssen, oder die Autoren des ATs haben es echt nicht "gerafft". Oder? Ich bin für oder. )

"Die Bibel im Wandel der Zeit" ist dann auch insofern interessant, weil sie während ihre Teile geschrieben wurden, ideologische bzw. dogmatische "Weiter-"Entwicklungen stattgefunden haben. Im AT z.B. wird die Opfer-Theologie bei den späteren Propheten erheblich weiterentwickelt. Es gibt hier aber hunderte von Beispielen. Interessantweise wird aber die 2000 Jahre alte Bibel so behandelt, als ob es nach ihrer "Fertigstellung", keine weiteren Entwicklungen hat geben dürfen und die damals von Gott umfassend inspiriert waren. Dabei kann man aus der Bibel selbst nachweisen, dass dies nicht so war.

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sven23
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#73 Re: Die Bibel, im Wandel der Zeit

Beitrag von sven23 » Sa 4. Jul 2020, 08:53

Naqual hat geschrieben:
Mo 29. Jun 2020, 18:02
Das griechische Wort ist umfassend und bedeutet Lüge, Unwahrheit, falsche Äußerung. Lüge ist hier eine kleine Teilmenge, Lüge ist vorsätzliches Erzählen von Unwahrheit. Also ich würde hier einen großen Unterscheid sehen und nicht dasselbe. Eben wegen dem Vorsatz. Eine Rethorische Markierung bedarf es nicht, da diese bereits in Rm 3,8 steht:
wie wir verlästert werden und einige behaupten, dass wir sagen: Lasst uns Böses tun, damit Gutes daraus komme? Deren Verdammnis geschieht zu Recht.
Also Paulus führt hier aus, dass die Absicht (des Bösen, z.B. des Lügen) zu Recht zur Verdammnis führt. Und es in Bezug auf ihn und die seinen nur Behauptungen sind. Noch deutlicher kann man es eigentlich schon nicht mehr schreiben. Insofern ist es m.E. eindeutig, dass Paulus vorher nur gemeint haben kann, dass wenn er mit einer unabsichtlichen Unwahrheit Gott verherrlicht, ihm das nicht zum Nachteil (Gottes Strafe) gereichen kann.

Ich denke nicht, dass es Paulus um die unabsichtliche Unwahrheit geht, sondern um die Lüge, also die absichtliche Unwahrheit, die ja einiges Zeilen vorher explizit von Paulus thematisiert wird. (Alle Menschen lügen...)
Von Juden und Muslimen wird diese Stelle schon immer als Beleg angesehen, dass Paulus zugibt, zu lügen.
Wie gesagt, versuchen manche Theologen Paulus in Schutz zu nehmen, indem sie hier eine Prosopopoeia annehmen, das heißt, Paulus hätte hier nicht von sich selbst gesprochen, sondern allgemein. Dafür müßte man aber von stilistischer Schlampigkeit ausgehen, denn es fehlt die rethorische Markierung. Man muss aber Römer 3, 7-8 im Zusammenhang lesen.

Wenn aber die Wahrheit Gottes durch meine Lüge herrlicher wurde zu seiner Ehre, warum sollte ich dann noch als ein Sünder gerichtet werden? 8 Und ist es etwa so, wie wir verlästert werden und einige behaupten, dass wir sagen: Lasst uns Böses tun, damit Gutes daraus komme? Deren Verdammnis geschieht zu Recht.

Paulus betrachtet die Lüge nicht als Sünde oder Böses, wenn sie einem höheren Ziel, der Verherrlichung Gottes, dient. Wer dennoch behauptet, solche Lügen seien Sünde oder Böses, der soll zu Recht verdammt sein.

Man kann natürlich fragen, warum ein intelligenter Kopf wie Paulus offen zugeben soll, dass er lügt.
Der Minimalkonsens in der Forschung scheint zu sein, dass es nicht mehr entscheidbar ist, ob Paulus von sich selbst spricht oder im allgemeinen. Jedenfalls ist aber eine gewisse Nachsicht mit der Lüge ablesbar, wenn sie der Verherrlichung Gottes dient.
 
Naqual hat geschrieben:
Mo 29. Jun 2020, 18:02
Interessantweise wird aber die 2000 Jahre alte Bibel so behandelt, als ob es nach ihrer "Fertigstellung", keine weiteren Entwicklungen hat geben dürfen und die damals von Gott umfassend inspiriert waren. Dabei kann man aus der Bibel selbst nachweisen, dass dies nicht so war.
Manche bezeichnen ja die Behauptung, die Bibel sei göttlich inspiriert und irrtumsfrei, als den eigentlichen Sündenfall der Kirche.
Nun sah sich die Kirche gezwungen, Abweichler von der offiziellen Lehre zu bekämpfen. Ketzerverfolgung und Inquisition waren die logische Konsequenz.
Aber sind die heutigen Zeiten um so viel besser? Es wird zwar niemand mehr verfolgt, weil die Glaubensfreiheit verfassungmäßig garantiert ist, aber die Forschungsergebnisse prallen an der Kirche ab wie Wasser an einem Lotusblatt.
Man mag eigentlich gar nicht glauben, dass Konzelmanns Satz immer noch so aktuell ist.

"Die Kirche lebt faktisch davon, daß die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung in ihr nicht publik sind"
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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