Alles Teufelszeug? VIII

Pluto
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#931 Re: Alles Teufelszeug? VIII

Beitrag von Pluto » Do 25. Jan 2018, 17:37

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Interessant ist das Zugeständnis Ratzingers in seinem Buch "Einführung in das Christentum" (1968) S. 199 f., der es für möglich hält, dass "Jesus aus einer normalen Ehe hervorgegangen ist".
Was ist daran interessant?
Das sind mE ziemlich brisante Äußerungen von einem Mann der Papst war/ist.
Es würde also bestätigen,
(a) Dass die jungfräuliche Geburt nicht stimmt, und
(b) Dass Jesus zunächst ein Mensch war. Was frühen Christen dann im Jahre 325 daraus machten wäre möglicherweise falsch.

closs hat geschrieben:Die HKM schaut, inwieweit sich biblische Aussagen per historischer Methodik verifizieren lassen. - Das heißt doch nicht, dass biblische Aussagen der Boden entzogen ist, wenn sie historisch-methodisch nicht verifiziert sind.
Lernst du noch irgendwann wissenschaftlich zu denken? — "nicht verifiziert" bedeutet soviel wie widerlegt.

closs hat geschrieben:aber hier geht es um göttliche Wunder.
Was zu beweisen wäre.

closs hat geschrieben:Nein - das Historische war NICHT der Grund, sondern die (geglaubte) geistige Wirklichkeit dieses Vorgangs, den man theologisch vernetzt begründen konnte.
Was bedeutet "theologisch vernetzt" in diesem Kontext?

closs hat geschrieben:Das ist bei Fundamental-Theologen auch heute noch so.
Das glaube ich sofort. Es bedeutet aber nicht, dass es richtig ist.

closs hat geschrieben:Wir sind inzwischen so weit, dass ALLES anfechtbar ist, so wie Du dieses Wort verstehst. - Man kann also auch Mathematik und die Existenz des Mondes "anfechten" - so hatte ich das Wort nicht verstanden.
Aber sicher kannst du es anfechten, doch Letztere lassen sich empirisch, intersubjektiv bestätigen. Der Mond ist sogar Fakt

closs hat geschrieben:Ich belege IMMER inhaltlich
Nee... :lol:
Das ist in den seltensten Fällen so.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Wenn die fehlgeschlagene Naherwartung Jesu Gegenstand einer Kontroverse wäre, wäre eine solche bekannt.
Es gibt sie längst nicht mehr.
Eben. Die Theologie hat eingesehen, dass Jesus tatsächlich eine Naherwartung hatte, die später von anderen Bibelschreibern (z.B.Paulus u. Petrus) in die Ferne verrückt wurde.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Roland
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#932 Re: Alles Teufelszeug? VIII

Beitrag von Roland » Do 25. Jan 2018, 19:04

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Interessant ist das Zugeständnis Ratzingers in seinem Buch "Einführung in das Christentum" (1968) S. 199 f., der es für möglich hält, dass "Jesus aus einer normalen Ehe hervorgegangen ist".
Was ist daran interessant?
Das sind mE ziemlich brisante Äußerungen von einem Mann der Papst war/ist.
Es würde also bestätigen,
(a) Dass die jungfräuliche Geburt nicht stimmt, und
(b) Dass Jesus zunächst ein Mensch war. Was frühen Christen dann im Jahre 325 daraus machten wäre möglicherweise falsch.
Hier hat Münek wieder ein Zitat gefleddert und seines eigentlichen Sinns beraubt.
Was Ratzinger wirklich geschrieben hat:
"Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre."
Er sagt also genaugenommen nicht, dass er es für möglich hält, dass Jesus aus einer normalen Ehe hervorgegangen ist, sondern nur, dass die Gottessohnschaft Jesu damit nicht angetastet würde.

Außerdem hat er diese Aussage 1977 präzisiert und relativiert:
"Dass zwischen beidem – der Personeinheit Jesu mit dem ewigen Sohn des ewigen Vaters und der irdischen Vaterlosigkeit des Menschen Jesus – bei aller Unterschiedenheit der Ebenen eine tiefe, ja unlösbare Entsprechung besteht, sollte damit nicht bestritten werden, wurde aber – wie ich einräume – von mir auch nicht deutlich genug gesagt …" (Die Tochter Zion, S. 50)
"Die messbare Seite der Welt ist nicht die Welt. Sie ist die messbare Seite der Welt." Martin Seel
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#933 Re: Alles Teufelszeug? VIII

Beitrag von closs » Do 25. Jan 2018, 19:44

Pluto hat geschrieben:(a) Dass die jungfräuliche Geburt nicht stimmt
Wieso denn das? Eine Ehe kann geschlossen sein und nicht vollzogen sein. -Davon abgesehen: Das hat Ratzinger 1968 geschrieben - man müsste untersuchen, ob diese Aussage von ihm revidiert wurde, oder so gemeint war, dass die "jungfräuliche Geburt" nicht in Frage gestellt wurde. - Wir können da nur im Dunkeln tappen.

Pluto hat geschrieben:(b) Dass Jesus zunächst ein Mensch war.
Das war er sowieso. - Du meinst vermutlich "nichts als ein Mensch". - Man kann diese Aussage wohlwollendst als Indiz dafür verstehen, aber doch nicht als "Bestätigung". - "Bestätigung" klingt so, als würde etwas unterstrichen werden, was nachgewiesen bzw. wahr ist.

Pluto hat geschrieben:Lernst du noch irgendwann wissenschaftlich zu denken? — "nicht verifiziert" bedeutet soviel wie widerlegt.
Aber das liegt doch an der inzwischen von mir erkannten Wertlosigkeit des Wortes "widerlegen" (früher dachte ich, "widerlegen" hieße soviel wie "Etwas für die Wirklichkeit Behauptetes als falsch nachweisen - heute weiß ich, dass es nichts als ein inner-systemisches Wort ohne primären Bezug zur Wirklichkeit sein soll).

Ich denke schon, dass ich wissenschaftlich denken kann, aber mir ist der Bezug zur Wirklichkeit weit wichtiger.

Pluto hat geschrieben: closs hat geschrieben:
aber hier geht es um göttliche Wunder.

Was zu beweisen wäre.
Auch "Beweis" ist aus Deinem Mund ein inner-systemisches Wort - Du erwartest, dass man etwas in diesem System nachweist, wozu dieses System gar nicht in der Lage ist.

Pluto hat geschrieben: closs hat geschrieben:
Nein - das Historische war NICHT der Grund, sondern die (geglaubte) geistige Wirklichkeit dieses Vorgangs, den man theologisch vernetzt begründen konnte.

Was bedeutet "theologisch vernetzt" in diesem Kontext?
Gesamt-kanonische Überprüfung - spirituell-philosophische Grundlagen-Arbeit.

Pluto hat geschrieben:Aber sicher kannst du es anfechten, doch Letztere lassen sich empirisch, intersubjektiv bestätigen. Der Mond ist sogar Fakt
Da könnte man auf descartische Art anfechten (was mir ja fern liegt - aber Du fragst danach). - Davon abgesehen stellt sich auch hier die Frage: Ist "Fakt" eine systemische Größe ("facere - machen/"Factum" - das - vom Menschen - gemachte, also das anthropogen ermittelte) oder eine ontische Größe ("das, was der Fall ist"/"Wirklichkeit").

Pluto hat geschrieben: closs hat geschrieben:
Ich belege IMMER inhaltlich

Nee... :lol:
Das ist in den seltensten Fällen so.
Ja - da kommt anscheinend das Meiste nicht an. - Es gibt Menschen, die auf Anhieb solche Belege erkennen.

Mir ist kürzlich mal der Gedanke gekommen, ob man "Hermeneutik" mit einem Dechiffrier-Gerät vergleichen sollte: Da steht auf dem Papier etwas Unverständliches - man hat ein Dechiffrier-Gerät und plötzlich ist es verständlich. - Hat man das falsche Dechiffrier-Gerät ("falsche Hermeneutik"), steht da Schrott. - Eine ähnliche Analogie könnte "Hermeneutik" und "Algorithmus" sein - muss ich noch nachdenken.

Pluto hat geschrieben:Eben. Die Theologie hat eingesehen, dass Jesus tatsächlich eine Naherwartung hatte
Nee - genau im Gegenteil. - Man versteht die Hermeneutik, aus der eine Naherwartungs-Interpretation folgen kann, lehnt sie aber ab.

Roland hat geschrieben:Was Ratzinger wirklich geschrieben hat:
Oh - vielen Dank. - Dann war meine Reaktion ja instinktiv richtig.

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#934 Re: Alles Teufelszeug? VIII

Beitrag von Pluto » Fr 26. Jan 2018, 08:50

closs hat geschrieben:heute weiß ich, dass es nichts als ein inner-systemisches Wort ohne primären Bezug zur Wirklichkeit sein soll).
Innersystemisches gibt es NUR in deiner Phantasie.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: closs hat geschrieben:
aber hier geht es um göttliche Wunder.

Was zu beweisen wäre.
Auch "Beweis" ist aus Deinem Mund ein inner-systemisches Wort - Du erwartest, dass man etwas in diesem System nachweist, wozu dieses System gar nicht in der Lage ist.
Du bist nicht in der Lage es zu beweisen. Du behauptest es nur.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Was bedeutet "theologisch vernetzt" in diesem Kontext?
Gesamt-kanonische Überprüfung - spirituell-philosophische Grundlagen-Arbeit.
Mit anderen Worten: sinnleer.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Der Mond ist sogar Fakt
Da könnte man auf descartische Art anfechten (was mir ja fern liegt - aber Du fragst danach).
Das ginge nur wenn Descartes ein Solipsist war, und das denke ich nicht.

closs hat geschrieben:Davon abgesehen stellt sich auch hier die Frage: Ist "Fakt" eine systemische Größe ("facere - machen/"Factum" - das - vom Menschen - gemachte, also das anthropogen ermittelte) oder eine ontische Größe ("das, was der Fall ist"/"Wirklichkeit").
Natürlich ist es eine ontische Größe. Oder gefällt dir "Tatsache" besser?

closs hat geschrieben:Es gibt Menschen, die auf Anhieb solche Belege erkennen.
Dann verwchseln auch Glaube mit Wissen.

closs hat geschrieben:Eine ähnliche Analogie könnte "Hermeneutik" und "Algorithmus" sein - muss ich noch nachdenken.
In der Tat, ähnelt Hermeneutik einer Dechiffrierung. Es gibt abertausende mögliche Interpretationen eines Texts.
Doch bei einem Algorithmus kommt immer dasselbe raus, sofern man ihn richtig anwendet.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#935 Re: Alles Teufelszeug? VIII

Beitrag von closs » Fr 26. Jan 2018, 09:57

Pluto hat geschrieben:Innersystemisches gibt es NUR in deiner Phantasie.
Nein - das ist normal - auch in der Wissenschaft.

Pluto hat geschrieben:Das ginge nur wenn Descartes ein Solipsist war, und das denke ich nicht.
Ich auch nicht - aber er weist nach, dass wir es nicht unterscheiden könnten, wenn es so wäre. - Also kann man es (und damit im Grunde alles) "anfechten".

Pluto hat geschrieben:Dann verwchseln auch Glaube mit Wissen.
"WIssen" basiert immer auf dem Glauben, dass das System, in dem man "Wissen" erringt, das richtige ist.

Pluto hat geschrieben:Es gibt abertausende mögliche Interpretationen eines Texts.
Eben - das ist doch das Problem.

Pluto hat geschrieben:Doch bei einem Algorithmus kommt immer dasselbe raus, sofern man ihn richtig anwendet.
Moment: Aber es kann doch verschiedene Algorithmen zum Selben geben, oder nicht?

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#936 Re: Alles Teufelszeug? VIII

Beitrag von Roland » Fr 26. Jan 2018, 10:02

Pluto hat geschrieben: ...bei einem Algorithmus kommt immer dasselbe raus, sofern man ihn richtig anwendet.
Das erinnert mich an den Satz des Theologen Gerhard Maier: "Eine kritische Methode der biblischen Auslegung kann demnach nur bibelkritische Sätze erzeugen."
Eben gemäß des "hermeneutischen Algorithmus", der zugrunde gelegt wurde.
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#937 Re: Alles Teufelszeug? VIII

Beitrag von Andreas » Fr 26. Jan 2018, 11:33

Roland hat geschrieben:Das erinnert mich an den Satz des Theologen Gerhard Maier: "Eine kritische Methode der biblischen Auslegung kann demnach nur bibelkritische Sätze erzeugen."
Lieber Roland, das entspricht nicht der Wahrheit, sondern dient nur der Abgrenzung "bibeltreuer" Theologen gegenüber nicht-evangelikaler Theologie.

Historisch-Kritische-Methode bedeutet, dass historische Bibelhandschriften kritisch (= vergleichend, unterscheidend) untersucht werden. Das hat mit Bibelkritik nichts, aber auch gar nichts zu tun. Der ganze Ausdruck "Historisch-Kritische-Methode" ist ein Terminus Technicus und stammt aus der Literaturwissenschaft weil dort oft Literatur historischer Personen untersucht werden, die nichts mit Religion zu tun haben. Auch da gibt es oft unterschiedliche Handschriftenfunde die man unterscheiden und miteinander vergleichen muss. Man kann ja nicht einfach so sagen, diese oder jene Handschrift ist "echter", "richtiger" oder "originaler" als diese oder jene andere Handschrift.

Anhänger des Neuen Atheismus und Leitende von evangelikalen Glaubensgemeinschaften wissen um die Unwissenheit vieler Gläubigen in dieser Sache, und nutzen deshalb diese Doppeldeutigkeit des Wortes "Kritisch" (a: ideologisch kritisierend - b: neutral vergleichend, unterscheidend).

Die Anhänger des Neuen Atheismus um die GlaubensInhalte der Handschriften pseudowissenschaftlich zum Zwecke ihrer Ideologie zu "widerlegen", die Evangelikalen als warnenden Kampfbegriff im Sinne von "glaubenzersetzend" um ihre "Schäfchen" davon abzuhalten, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen, was absurd ist, weil alle, wirklich alle deutschen Bibelübersetzungen auf dieser Historisch-Kritischen-Methode beruhen, deren Sinn und Aufgabe darin besteht, den möglichst genauen und ursprünglichen Sinn der Handschriften zu erschließen.

Ein sehr anschauliches Beispiel dazu ist: 1.Kor 15:51
Es gibt unterschiedliche historische Handschriften, in denen dieser eine Satz mal so und mal so geschrieben steht:

a) Wir alle werden nicht entschlafen, sondern wir alle werden verwandelt werden.
b) Wir alle werden entschlafen, nicht alle aber werden verwandelt werden.
c) Wir werden nicht alle entschlafen, wir alle aber werden verwandelt werden.
d) Wir alle werden entschlafen, wir alle aber werden verwandelt werden.
e) Wir alle werden auferstehen, nicht alle aber werden verwandelt werden.

Welcher von diesen Sätzen soll in deutschen Bibelübersetzungen nun deiner spontanen Meinung nach drin stehen? Versuch mal ohne nachzuschauen, die Version zu erkennen, die in deiner deutschen Bibel steht.
In allen deutschen Bibeln die du zur Hand hast, steht derselbe Satz - dank der Historisch-Kritischen-Methode. In diesem Sinne gibt es keine "bibeltreuere" Methode der Textanalyse.

Gerhard Maier war von 1980 bis 1995 Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses. Dieses ist eine evangelikal ausgerichtete Einrichtung. Viele seiner Bücher werden im SCM R. Brockhaus Verlag veröffentlicht, der ein evangelikal ausgerichteter Verlag ist, der z.B. die Elberfelder Bibel herausgibt - aber auch diese stützt sich auf die Ergebnisse der Historisch-Kritischen-Methode.
Zuletzt geändert von Andreas am Fr 26. Jan 2018, 12:14, insgesamt 1-mal geändert.

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#938 Re: Alles Teufelszeug? VIII

Beitrag von Andreas » Fr 26. Jan 2018, 12:10

Roland hat geschrieben:Eben gemäß des "hermeneutischen Algorithmus", der zugrunde gelegt wurde.
Das ist zuallererst eine Frage der theologischen Ausrichtung, welche von einem ihr eigenen hermeneutischen "Vorwissen" ausgeht, bevor sie sich an die Texte macht. Dieses "Vorwissen" kann beispielsweise sein, dass die Texte der Bibel von Gott durch Verbalinspiration quasi diktiert worden sind. Könnte ja sein - aber das löst nicht das Problem, dass dieser Satz aus 1 Kor. 15,51 so unterschiedlich in den Handschriften steht. Welchen von diesen Sätzen hat Gott denn nun diktiert, welcher ist der bibeltreue? Das Verzwickte daran ist, dass man irgendwie erklären müsste, wie es denn überhaupt zu diesen unterschiedlichen Versionen gekommen ist, wenn Gott darüber wacht, dass kein Jota der Heiligen Schrift vergehen wird, man aber aus jedem dieser Sätze eine ganz andere "bibeltreue" Theologie ableiten müsste.

a) spräche dafür, dass das Reich Gottes noch zu Lebzeiten aller damals Lebenden kommt, und alle auferstehen.
b) spräche dafür, dass das Reich Gottes erst kommt, wenn alle damals Lebenden gestorben seien, aber nicht alle auferstehen werden.
c) spräche dafür, dass das Reich Gottes zu Lebzeiten einiger Urchristen käme, und alle auferstehen.
d) spräche dafür, dass das Reich Gottes erst kommt, wenn alle damals Lebenden gestorben seien, aber alle auferstehen werden.
e) spräche dafür, dass alle "irgendwann" auferstehen werden, aber nicht alle verwandelt werden.

Welches davon, ist denn nun Gottes Wort - und warum dieses und nicht jenes?
Textkritik ist keinesfalls Bibelkritik.

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#939 Re: Alles Teufelszeug? VIII

Beitrag von Roland » Fr 26. Jan 2018, 13:48

Andreas hat geschrieben:
Roland hat geschrieben:Das erinnert mich an den Satz des Theologen Gerhard Maier: "Eine kritische Methode der biblischen Auslegung kann demnach nur bibelkritische Sätze erzeugen."
Lieber Roland, das entspricht nicht der Wahrheit, sondern dient nur der Abgrenzung "bibeltreuer" Theologen gegenüber nicht-evangelikaler Theologie.

Historisch-Kritische-Methode bedeutet, dass historische Bibelhandschriften kritisch (= vergleichend, unterscheidend) untersucht werden. Das hat mit Bibelkritik nichts, aber auch gar nichts zu tun. Der ganze Ausdruck "Historisch-Kritische-Methode" ist ein Terminus Technicus und stammt aus der Literaturwissenschaft weil dort oft Literatur historischer Personen untersucht werden, die nichts mit Religion zu tun haben. Auch da gibt es oft unterschiedliche Handschriftenfunde die man unterscheiden und miteinander vergleichen muss. Man kann ja nicht einfach so sagen, diese oder jene Handschrift ist "echter", "richtiger" oder "originaler" als diese oder jene andere Handschrift.
Was du beschreibst, ist Textkritik. Das Zitat von Gerhard Maier handelt von der Auslegung der biblischen Texte. Beides sind Teilbereiche der HKM.

Andreas hat geschrieben: Anhänger des Neuen Atheismus und Leitende von evangelikalen Glaubensgemeinschaften wissen um die Unwissenheit vieler Gläubigen in dieser Sache, und nutzen deshalb diese Doppeldeutigkeit des Wortes "Kritisch" (a: ideologisch kritisierend - b: neutral vergleichend, unterscheidend).
Es geht bei der Kritik an der HKM eigentlich immer um die Auslegung der Texte, nie um deren Rekonstruktion durch die Textkritik.

Andreas hat geschrieben: Die Anhänger des Neuen Atheismus um die GlaubensInhalte der Handschriften pseudowissenschaftlich zum Zwecke ihrer Ideologie zu "widerlegen", die Evangelikalen als warnenden Kampfbegriff im Sinne von "glaubenzersetzend" um ihre "Schäfchen" davon abzuhalten, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen, was absurd ist, weil alle, wirklich alle deutschen Bibelübersetzungen auf dieser Historisch-Kritischen-Methode beruhen, deren Sinn und Aufgabe darin besteht, den möglichst genauen und ursprünglichen Sinn der Handschriften zu erschließen.
Richtig. Die Bibelübersetzungen sind wissenschaftliche Rekonstruktionen der biblischen Texte durch den Teilbereich der HKM, der sich Textkritik nennt. Hier gibt es nichts zu kritisieren.

Andreas hat geschrieben: Ein sehr anschauliches Beispiel dazu ist: 1.Kor 15:51
Es gibt unterschiedliche historische Handschriften, in denen dieser eine Satz mal so und mal so geschrieben steht:

a) Wir alle werden nicht entschlafen, sondern wir alle werden verwandelt werden.
b) Wir alle werden entschlafen, nicht alle aber werden verwandelt werden.
c) Wir werden nicht alle entschlafen, wir alle aber werden verwandelt werden.
d) Wir alle werden entschlafen, wir alle aber werden verwandelt werden.
e) Wir alle werden auferstehen, nicht alle aber werden verwandelt werden.

Welcher von diesen Sätzen soll in deutschen Bibelübersetzungen nun deiner spontanen Meinung nach drin stehen? Versuch mal ohne nachzuschauen, die Version zu erkennen, die in deiner deutschen Bibel steht.
In allen deutschen Bibeln die du zur Hand hast, steht derselbe Satz - dank der Historisch-Kritischen-Methode. In diesem Sinne gibt es keine "bibeltreuere" Methode der Textanalyse.
Volle Zustimmung.

Andreas hat geschrieben: Gerhard Maier war von 1980 bis 1995 Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses. Dieses ist eine evangelikal ausgerichtete Einrichtung. Viele seiner Bücher werden im SCM R. Brockhaus Verlag veröffentlicht, der ein evangelikal ausgerichteter Verlag ist, der z.B. die Elberfelder Bibel herausgibt - aber auch diese stützt sich auf die Ergebnisse der Historisch-Kritischen-Methode.
Nur auf die Ergebnisse der Textkritik!
Wenn aber die HKM nun diese Ergebnisse auszulegen beginnt, indem sie in großen Teilen dazu neigt, das Handeln Gottes auszublenden, wie Bultmann es ja klar gesagt hat:
Die historische Methode schließt die Voraussetzung ein, dass die Geschichte eine Einheit ist im Sinne eines geschlossenen Wirkungs-Zusammenhangs, in dem die einzelnen Ereignisse durch die Folge von Ursache und Wirkung verknüpft sind. […] Diese Geschlossenheit bedeutet, dass der Zusammenhang des geschichtlichen Geschehens nicht durch das Eingreifen übernatürlicher, jenseitiger Mächte zerrissen werden kann, dass es also keine "Wunder" in diesem Sinne gibt.
("Ist voraussetzungslose Exegese möglich?" S. 144/145)
dann kommt aufgrund dieser Hermeneutik etwas dabei heraus, das dem "neuen Atheisten" prima schmeckt und dem gläubigen Christen ganz und gar nicht. Bultmann beantwortet die Titelfrage seines Buches übrigens mit nein! Theißen sagt auch: "Wissenschaft sagt nicht: »so war es« sondern: »So könnte es aufgrund der Quellen gewesen sein.« " (Der historische Jesus, S. 5) Und diesen Vermutungen gehen immer Vorentscheidungen voraus. Oder wie Theißen es nennt: axiomatische Überzeugungen.
Sowohl die religiöse, als auch die historische Imagination, so Theißen, wird von Grundüberzeugungen bestimmt (S. 31).
Und wenn die Grundüberzeugung kritisch ist, kommt Bibelkritik dabei heraus, da hat Maier mE vollkommen Recht!

Andreas hat geschrieben:
Roland hat geschrieben:Eben gemäß des "hermeneutischen Algorithmus", der zugrunde gelegt wurde.
Das ist zuallererst eine Frage der theologischen Ausrichtung, welche von einem ihr eigenen hermeneutischen "Vorwissen" ausgeht, bevor sie sich an die Texte macht.
Genau, statt Vorwissen würde ich Vorentscheidung sagen. Jeder exegetischen Arbeit geht grundsätzlich eine solche Vorentscheidung voraus. "Voraussetzungslose Exegese kann es nicht geben" schreibt Bultmann, da hat er Recht.

Andreas hat geschrieben: Dieses "Vorwissen" kann beispielsweise sein, dass die Texte der Bibel von Gott durch Verbalinspiration quasi diktiert worden sind. Könnte ja sein - aber das löst nicht das Problem, dass dieser Satz aus 1 Kor. 15,51 so unterschiedlich in den Handschriften steht. Welchen von diesen Sätzen hat Gott denn nun diktiert, welcher ist der bibeltreue?
Es ist eben Aufgabe der Textkritik das herauszufinden.

Andreas hat geschrieben: Verzwickte daran ist, dass man irgendwie erklären müsste, wie es denn überhaupt zu diesen unterschiedlichen Versionen gekommen ist, wenn Gott darüber wacht, dass kein Jota der Heiligen Schrift vergehen wird, man aber aus jedem dieser Sätze eine ganz andere "bibeltreue" Theologie ableiten müsste.
Textkritiker sagen, dass die Varianten die Bedeutung des Textes nur sehr selten verändern. Wo hier Zweifel bestehen, werden in vielen Übersetzungen die Varianten in Fußnoten hinzugefügt.

Andreas hat geschrieben: a) spräche dafür, dass das Reich Gottes noch zu Lebzeiten aller damals Lebenden kommt, und alle auferstehen.
b) spräche dafür, dass das Reich Gottes erst kommt, wenn alle damals Lebenden gestorben seien, aber nicht alle auferstehen werden.
c) spräche dafür, dass das Reich Gottes zu Lebzeiten einiger Urchristen käme, und alle auferstehen.
d) spräche dafür, dass das Reich Gottes erst kommt, wenn alle damals Lebenden gestorben seien, aber alle auferstehen werden.
e) spräche dafür, dass alle "irgendwann" auferstehen werden, aber nicht alle verwandelt werden.

Welches davon, ist denn nun Gottes Wort - und warum dieses und nicht jenes?
Nachdem durch Vergleich der Handschriften die Wissenschaft sich auf c) "Wir werden nicht alle entschlafen, wir alle aber werden verwandelt werden" geeinigt hat, kommt nun die Exegese und legt die Stelle aus. Bedeutet, aufgrund des Gesamtkontextes, "wir" nun tatsächlich Paulus und seine Zeitgenossen oder ist mit "wir" die Christenheit im Allgemeinen gemeint? Vers 52 ("und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune") sagt ja aus, dass diejenigen Christen gemeint sind, die zu diesem Zeitpunkt noch leben. Da nun aber Jesus gesagt hat, dass niemand weiß, wann die letzte Posaune erschallen wird, kann es schlecht sein, dass Paulus sagen wollte, ER wisse, dass das Reich Gottes zu seinen Lebzeiten käme. Er mag es gehofft haben, so wie wir alle jederzeit bereit sein sollten. Aber aus der Stelle abzuleiten, dass er es wusste, entspräche nicht dem Gesamtkontext des NT.
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#940 Re: Alles Teufelszeug? VIII

Beitrag von Andreas » Fr 26. Jan 2018, 15:14

Roland hat geschrieben:Wenn aber die HKM nun diese Ergebnisse auszulegen beginnt ...
Mit dieser Formulierung bist du doch schon wieder auf den Leim gegangen. "Die" HKM ist keine theologische Ausrichtung. Bultmann ist nicht DIE HKM, er vertritt nicht die HKM, sondern seine Theologie.
Roland hat geschrieben:Es geht bei der Kritik an der HKM ...
Desgleichen.
Roland hat geschrieben:Wenn aber die HKM nun diese Ergebnisse auszulegen beginnt, indem sie in großen Teilen dazu neigt, das Handeln Gottes auszublenden, wie Bultmann es ja klar gesagt hat:
Die historische Methode schließt die Voraussetzung ein, dass die Geschichte eine Einheit ist im Sinne eines geschlossenen Wirkungs-Zusammenhangs, in dem die einzelnen Ereignisse durch die Folge von Ursache und Wirkung verknüpft sind. […] Diese Geschlossenheit bedeutet, dass der Zusammenhang des geschichtlichen Geschehens nicht durch das Eingreifen übernatürlicher, jenseitiger Mächte zerrissen werden kann, dass es also keine "Wunder" in diesem Sinne gibt.
("Ist voraussetzungslose Exegese möglich?" S. 144/145)

dann kommt aufgrund dieser Hermeneutik etwas dabei heraus, das dem "neuen Atheisten" prima schmeckt und dem gläubigen Christen ganz und gar nicht. Bultmann beantwortet die Titelfrage seines Buches übrigens mit nein! Theißen sagt auch: "Wissenschaft sagt nicht: »so war es« sondern: »So könnte es aufgrund der Quellen gewesen sein.« " (Der historische Jesus, S. 5) Und diesen Vermutungen gehen immer Vorentscheidungen voraus. Oder wie Theißen es nennt: axiomatische Überzeugungen.
Sowohl die religiöse, als auch die historische Imagination, so Theißen, wird von Grundüberzeugungen bestimmt (S. 31).
Jetzt stellst du Bultmann (und Theißen?) als jemanden dar, der nicht an Gott glaubte. Entspricht das der Wahrheit? Er vertritt ein anderes (Text-)Verständnis - eben eine andere Theologie (theo = Gott, logos = Wort, Sinn), verstand sich aber meines Wissens zeitlebens als gläubiger Christ. Kannst du belegen, dass er ein "Ungläubiger" gewesen wäre? Er interpretiert die biblischen Texte anders als du oder Maier oder die Evangelikalen oder die Katholiken. Jeder kann glauben wie er will - wissen tue zumindest ich gar nichts über Gott.

Roland hat geschrieben:Genau, statt Vorwissen würde ich Vorentscheidung sagen. Jeder exegetischen Arbeit geht grundsätzlich eine solche Vorentscheidung voraus. "Voraussetzungslose Exegese kann es nicht geben" schreibt Bultmann, da hat er Recht.
Die Evangelikalen haben halt andere hermeneutische Voraussetzung bei ihrer Bibellektüre als Bultmann, Theißen oder andere. Diese hermeneutischen Voraussetzungen haben alle ihre Vor- und Nachteile. Jede christliche Glaubensgemeinschaft macht da ihr Angebot an den Einzelnen. Jeder darf und muss sich entscheiden, was er für glaubwürdig hält und was nicht. Ich habe da kein Problem damit, weil ich "die Wahrheit" über Gott nicht kenne - auch wenn alle Glaubensgemeinschaften von sich behaupten, dass sie diese durch den Heiligen Geist kennen. Ich sehe dass ziemlich locker und mach mir halt meine theologischen Gedanken. Was bleibt mir anderes übrig. Nach welchem Kriterium sollte ich mich denn entscheiden? Der Geist weht wo er will - nur bei (mir und) den anderen nicht?
Roland hat geschrieben:Und wenn die Grundüberzeugung kritisch ist, kommt Bibelkritik dabei heraus, da hat Maier mE vollkommen Recht!
"Kritisch" möchten die Vertreter des Neuen Atheismus tatsächlich als "unglaubwürdig" oder "glaubenszersetzend" darstellen. Bei Christen heißt "kritisch" aber doch nicht "ungläubig", um Gottes Willen! Wirf das doch nicht in einen Topf.
Roland hat geschrieben:Nachdem durch Vergleich der Handschriften die Wissenschaft sich auf c) "Wir werden nicht alle entschlafen, wir alle aber werden verwandelt werden" geeinigt hat, kommt nun die Exegese und legt die Stelle aus. Bedeutet, aufgrund des Gesamtkontextes, "wir" nun tatsächlich Paulus und seine Zeitgenossen oder ist mit "wir" die Christenheit im Allgemeinen gemeint? Vers 52 ("und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune") sagt ja aus, dass diejenigen Christen gemeint sind, die zu diesem Zeitpunkt noch leben. Da nun aber Jesus gesagt hat, dass niemand weiß, wann die letzte Posaune erschallen wird, kann es schlecht sein, dass Paulus sagen wollte, ER wisse, dass das Reich Gottes zu seinen Lebzeiten käme. Er mag es gehofft haben, so wie wir alle jederzeit bereit sein sollten. Aber aus der Stelle abzuleiten, dass er es wusste, entspräche nicht dem Gesamtkontext des NT.
Meine persönlichen, zugegebenermaßen laienhaften Studien, führten mich dahin, dass ich mittlerweile hermeneutisch nicht mehr von einem "Gesamtkontext des NT" ausgehe. Ich sehe viel mehr auch dort schon unterschiedliche theologische Angebote nebeneinander oder miteinander im Diskurs - so wie es auch heute ist. Es gibt viele Gemeinsamkeiten und viele Unterschiede in diesen Glaubensdingen.

Ich verstehe diese Variante c) wörtlich, was das "entschlafen" angeht. Ein Christ auf dem Scheiterhaufen "entschläft" nicht. Gut dass du die letzte Posaune erwähnst: Klar ist, dass Paulus die Posaunen aus der Offenbarung nicht kannte. Ich bin so frei den Hinweis auf dieses Blasinstrument mit dem Atem in Verbindung zu bringen, auch mit dem Odem, dem Geist - damit sein Leben "auszuhauchen". Der Zeitpunkt des Todes ist mE das erschallen der letzten Posaune, eben der letzte Atemzug, von dem niemand weiß, wann das sein wird. So geht meine Interpretation dieser Stelle - ob das "richtig" ist, weiß ich nicht - aber es ist ein Angebot, wie Paulus das gemeint haben könnte - oder wie wir Heutigen das "aktualisieren" könnten.

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