closs hat geschrieben:Münek hat geschrieben:Das Plausibilitätskriterium gilt für alle Weltanschauungen.
Merkst Du wirklich nicht, dass die Bewertung, was plausibel ist und was nicht, eines Wahrnehmungs-Maßstabs bedarf, der in einem Wahrnehmungs-System/einer Methodik definiert ist?
Ich selbst habe oben Plausibilität mit Rationalität in Verbindung gebracht, was einerseits richtig ist, denn Rationalität spielt für die Einsicht in die Plausibilität eines Zusammenhangs eine Rolle, andererseits aber in die Irre führt, weil Rationalität und Plausibilität nicht bedeutungsgleich sind.
So ist es innerhalb der Glaubens- und Weltanschauungslogik von IS-Terroristen durchaus
zweck-rational, sich auf öffentlichen Plätzen in die Luft zu sprengen, um so möglichst viele Menschen zu töten, denn das ist der Zweck; und es ist innerhalb der Glaubens-Logik eines mittelalterlichen Katholizismus zweckrational, Inquisition zu betreiben und Hexen zu verbrennen, denn der Zweck ist es, unheilvolle, dämonische Kräfte zu bekämpfen.
Beides ist aber nicht plausibel und hat mit Plausibilität eigentlich gar nichts zu tun.
Plausibilität ist wiederum
ausschließlich auf Aussagen bzw. Hypothesen (Theorien) bezogen. Nur Aussagen können plausibel sein. Die Plausibilität einer Aussage hängt dabei unmittelbar von ihrer
Inference to Best Explanation ab, also dem
Schluss auf die beste Erklärung. Eine Aussage oder mehrere zusammenhängende Aussagen sind dann plausibel, wenn sie die beste (= einleuchtendste, wahrscheinlichste, überzeugendste, nachvollziehbarste, begreiflichste) Erklärung für etwas anbieten.
Die Aussage:
"Jesus Christus ist leiblich von den Toten auferstanden" (weil Gott ihn hat von den Toten auferstehen lassen) ist NICHT plausibel, und vor allem will sie
als Glaubensaussage auch gar nicht plausibel sein!
Nach allem, was wir über das Sterben von Menschen und ihr Totsein wissen, auferstehen Tote körperlich nicht wieder und leben dann weiter, sondern sie bleiben tot und der Körper des Verstorbenen zerfällt. Das muss man auch nicht erst groß beweisen, denn es ist ein
fact in the world. Deshalb ist diese Glaubens-Aussage nicht plausibel. Jeder Gläubige weiß auch, dass diese Glaubens-Aussage nicht plausibel ist, - und genau darum wird sie zum Bekenntnis zu einem Wunder. Das Bekenntnis zum Wunder der Auferstehung Christi wird gerade dadurch zum Bekenntnis zu eben einem
Wunder, weil dieses Glaubensbekenntnis NICHT plausibel ist. Wäre dieses Glaubensbekenntnis plausibel, müsste man sich nicht zu dieser kontrafaktischen Glaubens-Aussage bekennen. Man glaubt also daran, OBWOHL die Aussage nicht plausibel ist.
Sie wird auch nicht plausibiler durch die weitere Erklärung, dass Gott dieses Wunder bewirkt hat, denn Menschen sterben nach wie vor und sie bleiben auch tot, wenn sie gestorben sind, ob man annimmt, es gibt einen Gott oder ob man es nicht annimmt. Wir beobachten keine leiblichen Auferstehungen, womit diese Glaubens-Behauptung unbestätigt und damit unwahrscheinlich bleibt.
In der liberalen ev. Theologie hat man versucht, die leibliche Auferstehung Christi besser zu erklären, indem man annahm, dass Jesus vermutlich nur scheintot war. Diese Erklärung ist plausibler als eine Wundererklärung, aber gerade eine solche Erklärung ist für den christlichen Glauben völlig unbefriedigend, denn es soll ja gerade ein Wunder sein!
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Wie ich diese Aussage qualifiziere? Sie ist Unsinn und kann so nur vorgetragen werden von jemand, der von Erkenntnistheorie keinen Schimmer hat.
Dann gibt das mal weiter an Deine Forums-Kollegen.
Es ist nicht schlimm, wenn jemand keine Ahnung von Erkenntnistheorie hat. Außer ein paar Philosophiespezialisten und Nerds haben die Wenigsten davon Ahnung und es fehlt ihnen nichts. Wenn man sich allerdings auf dieses philosophische Feld begibt, muss man sich an fachphilosophischen Kriterien messen lassen und Rede und Antwort stehen und unter Umständen zugestehen, dass man sich philosophisch zu undifferenziert ausgedrückt hat.
closs hat geschrieben:Hier würde ich sagen: "gilt dann innerhalb eines mehodischen Systems als wahr, wenn ...". - Also keine ontologische alias absolut gültige Aussage ("wahr" wird so verstanden), sondern eine wahre Aussage im Sinne der Methodik, der sie entspringt.
Nein, denn dann hinge die Wahrheit einer Aussage allein von der Weltanschauung oder Methode ab und dann gibt es keine Wahrheit. Deshalb schrieb ich an anderer Stelle, du verträtest einen postmodernen oder radikalkonstruktivistischen Beliebigkeitsansatz, nach dem praktisch jede Ansicht gleich-wertig und gleich-wahr ist. Die Wahrheit einer Aussage wird zwar (auch) durch den theoretischen Rahmen bestimmt, innerhalb dem die Aussage getroffen wird, aber dieser theoretische Rahmen ist selbst wiederum nicht beliebig wählbar, wenn er
plausibel sein soll.
Das euklidische Parallenaxiom stellt fest, dass sich zwei parallel laufende Geraden auch im Unendlichen nicht berühren. In der riemannschen Differenzialgeometrie (die Einstein für seine Feldgleichungen benutzte), gilt dieses Axiom nicht mehr. Sowohl der Rahmen der euklidischen Geometrie, als auch der Rahmen der riemannschen Geometrie sind aber in sich konsistent und schlüssig.
closs hat geschrieben:Poppers Aussage ist super. - Daraus folgt die Frage: Wie stehen methodische Wahrheit und Realität zueinander? - Ist man sich im allgemeinen bewusst, dass wahre Aussagen im Sinne einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht notwendigerweise mit Realität übereinstimmen MÜSSEN?
Das kommt auf den Inhalt der aussage bzw. der Behauptung an. Wenn sich eine Aussage auf "die Realität" bezieht und sie ist wahr, dann macht sie logischerweise eine wahre Aussage über die Realität (sonst wäre sie ja falsch).
closs hat geschrieben:Versteht man "Empirie" im ursprünglichen Sinne des Wortes als "Erfahrungswissen" (ohne weiteren methodischen Ballast), ist das Verhältnis zwischen Mensch und Gott selbstverständlich empirisch.
Ja, das mag schon sein. Wenn ein gläubiger Mensch betet und Gott antwortet ihm, dann gibt es zwei Möglichkeiten: entweder bildet sich der Betende nur ein, dass Gott ihm antwortet, oder es ist tatsächlich ein Gott, der ihm antwortet. Da es aber keinerlei Möglichkeit gibt, diese Frage empirisch zu klären und also auch nicht zu verifizieren oder falsifizieren, ob dies oder jenes der Fall ist, ist es keine empirisch zu beantwortende Frage, welche der Möglichkeiten zutrifft.
closs hat geschrieben:
Welche Wortempfehlung würdest Du einem Christen geben, der diese Erfahrungswerte mit Gott hat?
Das kommt darauf an, wie er "Gott" definiert. Definiert er Gott als die menschliche
Idee, dass es "etwas Höheres" als den Menschen gibt, dann spricht er vermutlich nicht mit Gott, sondern transzendiert sich selbst in einen übergeordneten Sinnzusammenhang. Definiert er Gott hypostasierend als eine transzendente, von ihm unabhängige und quasi-verdinglichte Wesenheit, dann kann er immer nur davon sprechen
zu glauben, dass er tatsächlich Erfahrungen mit dieser hypostasierten Wesenheit macht.
closs hat geschrieben:
Würdest Du Jesu Auferstehung deshalb ausschließen, weil bisher nicht falsifiziert ist, dass alle Menschen sterblich sind?
Nein, ich schließe Jesu
leibliche Auferstehung aus, weil die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung mythisch ist und dem entsprechend den Fokus auf das Mirakel legt, wie es wohl möglich sein kann, dass ein toter Körper wieder leben kann. Dahinter steckt die Vostellung, dass Gott nur Gott ist, wenn er Naturgesetze brechen kann. Ich halte das für eine lächerliche Gottesvorstellung, wenn man nicht mehr in einem mythischen Weltbild lebt.
closs hat geschrieben:
In eigener Sache:
Danke für Deine Korrekturen, wenn ich Begriffe schlampig verwende (habe seit 30 Jahren nicht mehr wissenschaftlich gearbeitet). - Trotzdem meine Bitte: Lass Dir dadurch nicht Deinen Blick für die Inhalte dahinter wegnehmen - da bin ich eher NICHT schlampig.

Philosophie besteht zu vermutlich über 50% darin, Begrifflichkeiten zu differenzieren und sauber auseinander zu halten. Tut man das nicht, weiß keiner so recht, worüber eigentlich genau gesprochen wird. Den Blick auf die Inhalte hinter dem, was du formulierst, kann ich nur bekommen, wenn ich weiß, was du eigentlich genau meinst. Das ist aber nicht möglich, wenn du manchmal Privatdefinitionen einführst ("geistig", statt "geistlich") oder du unklar formulierst. So verwendest du den Begriff "Falsifikation" inflationär für alles Mögliche, aber dadurch wird manches falsch oder eben unklar, was möglicherweise ein berechtigter Gedanke oder Einwand von dir ist.