Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

2Lena
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#961 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von 2Lena » Sa 8. Aug 2015, 07:37

Sven23 hat geschrieben:Das erinnert irgendwie an die Situation bei der Homöopathie: Man tut so, als respektiere man ...
Ein guter Vergleich. Bei BEIDEM fehlt dir und den Meisten ein Stückchen Wissen, und schon werden die "Ergebnisse" etwas schief.

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Savonlinna
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#962 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Savonlinna » Sa 8. Aug 2015, 08:01

sven23 hat geschrieben:Er hält sich aber nicht an die Ergebnisse der HKM.
"Vielmehr müssten die Vertreter der historischen Methode lernen, die biblischen Texte mit einer inneren Offenheit für Größeres zu lesen. Dann öffneten sie sich, und Jesus werde als glaubwürdige Gestalt sichtbar."
Also man muß nur daran glauben, dann wird Jesus glaubwürdiger. :lol:
Ich selber bin ja nun jemand, der nie in seinem Leben hat gläubig sein können. Dennoch sehe ich keinen Grund, mich über die, die glauben, zu amüsieren.

Was Du hier zitiert hast, zeigt allerdings, was auch innerhalb der Literaturwissenschaft gilt: die historisch-kritische Methode ist auch für das Lesen von Literatur nicht alles.
Es ist also völlig normal und nichts zum Kiechern, wenn man sich beim Lesen von - sage ich mal Franz Kafka - "öffnet" für das, was größer ist als die Tatsache, dass Kafka einen Vaterkomplex gehabt hat. Darüber habe ich weiter oben etwas zitiert von einem Literaturwissenschaftler.
Ich sähe es im Gegenteil als bedauernswert an, wenn ein Leser außer den Ergebnissen der historisch-kritischen Methode nichts erfassen kann.

Insofern ist Dein Schluss, dass man sich nicht an die Ergebnisse der HKM halte, wenn man außerdem sich anderem öffne, nicht korrekt. Das wird Dir jeder Literaturwissenschaftler bestätigen.
Ich zitiere darum noch einmal, was ich weiter oben schon zitiert habe:

Reiner Stach hat geschrieben:Das heißt: Zu wissen, aus welchen konkreten Lebenserfahrungen Kafka bestimmte Bilder und Ideen bezieht, ist auf der Ebene der Bedeutung wie auch der unmittelbaren Wirkung der Texte sicherlich hilfreich, aber keineswegs unabdingbar. Kafkas Bilder und Symbole entfalten einen Bedeutungsreichtum, der gerade nicht privat, nicht autobiografisch, sondern universell ist — seine Wirkung über alle kulturellen Schranken hinweg belegt dies eindrucksvoll.
http://www.franzkafka.de/franzkafka/was ... ort/457234

Die Website stammt vom Fischer-Verlag, der Kafkas Werke herausgibt, und der Verfasser des Textes ist Dr. Reiner Stach (Berlin), Kafka-Spezialist, mit einem Studium von Philosophie, Mathematik und Literaturwissenschaft. Promoviert hat er über Kafka.

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sven23
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#963 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von sven23 » Sa 8. Aug 2015, 08:42

Savonlinna hat geschrieben: Insofern ist Dein Schluss, dass man sich nicht an die Ergebnisse der HKM halte, wenn man außerdem sich anderem öffne, nicht korrekt. Das wird Dir jeder Literaturwissenschaftler bestätigen.
Einverstanden, aber "universelle" Weisheiten wird man in jeder guten Literatur finden und Literaturkritik ist ja auch ein Teil der HKM. Ratzinger geht aber weit daraüber hinaus. Wer die Irrtumsfreiheit der Bibel postuliert, verläßt den Boden der HKM.
Zuletzt geändert von sven23 am Sa 8. Aug 2015, 09:26, insgesamt 1-mal geändert.
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closs
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#964 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Sa 8. Aug 2015, 09:18

Münek hat geschrieben:Aber das hat er nicht wirklich ehrlich gemeint.
Du fängst Deine Einführungen bereits mit einer positivistischen Interpretation an.

Münek hat geschrieben:Die allgemeinen Gesetze der historischen Kritik gälten für die auf die "Heilige Schrift" angewandte historische Methode nur eingeschränkt
Da stimme ich Ratzinger zu, soweit damit die Hermeneutik aus HKM-Erkenntnissen gemeint ist. - Die Begründung findest Du in dem wirklich wertvollen Hinweis Halmans (scrolle mal einen Post hoch) zur Symbolblindheit. - Diese Symbolblindheit ist das Problem der positivistischen Hermeneutik.

Wenn Du Dir die beiden Kreise anguckst, kann man jeden der kleinen Kreisli einzeln analysieren - und da sind welche halt so- oder so-farbig. - Aber die "8" oder die "3" herauslesen kann die positivistische Hermeneutik nicht. - HKM hat bei der kanonischen Hermeneutik die Aufgabe, die Kreisli zu zählen, einzeln nach deren Entstehung, etc. zu untersuchen usw,usw - aber die HKM hat ihre Grenzen da, wo es darum geht, ob aus ihren Beobachtungen heraus eine "8" oder eine "3" zu sehen gibt. - Das kann die HKM nicht - und das wirft ihr auch keiner vor.

Vorgeworfen wird denen etwas, die die HKM instrumentalisieren, indem man behauptet: "Laut HKM gibt es keine '8' oder '3', also ist Symbolblindheit kein Mangel, sondern Ausdruck von Ergebnisoffenheit".

Münek hat geschrieben:Diesem arroganten, anmaßenden Unsinn ist nichts hinzuzufügen...
sagt derjenige, der weder die 8 noch die 3 sieht.

sven23 hat geschrieben:Er hält sich aber nicht an die Ergebnisse der HKM.
Doch - nur ist HKM für ihn nichts als Wissenschaft und damit KEINE hermeneutische Instanz.

sven23 hat geschrieben:Literaturkritik ist ja auch ein Teil der HKM
Es scheint Definitions-Probleme der Demarkations-Linie zwischen Wissenschaft und Interpretation zu geben.

Martinus
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#965 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Martinus » Sa 8. Aug 2015, 09:20

sven23 hat geschrieben:
Bei der Irrtumslosigkeit der Bibel befindet sich Ratzinger ja in einem Boot mit unserem Hemul. ;)

Prof. Dr. Ratzinger? ehemals Stellvertreter Christi auf Erden sitzt in einem Boot mit Hemul. :o Dann doch bitte in Zukunft etwas mehr Wertschätzung für die beiden Ruderer ;)
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#966 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von sven23 » Sa 8. Aug 2015, 09:25

Martinus hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:
Bei der Irrtumslosigkeit der Bibel befindet sich Ratzinger ja in einem Boot mit unserem Hemul. ;)

Prof. Dr. Ratzinger? ehemals Stellvertreter Christi auf Erden sitzt in einem Boot mit Hemul. :o Dann doch bitte in Zukunft etwas mehr Wertschätzung für die beiden Ruderer ;)
Sie haben beide noch nicht gemerkt, daß ihr Boot undicht ist. ;)
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#967 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von sven23 » Sa 8. Aug 2015, 09:30

closs hat geschrieben:Doch - nur ist HKM für ihn nichts als Wissenschaft und damit KEINE hermeneutische Instanz.
Die Irrtumsfreiheit der Bibel hat nichts mit HKM zu tun. Da bewegt sich Ratzinger völlig auf der Glaubensschiene.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Literaturkritik ist ja auch ein Teil der HKM
Es scheint Definitions-Probleme der Demarkations-Linie zwischen Wissenschaft und Interpretation zu geben.

Wieso Definitionsproblem?
Literaturkritik ist schon immer Teil der HKM.
https://www.uni-due.de/EvangelischeTheo ... hode.shtml
https://de.wikipedia.org/wiki/Historisc ... er_Quellen
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#968 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Sa 8. Aug 2015, 09:37

sven23 hat geschrieben:Die Irrtumsfreiheit der Bibel hat nichts mit HKM zu tun.
Stimmt - aber Bibel-Auslegung hat auch nichts mit HKM zu tun. - Bzw: Es scheint damit zu tun zu haben, was aus meiner Sicht fatal ist für den Wissenschafts-Status der HKM.

sven23 hat geschrieben:Literaturkritik ist schon immer Teil der HKM.
Literaturkritik ist ein knochentrockene Arbeit ("die schriftlichen Quellen des Bibeltextes zu rekonstruieren").

Du scheinst aber "Literaturkritik" als "inhaltlische Text-Interpretation" zu verstehen - richtig? - Dann wäre HKM keine Basis-Wissenschaft für Hermeneutik mehr(so wie es die RKK sieht), sondern EINE von vielen Hermeneutiken - damit aber verlöre die HKM ihre Alleinstellung als wissenschaftliches Rückgrat. - Was ziehst Du vor?

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#969 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von sven23 » Sa 8. Aug 2015, 09:43

closs hat geschrieben: Du scheinst aber "Literaturkritik" als "inhaltlische Text-Interpretation" zu verstehen - richtig? - Dann wäre HKM keine Basis-Wissenschaft für Hermeneutik mehr(so wie es die RKK sieht), sondern EINE von vielen Hermeneutiken - damit aber verlöre die HKM ihre Alleinstellung als wissenschaftliches Rückgrat. - Was ziehst Du vor?
Ich verstehe den Ansatz nicht. Literaturkritik ist eine Teildisziplin der HKM. Wo ist das Problem?
Daß sich die RKK nicht an die Ergebnisse der HKM gebunden fühlt, ist bekannt, hat aber damit doch nichts zu tun.
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#970 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Sa 8. Aug 2015, 10:00

sven23 hat geschrieben: Literaturkritik ist eine Teildisziplin der HKM.
Richtig - knochenharte Arbeit ("eine Methode, mit der Einflüsse der Entstehung und Überlieferung auf die Gestalt überlieferter Texte herausgearbeitet werden" (wik) - aber keine Hermeneutik.

sven23 hat geschrieben:Daß sich die RKK nicht an die Ergebnisse der HKM gebunden fühlt, ist bekannt
Vollkommen falsch. - Die HKM als Wissenschaft ist seitens der RKK als Grundlage voll anerkannt - als hermeneutische Einrichtung dagegen ist die HKM lediglich als Konkurrent und nicht als Grundlage anerkannt.

Deshalb mein Hinweis auf die "Demarkationslinie" zwischen Wissenschaft und Interpretation, die unklar zu sein scheint bzw. unterschiedlich gesehen wird.

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