#1 Neue Ethik?
Verfasst: So 31. Jan 2016, 10:22
Vielfach wir im Zusammenhang mit Jesu Ethik von einem Paradigmenwechsel gesprochen. Aber war diese Ethik wirklich so neu und vor allem: war sie praktikabel?
Sicher war Jesus einerseits wie viele andere zeitgenössischen jüdischen Sekten für eine Thoraverschärfung, andererseits wollte er Regeln lockern.
"Hat Jesus also eine neue Ethik gebracht? Man wird dies eher (mit Bultmann und
anderen) verneinen müssen, trotz aller Fragezeichen, die die Überlieferungsgeschichte in
den Weg stellt. Jesu Ethik lässt sich aus dem Judentum und aus seiner Umwelt herleiten.
Dies gilt ausdrücklich auch für das Liebesgebot. Dass er in Einzelfragen eine andere
Meinung hatte als die jüdische Tradition, ändert daran nichts. Seine offenbare Ablehnung
der Ehescheidung (Matthäus schränkt schon ein „außer im Falle von Unzucht“), seine
grundsätzliche Ablehnung des Eides, seine höhere Achtung Frauen gegenüber und
Kindern (wenn uns hier die Überlieferung nicht auch wieder einen Streich spielt),
freundliche Züge sicherlich, sind kaum geeignet eine neue Ethik zu begründen. Seine
Warnung vor Reichtum und die Aufforderung, Schätze zu sammeln, die nicht von Rost
und Motten gefressen werden, haben ebenfalls keinen wirklichen Neuigkeitswert,...
...
Wenn er keine neue Ethik gebracht hat, so hat er zumindest ethische Verwirrung
gestiftet, wie vor allem an der Bergpredigt Mt 5–7 und der Frage, wie diese zu verstehen
sei, deutlich wird. Die radikalen Forderungen Jesu (sofern er sie im Einzelfall denn
wirklich so vertreten hat) haben früh zur Frage geführt, wie diese denn gelebt werden
können. Man sah sie bald als den Mönchen vorbehalten an, während für die einfachen
Gläubigen auch eine Sittlichkeit auf niedrigerer Stufe akzeptabel war. Als eine allgemein
verbindliche Grundlage einer öffentlichen Ordnung haben auch große Teile des
Protestantismus, vor allem des Luthertums, die Bergpredigt nicht gesehen, bestenfalls als
Richtschnur für den einzelnen Gläubigen. Dieses Denken setzte sich fort in der
Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Auch hier steht im
Hintergrund die Meinung, dass die Bergpredigt nicht praktikabel ist. Ein schöner Vogel,
der aber nicht fliegen kann, zur Erbauung geeignet, aber zum Aufbau eines
Gemeinwesens nicht zu gebrauchen. Die eleganteste Lösung ist hier vielleicht das
Verständnis der Bergpredigt als Interimsethik, so vertreten z. B. von Albert Schweitzer.
Demnach sei die Bergpredigt gar kein allgemeines Gesetz, sondern von Jesus nur
vorgesehen für die kurze Zeit bis zur Aufrichtung und Ankunft des Gottesreiches, eine
Ethik für zwischendurch, eben Interimsethik. Jesus habe gar keine allgemeinen Regeln
geben wollen, warum auch, wenn der neue Äon, das Reich Gottes unmittelbar bevorstand.
Und dass dies so sei, war für Jesus eine ausgemachte Sache."
Kubitza, Jesuswahn (farbliche Hervorhebung von mir)
Als Fazit kann man sagen: die Ethik war so neu nicht und sie war nicht widerspruchsfrei. Als Interimsethik ist sie vielleicht noch am verständlichsten, weil sie nicht geeignet ist, ein komplexes Gemein- oder Staatswesen auf Dauer zu tragen.
Sicher war Jesus einerseits wie viele andere zeitgenössischen jüdischen Sekten für eine Thoraverschärfung, andererseits wollte er Regeln lockern.
"Hat Jesus also eine neue Ethik gebracht? Man wird dies eher (mit Bultmann und
anderen) verneinen müssen, trotz aller Fragezeichen, die die Überlieferungsgeschichte in
den Weg stellt. Jesu Ethik lässt sich aus dem Judentum und aus seiner Umwelt herleiten.
Dies gilt ausdrücklich auch für das Liebesgebot. Dass er in Einzelfragen eine andere
Meinung hatte als die jüdische Tradition, ändert daran nichts. Seine offenbare Ablehnung
der Ehescheidung (Matthäus schränkt schon ein „außer im Falle von Unzucht“), seine
grundsätzliche Ablehnung des Eides, seine höhere Achtung Frauen gegenüber und
Kindern (wenn uns hier die Überlieferung nicht auch wieder einen Streich spielt),
freundliche Züge sicherlich, sind kaum geeignet eine neue Ethik zu begründen. Seine
Warnung vor Reichtum und die Aufforderung, Schätze zu sammeln, die nicht von Rost
und Motten gefressen werden, haben ebenfalls keinen wirklichen Neuigkeitswert,...
...
Wenn er keine neue Ethik gebracht hat, so hat er zumindest ethische Verwirrung
gestiftet, wie vor allem an der Bergpredigt Mt 5–7 und der Frage, wie diese zu verstehen
sei, deutlich wird. Die radikalen Forderungen Jesu (sofern er sie im Einzelfall denn
wirklich so vertreten hat) haben früh zur Frage geführt, wie diese denn gelebt werden
können. Man sah sie bald als den Mönchen vorbehalten an, während für die einfachen
Gläubigen auch eine Sittlichkeit auf niedrigerer Stufe akzeptabel war. Als eine allgemein
verbindliche Grundlage einer öffentlichen Ordnung haben auch große Teile des
Protestantismus, vor allem des Luthertums, die Bergpredigt nicht gesehen, bestenfalls als
Richtschnur für den einzelnen Gläubigen. Dieses Denken setzte sich fort in der
Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Auch hier steht im
Hintergrund die Meinung, dass die Bergpredigt nicht praktikabel ist. Ein schöner Vogel,
der aber nicht fliegen kann, zur Erbauung geeignet, aber zum Aufbau eines
Gemeinwesens nicht zu gebrauchen. Die eleganteste Lösung ist hier vielleicht das
Verständnis der Bergpredigt als Interimsethik, so vertreten z. B. von Albert Schweitzer.
Demnach sei die Bergpredigt gar kein allgemeines Gesetz, sondern von Jesus nur
vorgesehen für die kurze Zeit bis zur Aufrichtung und Ankunft des Gottesreiches, eine
Ethik für zwischendurch, eben Interimsethik. Jesus habe gar keine allgemeinen Regeln
geben wollen, warum auch, wenn der neue Äon, das Reich Gottes unmittelbar bevorstand.
Und dass dies so sei, war für Jesus eine ausgemachte Sache."
Kubitza, Jesuswahn (farbliche Hervorhebung von mir)
Als Fazit kann man sagen: die Ethik war so neu nicht und sie war nicht widerspruchsfrei. Als Interimsethik ist sie vielleicht noch am verständlichsten, weil sie nicht geeignet ist, ein komplexes Gemein- oder Staatswesen auf Dauer zu tragen.