Alles Teufelszeug? II

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Thaddäus
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#891 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Thaddäus » Sa 2. Apr 2016, 20:10

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:So ist es innerhalb der Glaubens- und Weltanschauungslogik von IS-Terroristen durchaus zweck-rational, sich auf öffentlichen Plätzen in die Luft zu sprengen
So ist es. - Wenn das Weltbild lautet: "Unsere Interpretation des Islam ist maßstäblich".
(...)
Im Sinne der Setzung "Unsere Interpretation des Islam ist maßstäblich" ist es sehr wohl plausibel.
Wenn etwas plausibel ist, dann bietet es immer auch eine beste rationale Erklärung. Aber nicht alles, was rational ist, ist auch plausibel.
Diesen Unterschied versuche ich oben gerade zu erklären.
Die Aussage: "Um möglichst viele Ungläubige zu töten, sollte man sich an bevölkerten öffentlichen Plätzen in die Luft sprengen", ist innerhalb is-terroristischer Glaubenslogik eine zweck-rationale Vorgehensweise (denn sie ist im Sinne des Ziels effektiv).

Deshalb ist sie aber nicht schon plausibel, denn sie gibt keinerlei nachvollziehbare Erklärung dafür, warum Ungläubige überhaupt getötet werden sollen. Die Zusatzaussage: "Ungläubige müssen getötet werden, weil sie nicht muslimischen Glaubens sind", beinhaltet wiederum keine plausibel nachvollziehbare Erklärung, warum alle, die nicht muslimischen Glaubens sind, getötet werden sollen. Und die weitere Aussage: "Alle, die nicht muslimischen Glaubens sind, müssen getötet werden, weil Allah das so will", ist immer noch keine plausible Erklärung, denn diese Aussage wird von den meisten Islam-Gelehrten nicht geteilt, sondern sogar verurteilt. Zudem bleibt als gravierend offen Frage, warum Allah wollen soll, dass Ungläubige getötet werden?

Plausibilität geht über reine Zweck-Rationalität hinaus. Plausibilität appelliert immer an die Vernunft und wirft damit die übergeordnete Frage auf: "Ist es vernünftig, Menschen im Namen einer bestimmten Auslegung des Islam in die Luft zu sprengen?" Und selbst, wenn man einer solchen radikal-islamistischen Auslegung als vorgegebener Glaubens-Logik gedanklich folgt, ist die Frage, ob es vernünftig ist - im Sinne der eigenen Sache! - , wenn man möglichst viele Andersgläubige in die Luft sprengt? So ist ein berechtigter und vernünftiger Einwand, dass man durch solche terroristischen Aktionen der Sache des Islam mehr schadet als nützt, denn die Missachtung des Lebensrechts von anderen Menschen, solidarisiert sehr viele Menschen gegen die eigene Auslegung des Koran.
Die Abschätzung, ob etwas plausibel ist, geht weit über eine Zweck-Rationalität hinaus.

Die Ablehnung der Evolutionslehre durch Kreationisten ist rational innerhalb ihrer fundamentalistischen Glaubenslogik, aber sie ist nicht plausibel, weil die Evolutionstheorie eine der bestbestätigten naturwissenschaftlichen Theorien ist, die es überhaupt gibt. Usw.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Sa 2. Apr 2016, 20:30, insgesamt 1-mal geändert.

Anton B.
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#892 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Anton B. » Sa 2. Apr 2016, 20:15

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Welche Weltanschuung braucht man denn, um Atome zu spalten?
Keine - das ist eine pragmatische Handlung, die nichts mit Philosophie zu tun hat. - Wenn ich Würste esse, überlege ich auch nicht, nach welchem Weltbild ich Würste esse.
Ohne erkannte Setzung beißt doch gerade Du nimmer in die nächstbeste Currywurst.

Die Philosophen interessieren sich sehr für diese "pragmatische Handlung". Sie stellen Fragen: Warum ergibt gerade diese pragmatische Handlung Wissen? Wissen, welches -- obwohl "die Wahrheit" nicht bestimmbar -- trotzdem "für wahr genommen", funktioniert? Im Gegensatz zu manch anderen pragmatischen Handlungen. Gibt es da Setzungen? Oder ist es in ein System eingebettet, welches anders, also ohne Setzungen, funktioniert. Lassen sich die "Regeln" dieses Systems erkennen, verfeinern und damit diese "pragmatischen Handlungen" noch effizienter gestalten.

Und auch Du, lieber closs, hast Dir doch schon die ein oder andere Erklärung zur Wirkungsweise der Naturwissenschaften, selbstverständlich setzungsbasiert, erarbeitet und hier im Forum kund getan.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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Thaddäus
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#893 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Thaddäus » Sa 2. Apr 2016, 20:20

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Die Aussage: "Jesus Christus ist leiblich von den Toten auferstanden" (weil Gott ihn hat von den Toten auferstehen lassen) ist NICHT plausibel, und vor allem will sie als Glaubensaussage auch gar nicht plausibel sein!
Warum nicht? - Natürlich will sie als Glaubensaussage plausibel im Sinne von heils-notwendig sein. - Kann etwas notwendig und gleichzeitig nicht plausibel sein?
Wenn Wunder plausible Erklärungen für Ereignisse der natürlichen Welt wären, wären es keine "Wunder" mehr. Sie verlören ihren Status des Besonderen, der gerade darin besteht, völlig unplausibel zu sein. Das Besondere des Glaubens an eine kontrafaktische leibliche Auferstehung Jesu besteht doch gerade darin, dass dieser Glaube völlig unplausibel ist, - weil er gegen alles verstößt, dass wir über das Sterben und Totsein von Menschen aus Erfahrung wissen.

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#894 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Sa 2. Apr 2016, 20:25

sven23 hat geschrieben:Und kommt die Philosophie zu dem Ergebnis, dass es gar nicht möglich ist, Atome zu spalten?
Nein - wer kommt auf so etwas? - Sie wird sich allenfalls fragen, ob dies eine Vorstellung ist oder eine äußere Realität. - Darum muss sich aber ein Physiker nicht kümmern, weil es für seine Arbeit belanglos ist - in beiden Fällen kommt das selbe für ihn raus.

sven23 hat geschrieben: Das Weltbild kann ganz entscheidend sein, ob man überhaupt Würste ist. Vegetarier werden dir das bestätigen.
Meine Aussage galt für den Fall, wenn man Würste ist - dann geschieht es doch schon.

sven23 hat geschrieben:Wenn man Text als Fälschungen entlarvt, hat das nichts mit Weltanschauung zu tun, es ist einfach so.
Aber Deine Formulierung ist bereits weltanschaulich geprägt. - Denn die Veränderung eines Folge-Textes in Bezug auf einen Refernz-Text muss keine Fälschung sein.

sven23 hat geschrieben:Dass er eine Naherwartung hatte, läßt sich dagegen an Hand der Texte rekonstruieren
"Rekonstruieren" ja - allerdings kann man das Gegenteil genauso rekonstruieren. - Und auch hier ist auch hier Deine Formulierung bereits weltanschaulich geprägt.

Denn zunächst müsste geprüft werden, ob er überhaupt eine Naherwartung hatte - wenn er göttlichen Wesens war, ist es eher wahrscheinlich, dass er weder eine Nah- noch eine Fern-ERWARTUNG hatte, weil er es gewusst hat - dann wäre Nah- oder Fern-WISSEN das richtige Wort. - Überprüfe mal sprachliche Selbstverständlichkeiten im allgemeinen Jargon - Du wirst erschrecken.

sven23 hat geschrieben:es gibt keine Notwendigkeit, sondern nur einen Glauben an die Notwendigkeit.
Eine disparate Gegenüberstellung. - Ob es eine Notwendigkeit gibt, ist eine ontologische (= Seins-Frage) - ob man daran glaubt, ist eine Wahrnehmungs-/System-/Methoden-/Perspektiven-Frage.

Anton B.
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#895 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Anton B. » Sa 2. Apr 2016, 20:30

Thaddäus hat geschrieben:Wenn etwas plausibel ist, dann bietet es immer auch eine beste rationale Erklärung. Aber nicht alles, was rational ist, ist auch plausibel.

Plausibel heißt eine Erklärung, die "einleuchtend" ist. In einer plausiblen Erklärung können, obwohl einleuchtend, doch später erkennbare logische Fehler stecken. Außerdem muss eine plausible Erklärung gar nicht alle Argumente für oder wider etwas darstellen. Außerhalb der verwendeten Argumente oder Beobachtungen mag es weitere Argumente oder Beobachtungen geben, die im Darstellungskontext gar nicht rezepiert werden. Und schließlich kann eine Darstellung plausibel sein, die angeführten Beobachtungen sind aber allesamt erlogen.

Zillmers Werke zur Erdgeschichte mögen plausible Darstellungen sein. Sie könnten sogar in sich stimmig sein. Düster sieht es allerdings aus, wenn der Geologe dann Edelsteinchen aus dem großen Schatz schon gemachter Beobachtungen hervorzaubert.
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sven23
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#896 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von sven23 » Sa 2. Apr 2016, 20:39

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Und kommt die Philosophie zu dem Ergebnis, dass es gar nicht möglich ist, Atome zu spalten?
Nein - wer kommt auf so etwas? - Sie wird sich allenfalls fragen, ob dies eine Vorstellung ist oder eine äußere Realität. - Darum muss sich aber ein Physiker nicht kümmern, weil es für seine Arbeit belanglos ist - in beiden Fällen kommt das selbe für ihn raus.
In deiner Version wäre Philosophie eine höchst nutzlose Begleitmusik.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn man Text als Fälschungen entlarvt, hat das nichts mit Weltanschauung zu tun, es ist einfach so.
Aber Deine Formulierung ist bereits weltanschaulich geprägt. - Denn die Veränderung eines Folge-Textes in Bezug auf einen Refernz-Text muss keine Fälschung sein.
Wieso? Eine Fälschung ist eine Fälschung, ist eine Fälschung. Man kann es auch kreativen Umgang mit der Wahrheit nennen. Es ändert aber nichts daran, dass damit eine bestimmte Täuschungsabsicht verbunden ist.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dass er eine Naherwartung hatte, läßt sich dagegen an Hand der Texte rekonstruieren
"Rekonstruieren" ja - allerdings kann man das Gegenteil genauso rekonstruieren. - Und auch hier ist auch hier Deine Formulierung bereits weltanschaulich geprägt.
Das Gegenteil läßt sich eben nicht rekonstruieren. Das gelang nicht mal Ratzinger, weshalb er ja um Vertrauensvorschuß und Glaubensentscheid bat.

closs hat geschrieben: Denn zunächst müsste geprüft werden, ob er überhaupt eine Naherwartung hatte -
Ja, hatte er, das ist weitgehend Konsens in der Forschung.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#897 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von SilverBullet » Sa 2. Apr 2016, 20:43

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben: In wie fern handelt es sich bei den Aussagen dieser Leute nicht „nur um Meinungen“?
Insofern haben sicherlich auch Augustinus und Descartes persönlich geglaubt, dass das von ihnen jeweils entwickelte System ok ist.
Wenn die Auseinandersetzung mit einer konkreten Religion also ein Meinungsspiel ist, warum sollte dann die Meinung eines, in dieser Religion ausgebildeten „Fachmannes“ keine Stütze sein können (auch wenn sie gegen die Religion gerichtet ist)?

Wenn es also letztlich in der Religion nur auf Aussagen ankommt, und eine gegenteilige Aussage vorliegt, dann liegt definitiv auch eine andere Möglichkeit vor.

Muss man nicht die Regeln akzeptieren, wenn man sich auf das Spiel einlässt?

Ich stelle diese Fragen vor einem ganz bestimmten Hintergrund.
Im Zuge des „Gnosis“-Begriffs, bin ich auf das Judas-Evangelium gestossen, das wohl im 2. Jahrhundert entstanden sein soll (vielleicht im „Original“ auch schon viel früher).
Darin soll ein „Gegenentwurf“ der Jesus-Zusammenhänge enthalten sein.
Das bedeutet, es existiert ein ganz anderer Religions-Entwurf auf dem „gleichen Sachverhalt“, was und wie auch immer der Sachverhalt genau war – wobei es wohl sogar viele Entwürfe gab.

Was bedeutet es, dass die Leute damals sozusagen komplett „durch den Wind waren“ und in alle Richtungen „Ideen“ entworfen haben?
Nun, zumindest bedeutet es, …
…dass es eine Zeit war, in der fleissig Religionsgruppen entstanden sind.
…dass keine Eindeutigkeit vorlag

Die heutige „Eindeutigkeit“ der Bibelinhalte wurde, wenn ich es richtig verstehe, nicht dadurch hergestellt, dass man andere Meinungen beachtet hat, sondern genau das Gegenteil, also die Durchsetzung eines (konstruierten) Entwurfes erfolgte.

Wie ich gelesen habe, gab es wohl bis zu dem ersten grossen Konzil (4.Jhd) einen Umgang mit den einzelnen Entwürfen auf Diskussionsbasis – danach auf Macht- und Verfolgungsbasis.

Ein „Weltbild“, das derartiges auf dem Kerbholz hat, erhebt einen eindeutig erkennbaren (absoluten) Korrektheitsanspruch, der nicht auf dem „Beweisen von Meinungen“ basiert.

Denkst du, dass man, im Angesicht einer derartigen Vorgehensweise, so eine Religion heute ganz „jungfräulich“, allein durch Prämissenvergleich auf die gleiche Möglichkeits-/Qualitätsstufe heben sollte, wie sie von der Naturwissenschaft geliefert wird?

Diesem „Weltbild“ fehlt es an Überzeugungskraft (du sprichst selbst von emotionalen Wunsch-Voraussetzungen, die man zuerst aufstellen muss, um diesem „Weltbild“ folgen zu „wollen/können“).

Ist es nicht höchste Zeit, die Gegenteilsmeinungen/-entwürfe zu beachten und das „Weltbild“ zu konfrontieren, in dem man es in Frage stellt und zwar so, dass „die Wände wackeln“?

Müsste man dieses „Weltbild“ nicht zurück auf den Stand vor dem 4.Jhd setzen und es sich dann langsam durch Überzeugung hocharbeiten (oder untergehen) lassen?

closs
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#898 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Sa 2. Apr 2016, 20:54

Thaddäus hat geschrieben:Wenn etwas plausibel ist, dann bietet es immer auch eine beste rationale Erklärung.
Wer sagt das? - Stelle Dir vor, es gäbe eine göttliche Vernunft über der unseren - da könnten ganz andere Sachen plausibel sein.

Thaddäus hat geschrieben:Deshalb ist sie aber nicht schon plausibel, denn sie gibt keinerlei nachvollziehbare Erklärung dafür, warum Ungläubige überhaupt getötet werden sollen.
Aus meinem Weltbild sicherlich nicht - aber es gibt auch andere Weltbilder. - Bist Du Dir eigentlich bewusst, dass Du wichtigen Begriffen wie eben "rational" und jetzt "nachvollziehbar" als absolute Größen besetzt - als würde unser Status darüber entscheiden, was "rational" und was "nachvollziehbar" ist, VERBINDLICH für alle definieren könnte?

Thaddäus hat geschrieben:denn diese Aussage wird von den meisten Islam-Gelehrten nicht geteilt, sondern sogar verurteilt.
Auf dieser Ebene sind wir uns einig - mir geht es um Verabsolutierung von Weltanschauungen, manchmal auch Methoden und Perspektiven. - Und genau das ist ja der wunde Punkt, den ich auch bei der HKM sehe, WENN sie weltanschaulich (manchmal hat man tatsächlich den Eindruck: eher nolens als volens) eingespannt wird.

Thaddäus hat geschrieben: Plausibilität appelliert immer an die Vernunft und wirft damit die übergeordnete Frage auf
Was ist Vernunft? - Kant hat dazu viel gesagt - sehr Schlaues zudem. - Aber auch er kann nur Maßstab sein im Rahmen der menschlichen Vernunft-Möglichkeiten. - Und auch hier: Was wäre, wenn es eine göttliche Vernunft ÜBER der unseren gäbe?

Thaddäus hat geschrieben:So ist ein berechtigter und vernünftiger Einwand, dass man durch solche terroristischen Aktionen der Sache des Islam mehr schadet als nützt
Sehe ich im konkreten Fall genauso - aber nicht absolut gesehen ("Ich folge DER Vernunft"), sondern aufgrund meiner Weltanschaaung/meinem Koordinatensystem/meine Kalibrierungs-Instanz. - Aber ich mache kenntlich, dass es weltanschaulich ist und tue nicht so, als sei es wissenschaftlich un-widersprechbar - als sei meine Weltanschauung "objektiv".

Thaddäus hat geschrieben:Die Ablehnung der Evolutionslehre durch Kreationisten ist rational innerhalb ihrer fundamentalistischen Glaubenslogik, aber sie ist nicht plausibel, weil die Evolutionstheorie eine der bestbestätigten naturwissenschaftlichen Theorien ist, die es überhaupt gibt. Usw.
Davon abgesehen, dass ich den (Kurzzeit-) Kreationismus ablehne, ist es schon wieder eine weltanschauliche Einstreuung Deinerseits, wenn Du meinst, dass Naturwissenschaft eine letztlich verbindliche Instanz sei. - Ontologisch wissen wir das nicht - wir wissen es aus unserer Erfahrung hier im Dasein.

Deshalb vermische ich nie Daseins-Sachen und spirituelle Sachen - beides interferiert nicht. - Gefährlich wird es, wenn es insofern interferiert, wenn man glaubt, bspw. Transzendenz via Wissenschaft falsifizieren zu können (gab's hier auch schon). - "Was des Kaisers und was Gottes ist" gilt auch für unsere Wahrnehmungs-Systeme - suum cuique.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn Wunder plausible Erklärungen für Ereignisse der natürlichen Welt wären, wären es keine "Wunder" mehr. Sie verlören ihren Status des Besonderen, der gerade darin besteht, völlig unplausibel zu sein.
OK - dann haben wir unterschiedliche Verständnisse von "plausibel" - für mich ist etwas "plausibel", wenn es innerhalb seines Systems nachvollziehbar und logisch widerspruchsfrei ist.

Insofern - insofern gebe ich Dir recht - ist die Auferstehung nach Daseins-Maßstäben nicht plausibel - aber vielleicht nach göttlichen Maßstäben. - Wobei wir wieder beim Thema "menschliche und göttliche Vernunft" wären.

Thaddäus hat geschrieben:Das Besondere des Glaubens an eine kontrafaktische leibliche Auferstehung Jesu besteht doch gerade darin, dass dieser Glaube völlig unplausibel ist
Lassen wir es so stehen - damit kann man bei semantischer Klärung leben.

Jetzt kommt aber der eigentliche Hammer:
Denn die HKM scheint ja "Plausibilität" und "Analogie" als festen Bestandteil ihrer Beweisführung zu verwenden - so: Welchen Sinn macht es, ein Geschehen, das in seiner göttlichen Natur für unsere Maßstäbe unplausibel sein muss, nach eben unseren Maßstäben der Plausibilität zu beurteilen? - Und am Ende daraus gar den Satz zu machen: Aus folgenden Analogie- und Plausibilitäts-Untersuchungen kommen wir zum Schluss, dass Jesus NICHT leiblich auferstanden ist.

Um es einmal ziemlich platt zu sagen:
Das läuft heraus auf den Satz "Es ist unplausibel, dass Pinguine nicht fliegen können, also ist ein Pinguin kein Vogel". - Aus meiner Sicht ist dies kein qualitatives Kriterium.

Wie bereits erwähnt:
Das, was von manchen exklusiv als "forschende Theologie" und somit unter Ausschluss der systematischen Theologie als Wissenschaft verstanden, wird, kann aus inhärent-methodischen Gründen nur zum Schluss kommen, dass Jesu Auferstehung rein mythisch und nicht historisch ist - weil der historische Fall als Möglichkeit gar nicht vorkommen kann - es ist methodisch ausgeschlossen. - Begründung siehe oben.

Und deshalb auch nochmals:
Das ist (vermutlich) der Grund, warum es jetzt eine gesamt-kanonische Exegese als Reaktion (!) darauf gibt und gar vom "Antichrist" innerhalb der HKM die Rede ist. - Was würdest Du als Papst sagen, wenn eine Wissenschaft mit dem inhärenten Ergebnis antritt, dass Jesus nicht leiblich auferstanden sein KANN? - Und dieses Ergebnis auch noch als Ergebnis einer ergebnisoffenen Forschung ausgibt (vermutlich, weil sie es selber glaubt), obwohl sie gar nicht zu einem anderen Ergebnis kommen KANN?

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#899 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Savonlinna » Sa 2. Apr 2016, 21:11

SilverBullet hat geschrieben: Im Zuge des „Gnosis“-Begriffs, bin ich auf das Judas-Evangelium gestossen, das wohl im 2. Jahrhundert entstanden sein soll (vielleicht im „Original“ auch schon viel früher).
Darin soll ein „Gegenentwurf“ der Jesus-Zusammenhänge enthalten sein.
Das bedeutet, es existiert ein ganz anderer Religions-Entwurf auf dem „gleichen Sachverhalt“, was und wie auch immer der Sachverhalt genau war – wobei es wohl sogar viele Entwürfe gab.

Was bedeutet es, dass die Leute damals sozusagen komplett „durch den Wind waren“ und in alle Richtungen „Ideen“ entworfen haben?
Nun, zumindest bedeutet es, …
…dass es eine Zeit war, in der fleissig Religionsgruppen entstanden sind.
…dass keine Eindeutigkeit vorlag

Die heutige „Eindeutigkeit“ der Bibelinhalte wurde, wenn ich es richtig verstehe, nicht dadurch hergestellt, dass man andere Meinungen beachtet hat, sondern genau das Gegenteil, also die Durchsetzung eines (konstruierten) Entwurfes erfolgte.

Wie ich gelesen habe, gab es wohl bis zu dem ersten grossen Konzil (4.Jhd) einen Umgang mit den einzelnen Entwürfen auf Diskussionsbasis – danach auf Macht- und Verfolgungsbasis.

Ein „Weltbild“, das derartiges auf dem Kerbholz hat, erhebt einen eindeutig erkennbaren (absoluten) Korrektheitsanspruch, der nicht auf dem „Beweisen von Meinungen“ basiert.

Denkst du, dass man, im Angesicht einer derartigen Vorgehensweise, so eine Religion heute ganz „jungfräulich“, allein durch Prämissenvergleich auf die gleiche Möglichkeits-/Qualitätsstufe heben sollte, wie sie von der Naturwissenschaft geliefert wird?

Diesem „Weltbild“ fehlt es an Überzeugungskraft (du sprichst selbst von emotionalen Wunsch-Voraussetzungen, die man zuerst aufstellen muss, um diesem „Weltbild“ folgen zu „wollen/können“).

Ist es nicht höchste Zeit, die Gegenteilsmeinungen/-entwürfe zu beachten und das „Weltbild“ zu konfrontieren, in dem man es in Frage stellt und zwar so, dass „die Wände wackeln“?

Müsste man dieses „Weltbild“ nicht zurück auf den Stand vor dem 4.Jhd setzen und es sich dann langsam durch Überzeugung hocharbeiten (oder untergehen) lassen?

Ausgezeichnet, SilverBullet!
Ich habe schon manchmal scharf gegen Dich geschossen, aber das, was Du da jetzt schreibst, trifft es dermaßen ins Schwarze, dass ich hellauf begeistert bin.

Ich bin gerade dabei, posts zum Thema Kanonanalyse zu strukturieren, und gerade habe ich da eine Professorin für Altes Testament, Katholische Theologie - Ilse Müllner -, am Wickel, die praktisch genau das sagt, was Du sagst ->

Die Kanonbildung war - und ist - verbale Gewalt!
Gewalt gegen Frauen - die man ausgeschlossen hat aus der Meinungsbildung -, Gewalt gegen Andersdenkende, die man ebenfalls ausgeschlossen hat aus der Meinungsbildung.
Und sie tut genau das, was Du forderst: blättert Gottheiten und Religionsformen auf, die noch im Judentum eine große Rolle gespielt haben und dann mit verbaler Gewalt ausgeschlossen wurden.

Ein anderer Prof, ebenfalls für Katholische Theologie, Egbert Ballhorn, haut in dieselbe Kerbe.
Heute, so sagt er, fragt man sich, ob der "Kanon" überhaupt auf die Bibel begrenzt werden könne: da er ein künstliches Produkt sei - so, wie Du es herausgefunden hast.
Muss man heute nicht auch Bertold Brecht und seine Sätze zur Bibel mit einbeziehen - so fragt er -, wenn man zu Recht von "Rezeption" der Bibel sprechen will?

Ja, man muss die Fragen so stellen, dass "die Wände wackeln", SiverBullet. Und es scheint schon begonnen zu haben.

closs
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#900 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Sa 2. Apr 2016, 21:48

Anton B. hat geschrieben:Ohne erkannte Setzung beißt doch gerade Du nimmer in die nächstbeste Currywurst.
Würde ich nicht sagen - es reicht doch, dass in der Wahrnehmung nichts setzungsfrei ist. - Man muss doch deshalb nicht alles rausfinden.

Anton B. hat geschrieben:Sie stellen Fragen: Warum ergibt gerade diese pragmatische Handlung Wissen?
Philosophisch fügen sie sicherlich irgendwo hinzu, dass "Wissen" definiert ist aus einer Setzung. - Der Satz "Das IST ein Stein" ist nur deshalb "Wissen", weil unsere Wahrnehmung uns erlaubt, ein vorgestelltes oder Entitäts-Phänomen als "Stein" wahrhaben zu können.

Anton B. hat geschrieben: Oder ist es in ein System eingebettet, welches anders, also ohne Setzungen, funktioniert.
Dann ist halt das System, in das es eingebettet ist, die Setzung - da kommt man nicht raus.

Anton B. hat geschrieben:Lassen sich die "Regeln" dieses Systems erkennen, verfeinern und damit diese "pragmatischen Handlungen" noch effizienter gestalten.
Das selbstverständlich - das ist ja Aufgabe pragmatischer Entwicklungs-Anstrengungen: "Wie gehe ich mit dem um, welches ich als x wahrnehme, und was mache ich daraus". - Auf dieser pragmatischen Ebene werden wir uns sicherlich einig werden.

Anton B. hat geschrieben:Und auch Du, lieber closs, hast Dir doch schon die ein oder andere Erklärung zur Wirkungsweise der Naturwissenschaften, selbstverständlich setzungsbasiert, erarbeitet und hier im Forum kund getan.
Natürlich - weil ich die Setzungen der Naturwissenschaften als solche sehr sinnvoll finde und mich danach halte.

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