Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

closs
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#731 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » So 2. Aug 2015, 11:35

Salome23 hat geschrieben:Hab ich doch zitiert
Oh - sorry. - Die andere Übersetzung hat mich schlumpern lassen, dass es eine andere Stelle ist.

Zur Buße werde ich jetzt 14 Tage Rotwein statt Kaffee zum Frühstück trinken. :!:

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sven23
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#732 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von sven23 » So 2. Aug 2015, 12:09

closs hat geschrieben:Weiß hat keinen umfassenden Nachweis erbracht, sondern einen Nachweis auf Basis seines positivistischen Ansatzes - einen Nachweis, dass bei Gesamt-Betrachtung der Bibel Jesus eine "äußere" Naherwartung hatte, gibt es nicht.
Doch, hat er . Lies mal "Die Schriften des Neuen Testaments". Sein Nachweis war so gut, daß er bis heute Bestand hat, und das will was heißen.

closs hat geschrieben: Die Kontroverse hat sich aus christlicher Sicht ebenfalls seit Jahrzehnten erledigt -
Er hat sich nur insofern erledigt, als daß eine Gegenposition nur glaubenstechnisch unterfüttert werden kann und nicht nach den Regeln der HKM.
Denn nach wie vor gilt: Wer den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, muß sich auch an den Kriterien der Wissenschaft messen lassen.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:"Man wird mit gutem Grund sagen können, dass wir es hierbei nicht mit der Darstellung von Geschichte zu tun haben, sondern, dass hier an einer Legende gewoben wird
Altes Thema: Wissenschaftliche Arbeit "gut" - weltanschauliche Schlussfolgerung "unbefriedigend".

Warum muß eine Schlußfolgerung automatisch weltanschaulich geprägt sein? Wenn ein Kunstfälscher ein Bild fälscht, dann kann man zu 99% davon ausgehen, daß seine Motivation ökonomischer Natur ist.
Ebenso verhält es sich bei der Bibel. Texte wurden nicht aus Jux und Dollerei gefälscht und kreativ verändert, sondern weil eine bestimmte Absicht und bestimmte Ziele damit verbunden waren. Das hat doch nichts mit Weltanschauung zu tun.
Ideologie wäre es, wenn man davor die Augen verschließt.

closs hat geschrieben: Denn die Tatsache, dass die Texte "als stille Post" entstanden sind, sagt nichts darüber aus, ob die substantielle Wiedergabe richtig oder falsch ist.
Wichtig wäre es mal, deutlich zu kommunizieren, wie die Schriften entstanden sind. Ob man damit Fundamentalisten überzeugen kann, weiß ich nicht. Zumindest könnte man mal mit dem Märchen aufräumen, daß das, was in der Bibel steht, Gottes unverfälschtes Wort sei und die böse Kirche die Bibel nicht richtig ausgelegt habe. Die Kirche hat von Anfang an kräftig mitgemischt an der Bibel, so wie sie dann kanonisiert wurde.


"Der heutige Text des Neuen Testamentes ist ein Mischtext, das heißt er wurde aus den verschiedensten Überlieferungen zusammengestückelt. Er beruht 1. auf griechischen Handschriften, 2. alten Übersetzungen und 3. den oft aus dem Gedächtnis angeführten neutestamentlichen Zitaten der Kirchenväter. Justin etwa bietet davon über 300, Tertullian über 7000, Origenes fast 18000. Die Werke der Kirchenväter freilich sind selbst wieder mit recht unterschiedlicher Zuverlässigkeit überliefert."
Quelle

"Das Christentum, wie wir es heute kennen, ist das Ergebnis einer Bestrebung, die im 2., 3. und 4. Jahrhundert einsetzte und bis zur Gegenwart anhält, der Versuch, das hebräische Gedankengut mit der neoplatonischen Philosophie zu vermischen.
...
Würden die Kirchen ihre Gläubigen darüber aufklären, wie ihre Glaubenslehren und ihre Dogmen wirklich entstanden sind, und würden sie die Absurditäten ihrer Mysterien entschleiern, die Gläubigen würden ihnen empört den Rücken kehren und in Scharen davonlaufen."

Quelle

Interessant ist auch, daß die Römer bis in Jahr 130 gar nicht zwischen Christen und Juden unterschieden. Für sie waren die Anhänger des Chrestos nur eine Spielart des jüdischen Glaubens.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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Münek
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#733 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » So 2. Aug 2015, 12:35

closs hat geschrieben:
Salome23 hat geschrieben:=Inneres Gottesreich
Lukas 17
20 Da er aber gefragt ward von den Pharisäern: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden;
21 man wird auch nicht sagen: Siehe hier! oder: da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.

Diese Ausage ist einzigartig im "Neuen Testament".

Sie gehört nach Auffassung der Theologen Theißen/Merz zum sog. "Sondergut" des Evangelisten Lukas. Mit diesem "Rätselspruch" scheinen die beiden Wissenschaftler nichts Rechtes anfangen zu können. Er gehört nicht zur Predigt Jesu an das Volk und lässt sich auch nicht in seinen vielen Gleichnissen über das "Reich Gottes" festmachen.

Jesus spricht in Lk. 17,21 nicht zu seinen Jüngern oder dem Volk, sondern zu den Pharisäern, seinen erklärten Gegnern. Sollte Jesus gerade ihnen gegenüber geäußert haben, dass "Reich Gottes" befände sich in ihrem "Herzen oder Inneren."? Das halte ich für ausgeschlossen, denn an anderer Stelle nannte er sie Heuchler und schleuderte ihnen entgegen (Mt. 23, 28):

"Im Inneren... seid ihr voller Heuchelei und Gesetzlosigkeit."

In der Bergpredigt richtete sich Jesus an das aus allen Teilen Israels zusammengeströmte Volk und sagte u.a. (Mt. 5,20]:

"Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen."

Soweit die Pharisäer und ihr "inneres Gottesreich"...

In der Bergpredigt und an anderen Stellen spricht Jesus im Übrigen vom "Reich Gottes", in das man hineingelangen, zu dem man Zutritt haben kann, ja sogar essen und trinken und auf Thronen sitzen kann - und nicht von einem Reich, das sich als solches im Inneren der Menschen befindet. Aufgrund einer einzigen Bibelstelle zu folgern, Jesus habe dem Volk ein "Inneres Gottesreich" verkündet, ist abwegig; es hätte sich darunter auch gewiss nichts vorstellen können...

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Münek
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#734 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » So 2. Aug 2015, 13:05

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die theologische Wissenschaft unterscheidet nicht zwischen einem "inneren" und einem "äußeren" Gottesreich.
WENN es so wäre, wäre theologische Wissenschaft komplett von der Rolle.

Jawoll, es wird Zeit, dass Du diesen Ignoranten und Dilettanten mal gehörig den Marsch bläst. Du Teufelskerl. :lol:

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#735 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Catholic » So 2. Aug 2015, 14:40

Münek hat geschrieben: Folgt man Jesu apokalyptischen Schilderungen seinen Jüngern gegenüber (z. B. Mk. 13, 3-33), dann war es auch so.

Die Gottesherrschaft sollte ja auf Erden errichtet werden; ...

und Jesus hat den Menschen verkündet,dass er die Römer aus dem Land vertreiben und dass er die politische Herrschaft übernehmen wird?
oder zumindestens die Apostel?

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#736 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Catholic » So 2. Aug 2015, 14:47

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: "Man wird mit gutem Grund sagen können, dass wir es hierbei nicht mit der Darstellung von Geschichte zu tun haben, sondern, dass hier an einer Legende gewoben wird
Altes Thema: Wissenschaftliche Arbeit "gut" - weltanschauliche Schlussfolgerung "unbefriedigend".

Denn die Tatsache, dass die Texte "als stille Post" entstanden sind, sagt nichts darüber aus, ob die substantielle Wiedergabe richtig oder falsch ist....

Nicht nur das,diese "Stille-Post"-Argumentation ("Die Jünger haben etwas über ihre Erlebnisse mit Jesus weitererzählt,was dann mehr oder weniger korrekt wiedergegeben wurde und dann - wenn auch mit diversen Fehlern im Kanon landetet!")
allein schon auf das Evangelium nach Lukas nicht zutrifft,kommt gerade beim Verfasser des Evangeliums nach Lukas hinzu,dass er sicher nicht nur eine Legende erzählen sondern historische Begebenheiten weitergeben wollte.
Hätte er nur eine Legende erzählen wollen,würde schon der Anfang des Evangeliums nicht passen.

closs
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#737 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » So 2. Aug 2015, 15:00

sven23 hat geschrieben: Sein Nachweis war so gut, daß er bis heute Bestand hat, und das will was heißen.
Der "Nachweis", dass Jesus selbst eine "äußere" Nah-ERWARTUNG hatte, ist NICHT erbracht. - Dass Weiss im Rahmen seines Modells wertvolle Erkenntnisse gesammtelt hat, ist unbestritten. - Aber er hat sicherlich nichts nachgewiesen, was man gar nicht nachweisen kann.

sven23 hat geschrieben:Er hat sich nur insofern erledigt, als daß eine Gegenposition nur glaubenstechnisch unterfüttert werden kann und nicht nach den Regeln der HKM.
Dies hieße aber, dass die HKM nur die Rolle eines wissenschaftlichen Zuträgers spielen kann.

Also was willst Du jetzt? - Eine HKM, die Hermeneutik (nach meinem Verständnis: "Die Reflexion der Bedingungen des Auslegens, Deutens und Verstehens ... wird Hermeneutik genannt. ) beinhaltet, KANN diesen Nachweis nicht führen. - Eine HKM, die wissenschaftlicher Zuträger der Hermeneutik ist, DARF diesen Nachweis nicht führen (weil es dann nicht ihr Job ist). - Also was willst Du?

sven23 hat geschrieben: Das hat doch nichts mit Weltanschauung zu tun.
Das nicht. - Wenn man feststellt, dass Text x gefälscht wurde, ist dies eine nüchterne Feststellung ohne jeglichen weltanschaulichen Bezug - dafür ist HKM da.

sven23 hat geschrieben:Texte wurden nicht aus Jux und Dollerei gefälscht und kreativ verändert, sondern weil eine bestimmte Absicht und bestimmte Ziele damit verbunden waren.
Oder weil es gar keine subjektive Fälschung ist, sondern gut gemeinte Fehl-Rezeption. - Spannendes Thema.

Aber all das sagt nichts darüber aus, ob Jesus selbst eine Naherwartung hatte. - Es sagt nur etwas darüber aus, was die Schreiner dachten bzw. intendierten.

sven23 hat geschrieben:Zumindest könnte man mal mit dem Märchen aufräumen, daß das, was in der Bibel steht, Gottes unverfälschtes Wort sei
Das hat damit gar nichts zu tun - wenn es Gottes Wille wäre, dass sein Wort auf diese Weise verkündet wird, wäre das seine Sache. - Also kein Argument.

Davon abgesehen bin auch ich der Meinung, dass die Bibeltexte nicht "Gottes Wort" in dem Sinne sind, dass jedes Wort wahr ist, sondern dass die Bibeltexte "gott-gewolltes" Wort ist - im Sinne von "Prüfet und behaltet das Gute".

Natürlich sind die Bibeltexte bisweilen menschen-kontaminiert - aber genau das ist doch Teil der Message. - Und schon kommt die HKM und sagt: "Geistiges Argument - gilt nicht" und wurstelt pseudo-geistig rum, statt sich auf nüchterne Fakten zu beschränken.

sven23 hat geschrieben:Interessant ist auch, daß die Römer bis in Jahr 130 gar nicht zwischen Christen und Juden unterschieden. Für sie waren die Anhänger des Chrestos nur eine Spielart des jüdischen Glaubens.
Gut nacfhvollziehbar. - Was schließen wir daraus?

Münek hat geschrieben:Mit diesem "Rätselspruch" scheinen die beiden Wissenschaftler nichts Rechtes anfangen zu können.
Passt. - Für Christen ist einer der selbstverständlichsten Sätze des NT - und übrigens NICHT ein Einzelspruch, sondern das Ende eines Motives, das spätestens mit Salomos Tempelbau beginnt. - Für Theißen/Merz ist es "Sondergut" - klingt so wie "Sonder-Müll", den es zu entsorgen gilt, weil er in geistige Ebenen führt, die ja unwissenschaftlich sind. *kopfkratz*

Münek hat geschrieben:Sollte Jesus gerade ihnen gegenüber geäußert haben, dass "Reich Gottes" befände sich in ihrem "Herzen oder Inneren."?
Warum denn nicht? - "Ihr, liebe Pharisäer, sucht an der falschen Ecke - kehrt um".

Münek hat geschrieben:"Im Inneren... seid ihr voller Heuchelei und Gesetzlosigkeit."
Was ist denn DAS? - Was Jesus damit sagen will, ist: "Das Reich Gottes kann in Euch nicht platz-greifen, wenn Euer inneres besetzt ist mit Heuchelei und Gesetzlosigkeit". - Standard in der Bibel.

Münek hat geschrieben:Aufgrund einer einzigen Bibelstelle zu folgern, Jesus habe dem Volk ein "Inneres Gottesreich" verkündet, ist abwegig; es hätte sich darunter auch gewiss nichts vorstellen können...
Nochmal: Es ist ein durchgehendes Motiv.

Davon abgesehen: Du siehst es genau richtig: Diesen Paradigmen-Wechsel von AT zu NT konnte sich das Volk nicht vorstellen - und auch die Jünger mussten es nach und nach lernen. - Dementsprechend ist die Jesus-Rezeption durch Jünger und SChreiber kontaminiert.

Münek hat geschrieben:In der Bergpredigt und an anderen Stellen spricht Jesus im Übrigen vom "Reich Gottes", in das man hineingelangen, zu dem man Zutritt haben kann, ja sogar essen und trinken und auf Thronen sitzen kann
Entweder er meint damit das apokalyptische "äußere" Reich am Ende der Zeit oder es ist ein Bild in der Sprache der Menschen. - Da müsste man Theologen unterschiedlicher Schulen abklappern und fragen.

Münek hat geschrieben: es wird Zeit, dass Du diesen Ignoranten und Dilettanten mal gehörig den Marsch bläst.
Um dies zu vermeiden, habe ich von "wären" gesprochen. - Vermutlich ist unsere Diskussion hier längst erledigt.

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#738 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » So 2. Aug 2015, 15:03

Münek hat geschrieben:Die Gottesherrschaft sollte ja auf Erden errichtet werden; ...
Wie deutest Du den Satz: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" ---???---

Catholic hat geschrieben:Hätte er nur eine Legende erzählen wollen,würde schon der Anfang des Evangeliums nicht passen.
Natürlich wollte er einen Erlebnis-Bericht schreiben - wobei ich glaube, dass dieser Bericht in sich geprägt ist vom Verständnis des SChreibers ("reziptive Kontaminierung" - falls es diesen Begriff gibt :lol: )

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#739 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von sven23 » So 2. Aug 2015, 15:03

Catholic hat geschrieben: Nicht nur das,diese "Stille-Post"-Argumentation ("Die Jünger haben etwas über ihre Erlebnisse mit Jesus weitererzählt,was dann mehr oder weniger korrekt wiedergegeben wurde und dann - wenn auch mit diversen Fehlern im Kanon landetet!")
allein schon auf das Evangelium nach Lukas nicht zutrifft,kommt gerade beim Verfasser des Evangeliums nach Lukas hinzu,dass er sicher nicht nur eine Legende erzählen sondern historische Begebenheiten weitergeben wollte.
Nicht nur durch die stille Post wurden unabsichtlich Fehler übertrage, sondern auch bewußt ganz absichtlich wurden Hinzufügungen, Ergänzungen, Weglassen und Fälschungen in Umlauf gebracht. Die Kirche hatte ein paar hundert Jahre Zeit, bis alles in ihrem Sinne schriftlich fixiert war. Bis zu Kanonisierung herrschte Chaos pur.


Catholic hat geschrieben: Hätte er nur eine Legende erzählen wollen,würde schon der Anfang des Evangeliums nicht passen.
Tut er ja auch nicht. Schon bei der Geburt Jesu wird geschummelt.
http://www.bibelkritik.ch/bibel/g9.htm
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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Halman
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#740 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Halman » So 2. Aug 2015, 15:11

closs hat geschrieben:
Salome23 hat geschrieben:=Inneres Gottesreich
Lukas 17
20 Da er aber gefragt ward von den Pharisäern: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden;
21 man wird auch nicht sagen: Siehe hier! oder: da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.
Inwendig in den Pharisäern? Kann Jesus das so gemeint haben? - Dies hatte ich schon mit Savonlinna im "Parusdie-Thread" diskutiert und sind wir meines Wissens zur Erkentnis gelangt, dass es eine Frage der Übersetzung und sicher auch Interpretation ist. Deine Position zu vertreten schient mir daher semantisch möglich zu sein, doch im Zusammenhang vermag ich nicht zu glauben, dass Jesus dies so gegenüber seinen Gegnern gemeint hat. Ich denke, Jesus spielte damit auf seine Königswürde an - er war ja mitten unter ihnen und sie erkannten ihn nicht. Dies macht meiner bescheidenen Meinung nach kontextuell viel mehr Sinn.
Das Reich Gottes verstehe ich nicht als inwendiges Gefühl, sondern als machtvolles Reich im Himmel, verbunden mit der Hoffnung, dass das Reich Gottes auch irgendwann auf Erden ausgedehnt wird.

Die Vertreter der historisch-kritischen Exegese verstehen die Texte vom historischen Standpunkt her. Der hermeneutische Zugang erfolgt unter der Voraussetzung etsi deus non daretur und somit gem. einer rationalistischen Weltanschauung. Da wir uns hier in einem sehr kontroversen Feld befinden, welches von hoher gesellschafts-politischer Bedeutung, ja Brisans, ist, verwundert mich doch das naive Vertrauen in der völligen Ergnisoffenheit und Unvoreingenommenheit der Exegese.
Wenn gewisse Teile der Evangelien "entsorgt" werden, weil sie als "antijudaistisch" gewertet werden, spielt dann die gesellschaftlich-politische Dimension einer historisch extrem belasteten Vergangenheit, die traurigerweise bis in die Gegenwart reich, etwas keine Rolle?
Wenn ein bedeutender Exeget, wie Erich Zenger, der sich löblicherweise im Gesprächskeirs „Juden und Christen“ engagierte und eine verdiente Auszeichnung für den jüdisch-christlichen Dialog erhielt, dann hat dies natürlich auch eine politische Bedeutung. Wenn aber ein bibeltreuer Klaus Berger die "Heilige Schrift" nicht antasten will, gilt er als nicht "antijudaistisch" genug. (In seinem Buch vernahm ich übrigens nicht eine antijudaistische Silbe, ganz im Gegenteil.)

Die fundamentalistische Position der Kirchen in der Zeit der Reformation riefen natürlich Widerstand hervor. In der historisch belasteten Debatte wird immer wieder auf die Geschichte verwiesen und zu leicht wird die Diskussion auch zu emotional geführt. Die Bibel ist nicht wie jeder historische Text, da ihre Gewichtung in unserer Gesellschaft von anderer Tragweite ist. All das spielt hinein in der Aufklärung und kann auch die Exegese beeinflussen.
Jeder verfolgt irgendwelche Absichten und vertritt gewissen Meinungen. Der völlig vorurteilsfreie Exeget gehört ebenso ins Reich der Fantasie, wie der völlig objektive Journalist und der Vogel Greif.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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