Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

closs
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#871 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Do 6. Aug 2015, 01:13

Halman hat geschrieben: Vor diesem Hintergrund wird gefolgert, dass er die Enzeitrede in Mt 24,3ff in dieser Form nicht hielt und einer nachösterlichen Redaktion zugeschrieben werden kann.
Das ist ein klassisches Beispiel für mein Anliegen:

Hier wird wissenschaftliche Arbeit geleistet (Hinweise auf ein "davidsches Israel") - das ist gut. - Daraus wird interpretiert, dass Jesus politische Ambitionen hatte - also könne von ihm die Endzeitrede nicht stammen.

Nichts dagegen - aber: Es wäre angebracht, dass zwischen Wissenschaft und Interpretation getrennt wird - ODER wenigstens das eigene Modell nachvollziehbar dargelegt wird. - Letzteres möchte ich nicht in Frage stellen, jedoch erreicht dies lediglich einige Theologen, während die mediale Verarbeitung dies übergeht. - Es müsste klar werden, dass "hier" wissenschaftliche Beobachtung ist und dort ein Modell ( = "was wäre, wenn mein Modell-Ansatz tatsächlich richtig wäre"). - Es scheint ungeheuer schwer zu sein, diesen Unterschied zu vermitteln.

Halman hat geschrieben:Hier noch mal ein Link zu den Methoden der Bibelauslegung.
Schöne Zusammenfassung - den narrativen Ansatz finde ich noch besser als den kanonischen.

Halman hat geschrieben:Aus säkularer Sicht erscheint es logisch, dass auch Jesus ein politische Befreihung anstrebte, untrennbar verwoben mit der Religion. Dies könnte man als säkulare Hermeneutik bezeichnen
Es stört nicht, wenn es verschiedene Hermeneutiken gibt - es stört, wenn eine davon fast dogmatisch meint, sie sei die einzig wissenschaftliche.

Ist es ein Gewinn, wenn ein autoritäres System vom nächsten autoritären System verdrängt wird?

Halman hat geschrieben:Vermag denn der Autor Matthias Schulz keine Hyperbel zu erkennen? Sehr seltsam.
Man liest wörtlich wie die Kurzzeit-Kreationisten - zumindest scheint es so.

Die Aussage ist aus meiner Sicht spontan klar - aber da dies nicht intersubjektiv darstellbar ist (das geht tatsächlich besser mit "da steht abba"), ist es "Eisegese". :lol:

closs
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#872 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Do 6. Aug 2015, 01:27

Münek hat geschrieben:Ganz gewiss unterscheidet Ratzinger NICHT zwischen HKM und Hermeneutik.
Auf brutale Weise sicherlich nicht - aber lies mal folgenden Absatz aus wik mit Zitat-Einschüben von Ratzinger:

"Zwar untersucht sie <HKM> die Entstehungsgeschichte und den Anfangssinn der Bibeltexte als Menschenwort in seinem historischen Kontext, sie lässt jedoch die Frage nach der Inspiriertheit sowie Gegenwarts- und Zukunftsbezogenheit dieses vergangenen Menschenwortes zu: „Sie kann bei sorgfältigem Bedenken wohl den „Mehrwert“ erahnen, der in dem Wort steckt, eine höhere Dimension sozusagen durch das Menschenwort irgendwie hindurchhören [...] Im vergangenen Wort wird die Frage nach seinem Heute vernehmbar ...“ – somit eröffne die historische Methode ihre eigene Transzendierung" (wik).

Ratzinger versucht hier einen Spagat, indem er sagt:
* Historischer Kontext ist echt gut - aber da gibt's ja noch die "Inspiriertheit", die die HKM zulasse ( Tut die HKM das wirklich, lieber Münek?).
* Die HKM kann den "Mehrwert erahnen", der im Bibelwort steckt, "eine höhere Dimension hindurchhören" ( Tut die HKM das wirklich, lieber Münek?).
* Die HKM kann somit "die eigene Transzendierung eröffnen" ( Tut die HKM das wirklich, lieber Münek?).

Wäre Ratzinger ein unhöflicher Mensch, würde er es umgekehrt formulieren - nämlich: Wenn die HKM
* nicht inspiriert ist,
* nicht die höhere Dimension bei ihrer Arbeit durchhört und
* nicht ihre eigene Transzendierung eröffnet,
ist sie für'n Arsch. ;)

Bist Du immer noch sicher, dass Ratzinger nicht zwischen HKM und Hermeneutik unterscheidet?

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#873 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Do 6. Aug 2015, 01:38

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Und die oft zitierten Lehrbücher von Theißen & Merz und Schnelle beinhalten keine Exegese, weder religiös noch sonstwie.
Da gab es Zitate daraus, die das nicht gestätigen.

Kurt, hier gebe ich Dir recht.

In ihrem Buch "Der historische Jesus" legen die Verfasser Theißen/Merz biblische Texte ("Neues Testament", insbesondere
die Evangelien, aber auch das "Alte Testament", soweit in Bezug auf Jesus von Bedeutung) nach der "historisch-kritischen Me-
thode" aus - und zeigen redlicherweise und völlig selbstverständlich gewichtig erscheinende Gegenmeinungen bei bestimm-
ten Themen auf.

Was allerdings "Jesu Irrtum" betrifft, waren sie offenkundig nicht in der Lage, Gegenstimmen zu prä-
sentiren. Warum? (Jetzt scharf überlegen!) Weil es solche augenscheinlich nicht gibt. So einfach ist das...

Da ist ist natürlich klar, dass Du in der langen Zeit unserer Diskussion nie imstande warst, Gegenteiliges SUBSTANZIELL zu be-
legen und was Handfestes zu liefern
. Ein paar Namen (Ratzinger, Linnemann...) in den Raum zu werfen, die angeblich... :lol:,
und das wars dann, reicht da natürlich nicht...

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#874 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Do 6. Aug 2015, 01:46

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Ganz gewiss unterscheidet Ratzinger NICHT zwischen HKM und Hermeneutik.

Bist Du immer noch sicher, dass Ratzinger nicht zwischen HKM und Hermeneutik unterscheidet?

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn Du Dich mal über den Begriff "Hermeneutik" schlau machst, bevor wir hier weiter diskutieren.
Sonst reden wir hier immer aneinander vorbei...

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#875 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Do 6. Aug 2015, 03:32

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Wie kann ein Laie wie Du beispielsweise behaupten, die neutestamentlichen Forscher hätten dieses oder jenes berücksichtigen müssen (um zu einem angemessenen Ergebnis zu kommen)
Ich würde es jetzt anders formulieren: Wenn die rein wissenschaftliche HKM-Arbeit abgeschlossen ist, sollte dem Leser erkenntlich gemacht werden, wo Wissenschaft aufhört und Auslegung beginnt.

Lenke nicht ab, weiche nicht aus, eiere nicht rum, sondern gehe auf meinen nicht unberechtigten Vorwurf ein.

Nochmals (und hier bin ich aus gutem Grund sehr hartnäckig und erwarte eine klare Antwort):

Du verfügst über keinerlei Informationen darüber, wie die neutestamentlichen Forscher zu ihrem Ergebnis, hier sogar
zu einem einvernehmlichen Resultat gekommen sind. Du weißt nicht, welche Punkte sie im Detail in ihrem abwägen-
den Erkenntnisprozess berücksichtigt haben und welche nicht.

Trotz Deines Nichtwissens, besitzt Du die Chuzpe (= Dreistigkeit, Frechheit), diesen Fachleuten zu unterstellen, "sie
hätten aber dieses oder jenes berücksichtigen müssen."

Unverfrorener geht es nicht.

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#876 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Do 6. Aug 2015, 03:58

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Ganz gewiss unterscheidet Ratzinger NICHT zwischen HKM und Hermeneutik.
Auf brutale Weise sicherlich nicht -

Ratzinger unterscheidet zwischen HKM und Hermeneutik weder brutal noch unbrutal.

Er trifft diese von Dir unterstellte Unterscheidung nicht, weil diese schlicht Blödsinn wäre...


Also so langsam richte ich meinen atheistischen Blick nach "oben" und erflehe: Herr, wirf Hirn herab... :roll:

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#877 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Do 6. Aug 2015, 08:33

Münek hat geschrieben:Was allerdings "Jesu Irrtum" betrifft, waren sie offenkundig nicht in der Lage, Gegenstimmen zu präsentiren. Warum?
Da müsste ich spekulieren - vermutlich, weil sie nur im eigenen Lager gesucht haben.

Münek hat geschrieben:Ein paar Namen (Ratzinger, Linnemann...) in den Raum zu werfen, die angeblich... :lol:, und das wars dann, reicht da natürlich nicht...
Die Grundaussage war, dass die Naherwartung Jesu in kanonischer Hermeneutik - vorsichtig ausgedrückt - nicht die Regel ist. - Die Naherwartung ist das Produkt einer besonderen Perspektive und als solches akzeptiert.

Münek hat geschrieben:Vielleicht wäre es hilfreich, wenn Du Dich mal über den Begriff "Hermeneutik" schlau machst, bevor wir hier weiter diskutieren.
Da wäre Ratzingers Aussage ein guter Einstieg. - Wie verstehst Du seine hier zitierte Aussage?

Münek hat geschrieben: Du weißt nicht, welche Punkte sie im Detail in ihrem abwägenden Erkenntnisprozess berücksichtigt haben und welche nicht.
Die Details kennen wir beide nicht (das ist auch nicht nötig) - es geht hier darum, welche Perspektive sie einnehmen, um zu ihrem Ergebnis zu kommen. - (NIcht nur) Ratzinger hat eine andere Perspektive.

Keiner unterstellt den historisch-kritische Exegeten, dass sie schlampig arbeiten - es wird nur darauf hingewiesen, dass die Perspektive das Ergebnis beeinflusst.

Münek hat geschrieben:Ratzinger unterscheidet zwischen HKM und Hermeneutik weder brutal noch unbrutal.
Das ist wirklich eine heikle Frage. - Du hast insofern recht, dass Ratzinger tatsächlich von HKM-Hermeneutik spricht, dieser jedoch als Erweiterung die kanonische Hermeneutik entgegensetzt.

Allein damit wird klar, dass die Art der "Hermeneutik" entscheidend ist, zu welchen Ergebnissen man kommt - das ist schwer mit dem Wissenschafts-Begriff in Deinem Verständnis zu vereinbaren (Du erweckst den Eindruck, es könne keine unterschiedlichen wissenschaftlichen Ergebnisse zur selben Frage geben - oder täusche ich mich?). - Wenn man Hermeneutik als TEIL der HKM versteht, muss man sich klar darüber sein, dass dann HKM einerseits eine wissenschaftliche, andererseits eine weltanschauliche "Einrichtung" ist - ob man dieses Weltanschauliche einfach so mit "Modell" abtun kann, möchte ich dahingestellt sein lassen.

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#878 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Hemul » Do 6. Aug 2015, 12:06

Münek hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Ganz gewiss unterscheidet Ratzinger NICHT zwischen HKM und Hermeneutik.
Bist Du immer noch sicher, dass Ratzinger nicht zwischen HKM und Hermeneutik unterscheidet?
Vielleicht wäre es hilfreich, wenn Du Dich mal über den Begriff "Hermeneutik" schlau machst, bevor wir hier weiter diskutieren.
Sonst reden wir hier immer aneinander vorbei...
Seit wann das denn? :Smiley popcorn: Fing das vor-oder nach dem 1.Weltkrieg an? :lol:
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

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#879 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Do 6. Aug 2015, 12:31

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Was allerdings "Jesu Irrtum" betrifft, waren sie offenkundig nicht in der Lage, Gegenstimmen zu präsentiren. Warum?
Da müsste ich spekulieren - vermutlich, weil sie nur im eigenen Lager gesucht haben.

Wo denn sonst? In welchem "Lager" findet denn sonst noch "Bibelexegese" statt?.

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#880 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Do 6. Aug 2015, 13:39

Münek hat geschrieben:Wo denn sonst? In welchem "Lager" findet denn sonst noch "Bibelexegese" statt?.
Die kanonische Hermeneutik basiert auf der HKM, wünscht sich aber (ich wiederhole):

* dass die HKM offen ist für geistige Inspiration,
* dass sie die höhere Dimension ihrer Arbeit durchhört und
* dass sie ihre eigene Transendierung eröffnet.

Wie gesagt: Wir sprechen nicht von DEM Teil der HKM, der wissenschaftlich nüchtern feststellt, sondern von der Art der Schlussfolgerungen daraus (die man offensichtlich als Teil der HKM versteht - was mir nicht behagt, weil damit die Grenze zwischen Wissenschaft und Interpretation verwischt wird. - Aber wenn es wirklich so ist, dann ist mein Unbehagen irrelevant - was nichts dan den Fakten ändert).

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