Andreas hat geschrieben: Roland hat geschrieben:Das erinnert mich an den Satz des Theologen Gerhard Maier: "Eine kritische Methode der biblischen Auslegung kann demnach nur bibelkritische Sätze erzeugen."
Lieber Roland, das entspricht nicht der Wahrheit, sondern dient nur der Abgrenzung "bibeltreuer" Theologen gegenüber nicht-evangelikaler Theologie.
Historisch-
Kritische-Methode bedeutet, dass
historische Bibelhandschriften
kritisch (= vergleichend, unterscheidend) untersucht werden. Das hat mit Bibelkritik nichts, aber auch gar nichts zu tun. Der ganze Ausdruck "Historisch-Kritische-Methode" ist ein Terminus Technicus und stammt aus der Literaturwissenschaft weil dort oft Literatur historischer Personen untersucht werden, die nichts mit Religion zu tun haben. Auch da gibt es oft
unterschiedliche Handschriftenfunde die man
unterscheiden und miteinander
vergleichen muss. Man kann ja nicht einfach so sagen, diese oder jene Handschrift ist "echter", "richtiger" oder "originaler" als diese oder jene andere Handschrift.
Was du beschreibst, ist
Textkritik. Das Zitat von Gerhard Maier handelt von der Auslegung der biblischen Texte. Beides sind Teilbereiche der HKM.
Andreas hat geschrieben: Anhänger des Neuen Atheismus und Leitende von evangelikalen Glaubensgemeinschaften wissen um die Unwissenheit vieler Gläubigen in dieser Sache, und nutzen deshalb diese Doppeldeutigkeit des Wortes "Kritisch" (a: ideologisch kritisierend - b: neutral vergleichend, unterscheidend).
Es geht bei der Kritik an der HKM eigentlich immer um die Auslegung der Texte, nie um deren Rekonstruktion durch die Textkritik.
Andreas hat geschrieben: Die Anhänger des Neuen Atheismus um die GlaubensInhalte der Handschriften pseudowissenschaftlich zum Zwecke ihrer Ideologie zu "widerlegen", die Evangelikalen als warnenden Kampfbegriff im Sinne von "glaubenzersetzend" um ihre "Schäfchen" davon abzuhalten, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen, was absurd ist, weil alle, wirklich alle deutschen Bibelübersetzungen auf dieser Historisch-Kritischen-Methode beruhen, deren Sinn und Aufgabe darin besteht, den möglichst genauen und ursprünglichen Sinn der Handschriften zu erschließen.
Richtig. Die Bibelübersetzungen sind wissenschaftliche Rekonstruktionen der biblischen Texte durch den Teilbereich der HKM, der sich Textkritik nennt. Hier gibt es nichts zu kritisieren.
Andreas hat geschrieben: Ein sehr anschauliches Beispiel dazu ist: 1.Kor 15:51
Es gibt unterschiedliche historische Handschriften, in denen dieser eine Satz mal so und mal so geschrieben steht:
a) Wir alle werden nicht entschlafen, sondern wir alle werden verwandelt werden.
b) Wir alle werden entschlafen, nicht alle aber werden verwandelt werden.
c) Wir werden nicht alle entschlafen, wir alle aber werden verwandelt werden.
d) Wir alle werden entschlafen, wir alle aber werden verwandelt werden.
e) Wir alle werden auferstehen, nicht alle aber werden verwandelt werden.
Welcher von diesen Sätzen soll in deutschen Bibelübersetzungen nun deiner spontanen Meinung nach drin stehen? Versuch mal ohne nachzuschauen, die Version zu erkennen, die in deiner deutschen Bibel steht.
In allen deutschen Bibeln die du zur Hand hast, steht derselbe Satz - dank der Historisch-Kritischen-Methode. In diesem Sinne gibt es keine "bibeltreuere" Methode der Textanalyse.
Volle Zustimmung.
Andreas hat geschrieben: Gerhard Maier war von 1980 bis 1995 Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses. Dieses ist eine evangelikal ausgerichtete Einrichtung. Viele seiner Bücher werden im SCM R. Brockhaus Verlag veröffentlicht, der ein evangelikal ausgerichteter Verlag ist, der z.B. die Elberfelder Bibel herausgibt - aber auch diese stützt sich auf die Ergebnisse der Historisch-Kritischen-Methode.
Nur auf die Ergebnisse der Textkritik!
Wenn aber die HKM nun diese Ergebnisse auszulegen beginnt, indem sie in großen Teilen dazu neigt, das Handeln Gottes auszublenden, wie Bultmann es ja klar gesagt hat:
Die historische Methode schließt die Voraussetzung ein, dass die Geschichte eine Einheit ist im Sinne eines geschlossenen Wirkungs-Zusammenhangs, in dem die einzelnen Ereignisse durch die Folge von Ursache und Wirkung verknüpft sind. […] Diese Geschlossenheit bedeutet, dass der Zusammenhang des geschichtlichen Geschehens nicht durch das Eingreifen übernatürlicher, jenseitiger Mächte zerrissen werden kann, dass es also keine "Wunder" in diesem Sinne gibt.
("Ist voraussetzungslose Exegese möglich?" S. 144/145)
dann kommt aufgrund dieser Hermeneutik etwas dabei heraus, das dem "neuen Atheisten" prima schmeckt und dem gläubigen Christen ganz und gar nicht. Bultmann beantwortet die Titelfrage seines Buches übrigens mit nein! Theißen sagt auch: "Wissenschaft sagt nicht: »so war es« sondern: »So könnte es aufgrund der Quellen gewesen sein.« " (Der historische Jesus, S. 5) Und diesen Vermutungen gehen immer Vorentscheidungen voraus. Oder wie Theißen es nennt: axiomatische Überzeugungen.
Sowohl die religiöse, als auch die historische Imagination, so Theißen, wird von Grundüberzeugungen bestimmt (S. 31).
Und wenn die Grundüberzeugung kritisch ist, kommt Bibelkritik dabei heraus, da hat Maier mE vollkommen Recht!
Andreas hat geschrieben: Roland hat geschrieben:Eben gemäß des "hermeneutischen Algorithmus", der zugrunde gelegt wurde.
Das ist zuallererst eine Frage der theologischen Ausrichtung, welche von einem ihr eigenen hermeneutischen "Vorwissen" ausgeht, bevor sie sich an die Texte macht.
Genau, statt Vorwissen würde ich Vorentscheidung sagen. Jeder exegetischen Arbeit geht grundsätzlich eine solche Vorentscheidung voraus. "Voraussetzungslose Exegese kann es nicht geben" schreibt Bultmann, da hat er Recht.
Andreas hat geschrieben: Dieses "Vorwissen" kann beispielsweise sein, dass die Texte der Bibel von Gott durch Verbalinspiration quasi diktiert worden sind. Könnte ja sein - aber das löst nicht das Problem, dass dieser Satz aus 1 Kor. 15,51 so unterschiedlich in den Handschriften steht. Welchen von diesen Sätzen hat Gott denn nun diktiert, welcher ist der bibeltreue?
Es ist eben Aufgabe der Textkritik das herauszufinden.
Andreas hat geschrieben: Verzwickte daran ist, dass man irgendwie erklären müsste, wie es denn überhaupt zu diesen unterschiedlichen Versionen gekommen ist, wenn Gott darüber wacht, dass kein Jota der Heiligen Schrift vergehen wird, man aber aus jedem dieser Sätze eine ganz andere "bibeltreue" Theologie ableiten müsste.
Textkritiker sagen, dass die Varianten die Bedeutung des Textes nur sehr selten verändern. Wo hier Zweifel bestehen, werden in vielen Übersetzungen die Varianten in Fußnoten hinzugefügt.
Andreas hat geschrieben: a) spräche dafür, dass das Reich Gottes noch zu Lebzeiten aller damals Lebenden kommt, und alle auferstehen.
b) spräche dafür, dass das Reich Gottes erst kommt, wenn alle damals Lebenden gestorben seien, aber nicht alle auferstehen werden.
c) spräche dafür, dass das Reich Gottes zu Lebzeiten einiger Urchristen käme, und alle auferstehen.
d) spräche dafür, dass das Reich Gottes erst kommt, wenn alle damals Lebenden gestorben seien, aber alle auferstehen werden.
e) spräche dafür, dass alle "irgendwann" auferstehen werden, aber nicht alle verwandelt werden.
Welches davon, ist denn nun Gottes Wort - und warum dieses und nicht jenes?
Nachdem durch Vergleich der Handschriften die Wissenschaft sich auf c) "Wir werden nicht alle entschlafen, wir alle aber werden verwandelt werden" geeinigt hat, kommt nun die Exegese und legt die Stelle aus. Bedeutet, aufgrund des Gesamtkontextes, "wir" nun tatsächlich
Paulus und seine Zeitgenossen oder ist mit "wir" die Christenheit im Allgemeinen gemeint? Vers 52 ("und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune") sagt ja aus, dass diejenigen Christen gemeint sind, die zu diesem Zeitpunkt noch leben. Da nun aber Jesus gesagt hat, dass niemand weiß, wann die letzte Posaune erschallen wird, kann es schlecht sein, dass Paulus sagen wollte, ER wisse, dass das Reich Gottes zu seinen Lebzeiten käme. Er mag es gehofft haben, so wie wir alle jederzeit bereit sein sollten. Aber aus der Stelle abzuleiten, dass er es wusste, entspräche nicht dem Gesamtkontext des NT.