Alles Teufelszeug? IV

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Münek
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#901 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von Münek » Do 3. Nov 2016, 21:56

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Ein solches Verbot kann ich insofern nicht erkennen, als sich unser Freund Klaus Berger in seinen exegetischen Bemühungen locker darüber hinweggesetzt hat.
Weil er diese Grenzen sprengt und sich prompt den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit einhandelt - das System kämpft um seine Pfründe.
Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit besteht zu Recht.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Deshalb meine oft gebrachte Metapher der separierten "Sandkästen", in denen Exegeten und Dogmatiker getrennt voneinander spielen.
Das ist soweit ok, wenn man nicht Sand von einem Sandkasten in den anderen wirft.
Dein Wort ins Ohr Ratzingers.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben: Die Zuständigkeit der historisch-wissenschaftlichen Forschung in dieser Frage wird von niemandem - außer von Dir - in Zweifel gezogen.
Die rein sachliche Zuständigkeit wird auch von mir nicht in Zweifel gestellt - mir geht es ausschließlich um Übergriffigkeiten in Bereich hinein, die in anderen Sandkästen ist - siehe: "Jesus hatte eine Naherwartung".
Du bist widersprüchlich. Auf der einen Seite räumst Du die sachliche Zuständigkeit der historischen Exegese in der Naherwartungsfrage ein, auf der anderen Seite sprichst Du von Übergriffigkeiten, wenn sie von ihrer Zuständigkeit/Kompetenz Gebrauch macht.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Da ein breiter Konsens besteht, gibt es keine Wortführer.
Es gibt einen breiten Konsens in der wissenschaftlichen Sacharbeit, aber nicht bei Übergriffigkeiten.
Nein - es existiert ein breiter Konsens in der Feststellung, dass Jesus eine Naherwartung hatte und sich geirrt hat.

closs
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#902 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von closs » Do 3. Nov 2016, 22:15

Münek hat geschrieben:Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit besteht zu Recht.
Je nach wissenschafts-theoretischem Ansatz - wenn man "Wissenschaft" mit "kritisch-rationaler Methodik" gleichsetzt, kannst Du recht haben. - Aber damit kann man halt geistige Texte nur sehr begrenzt untersuchen.

Münek hat geschrieben:Dein Wort ins Ohr Ratzingers.
Ich sehe das Problem umgekehrt.

Münek hat geschrieben:Auf der einen Seite räumst Du die sachliche Zuständigkeit der historischen Exegese in der Naherwartungsfrage ein, auf der anderen Seite sprichst Du von Übergriffigkeiten, wenn sie von ihrer Zuständigkeit/Kompetenz Gebrauch macht.
Nein. - "Übergriffig" ist, wenn man aus dem Denken einer Zeit glaubt, faktische Aussagen im geistigen Sinne über Jesus machen zu können.

Münek hat geschrieben:es existiert ein breiter Konsens in der Feststellung, dass Jesus eine Naherwartung hatte und sich geirrt hat.
Das ist kein theologischer Konsens, sondern (möglicherweise) ein Konsens innerhalb der HKM-Anhänger.

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sven23
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#903 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von sven23 » Fr 4. Nov 2016, 17:10

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Ich weiß nicht, was du mit dieser unsinnigen Unterscheidung bezwecken willst.
Du hast wirklich immer noch nicht kapiert, dass man "Historie" als das bezeichnet, was "damals" wirklich passiert ist - also ontologisch. - WENN also Maria jungfräulich geboren hat, ist es historisch, ob es historisch-kritisch nachweisbar ist (was in diesem Fall eh nicht geht) oder geistig erschlossen und mythologisch verpackt weitergegeben wird.
Wenn die Forschung etwas als unhistorisch bezeichnet, dann heißt das schlicht und ergreifend, dass es so nicht stattgefunden hat, bzw. eine reine Erfindung der Schreiber ist. Ist das so schwer zu verstehen? :roll:

closs hat geschrieben: - Wie nennst Du real Seiendes, das nicht historisch ist? Vielleicht finden wir ja ein Wort dafür.
Wenn du mal ein Beispiel dafür hättest, könnte ich vielleicht verstehen, was du überhaupt meinst.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Eisegese hat überhaupt nichts dort zu suchen.
Eisegese werfen die Unklugen auf beiden Seiten der jeweils anderen Seite vor - das bringt nix.
Den Vorwurf der Eisegese müssen sich doch nur diejenigen gefallen lassen, die aus ideologischen Gründen aus Texten etwas herauslesen wollen, was gar nicht der Intention des Schreibers entspricht. Die historisch kritische Forschung ist da unverdächtig, weil sie gerade die ursprüngliche Bedeutung eines Textes herausarbeiten will.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Hätten die Schreiber mehr Ahnung von Biologie gehabt, wäre Eva der erste Mensch und nicht Adam.
Menschenskind - wer spricht von Biologie? Meine Aussage war "Grundlage der Menschwerdung".
Eben, denn die Menschwerdung war sicher kein singuläres ad hoc Ereignis. Und "Adam" war eigentlich weiblich. :lol:
Die Natur favorisierte das Weibliche.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-16310966.html

Bei mehr Kenntnis der Bioglogie bzw. mehr Inspiriertheit hätte Gott zuerst Eva schaffen müssen und dann Adam. Aber das wäre wohl für Schreiber aus patriarchalischen Gesellschaften zu viel verlangt. :lol:


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das ging aber nur mit einem toten Jesus, der sich nicht mehr wehren konnte.
Unterm Strich halte ich das für eine Verschwörungs-Theorie, für die man sicherlich einen "Einflugwinkel" findet, in dem sie plausibel erscheint. - Gesamt-kanonisch (= von A bis Z durchblicken) ist das nicht haltbar.
Weil Kanonik eben alles in ein Korsett zwingen will, was gar nicht zusammengehört. Das hat überhaupt nichts mit Verschwörungstheorien zu tun.
"Der Jesus im Fleische geht uns nichts an.." betonte Paulus, wohlwissend, dass der Mensch Jesus nicht identisch war mit dem mythologisierten und verklärten Jesus, der zu einem literarischen Kunstprodukt verarbeitet wurde. Dieses Desinteresse hält unter Glaubensdogmatikern bis heute an.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#904 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von closs » Fr 4. Nov 2016, 17:34

sven23 hat geschrieben:Wenn die Forschung etwas als unhistorisch bezeichnet, dann heißt das schlicht und ergreifend, dass es so nicht stattgefunden hat, bzw. eine reine Erfindung der Schreiber ist. Ist das so schwer zu verstehen?
Ja, weil es unbegreiflich ist, wenn unter dem Etikett der Wissenschaft Dinge weltanschaulich platziert werden, die sachlich alles andere als zutreffend sein müssen. - Mir wäre lieber eine Antwort wie: "Natürlich weiss die HKM, dass ihre methodischen Schlüsse nicht der Wirklichkeit entsprechen können - dass also mit 'historisch' das bezeichnet wird, was aus Sicht der HKM zum ERgebnis wird".

sven23 hat geschrieben:Wenn du mal ein Beispiel dafür hättest, könnte ich vielleicht verstehen, was du überhaupt meinst.
Stell Dir vor, Jesus wäre WIRKLICH leiblich auferstanden: Es wäre real, aber nicht historisch, nicht wahr?

sven23 hat geschrieben:Den Vorwurf der Eisegese müssen sich doch nur diejenigen gefallen lassen, die aus ideologischen Gründen aus Texten etwas herauslesen wollen, was gar nicht der Intention des Schreibers entspricht.
Sachlich falsch. - "Eisegetisch" bezieht sich nicht auf die Textverfasser, sondern auf die Textinhalte. - Auslegung der Bibel heisst nicht "Das haben die Schreiber mit 'Das Reich Gottes ist nah' gemeint", sondern "Das IST naheliegenderweise mit 'Das Reich Gottes ist nah' aus dem Mund Jesu gemeint".

sven23 hat geschrieben:Die historisch kritische Forschung ist da unverdächtig, weil sie gerade die ursprüngliche Bedeutung eines Textes herausarbeiten will.
Nach Deiner Version meint die HKM "ursprünglich" im Sinne der Textverfasser, dem steht gegenüber das kanonische " 'ursprünglich' im Sinne Jesu". - Das sind zwei unterschiedliche Ansätze, die beide gerechtfertigt sind, aber eben unterschiedlich.

sven23 hat geschrieben:Bei mehr Kenntnis der Bioglogie bzw. mehr Inspiriertheit hätte Gott zuerst Eva schaffen müssen und dann Adam.
Es ist aber nicht biologisch gemeint.

sven23 hat geschrieben:"Der Jesus im Fleische geht uns nichts an.." betonte Paulus
Da hat er sicherlich etwas Interessantes gemeint - Du interpretierst es als Zugeständnis, dass der literarische Jesus ein Kunstprodukt sei. Als habe Paulus dies damals sagen wollen.

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sven23
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#905 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von sven23 » Fr 4. Nov 2016, 18:32

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn die Forschung etwas als unhistorisch bezeichnet, dann heißt das schlicht und ergreifend, dass es so nicht stattgefunden hat, bzw. eine reine Erfindung der Schreiber ist. Ist das so schwer zu verstehen?
Ja, weil es unbegreiflich ist, wenn unter dem Etikett der Wissenschaft Dinge weltanschaulich platziert werden, die sachlich alles andere als zutreffend sein müssen. - Mir wäre lieber eine Antwort wie: "Natürlich weiss die HKM, dass ihre methodischen Schlüsse nicht der Wirklichkeit entsprechen können - dass also mit 'historisch' das bezeichnet wird, was aus Sicht der HKM zum ERgebnis wird".
Die Forschung sagt so etwas nicht, weil es großer clossscher Unfug ist.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn du mal ein Beispiel dafür hättest, könnte ich vielleicht verstehen, was du überhaupt meinst.
Stell Dir vor, Jesus wäre WIRKLICH leiblich auferstanden: Es wäre real, aber nicht historisch, nicht wahr?
Wieso das denn? Wenn es real stattgefunden hätte, wäre es auch historisch. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür geht gegen null. Den Geburtslegenden stehen die Auferstehungslegenden in nichts nach.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Den Vorwurf der Eisegese müssen sich doch nur diejenigen gefallen lassen, die aus ideologischen Gründen aus Texten etwas herauslesen wollen, was gar nicht der Intention des Schreibers entspricht.
Sachlich falsch. - "Eisegetisch" bezieht sich nicht auf die Textverfasser, sondern auf die Textinhalte. - Auslegung der Bibel heisst nicht "Das haben die Schreiber mit 'Das Reich Gottes ist nah' gemeint", sondern "Das IST naheliegenderweise mit 'Das Reich Gottes ist nah' aus dem Mund Jesu gemeint".
Das ist doch genau das, was die Forschung sagt: Jesus glaubte an das nahe bevorstehende Gottesreich. Übrigens auch für jedermann nachzulesen in der Bibel.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die historisch kritische Forschung ist da unverdächtig, weil sie gerade die ursprüngliche Bedeutung eines Textes herausarbeiten will.
Nach Deiner Version meint die HKM "ursprünglich" im Sinne der Textverfasser, dem steht gegenüber das kanonische " 'ursprünglich' im Sinne Jesu". - Das sind zwei unterschiedliche Ansätze, die beide gerechtfertigt sind, aber eben unterschiedlich.
Genau umgekehrt. Je später die Texte und Veränderungen derselben, desto größer die Distanz zum historischen Jesus. Das ist Konsens in der Forschung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Bei mehr Kenntnis der Bioglogie bzw. mehr Inspiriertheit hätte Gott zuerst Eva schaffen müssen und dann Adam.
Es ist aber nicht biologisch gemeint.
Auch metaphorisch gesehen lagen sie voll daneben. Kein Vorwurf, woher sollten sie es auch wissen? Die angebliche Inspiriertheit durch den Heiligen Geist ist doch nur ein frommer Wunsch.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:"Der Jesus im Fleische geht uns nichts an.." betonte Paulus
Da hat er sicherlich etwas Interessantes gemeint - Du interpretierst es als Zugeständnis, dass der literarische Jesus ein Kunstprodukt sei. Als habe Paulus dies damals sagen wollen.
Das wollte er mit Sicherheit nicht sagen. Aber das Desinteresse am historischen Jesus ist schon bemerkenswert und Aussagen, dass Lügen erlaubt seien, wenn sie der Verherrlichung Gottes dienen, sollten die Alarmglocken leuten lassen. Viel deutlicher kann man eigentlich nicht mehr werden.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#906 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von closs » Fr 4. Nov 2016, 19:59

sven23 hat geschrieben:Die Forschung sagt so etwas nicht, weil es großer clossscher Unfug ist.
Doch - von der Sache her tut sie es. Sie weiß, dass methodisch erbrachte Forschungsergebnisse kein Synonym für das ist, was der Fall ist. - Ein Wissenschaftler kann nur unter dem Vorbehalt "Wenn wir unsere Methodik auf diesen Fall anwenden, DANN hatte Jesus eine Naherwartung" - er kann NICHT sagen "Es ist Fakt, dass Jesus eine Naherwartung hatte". Tut er dies trotzdem, macht er einen Fehler. (Man kann doch System-Wahrnehmung nicht mit Wirklichkeit verwechseln!!!)

sven23 hat geschrieben:Wenn es real stattgefunden hätte, wäre es auch historisch.
E-ben. - Aber genau das bestreitest Du doch, wenn Du methodische Ergebnisse als historische Fakten darstellst. - Konkret: Jesus hatte nur dann eine Naherwartung, wenn er sie WIRKLICH hatte - und nicht, wenn es eine bestimmte methodische Vorgehenslogik erschließt.

sven23 hat geschrieben:Das ist doch genau das, was die Forschung sagt: Jesus glaubte an das nahe bevorstehende Gottesreich.
Nein - es ist das Gegenteil davon. - Die historisch-kritische Forschung schließt aus der damals grassierenden Naherwartung (in Deinem Sinne) UND Interpretationen von Schreibern, die zeitweise dasselbe geglaubt haben, dass Jesus eine Naherwartung (in Deinem Sinne) hatte. Das ist legitim.

Aber deswegen ist es noch lange nicht richtig. Denn es schließt aus, dass Jesus als göttliche Singularität genau das sagen wollte, was die Theologie meistenteils glaubt - also etwas anderes. - Warum anders? Weil man theologisch interessiert ist an der Frage, was Jesus als göttliche Person tatsächlich gemeint hat - und nicht wie es aus Erscheinungen um ihn herum historisch-kritisch naheliegend sein könnte.

sven23 hat geschrieben:Genau umgekehrt. Je später die Texte und Veränderungen derselben, desto größer die Distanz zum historischen Jesus. Das ist Konsens in der Forschung.
Nix umgekehrt. - Dein Argument verkennt, dass Rezeptions-Entwicklung auch ein Näher-Kommen an das VON JESUS ursprünglich Gemeinte sein kann.

Es passiert hier immer wieder derselbe Fehler: Man tut so, als gäbe es ein Original (gibt es nicht) und behandelt deshalb die ersten Rezeptionen so, als seien SIE das Original.

sven23 hat geschrieben:Auch metaphorisch gesehen lagen sie voll daneben. Kein Vorwurf, woher sollten sie es auch wissen?
WIE daneben? WAS wissen?

sven23 hat geschrieben: Aber das Desinteresse am historischen Jesus ist schon bemerkenswert
Und wieder meinst Du damit nicht den WIRKLICHEN, sondern den historisch-kritischen Jesus. - Beides kann, muss aber nicht dasselbe sein.

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Münek
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#907 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von Münek » Sa 5. Nov 2016, 00:50

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit besteht zu Recht.
Je nach wissenschafts-theoretischem Ansatz - wenn man "Wissenschaft" mit "kritisch-rationaler Methodik" gleichsetzt, kannst Du recht haben. - Aber damit kann man halt geistige Texte nur sehr begrenzt untersuchen.
Die sog. "geistigen Texte" ("Heilige Schrift") enthalten überwiegend historisch-säkulare Aussagen und Beschreibungen. Nur auf Letztere richtet sich der Fokus der bibelwissenschaftlichen Exegese.

Für die Interpretation kirchlich-dogmatischer Lehraussagen ist die historisch-wissenschaftlich ausgerichtete Bibelauslegung nicht zuständig. Aus Glaubensdingen hält sich die theologische Wissenschaft dizipliniert heraus.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Auf der einen Seite räumst Du die sachliche Zuständigkeit der historischen Exegese in der Naherwartungsfrage ein, auf der anderen Seite sprichst Du von Übergriffigkeiten, wenn sie von ihrer Zuständigkeit/Kompetenz Gebrauch macht.
Nein. - "Übergriffig" ist, wenn man aus dem Denken einer Zeit glaubt, faktische Aussagen im geistigen Sinne über Jesus machen zu können.
Die neutestamentliche Exegese wird sich hüten, "faktische Aussagen im geistigen Sinne über Jesus" zu machen. Ihr Übergriffigkeiten vorzuwerfen, ist absurd. Ich kenne auch niemanden, der einen solchen Vorwurf erhebt. Selbst Berger nicht. Nur Du.

Was Du Dir als Laie verschwörungstheoretisch zurechtspinnst, ist unbeachtlich.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:es existiert ein breiter Konsens in der Feststellung, dass Jesus eine Naherwartung hatte und sich geirrt hat.
Das ist kein theologischer Konsens, sondern (möglicherweise) ein Konsens innerhalb der HKM-Anhänger.
Der breite Konsens besteht innerhalb der historisch-wissenschaftlichen Exegese, nicht innerhalb ihre "Anhänger". Das allein ist das Entscheidende: Die nahezu 100%ige Übereinstimmung innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft, was den Irrtum Jesu betrifft. Deine von keiner Sachkenntnis getrübte laienhafte Gegenmeinung ist dagegen völlig irrelevant.

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#908 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von Münek » Sa 5. Nov 2016, 01:31

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn die Forschung etwas als unhistorisch bezeichnet, dann heißt das schlicht und ergreifend, dass es so nicht stattgefunden hat, bzw. eine reine Erfindung der Schreiber ist. Ist das so schwer zu verstehen?
Ja, weil es unbegreiflich ist, wenn unter dem Etikett der Wissenschaft Dinge weltanschaulich platziert werden, die sachlich alles andere als zutreffend sein müssen.
Natürlich "sachlich" zutreffend. Wissenschaft IST "sachlich", anders geht es nicht. Subjektiver Gottesglaube ist in dieser Halle der historischen Wissenschaft deplatziert. Wenn sich dieser Glaube bestätigt sehen will, muss er sich an die ewig gültigen, absoluten, seligmachenden kirchlichen Glaubenswahrheiten halten.

Ein Blick in den katholischen Katechismus genügt bereits - und der Besuch sonntäglicher Gottesdienste tut sein Übriges .

Nur hier, im Reich der frommen Irrationalität, bekommt er seine glaubensbestätigenden Streicheleinheiten, nach denen es ihm
so sehr zu verlangen scheint. Einen theologisch-wissenschaftlichen TÜV-Stempel erhält der Gottesglaube dagegen nicht.

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#909 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von sven23 » Sa 5. Nov 2016, 07:33

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Forschung sagt so etwas nicht, weil es großer clossscher Unfug ist.
Doch - von der Sache her tut sie es. Sie weiß, dass methodisch erbrachte Forschungsergebnisse kein Synonym für das ist, was der Fall ist. - Ein Wissenschaftler kann nur unter dem Vorbehalt "Wenn wir unsere Methodik auf diesen Fall anwenden, DANN hatte Jesus eine Naherwartung" - er kann NICHT sagen "Es ist Fakt, dass Jesus eine Naherwartung hatte". Tut er dies trotzdem, macht er einen Fehler. (Man kann doch System-Wahrnehmung nicht mit Wirklichkeit verwechseln!!!)
Ja, der 2. Weltkrieg war nur eine Systemwahrnehmung. :lol:
Merkst du, wie unsinnig deine Argumentation ist?

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn es real stattgefunden hätte, wäre es auch historisch.
E-ben. - Aber genau das bestreitest Du doch, wenn Du methodische Ergebnisse als historische Fakten darstellst. - Konkret: Jesus hatte nur dann eine Naherwartung, wenn er sie WIRKLICH hatte - und nicht, wenn es eine bestimmte methodische Vorgehenslogik erschließt.
Ja, und auf Grund der Quellenlage müssen wir davon ausgehen, dass die Naherwartung seine zentrale, wenn auch irrige, Botschaft war. Es zeichnet Menschen aus, dass sie sich irren können. Der galiläische Wanderprediger war da sicher keine Ausnahme.
Zudem gibt es genügend Hinweise, dass der auch menschliche Schwächen hatte. Der Ruf eines "Fressers und Weinsäufers" eilte ihm voraus. Und für das Verkünden der Nächstenliebe und Feindesliebe allein wurde man auch bei den Römern nicht hingerichtet. "Ihr habt aus Jesus einen ganz anderen gemacht..." , so der Vorwurf eines unbekannten Schreibers der Urgemeinde. Möglicherweise war er ganz anders, als die Evangelien uns glauben machen wollen. Vor diesem Hintergrund wird auch das Desinteresse des Paulus am historischen Jesus verständlich. Er benötigte lediglich einen toten Protagonisten, dem er seine eigene Theologie auf den Leib schneidern konnte. Der echte, lebende Jesus hätte ihm da im Wege gestanden.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das ist doch genau das, was die Forschung sagt: Jesus glaubte an das nahe bevorstehende Gottesreich.
Nein - es ist das Gegenteil davon. - Die historisch-kritische Forschung schließt aus der damals grassierenden Naherwartung (in Deinem Sinne) UND Interpretationen von Schreibern, die zeitweise dasselbe geglaubt haben, dass Jesus eine Naherwartung (in Deinem Sinne) hatte. Das ist legitim.
Die Forschung bezieht sich auf die Quellen, und nicht auf nachträglich ausgebrütete Wunschvorstellungen. Das sollte inzwischen klar geworden sein.

closs hat geschrieben: Aber deswegen ist es noch lange nicht richtig. Denn es schließt aus, dass Jesus als göttliche Singularität genau das sagen wollte, was die Theologie meistenteils glaubt - also etwas anderes. - Warum anders? Weil man theologisch interessiert ist an der Frage, was Jesus als göttliche Person tatsächlich gemeint hat - und nicht wie es aus Erscheinungen um ihn herum historisch-kritisch naheliegend sein könnte.
Jawoll, Jesus hat gefälligst das zu glauben, was Theologen ihm nachträglich vorgeschrieben haben. Geil. :lol:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Genau umgekehrt. Je später die Texte und Veränderungen derselben, desto größer die Distanz zum historischen Jesus. Das ist Konsens in der Forschung.
Nix umgekehrt. - Dein Argument verkennt, dass Rezeptions-Entwicklung auch ein Näher-Kommen an das VON JESUS ursprünglich Gemeinte sein kann.
Nur wenn man den gesunden Menschenverstand an der glaubensdogmatischen Garderobe abgegeben hat. :lol:


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Auch metaphorisch gesehen lagen sie voll daneben. Kein Vorwurf, woher sollten sie es auch wissen?
WIE daneben? WAS wissen?
Also wieder mal nichts gelesen. :roll:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Aber das Desinteresse am historischen Jesus ist schon bemerkenswert
Und wieder meinst Du damit nicht den WIRKLICHEN, sondern den historisch-kritischen Jesus. - Beides kann, muss aber nicht dasselbe sein.
Paulus wußte nichts von einem historisch-kritischen Jesus. Natürlich meinte er den historischen Jesus. Und das Desinteresse hält unter Glaubensdogmatikern bis heute an. Und sei versichert: man weiß genau, warum. ;)

"Das Bild der Forschung über Jesus wirkt blass und nüchtern. Es fehlen ihm noch die Konturen der
altkirchlichen Konzilien, der Weihrauch späterer Jahrhunderte. Und hätten Theologen von Anfang an
gewusst, was sie sich damit einhandeln, hätten sie das Fragen nach dem historischen Jesus besser sein
lassen. Doch nun ist er in der Welt, und Dogmatiker müssen sich fragen, wie sie sich zu ihm verhalten
sollen.
...
So weit, so gut. Doch sieht man sich dann an, welchen Stellenwert der historische Jesus und die
Forschungen über ihn in den Dogmatiken wirklich einnehmen, erkennt man schnell, dass es den
Dogmatikern auch hier wieder genügt, wenn sie „Problembewusstsein“ artikulieren. Man muss ja aus
den eigenen Worten und Bekenntnissen nicht auch noch Konsequenzen ziehen. Die Forschungen zum
historischen Jesus sollten eigentlich in christlichen Dogmatiken eine zentrale Rolle spielen, geht es
doch immerhin darum, was der (wenn man so will) „Stifter“ der Religion gewollt, gesagt und getan
hat. Wo sollte sich denn sonst theologisches Interesse stärker konzentrieren als genau in dieser Frage?
Doch der historische Jesus und die Erkenntnisse der Forschung über ihn spielen über die oben
genannten Lippenbekenntnisse hinaus in den Dogmatiken keine Rolle.
...
Wie erklärt sich dieses krasse Missverhältnis? Warum behandeln alle Dogmatiker die
Dogmenentwicklung in der Alten Kirche so ausführlich und wollen offenbar kein Grüppchen mit
irgendwelchen Sonderlehren vergessen, aber stellen sich zu keiner Zeit die Frage, wer denn Jesus
historisch verantwortbar vermutlich gewesen ist und was er vermutlich gewollt hat? Warum widmen
sie in ihren Dogmatiken den christologischen Aufgliederungsschemata der altprotestantischen
Orthodoxie so viel Raum, doch fragen oft nicht einmal im Ansatz, inwieweit dies alles mit dem
historischen Jesus überhaupt in Einklang bringen ist? Warum sind die Dogmatiker so sichtlich am
dogmatischen Christus interessiert und so offensichtlich am historischen Jesus uninteressiert?
Die Antwort ist einfach: Weil der historische Jesus einfach dogmatisch nichts zu bieten hat. Er ist
viel zu uninteressant und fremdartig, als dass man mit ihm Kirche machen könnte. Denn hat man
diesen Jesus erst einmal von später christlicher Überlieferung befreit, wird ein Mensch sichtbar, der
für christliche Theologie und Verkündigung nur schwer zu verwenden ist und einen eher spröden
Eindruck macht. Er gehörte einer anderen Religion an, war ein frommer Jude von seiner Geburt bis zu
seinem Tod. Mit dem späteren Christentum hatte dieser Jesus nichts oder fast nichts zu tun. Und man
wird sagen dürfen: in seinem Glauben war er ein religiöser Extremist. Ein Fabulierer mit der irrigen
Meinung, das Ende der Welt stünde unmittelbar bevor. Der seine Jünger aussendet, um diesen (heute
offensichtlichen) Aberglauben in seiner Umwelt publik zu machen. Und der seinen Extremismus und
seine religiöse Überspanntheit schließlich am Kreuz bitter hat bezahlen müssen. Dieser Jesus von
Nazareth ist so weit vom dogmatischen Christus der Kirche entfernt, dass man seine konkrete Existenz
eher verschweigt als befragt. Man will eher nicht wissen, wer er wirklich war (und noch mehr: wer
er nicht war), und nimmt in Dogmatiken lieber Zuflucht zur Tradition, bringt ein paar Scheinprobleme
zur Darstellung, liefert ein paar Scheindefinitionen und Scheinlösungen, grenzt sich
bedeutungsschwanger von anderen Scheinlösungen und realen Kollegen ab, und lässt diesen
galiläischen Wanderprediger besser da, wo er hingehört: im ersten Jahrhundert. Bei der Ausfeilung
einer christlichen Dogmatik jedenfalls würde er nur stören."

Kubitza, Der Dogmenwahn
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#910 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von closs » Sa 5. Nov 2016, 09:28

Münek hat geschrieben:Die sog. "geistigen Texte" ("Heilige Schrift") enthalten überwiegend historisch-säkulare Aussagen und Beschreibungen. Nur auf Letztere richtet sich der Fokus der bibelwissenschaftlichen Exegese.
Das ist bzw. wäre ok. - Wer ist aus Deiner Sicht für die geistige Exegese der Bibel zuständig? (Du sagst selber, es seien "geistige Texte")

Münek hat geschrieben:Die neutestamentliche Exegese wird sich hüten, "faktische Aussagen im geistigen Sinne über Jesus" zu machen.
"Jesus HATTE eine Naherwartung" (in "Deinem" Sinne) ist eine solche.

Münek hat geschrieben: Die nahezu 100%ige Übereinstimmung innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft, was den Irrtum Jesu betrifft.
Diese Einschätzung kommt nur dann zustande, wenn man ausschließlich die HKM als Wissenschaft innerhalb der Theologie bezeichnet. - Dann kann es sein, dass 5% plötzlich fast 100% sind.

Münek hat geschrieben:Wissenschaft IST "sachlich", anders geht es nicht.
Innerhalb ihres Systems ist das gewiss so. - Mich dagegen interessiert "sachlich" in Bezug auf die Wirklichkeit - also hatte Jesus WIRKLICH eine Naherwartung. - Und da gibt es halt mit großer Wahrscheinlichkeit eine Spreizung zwischen methodischer Sachlichkeit und dem, was der Fall ist.

Münek hat geschrieben: Einen theologisch-wissenschaftlichen TÜV-Stempel erhält der Gottesglaube dagegen nicht.
Die Theologie fordert das auch nicht. - Sie möchte von säkular-sach-wissenschaftlichen ERgebnissen für ihre Auslegung geistiger Texte profitieren - mehr nicht.

sven23 hat geschrieben:Ja, der 2. Weltkrieg war nur eine Systemwahrnehmung.
War es aus Sicht der HKM in der Tat - eben weil die HKM nichts anderes kann. - Und selbstverständlich darf man in diesem Fall (zeitnah, von unabhängigen Quellen und sogar Zeitzeugen verbürgt) davon ausgehen, dass hier System-Ergebnis und "Was-der-Fall-war"-Ergebnis weitgehend koinzident sind.

Aber wenn Du schon dabei bist: Auch hier wird die HEUTIGE Beurteilung in die Vergangenheit hineingetragen. - Wenn man manchmal aus HEUTIGER Sicht die Empörungs-Kaskaden zum "einfachen Mann auf der Straße" in den Zeiten des Nationalsozialismus hört UND es damit vergleicht, was Zeitzeugen sagen, gibt es auch hier diesen Gap. - Es ist ein Irrtum, dass die HKM immer aus der Zeit heraus argumentiert, die sie untersucht.

sven23 hat geschrieben:Möglicherweise war er ganz anders, als die Evangelien uns glauben machen wollen.
Das lässt sich letztlich nicht ausschließen - dann hätten die Juden recht, die immer noch auf den Messias warten. - Allerdings müsste man dann fragen, wie es sein kann, dass der NT-Paradigmen-Wechsel sowie die Reihe an geistig genialen Aussagen stattfinden konnte - denn da ist WIRKLICH etwas Neues geplatzt.

sven23 hat geschrieben: auf Grund der Quellenlage müssen wir davon ausgehen, dass die Naherwartung seine zentrale, wenn auch irrige, Botschaft war.
Sie WAR die zentrale Botschaft und ist es heute noch.

sven23 hat geschrieben:Die Forschung bezieht sich auf die Quellen, und nicht auf nachträglich ausgebrütete Wunschvorstellungen.
Sie bezieht sich auf genau das, was ich sagte: Den Zeitgeist, das Umfeld, das (zwischenzeitliche) Verständnis der Textverfasser, etc. - Insofern sind die Ergebnisse der HKM nachvollziehbar - aber aus ganz anderen Gründen, die die HKM nicht beurteilen kann, wahrscheinlich irrig.

sven23 hat geschrieben:Jesus hat gefälligst das zu glauben, was Theologen ihm nachträglich vorgeschrieben haben.
ODer die HKM. - Beide "schreiben vor".

sven23 hat geschrieben:Nur wenn man den gesunden Menschenverstand an der glaubensdogmatischen Garderobe abgegeben hat.
Das ist klassisch für die moderne Variante der sog. "Aufklärung": Man kann sich nicht vorstellen, dass etwas über anthropozentrische Selbst-Systeme hinaus wahr sein könnte.

sven23 hat geschrieben:Also wieder mal nichts gelesen.
Nee - nachgefragt. - Die Genesis ist genial, wenn man sie richtig durchdringt. - Warum sollte man deren Verfassern Mängel anhängen, die überhaupt nicht von Belang sind?

sven23 hat geschrieben:aber stellen sich zu keiner Zeit die Frage, wer denn Jesus historisch verantwortbar vermutlich gewesen ist und was er vermutlich gewollt hat?
Was Jesus "vermutlich gewollt hat", ist nur dann historisch-kritisch sinnvoll beantwortbar, wenn man vorher setzt, dass Jesus nichts anderes war als ein Wanderprediger.

Im Grunde haben wir das Problem bereits vor einem Jahr gelöst:
Der eine untersucht Jesus, als wäre er "Gott und Mensch" - der andere untersucht Jesus, als wäre er nur ein Wanderprediger. - Du stellst die HKM so dar (und wird von einigen aus der HKM so dargestellt), als könne man beides gleichzeitig untersuchen. - Das geht nicht. - DIESELBEN Texte/QUellen stellen sich interpretativ ganz unterschiedlich dar, ob man das eine (per "Glaubensentscheid") oder das andere (per methodischer Vorgabe) setzt.

Und dann passiert etwas, was typisch ist: Die moderne, anthropozentristische "Aufklärung" nimmt ihr eigenes Verständnis und Unverständnis zum Maß dafür, was ein spirituell denken-könnender Mensch sehen kann, aber man selbst nicht. - Kubitza ist darin ein Großmeister - übrigens auch Metzinger.

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