Das Karsamstags-Evangelium

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Savonlinna
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#71 Re: Das Karsamstags-Evangelium

Beitrag von Savonlinna » Mi 6. Apr 2016, 22:03

Savonlinna hat geschrieben:Belege bitte diese Aussage!
Danke für das Zitat.

closs hat geschrieben:"Es gibt eine Reihe von Fällen, in denen die Evangelisten so genannte freischwebende Logien des Herrn zu tradieren hatten, die zwar unzweifelhaft aus seinem eigenen Munde stammten, deren ursprünglicher Zusammenhang jedoch verlorengegangen war. Da gibt nun der Evangelist dem Logion an irgendeiner Stelle einen neuen Zusammenhang, der das Wort in eine neue Beleuchtung rückt und in ihm daher auch einen neuen Sinn sichtbar werden läßt."
So ähnlich steht dies ja auch im Vorwort Ratzingers zu seinem Jesus-Buch:
die Evangelisten, als Rezipienten, geben tradierten Worten einen neuen Sinn.
Die Evangelisten selber wussten nicht, ob etwas aus Jesu eigenem Mund stammte oder von Volkes Stimme erfunden war: das weiß man erst, seit die HKM am Wirken ist.
Die Evangelisten haben das, was ihnen wichtig war, aufgegriffen und in eine erdichtete Situation gestellt, die den Sinn - nicht die Historizität - transportieren sollte.
Ratzinger scheint gemäß Deinem Zitat zu betonen, dass es die Evangelisten selber waren, die das ursprüngliche Wort verändert haben, ihm einen neuen Sinn gegeben haben.

Er sagt hier noch deutlicher als in seinem Vorwort: das Ursrprüngliche sei unwiderbringlich verloren, aber die Evangelisten - die Jesus nie gekannt haben -, haben dem Unwiderbringlichen einen neuen Sinn verliehen.

closs hat geschrieben:""Was nun hier noch innerhalb des biblischen Wort es, innerhalb der Schrift selbst geschieht, läßt sich verlängert denken in die Kirche hinein. Die Kirche kann eine neue Beleuchtung eines Textes in neuen Zusammenhängen vollziehen, ohne damit dem Wort Gottes untreu zu werden, denn ähnlich wie der Evangelist (wenn auch anders) gehört sie selbst mit in den Vorgang der Wortmitteilung, der Offenbarungsvergegenwärtigung hinein. Das Wort Gottes ist gegeben in der überliefernden Tat der Kirche"
(aus: Hansjürgen Verweyen "Joseph Ratzinger und die Exegese. Die Antrittsvorlesung in Münster im Kontext des Gesamtwerks")
Also: der "Geist" - ich nenne das mal fachlich korrekt "Heiliger Geist" -, der die Evangelisten befähigt hat, "das Wort" neu zu beleuchten, befähigt auch die Kirche, und hat sie befähigt, das Wort weiterhin in neue Zusammenhänge zu stellen.

closs hat geschrieben:Dieses Verständnis der Bibel-Texte ist historisch-kritisch (im hier mehrheitlich vertretenen Sinne) nicht akzeptabel, da es Spiritualität voraussetzt, die ja aus Gründen dessen, was man selbst als "Ergebnisoffenheit" bezeichnet, zu verwerfen ist.
Hier muss man sorgfältig trennen:
Auch für Ratzinger ist es nicht akzeptabel, die Rezeption, sobald sie "das Wort" betrifft, als wissenschaftlich zu bezeichnen.

Weiterhin:
Es seien die Evangelisten und im Folgenden die Kirche - letztere in jahrhundertelangem Ringen -, die "dem Wort" neue Dimensionen abgewinnen oder abgewonnen haben.
Ratzinger sagt nirgends - und darum ging es mir, und er kann es auch nicht gemeint haben, darum fragte ich nach dem Zitat -, dass die HKM sich zum Geistigen hin öffnen solle. Hier noch mal, worauf ich mich bezog ->
closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:wenn eine Methode gut ist und eine weitgehende Objektivität garantiert, dann sollten die Glaubensprämissen nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Wenn eine Methodik nur dann Objektivität garantiert, wenn man davon ausgeht, dass die Leitung taub ist, ist die Methodik nicht hinreichend. - Das ist exakt der Grund, warum Ratzi will, dass sich die HKM zum Geistigen hin öffnet.


closs hat geschrieben:- Ratzinger dagegen sagt an anderer Stelle (die ich nicht finde), dass die HKM deshalb so wichtig sei, weil sie sich dem Spirituell-Geistigen öffnen können
Möglicherweise meinst Du ein Zitat, dass ich selber hier im Forum ein- oder zweimal paraphrasiert habe; ich zitiere jetzt wörtlich:

Ratzinger hat geschrieben:Zugleich mit der Grenze [der historisch-kritischen Methode] wurde - wie ich hoffe - sichtbar, dass die Methode aus ihrem eigenen Wesen heraus über sich hinauswächst und eine innere Offenheit auf ergänzende Methoden in sich trägt.
Ratzinger, Jesus-Buch, S. 16
Der Kontext dieses Zitates macht aber deutllich, dass diese innere Offenheit sich auf das Gleiche bezieht, das auch in der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsforschung aus der historisch-kritischen Forschung heraus die Rezeptionsforschung als Verlängerung sieht und auch fordert.
Es hat nichts mit "geistig" oder "spirituell" zu tun, sondern ist eine methodische Erfordernis: die Entwicklung eines Textes beginnt erst, wenn er fixiiert ist.

Ratzinger beschränkt die Wirkung des Heiligen Geistes auf die Evangelien und die im gemeinsamen kirchlichen Ratschluss herausgearbeiteten Ergebnisse. Und die Annahme, dass da der Heilige Geist am Werke war, nennt Ratzinger einen "Glaubensentscheid"; der Wissenschaft obliegt es keineswegs - auch der Kanonforschung nicht, füge ich hinzu -, sich dem Geiste im Sinne des Heiligen Geistes zu öffnen.

Einen Schritt weiter geht die heutige katholische Professorenschaft, wenn sie nicht nur die Kirche als positiv weiterentwickelnde Deutung "des Wortes" zuässt. Dazu habe ich schon was im Kanon-Thread geschrieben, werde das auch noch ein wenig weiterführen.

Da beschränkt sich dann die Kanonforschung nicht nur auf unkritisches Akzeptieren dessen, was gelaufren ist.

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#72 Re: Das Karsamstags-Evangelium

Beitrag von closs » Mi 6. Apr 2016, 22:29

Savonlinna hat geschrieben: das weiß man erst, seit die HKM am Wirken ist
Selbst das wäre ein Thema für sich. - Denn was nützt es, ein Logion historisch zuzuordnen, wenn man die Intention davon nicht kennt.

Ich habe an anderer Stelle mehrfach darauf hingewiesen, dass Jesus (WENN er der ist, für den ihn das Christentum hält) Dinge gerade NICHT zeit-konform, sondern neu gemeint hat (Paradigmen-Wechsel) - also anders gemeint hat, als es anzunehmen wäre, wenn Jesus ein "normaler" Jude seiner Zeit gewesen wäre. - Dieser aus meiner Sicht spirituell entscheidende Punkt scheint weitgehend nicht auf Interesse zu stoßen.

Dies ist insofern bemerkenswert, dass der "neue Zusammenhang durch die Evangelisten" nicht nur neu, sondern gleichzeitig eine Rückführung auf das Neue, das Jesus sagen wollte, darstellen kann, das aber zu seinen Lebzeiten nicht verstanden wurde. - Insofern haben sie möglicherweise nicht das ursprüngliche Wort verändert, sondern den ursprünglichen Sinn wieder hergestellt.

Savonlinna hat geschrieben:die Evangelisten - die Jesus nie gekannt haben -, haben dem Unwiderbringlichen einen neuen Sinn verliehen.
Oder das Verlorene auf neue Weise authentisch reanimiert. - Das muss nicht so sein, kann aber so sein (ich vermute aus heilsgeschichtlichen Gründen, dass es tatsächlich über die Jahrhunderte immer wieder so gewesen ist).

Das bedeutet aber auch: Die an sich sinnvolle HKM-Aussage, dass ältere Quellen authentischer zum Ausgangspunkt (hier Jesus) seien als jüngere, kann im Fall der Singularität Jesus grotten-falsch sein. - Wenn man dies entscheiden will, kann man es nur geistig - tut man es aber nicht geistig, gilt es nicht als "intersubjektiv".

Savonlinna hat geschrieben:Also: der "Geist" - ich nenne das mal fachlich korrekt "Heiliger Geist" -, der die Evangelisten befähigt hat, "das Wort" neu zu beleuchten, befähigt auch die Kirche, und hat sie befähigt, das Wort weiterhin in neue Zusammenhänge zu stellen.
Ja - so sehe ich es auch. - Wobei ich "neu" ergänzen würde durch "authentisch" - meinetwegen "authentisch-neu" oder "neu-authentisch".

Savonlinna hat geschrieben:Möglicherweise meinst Du ein Zitat, dass ich selber hier im Forum ein- oder zweimal paraphrasiert habe; ich zitiere jetzt wörtlich
Das passt gut - ich meine, es gibt noch ein Zitat, in dem Ratzi sehr elegant sagt, die HKM sei so bedeutsam, WEIL sie sich nach "oben" öffnen könne. - Mit anderen Worten: Ansonsten ist sie NICHT bedeutsam. - Diese Eleganz habe ich mir damals gemerkt.

Savonlinna hat geschrieben:Auch für Ratzinger ist es nicht akzeptabel, die Rezeption, sobald sie "das Wort" betrifft, als wissenschaftlich zu bezeichnen.
Habe ich so nirgends gefunden - wenn es so ist, hieße dies automatisch, dass die Rolle der Wissenschaft ihre Grenzen hat.

Savonlinna hat geschrieben:der Wissenschaft obliegt es keineswegs - auch der Kanonforschung nicht, füge ich hinzu -, sich dem Geiste im Sinne des Heiligen Geistes zu öffnen.
Damit habe ich dann keine Probleme, solange Wissenschaft nicht fordert, das Maß der Dinge bei der Bibel-Auslegung zu sein. - Im übrigen erinnert mich das an die Art und Weise, wie wir damals Wissenschaft in Bezug zu "Was will uns dieses Stück/Buch vermitteln/Was steckt geistig drin" eingeordnet haben: Als wertvolles und hoch-interessantes Instrument im Vorfeld der Frage "Was will uns dieses Stück/Buch vermitteln/Was steckt geistig drin".

Savonlinna hat geschrieben:Einen Schritt weiter geht die heutige katholische Professorenschaft, wenn sie nicht nur die Kirche als positiv weiterentwickelnde Deutung "des Wortes" zuässt.
Klingt alles gut - trotzdem glaube ich nicht, dass man am Ende um ein "Solus Spiritus" rumkommt.

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Savonlinna
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#73 Re: Das Karsamstags-Evangelium

Beitrag von Savonlinna » Mi 6. Apr 2016, 22:57

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: das weiß man erst, seit die HKM am Wirken ist
Selbst das wäre ein Thema für sich. - Denn was nützt es, ein Logion historisch zuzuordnen, wenn man die Intention davon nicht kennt.
Ich wollte lediglich Deine Aussage über Ratzinger belegt haben.
Die hast Du belegt, und ich habe mit Hinzunahme des Jesus-Buches Ratzingers Position erläutert.
Um Anderes ging es mir nicht.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:die Evangelisten - die Jesus nie gekannt haben -, haben dem Unwiderbringlichen einen neuen Sinn verliehen.
Oder das Verlorene auf neue Weise authentisch reanimiert.
Dann schreib an Ratzinger, dass Du es anders siehst als er.

Ich hasse es nur, wenn man ständig berühmte Leute verstümmelt, fast "entmannt" - im übertragenen Sinn -, bloß weil man selber so unglaubwürdig ist.

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#74 Re: Das Karsamstags-Evangelium

Beitrag von closs » Mi 6. Apr 2016, 23:18

Savonlinna hat geschrieben:Dann schreib an Ratzinger, dass Du es anders siehst als er.
Moment: Ich habe mich auf das Zitat bezogen, dass diese Frage offen lässt.

Savonlinna hat geschrieben:Ich hasse es nur, wenn man ständig berühmte Leute verstümmelt
Bist Du nie auf die Idee gekommen, dass auch deren Aussagen "Logien" sind und jeder, der sie liest, "Evangelist" ist? - Ich hoffe, Du verstehst diese Annalogie. - Deine wieder mal komplett aggressive Unterstellung ist doch gleichbedeutend damit, dass die Evangelisten Jesus verstümmelt haben - oder nicht?

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#75 Re: Das Karsamstags-Evangelium

Beitrag von Savonlinna » Do 7. Apr 2016, 00:50

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Dann schreib an Ratzinger, dass Du es anders siehst als er.
Moment: Ich habe mich auf das Zitat bezogen, dass diese Frage offen lässt.

Savonlinna hat geschrieben:Ich hasse es nur, wenn man ständig berühmte Leute verstümmelt
Bist Du nie auf die Idee gekommen, dass auch deren Aussagen "Logien" sind und jeder, der sie liest, "Evangelist" ist? - Ich hoffe, Du verstehst diese Annalogie. - Deine wieder mal komplett aggressive Unterstellung ist doch gleichbedeutend damit, dass die Evangelisten Jesus verstümmelt haben - oder nicht?
Verstehe Deine Rückfrage nicht.

Die Evangelisten haben laut Deinem Ratzinger-Zitat nicht die Aussagen Jesu verstümmelt. Das steht doch deutlich in dem von Dir zitiertem Text.
Sondern sie haben, weil die Tradition nur die Worte, aber nicht deren ursprüngliche Bedeutung überliefert hat, einen neuen Zusammenahng erfunden. ->
"Da gibt nun der Evangelist dem Logion an irgendeiner Stelle einen neuen Zusammenhang, der das Wort in eine neue Beleuchtung rückt und in ihm daher auch einen neuen Sinn sichtbar werden läßt.".

Ich habe lediglich Ratzinger ausgedeutet, Du aber kannst selbstverständlich anderer Meinung sein, und das bist Du ja auch.
Aber dann tue es in eigenem Namen und korrigiere nicht meine Ratzinger-Zusammenfassung durch Deine Sicht und verkaufe Deine Sicht als Ratzinger-Sicht.

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#76 Re: Das Karsamstags-Evangelium

Beitrag von closs » Do 7. Apr 2016, 09:21

Savonlinna hat geschrieben:Ich habe lediglich Ratzinger ausgedeutet
Ich habe ebenfalls Ratzinger ausgedeutet - aber weil es nicht DEINE Deutung ist, nennst Du es "Verstümmeln" - konkret:

Das "Neue" muss nicht bedeuten "Etwas anderes als Jesus gemeint hat" (oder meinst Du ernsthaft, Ratzinger wolle die Evangelisten gegen Jesus stellen?), sondern dass auf neue Weise Jesu Gemeintes in die jeweilige Zeit transferiert wird. - Und das kann eben auch bedeuten - in Deutung Ratzingers Aussage - , dass man mit der Zeit, mit wachsendem Verständnis, Jesu Worte er-neuert.

Savonlinna hat geschrieben:Verstehe Deine Rückfrage nicht.
Verstehst Du jetzt?

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#77 Re: Das Karsamstags-Evangelium

Beitrag von Savonlinna » Do 7. Apr 2016, 12:36

closs hat geschrieben: Das "Neue" muss nicht bedeuten "Etwas anderes als Jesus gemeint hat" (oder meinst Du ernsthaft, Ratzinger wolle die Evangelisten gegen Jesus stellen?),
Da Ratzinger an die Führung durch den heiligen Geist glaubt - und Du weißt, dass ich das genauso an Ratzinger verstanden habe -, schreibt er es so, wie er es schreibt. Ich meine "ernsthaft", dass Ratzinger hier meint, was er schreibt.
Und er spricht nirgends davon, dass er die Evangelisten gegen Jesus stellt.

Das ist doch der große Befreiungsschlag. Er leugnet nicht die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung, sondern akzeptiert sie. Nur relativiert er sie in dem Sinne, dass lediglich der wörtliche Wortlaut überliefert ist, aber nicht der Sinn.
Darum haben die Evangelisten - in dem Verständnis Ratzingers geführt vom heiligen Geist - eine neue Verstehensschicht entwickelt.
So wie später auch die Kirche - laut Ratzinger ebenfalls vom heiligen Geist geführt - neue Sinnpotentiale entwickelt haben.

Darin waren wir beide uns vor mehreren Wochen sogar noch einig. Du warst sogar hellauf begeistert, dass Ratzinger nicht das knallhart Historische dessen, was die Evangelisten geschrieben haben, für zentral hält, sondern lediglich die Überzeugung der Evangelisten, dass das, was sie schreiben, ein Bereich der Historizität sei.
sven hatte diesen Unterschied nicht verstanden, bei Dir aber war ich eigentlich sicher, dass Du das verstanden hattest.

Inzwischen aber hast Du Dich radikalisiert und kannst Ratzinger in diesem Punkt nicht mehr verstehen.
Inzwischen musst Du ihn umdeuten, während wir damals noch darin übereinstimmten, dass Ratzinger der Meinung war, dass die Aussagen des literarischen Jesu erst nach und nach in der Geschichte der Rezeption entwickelt wurden - und nicht die des historischen Jesus.

Aber wegen meiner heftigen Reaktion bitte ich um Entschuldigung.
Kann aber nicht garantieren, dass mein überschäumendes Temperament sich nicht immer wieder neu empören wird über mangelnden Respekt gegenüber dem, was die Größen unserer Kulturgeschichte an Erkenntnis gewonnen haben.

Für mich ist zentral, dass man diese Größen nicht verstümmelt, sie nicht auf das eigene egohafte Denken reduziert, sie sich also nicht auf das eigene Maß zurechtschneidet, sondern sie auch bei anderer Denkweise in dieser anderen Denkweise herausarbeitet.

Dazu ist der Mensch nämlich fähig.
"Systemdenken" ist ein Unwort. Der Mensch ist daran nicht gebunden. Und falls er es ist, kann er sich daraus befreien.

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Magdalena61
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#78 Re: Das Karsamstags-Evangelium

Beitrag von Magdalena61 » Do 7. Apr 2016, 14:53

Mt. 23; 13-14 (LUT): Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein und die hineinwollen, lasst ihr nicht hineingehen.
Das ist der Gedanke, der sich mir aufdrängt, wenn ich in diesem Thread lese.

VIEL zu kompliziert für den Normalverbraucher -- kennt vielleicht jemand die Angst des Christen von "früher", in streng gesetzlichen Gemeinden ist es heute noch so--- der Gläubige hat IMMER Angst, Gott nicht zu genügen, er gehorcht den Anweisungen des Personals, hat aber ständig das Gefühl, etwas falsch zu machen und deshalb von Gott verworfen zu werden.

Ich habe herzzerreißende (!) Posts gelesen von Menschen, die dieser Angst Ausdruck verliehen auf der Suche nach einigen guten Worten, nach Ermutigung... sie sehnten sich so sehr danach, den Saum seines Gewandes berühren und die LIEBE Gottes erfahren zu dürfen, aber Angst, Schuldgefühle, das Gefühl von Wertlosigkeit mit der daraus resultierenden Mutlosigkeit und permanenten Selbstanklagen dominieren ihr Leben.

Sie strengen sich an und arbeiten hart, um "ein guter Christ" zu sein. Aber sie merken selbst: Ich schaffe es nicht, ich bin zu dumm, zu schlecht, zu egoistisch, zu schwach...

Was solche Menschen am Rande der Verzweiflung ganz bestimmt nicht brauchen sind Streitereien, wie man es denn "richtig macht".

Gibt's denn nichts Positives, etwas das FÜR die Bibel und FÜR den Glauben spricht?
Das vermisse ich.

"Wer nach Hause will, der muß sich auf den Weg machen" (Werbespruch von irgendeiner Bank, glaube ich). Er muß losgehen. Notfalls ohne Smartphone, ohne Navi--- in der Dunkelheit.

Was hier offenbar nicht zur Diskussion steht ist: Gott WARTET- irgendwo am WEGESRAND, um dem Suchenden zu begegnen. Oder: Jesus macht sich auch auf den Weg, weil Er auf den Ruf des Menschen antworten will. Und diese Erfahrung kann man nicht vorher oder gar "wissenschaftlich" abklären.

Jesus geht an einem Menschen, der Ihn sehen möchte, nicht vorbei. Lk. 19, 3-5

Und da ist es vollkommen egal, ob sich diese Begebenheit in Lk. 19 punktgenau so zugetragen hat, wie sie aufgezeichnet wurde und in den Bibeln zu lesen ist. Vielleicht möchte die HKM auch noch Straße, Hausnummer, Datum, Uhrzeit und die Personalien der dort versammelten Volksmenge gesichert wissen, bevor sie dazu bereit ist, über den INHALT der Botschaft nachzudenken und ihn eventuell als "historisch nicht gesichert, aber von existenzieller Bedeutung für den Menschen" anzuerkennen. :mrgreen:

:) Mir scheint, das ist es, was closs sagen will.
LG
God bless you all for what you all have done for me.

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Savonlinna
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#79 Re: Das Karsamstags-Evangelium

Beitrag von Savonlinna » Do 7. Apr 2016, 15:25

Magdalena61 hat geschrieben: Und da ist es vollkommen egal, ob sich diese Begebenheit in Lk. 19 punktgenau so zugetragen hat, wie sie aufgezeichnet wurde und in den Bibeln zu lesen ist. Vielleicht möchte die HKM auch noch Straße, Hausnummer, Datum, Uhrzeit und die Personalien der dort versammelten Volksmenge gesichert wissen, bevor sie dazu bereit ist, über den INHALT der Botschaft nachzudenken und ihn eventuell als "historisch nicht gesichert, aber von existenzieller Bedeutung für den Menschen" anzuerkennen. :mrgreen:

:) Mir scheint, das ist es, was closs sagen will.
LG
Ja, aber das ist ja sowieso klar. Darüber sind wir uns ja einig.
Das geben auch Atheisten mühelos zu.
Wenn closs nur das diskutieren wollte, dann könnten wir das Forum morgen zumachen. ;)
Zuletzt geändert von Savonlinna am Do 7. Apr 2016, 15:53, insgesamt 1-mal geändert.

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#80 Re: Das Karsamstags-Evangelium

Beitrag von closs » Do 7. Apr 2016, 15:39

Savonlinna hat geschrieben:Und er spricht nirgends davon, dass er die Evangelisten gegen Jesus stellt.
Das ist doch auch meine Aussage. - Und eben deshalb ist "das Neue" der Evangelisten als etwas zu verstehen, was authentisch zu dem ist, was Jesus in seinen Logien gemeint hat, selbst wenn es überlieferungsmäßig vergessen ist.

Savonlinna hat geschrieben:Er leugnet nicht die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung, sondern akzeptiert sie. Nur relativiert er sie in dem Sinne, dass lediglich der wörtliche Wortlaut überliefert ist, aber nicht der Sinn.
Da sind wir uns sehr einig. - Warum widersprichst Du mir, wenn wir uns im wesentlichen so einig sind?

Savonlinna hat geschrieben:Darum haben die Evangelisten - in dem Verständnis Ratzingers geführt vom heiligen Geist - eine neue Verstehensschicht entwickelt.
Wunderbar - exakt.

Savonlinna hat geschrieben:Darin waren wir beide uns vor mehreren Wochen sogar noch einig.
Da sind wir uns immer noch einig - und genau das bilde ich mir ein, auch gestern geschrieben zu haben.

Savonlinna hat geschrieben:Inzwischen aber hast Du Dich radikalisiert und kannst Ratzinger in diesem Punkt nicht mehr verstehen.
:?: - Du bist mir manchmal unverständlich. Ich kapiere nicht, wie Du darauf kommen kannst.

Savonlinna hat geschrieben:Kann aber nicht garantieren, dass mein überschäumendes Temperament sich nicht immer wieder neu empören wird
Das macht Dich ja auch sympathisch - weil Deine Empörung nicht selbstsüchtig ist. - Nur: Das kann auch Dich nicht immer davon bewahren, in meine Texte Sachen hineinzulesen, die ich weder schreibe noch meine. - Du scheinst DEINE Interpretation meiner Texte MIR in die Schuhe schieben zu wollen.

Savonlinna hat geschrieben:Für mich ist zentral, dass man diese Größen nicht verstümmelt, sie nicht auf das eigene egohafte Denken reduziert, sie sich also nicht auf das eigene Maß zurechtschneidet, sondern sie auch bei anderer Denkweise in dieser anderen Denkweise herausarbeitet.
Gelingt zwar keinem immer - aber in dieser Zielsetzung sind wir uns einig.

Savonlinna hat geschrieben:"Systemdenken" ist ein Unwort. Der Mensch ist daran nicht gebunden. Und falls er es ist, kann er sich daraus befreien.
Da bin ich in der Praxis nicht so sicher. - Wenn ich sehe, wie autokratisch Normen einer Zeit über den Menschen herrschen können, kann ich Dir nur theoretisch zustimmen.

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