SamuelB hat geschrieben: ↑Sa 28. Nov 2020, 08:03
Ich denke, diese alte Gottesvorstellung ist genau deshalb und dadurch geprägt. So betrachtet, kann ich daran nichts Schlechtes erkennen, sondern habe vollstes Verständnis. Wenn man in der Situation steckt, wünscht man sich natürlich Schutz, Nahrung und Fruchtbarkeit. Irgendwie muss man mit der Belastung umgehen.
Wenn wir über eine 'alte' Gottesvorstellung sprechen, dann will ich an eine Sache unbedingt erinnern:
Die Idee, ein Gott sei durch und durch gut und hilfreich für die Menschen ist für viele alte Religionen eher absurd.
Das Leid und die Unsicherheit, die Machtlosigkeit gegen Naturkatastrophen, Seuchen, Kriege... damit können Menschen nur schwer umgehen, wie Samuel sagt.
Es ist für einen Menschen intuitiv plausibler, ein Unglück als Plan und Absicht einer Gottheit zu deuten, anstatt einfach als dummen Zufall.
In vielen Religionen ist eine Gottheit eben kein Wunscherfüller, wie einen Dschinn, bei dem man unbegrenzt Wünsche frei hat.
Vielmehr ist die Gottheit Verursacher der schlimmen Dinge und man versucht, die Gottheit milde zu stimmen - damit man in Ruhe gelassen wird.
Es ist sicher kein Zufall, dass Gottheiten, die vor einer Sache schützen sollen, oft gleichzeitig deren Verursacher sind... Siehe Sachmet, Seuchenbringerin und gleichzeitig eine Schutzherrin der Heilkunde...
Auch das Befolgen religiöser Gebote klingt mir oft wie der verzweifelte Versuch, die Vorlieben der Gottheit zu erkennen und dadurch unwägbare Risiken (Wetter, Krankheit) beherrschbar zu machen. (" Warum wurde A krank, B aber nicht? Hmmmmm, B trägt niemals bunte Kleidung, A schon. Vielleicht hasst Gott bunte Kleidung?!? Ganz klar, ich ziehe mich grau an, dann ist mir Gott nicht böse, dann macht er mich nicht krank.")
Dieses alte Prinzip führt im Christentum zu einer gewissen Absurdität, wenn der Gott des Alten Testaments, der ja ganz klar eine strafende, unberechenbare Gottheit der alten Schule ist, plötzlich das absolut Gute und die reine Liebe sein soll... Dadurch handelt man sich erst dieses Paradoxon der Theodizee ein
Ich finde übrigens, dass die alte Form der Gottheit durchaus nicht obsolet geworden ist. Obwohl wir inzwischen viele Dinge wissenschaftlich erklären können, und daher kein religiöses Erklärungsmuster mehr brauchen:
Erstens, es gibt immer noch genug Dinge, die wir nicht erklären und beherrschen können, denen wir ohnmächtig ausgeliefert sind. Diese unbeherrschbaren Dinge als Gottheit zu Personifizieren, das hilft beim Umgang damit. Die Wissenschaft hat sich rapide entwickelt, die menschliche Psyche nicht. Darum funktionieren die alten Muster immer noch gut und können hilfreich sein... solange man halt reflektiert und nicht vollkommen in eine esoterische Phantasiewelt abdriftet.
Zweitens, die mythische Erklärung ist oft dennoch eine wertvolle und schöne Metapher: obwohl ich weiß, dass der Sonnenaufgang lediglich durch die Rotation meines Planeten zustande kommt, schöpfe ich dennoch Mut und Kraft aus der Symbolik des neuen Lichts, des Neuanfangs, der Regeneration
Also, als Fazit zum Thread-Titel: ich kann mit der Vorstellung einer absoluten, kindlichen Hingabe an einen schützenden, gütigen Gott auch nichts anfangen. Aber das heißt nicht, dass ich Religion und Glauben komplett ablehne.
Liebe Grüße
Mirjam