Alles Teufelszeug? III

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sven23
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#681 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Fr 22. Jul 2016, 12:27

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Vor allem lebt die Kirche immer noch davon, dass die Ergbnisse der historischen Jesusforschung in ihr nicht publik sind.
Das ist eine Verkennung der Lage - eine eklatante Selbstüberschätzung der säkularen Bibelforschung.
Wieso? Die Forschung legt doch in aller Demut die Ergebnisse vor und es wäre wünschenswert, wenn diese einem breiten Publikum vorgestellt würden. Dann kann jeder immer noch selbst entscheiden, was er damit anfängt. So viel Mündigkeit darf man den Gläubigen schon zutrauen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:keinesfalls als historische Tatsachenberichte gedacht
Es gibt damals keine Geschichtsschreibung in unserem Sinne - für damalige Zeiten handelt es sich um eine erstaunlich geschichtsnahe Werbeschrift.
Sagen wir mal so: es gab vermutlich einen historischen Kern und darüber wurde sehr viel Mythologie und Erfundenes gestülpt.

closs hat geschrieben: - Des weiteren verstehst Du (allerdings auch ein Teil innerhalb der Kirche) den Begriff "Historizität" falsch: Mit Historizität ist nicht historische Detail-Wahrheit gemeint, sondern dass die Jesusgeschichte an sich stattgefunden hat und "Gott in Jesus" nicht nur Chiffre, sondern Geschehenes ist. - Also nicht NUR Chiffre, sondern real geschehene Wirklichkeit.
Dass Jesus höchstwahrscheinlich gelebt hat, ein paar Jahre als Wanderprediger, Heiler, Exorzist und Endzeitprophet gewirkt hat und von der römischen Gerichtsbarkeit hingerichtet wurde, ist breiter Konsens in der Forschung.
Der Teufel steckt aber gerade in den Details, die überwiegend unhistorisch sind, also von den Schreibern erfunden wurden, einzig zu dem Zweck, den Wanderprediger nachträglich vergotten zu können.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn man wissen will, ob die Evangelien zu dem historischen Jesus plausibel sind, muss man versuchen, sich diesem historischen Jesus auch historisch-kritisch zu nähern. Wie sonst will er das bewerkstelligen?
Ich habe versucht, dies mit dem Unterschied zwischen Maurer ("Da sind Steine - mal sehen, was man damit bauen kann") und Architekt ("Es gibt ein Gebäude im Kopf - mal sehen, wie die Steine dazu passen").
Hast du denn den Widerpruch in Zengers Aussage nicht bemerkt? :roll:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Nein, sie muss nichts setzen. Du könntest auch behaupten, die Forschung müsse setzen, dass Göttervater Zeus wirklich existiert
Ist die Setzung "Die Forschung muss setzen, dass man nur dann über Gott wissenschaftlich sprechen kann, wenn es ihn NICHT gibt" einen Deut besser? - Deshalb doch meine Forderung: Da das eine wie das andere eine Setzung ist, sollte man beides modellhaft durchspielen.
Erstens hat Strauss dies ja wie schon gesagt getan und zweitens ist es nicht Aufgabe der historisch-kritischen Forschung, Gott zu beweisen oder zu widerlegen. Da baust du immer wieder den gleichen Strohmann.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Beweisen oder belegen ändern nun wirklich nichts an dieser zirkelreferenten Annahme.
Aber das gilt doch für die HKM genauso (zumindestens für DEN Teil der HKM, der über die reine Sacherläutertung hinaus interpretiert).
Nein, du verstehst den Unterschied immer noch nicht.
Die kanonische Exegese setzt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, weil es so in der Bibel beschrieben wird. Den "Beweis" für diese Setzung findet sie dann überraschender Weise in der Bibel. Sie "beweist" ihre eigene Setzung, das nennt man in Fachkreisen einen Zirkelschluss.
Die Forschung kommt ohne eine Setzung aus, weshalb sie auch keine Setzung beweisen muss. Sie ist ergebnisoffen.
Das ist der entscheidende Unterschied.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:So wird z. B. der Konflikt Judentum vs. Christentum, der sich aus der Missionierungsunwilligkeit der Juden speist, in die Zeit Jesu zurückprojiziert und zu einem übertriebenen Konflikt Judentum vs. Jesus stilisiert, der letzlich in dem angeblichen "Verrat" der Juden an Jesus gipfelt.
Rein historisch ist das natürlich *, weil Jesus selber Jude war. - Aber darum geht es in der seriösen Theologie nicht.
Dann war die Theologie eben die letzten 2000 Jahre unseriös. Der angebliche "Gottesmord" der Juden war ein wichtiger Bestandteil der christlichen Theologie und hatte verheerende Wirkung.

closs hat geschrieben: Dort geht es darum, dass das "auserwählte Volk" seine Auserwähltheit von sich weist und dadurch "vom Jäger zum Gejagten" wird.
Jesus selbst hat nicht auf die jüdische Erwählungstraditon zurückgegriffen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#682 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Fr 22. Jul 2016, 14:32

sven23 hat geschrieben:Dann kann jeder immer noch selbst entscheiden, was er damit anfängt. So viel Mündigkeit darf man den Gläubigen schon zutrauen.
Ob gläubig oder nicht: Ich würde kaum einem die Kompetenz zusprechen, Aussagen der HKM oder der RKK qualitativ bewerten zu können. - Das muss erklärt werden.

Und dann passiert folgendes:
HKM-ler erklären IHRE Weltanschauung - und die RKK-Bischöfe IHRE Weltanschauung. - Die Zuhörer werden sich danach allseits mündig fühlen - und komplett Unterschiedliches glauben. - Dieser Weg ist gescheitert.

sven23 hat geschrieben: es gab vermutlich einen historischen Kern und darüber wurde sehr viel Mythologie und Erfundenes gestülpt.
Jein. - Ja, weil vieles in der Tat vermutlich nicht historisch ist - nein, weil es nicht um "Erfundenes" geht, sondern um eine tiefgründige Aussage. - Wenn Thomas Mann seine Figuren "erfindet", ist darin mehr Realität und Historizität, als wenn er Leute auf der Straße interviewen würde. - Wenn Loriot seine Nachkriegs-Bürger karikiert, ist dies realer und historischer, als wenn er Leute in der U-Bahn filmen würde.

sven23 hat geschrieben:einzig zu dem Zweck, den Wanderprediger nachträglich vergotten zu können
Wie würdest Du es nennen, wenn Jesus TATSÄCHLICH "Gottes Sohn"/Gott wäre und die Rezeption dies im Laufe der Zeit erkannt hätte? Nachträgliche Vergottung?

sven23 hat geschrieben:Hast du denn den Widerpruch in Zengers Aussage nicht bemerkt?
Ich sehe es eher als hermeneutischen Prozess: Am Anfang hat man einen Verdacht/ein geringes Vorwissen, das sich vergrößert und verfestigt - ohne diesen Vorab-Entwurf könnte man nichts finden, weil man nur das finden kann, was man sucht.

Natürlich ist dies kritisch-rationalistisch-wissenschaftlich nicht akzeptabel - um den Preis, dass man die Hauptsache nicht sehen kann. - Mal ganz nebenbei: In der QM kommt es auch vor, dass man ein Modell vorab-setzen muss, um zu suchen, ob es sich bestätigen lässt - Alltag. - Einfach Steinchen zusammen zu basteln ist zu wenig.

sven23 hat geschrieben:Erstens hat Strauss dies ja wie schon gesagt getan
Dazu habe ich geantwortet, und Du hast dann das Thema abgebrochen. - Strauss hat nichts bewiesen.

sven23 hat geschrieben:zweitens ist es nicht Aufgabe der historisch-kritischen Forschung, Gott zu beweisen oder zu widerlegen.
Du fällst immer wieder aufs Selbe rein, nämlich:
Solange hier weder bewiesen noch widerlegt ist (also immer), kann Jesus von der HKM nur als normaler Mensch verstanden werden. - Ist es aber so, kann die HKM nur dementsprechend interpretieren. - Tut sie dies, kommt etwas anderes raus, als rauskäme, wenn Jesus historisch "Gottes Sohn"/Got gewesen wäre.

Ergo: Die HKM arbeitet nicht ergebnis-offen, weil sie aus methodischen Gründen nur EINEN von zwei möglichen Fällen berücksichtigen kann. - Das habe ich nun an die 20 Mal begründet - warum wird das nicht kapiert? - Wird es aber nicht kapiert, ist man eingelullt in eine Selbst-Immunisierung, die einen glauben lassen kann, die HKM sei ergebnis-offen. - Es ist eine Katastrophe.

sven23 hat geschrieben:Die kanonische Exegese setzt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, weil es so in der Bibel beschrieben wird. Den "Beweis" für diese Setzung findet sie dann überraschender Weise in der Bibel.
Sie will gar nicht Jesus beweisen - sie will ihn verständlich machen.

sven23 hat geschrieben:Die Forschung kommt ohne eine Setzung aus, weshalb sie auch keine Setzung beweisen muss. Sie ist ergebnisoffen.
Ist sie eben NICHT - siehe oben. - Sie ist im zweiten Schritt ergebnisoffen, nachdem die Methodik und ihre Kollateral-Erscheinungen abgehakt sind - aber über allem ist sie es NICHT.

sven23 hat geschrieben:Der angebliche "Gottesmord" der Juden war ein wichtiger Bestandteil der christlichen Theologie und hatte verheerende Wirkung.
Meine Aussage ist, dass es HISTORISCH Quark ist. - Gleichnishaft stimmt es (wie begründet) - nur, und das ist das Entscheidende): Unter neutestamentarischen Gesichtspunkten hätte dies in den Folgejahrhunderten nicht zu Lasten der Juden gehen dürfen.

Deutlicher: Die Juden-Unterdrückung war Folge davon, dass auch die Kirche über viele Jahrhunderte (teilweise bis heute) den NT-Paradigmenwechsel nicht verstanden hat und alttestamentarisch gehandelt hat. - Sie war NICHT die Folge des NT, deren Paradigmenwechsel ein solches Handeln nicht erlaubt hätte - Jesus hätte die Juden NICHT diskriminiert.

sven23 hat geschrieben:Jesus selbst hat nicht auf die jüdische Erwählungstraditon zurückgegriffen.
Das habe ich anders in Erinnerung - ich meine schon, dass er das Judentum als Zentrum seines Paradigmenwechsels verstanden hat und von hier aus die Welt missioniert werden sollte.

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Halman
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#683 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Halman » Fr 22. Jul 2016, 15:19

sven23 hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Kurt, gibt Dir doch nicht so viel Mühe - es ist doch Zwecklos.
Mein Glaube an die Aufklärung ist halt manchmal blind für Machbares - danke für Deinen Hinweis.
Dann könnt ihr vielleicht verstehen, was Münek und meine Wenigkeit hier durchmachen. :lol:
Ganz ehrlich: Du hast sehr gut gekontert, Sven. :thumbup:
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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sven23
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#684 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Fr 22. Jul 2016, 15:30

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dann kann jeder immer noch selbst entscheiden, was er damit anfängt. So viel Mündigkeit darf man den Gläubigen schon zutrauen.
Ob gläubig oder nicht: Ich würde kaum einem die Kompetenz zusprechen, Aussagen der HKM oder der RKK qualitativ bewerten zu können. - Das muss erklärt werden.
Eben, dazu wäre doch die Schule der ideale Ort, bevor die Indoktrination ihre Spuren tief eingegraben hat.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: es gab vermutlich einen historischen Kern und darüber wurde sehr viel Mythologie und Erfundenes gestülpt.
Jein. - Ja, weil vieles in der Tat vermutlich nicht historisch ist - nein, weil es nicht um "Erfundenes" geht, sondern um eine tiefgründige Aussage. - Wenn Thomas Mann seine Figuren "erfindet", ist darin mehr Realität und Historizität, als wenn er Leute auf der Straße interviewen würde. - Wenn Loriot seine Nachkriegs-Bürger karikiert, ist dies realer und historischer, als wenn er Leute in der U-Bahn filmen würde.
Es ging der Kirche weniger um tiefgründige Aussagen, als vielmehr um historische Wirklichkeit der biblischen Geschichten. Das betont Ratzinger bis heute. Und wenn man ehrlich ist, läßt sich das Dogmenkonstrukt auch gar nicht anders rechtfertigen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:einzig zu dem Zweck, den Wanderprediger nachträglich vergotten zu können
Wie würdest Du es nennen, wenn Jesus TATSÄCHLICH "Gottes Sohn"/Gott wäre und die Rezeption dies im Laufe der Zeit erkannt hätte? Nachträgliche Vergottung?
Wenn er es tatsächlich wäre, wäre es seltsam, dass er sich in Bezug auf die Naherwartung geeirrt hat und dass er auf erfundene Geschichten der Schreiber angewiesen sein soll.


closs hat geschrieben: Natürlich ist dies kritisch-rationalistisch-wissenschaftlich nicht akzeptabel - um den Preis, dass man die Hauptsache nicht sehen kann. - Mal ganz nebenbei: In der QM kommt es auch vor, dass man ein Modell vorab-setzen muss, um zu suchen, ob es sich bestätigen lässt - Alltag. - Einfach Steinchen zusammen zu basteln ist zu wenig.
Das Zusammentragen der Steinchen dient ja einem Ziel, nämlich ein möglichst klares und komplettes Bild zu erhalten. Und da kann die Forschung eben sagen, dass das Bild doch erhebliche Abweichung von dem Bild hat, das die Schreiber zu verkaufen versuchten. Nicht umsonst beschwert sich ein unbekannter Zeitgenosse: ihr habt aus Jesus einen ganz anderen gemacht..... Aber das hat die Forschung auch so anhand der biblischen Quellen herausgearbeitet.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Erstens hat Strauss dies ja wie schon gesagt getan
Dazu habe ich geantwortet, und Du hast dann das Thema abgebrochen. - Strauss hat nichts bewiesen.
Er hat versucht, die biblischen Wunder einmal aus naturwissenschaftlicher Perspektive zu untersuchen und einmal aus supranaturalistischer. Es war ein Versuch.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:zweitens ist es nicht Aufgabe der historisch-kritischen Forschung, Gott zu beweisen oder zu widerlegen.
Du fällst immer wieder aufs Selbe rein, nämlich:
Solange hier weder bewiesen noch widerlegt ist (also immer), kann Jesus von der HKM nur als normaler Mensch verstanden werden. - Ist es aber so, kann die HKM nur dementsprechend interpretieren. - Tut sie dies, kommt etwas anderes raus, als rauskäme, wenn Jesus historisch "Gottes Sohn"/Got gewesen wäre.
Wie ich schon sagte, ist dies Quark. Muss man setzen, dass es Gottvater Zeus und seine Söhne wirklich gibt, bevor man die griechische Mythologie untersucht? Natürlich nicht, dies zu behaupten ist blanker Unsinn.

closs hat geschrieben: Ergo: Die HKM arbeitet nicht ergebnis-offen, weil sie aus methodischen Gründen nur EINEN von zwei möglichen Fällen berücksichtigen kann. - Das habe ich nun an die 20 Mal begründet - warum wird das nicht kapiert? - Wird es aber nicht kapiert, ist man eingelullt in eine Selbst-Immunisierung, die einen glauben lassen kann, die HKM sei ergebnis-offen. - Es ist eine Katastrophe.
Weil es da nichts zu kapieren gibt, weil es grottenfalsch ist. Du hängst dich immer wieder an der Vergottung des Wanderpredigers auf.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die kanonische Exegese setzt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, weil es so in der Bibel beschrieben wird. Den "Beweis" für diese Setzung findet sie dann überraschender Weise in der Bibel.
Sie will gar nicht Jesus beweisen - sie will ihn verständlich machen.
Will sie den historischen Jesus verständlich machen oder den mythologischen, konstruierten, unhistorischen? Das ist hier die Gretchenfrage.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Forschung kommt ohne eine Setzung aus, weshalb sie auch keine Setzung beweisen muss. Sie ist ergebnisoffen.
Ist sie eben NICHT - siehe oben. - Sie ist im zweiten Schritt ergebnisoffen, nachdem die Methodik und ihre Kollateral-Erscheinungen abgehakt sind - aber über allem ist sie es NICHT.
Natürlich ist sie ergebnisoffen, sonst hätte sie sich nicht als Standardmethode etablieren können.

"Es ist die selbstverständliche Grundlage kritischer Wissenschaft, dass sie sich nicht über ihre Ergebnisse definiert, sondern allein darüber, ob diese methodisch an den dafür in Frage kommenden Fakten geprüft wurden. Jede wissenschaftliche Disziplin, also auch die Theologie hat sich deshalb über ihre Methoden Rechenschaft zu geben. Erhebt die Methode der Interpretation den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, so muss sie den Standards wissenschaftlichen Vorgehens genügen. Im Bereich der biblischen Exegese geht es dabei um die Interpretation von schriftlichen Texten. Methodisches Vorgehen beinhaltet in diesem Fall die intersubjektive Nachprüfbarkeit der am Textmaterial gemachten Beobachtungen (möglichst objektive, exakte Beschreibung der Texte), deren Auswertung nach einsehbaren Regeln, das Operieren mit dem Gegenstand angemessenen Begriffsapparaten und den Diskurs mit anderen Wissenschaften, die vergleichbare Aufgaben wahrnehmen (Literaturwissenschaft, Altorientalistik, ...). Seit der Aufklärung hat sich die Auffassung herausgebildet, dass wir denjenigen Sinn eines Textes herausarbeiten müssen, den der/die Autor/in im historischen Ursprungs-Kontext zum Ausdruck gebracht hat, und nicht den, den spätere Leserschaften ihm zuerkannt haben oder zuerkennen. Diese Herangehensweise macht die historisch-kritische Methode aus."
Aaron Schart, Einführung in die historisch-kritische Methode der Textinterpretation

Das rot gefärbte macht noch mal den Unterschied deutlich zwischen HKM und kanonischer Exegese, die sich nicht für den urprünglichen Sinn eines Textes interessiert.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Der angebliche "Gottesmord" der Juden war ein wichtiger Bestandteil der christlichen Theologie und hatte verheerende Wirkung.
Meine Aussage ist, dass es HISTORISCH Quark ist.
Natürlich ist es Quark, weil die Hinrichtung nach römischem Recht erfolgte und die Schuldzuweisung an die Juden nachträgliche christliche Propaganda war.
"Das Todesurteil hat der römische Präfekt Pontius Pilatus gesprochen, dem im von der Besatzungsmacht verwalteten Judäa die Kapitalgerichtsbarkeit zukam.
...
Unklar ist, aufgrund welchen nach jüdischem Recht strafbaren Tatbestandes das Synedrium Anklage gegen Jesus erhoben hat. Möglicherweise hat man ihn als falschen Propheten angesehen (vgl. Dtn 13,1-6; 18,9-22). Vieles deutet aber darauf hin, dass es gar kein formelles Verfahren gegen Jesus vor dem Synedrium gegeben hat, da das in Mk 14,53-65 geschilderte Verhör allen jüdischen Prozessprinzipien widerspricht. Das Motiv des Vorgehens der jüdischen Autoritäten gegen Jesus ist dagegen relativ eindeutig zu erkennen. Er rüttelte mit seiner Verkündigung, vor allem mit der Kritik am Tempel, an den Privilegien der Lokalaristokratie. Sie konnte sich bei dem Bemühen, diesen lästigen galiläischen Wanderprediger loszuwerden, vermutlich der Sympathie großer Teile der Jerusalemer Bevölkerung sicher sein, da deren Existenz häufig vom Tempel abhing."

Quelle: bibelwissenschaft.de

closs hat geschrieben: Deutlicher: Die Juden-Unterdrückung war Folge davon, dass auch die Kirche über viele Jahrhunderte (teilweise bis heute) den NT-Paradigmenwechsel nicht verstanden hat und alttestamentarisch gehandelt hat. - Sie war NICHT die Folge des NT, deren Paradigmenwechsel ein solches Handeln nicht erlaubt hätte - Jesus hätte die Juden NICHT diskriminiert.
Natürlich nicht, denn er war Jude und kein Christ. Die nachträgliche Schuldzuweisung der Schreiber wäre womöglich folgenlos geblieben, wenn die frühe Kirche nicht die Mär von den Gottesmördern in die Welt gesetzt und permanent forciert hätte.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Jesus selbst hat nicht auf die jüdische Erwählungstraditon zurückgegriffen.
Das habe ich anders in Erinnerung - ich meine schon, dass er das Judentum als Zentrum seines Paradigmenwechsels verstanden hat und von hier aus die Welt missioniert werden sollte.
Dann hast du es falsch in Erinnerung.
"Es ist bemerkenswert, dass Jesus offenbar nicht auf die jüdische Erwählungstradition zurückgegriffen hat."
Quelle: bibelwissenschaft.de
Die Missionierung der ganzen Welt muss man im Zusammenhang mit der Parusieverzögerung sehen, die weitere Hürden dankbar aufgenommen hat. Es ist eine nachgeschobene Begründung für die enttäuschte Naherwartung.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#685 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Fr 22. Jul 2016, 16:45

sven23 hat geschrieben:dazu wäre doch die Schule der ideale Ort, bevor die Indoktrination ihre Spuren tief eingegraben hat.
Eine säkulare Schule wäre eine weniger indoktrinierende Schule als eine kirchliche SChule?

sven23 hat geschrieben: Und wenn man ehrlich ist, läßt sich das Dogmenkonstrukt auch gar nicht anders rechtfertigen.
Mir isr bisher kein Dogma genannt worden, das historisch-kritisch falsifizierbar wäre. - Kennst Du welche?

sven23 hat geschrieben:Wenn er es tatsächlich wäre, wäre es seltsam, dass er sich in Bezug auf die Naherwartung geeirrt hat
Andersrum: Wie wären die Quellen zu verstehen, wenn er Gott wäre.

sven23 hat geschrieben:und dass er auf erfundene Geschichten der Schreiber angewiesen sein soll.
Du scheinst nicht im Ansatz verstanden zu haben, was es eigentlich mit "Sündenfall", "Heilsgeschichte" und "Erlösung" geht. - Nur in diesem Kontext sind solche Fragen beantwortbar (noch mehr: Man muss sie gar nicht stellen, weil es arsch-klar ist).

sven23 hat geschrieben:Und da kann die Forschung eben sagen, dass das Bild doch erhebliche Abweichung von dem Bild hat, das die Schreiber zu verkaufen versuchten.
Zu diesem Ergebnis kommt man auf geistigem Wege auch - weil der Paradigmenwechsel seine Zeit braucht, bis er in der Rezeption angekommen ist (zum Teil noch bis heute). - Die Kirchengeschichte ist eine einzige Abweichung von diesem Paradigmenwechsel.

sven23 hat geschrieben:Er hat versucht, die biblischen Wunder einmal aus naturwissenschaftlicher Perspektive zu untersuchen und einmal aus supranaturalistischer. Es war ein Versuch.
Exakt das ist das Privileg der Wissenschaft: Modelle durchspielen. - Genau so muss es sein.

sven23 hat geschrieben:Muss man setzen, dass es Gottvater Zeus und seine Söhne wirklich gibt, bevor man die griechische Mythologie untersucht?
Nein - man muss auch nicht die Existenz Gottes setzen, wenn man die Bibel untersucht. - Nur darf man dies dann nicht mit dem Anspruch, etwas über Jesus zu wissen. - Im Grunde gehört Dein Ansatz ins Mythengeschichtliche oder Religionsgeschichtliche, aber nicht in die Theologie.

sven23 hat geschrieben:Weil es da nichts zu kapieren gibt, weil es grottenfalsch ist.
Hier ist das Problem, aus dem die anderen Probleme kommen. - Halten wir fest:

Du und andere meinen, dass die HKM nicht nur arbeits-technisch ergebnisoffen und intersubjektiv arbeitet (dem wird nicht widersprochen), sondern auch methodisch nicht präjudiziert (dem wird widersprochen, sobald die HKM interpretiert). - Damit kann man sich ein feines Nest machen - für mich ist es ein Abgrund von Nicht-Aufklärung.

sven23 hat geschrieben:Will sie den historischen Jesus verständlich machen oder den mythologischen, konstruierten, unhistorischen? Das ist hier die Gretchenfrage.
Den historischen. - Aber nicht anhand von Bethlehem-Geschichten, sondern am geistlichen Gehalt, der an seiner Historizität hängt. - Ich habe den Verdacht, dass wir unter "historisch" Unterschiedliches verstehen (ich habe schon einmal eine diesbezügliche Frage gestellt und keine Antwort gekommen).

Unter "historisch" versteht die kanonische Exegese aus meiner Sicht den realen, wirklich Jesus, der gelebt hat und Geistiges von sich gegeben hat. - Du scheinst unter "historisch" einen Forschungs-Stand der HKM zu verstehen. - Das sind zwei sehr unterschiedliche Besetzungen des Wortes "historisch".

sven23 hat geschrieben:Natürlich ist sie ergebnisoffen, sonst hätte sie sich nicht als Standardmethode etablieren können.
Dieser Satz ist ein Witz - DAS ist nun wirklich keine Begründung.

sven23 hat geschrieben:"Seit der Aufklärung hat sich die Auffassung herausgebildet, dass wir denjenigen Sinn eines Textes herausarbeiten müssen, den der/die Autor/in im historischen Ursprungs-Kontext zum Ausdruck gebracht hat, und nicht den, den spätere Leserschaften ihm zuerkannt haben oder zuerkennen".
Dieser Satz hat es in sich. - Denn das, was spätere Leserschaften zuerkannt haben, kann sehr wohl authentischer zur Historizität Jesu sein als die frühen Rezeptionen. - Denn eine primäre Autorenschaft gibt es in diesem Fall wird.

Um es wohlwollend zu sagen:
Die HKM untersucht zeitlich autoren-nahe Quellen. - Die kanonische Exegese prüft unter geistigen Gesichtspunkten, wer der historische Jesus war. - Die HKM interessiert sich also für die Ursprungsbedeutung der frühen Quellen, während der kanonische Exegese an der Ursprungsbedeutung von Jesus liegt. - Da ist nicht das eine gut und das andere schlecht (zumal beides oft koinzidiert) - es sind einfach ganz unterschiedliche Disziplinen.

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#686 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Fr 22. Jul 2016, 17:26

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:dazu wäre doch die Schule der ideale Ort, bevor die Indoktrination ihre Spuren tief eingegraben hat.
Eine säkulare Schule wäre eine weniger indoktrinierende Schule als eine kirchliche SChule?
Wenn sie sich auf Wissensvermittlung beschränkt und kritisches Denken fördert, sollte das gelingen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Und wenn man ehrlich ist, läßt sich das Dogmenkonstrukt auch gar nicht anders rechtfertigen.
Mir isr bisher kein Dogma genannt worden, das historisch-kritisch falsifizierbar wäre. - Kennst Du welche?
Es geht nicht um Falsifizierbarkeit. Dogmen wie die Auferstehung und Jungfrauengeburt sollen doch dadurch gerechtfertigt werden, weil sie angeblich historische Tatsachen widerspiegeln. Nur so macht ein Dogma Sinn. Schließlich konnte das einem Dogma-Abtrünnigen das Leben kosten.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn er es tatsächlich wäre, wäre es seltsam, dass er sich in Bezug auf die Naherwartung geeirrt hat
Andersrum: Wie wären die Quellen zu verstehen, wenn er Gott wäre.
Eigentlich genau so. Was unhistorisch ist, bleibt unhistorisch.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:und dass er auf erfundene Geschichten der Schreiber angewiesen sein soll.
Du scheinst nicht im Ansatz verstanden zu haben, was es eigentlich mit "Sündenfall", "Heilsgeschichte" und "Erlösung" geht. - Nur in diesem Kontext sind solche Fragen beantwortbar (noch mehr: Man muss sie gar nicht stellen, weil es arsch-klar ist).
Da dies ja christliche Konstrukte sind, findet man ihre Bestätigung innerhalb der Texte dieses Konstruktes. Also wieder ein Zirkelschluss.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Muss man setzen, dass es Gottvater Zeus und seine Söhne wirklich gibt, bevor man die griechische Mythologie untersucht?
Nein - man muss auch nicht die Existenz Gottes setzen, wenn man die Bibel untersucht. - Nur darf man dies dann nicht mit dem Anspruch, etwas über Jesus zu wissen. -
Natürlich hat die historische Jesusforschung diesen Anspruch. (siehe dazu die Anmerkungen von Gerd Theißen)


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Will sie den historischen Jesus verständlich machen oder den mythologischen, konstruierten, unhistorischen? Das ist hier die Gretchenfrage.
Den historischen. - Aber nicht anhand von Bethlehem-Geschichten, sondern am geistlichen Gehalt, der an seiner Historizität hängt. - Ich habe den Verdacht, dass wir unter "historisch" Unterschiedliches verstehen (ich habe schon einmal eine diesbezügliche Frage gestellt und keine Antwort gekommen).
Doch, darauf habe ich geantwortet und meinem Erstaunen Ausdruck verliehen, dass man unter "Historisches" etwas anderes verstehen kann, als das, was wirklich geschehen ist, geschichtliches, vergangene Ereignisse. Wenn die Forschung vom unhistorischen Kindermord des Herodes spricht, dann meint sie natürlich, dass dieser gar nicht stattgefunden hat. Wie soll man es anders verstehen? Mit der literarischen Textgattung hat das nichts zu tun.

closs hat geschrieben: Unter "historisch" versteht die kanonische Exegese aus meiner Sicht den realen, wirklich Jesus, der gelebt hat und Geistiges von sich gegeben hat. - Du scheinst unter "historisch" einen Forschungs-Stand der HKM zu verstehen. - Das sind zwei sehr unterschiedliche Besetzungen des Wortes "historisch".
Du verstehtst es wie kein zweiter für Begriffskuddelmuddel zu sorgen. Natürlich bezieht sich die historische Jesusforschung auf den historischen Jesus. Das ist doch ihr Kerngeschäft.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Natürlich ist sie ergebnisoffen, sonst hätte sie sich nicht als Standardmethode etablieren können.
Dieser Satz ist ein Witz - DAS ist nun wirklich keine Begründung.
Doch, genau das ist die Begründung, denn wie aus obigem Zitat ersichtlich ist, muß sich Wissenschaft über ihre Methoden Rechenschaft geben. Wäre die Methode vom Ansatz her nicht ergebnisoffen, würde sie mit Pauken und Trompeten durchfallen. So einfach ist das.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:"Seit der Aufklärung hat sich die Auffassung herausgebildet, dass wir denjenigen Sinn eines Textes herausarbeiten müssen, den der/die Autor/in im historischen Ursprungs-Kontext zum Ausdruck gebracht hat, und nicht den, den spätere Leserschaften ihm zuerkannt haben oder zuerkennen".
Dieser Satz hat es in sich. - Denn das, was spätere Leserschaften zuerkannt haben, kann sehr wohl authentischer zur Historizität Jesu sein als die frühen Rezeptionen. - Denn eine primäre Autorenschaft gibt es in diesem Fall wird.
Das kann man vergessen. Ein Muster wird ganz deutlich. Je später die Texte verfasst wurden, desto wundersamer wurden die Wunder, desto mehr wurden die Geschichten ausgeschmückt, desto unhistorischer werden die Erzählungen. (siehe Johannesevangelium).
Die Geburtslegenden wurden erst später nachgeliefert, nachdem wohl die Kritiker nach einer Legitimation fragten. Man kann glauben, dass die Schreiber nun plötzlich 80 Jahre nach der Geburt Jesu genau wissen, was damals passiert ist. Man kann aber auch den gesunden Menschenverstand walten lassen und dies ins Reich der Mythen und Legenden verorten.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
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#687 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Fr 22. Jul 2016, 18:54

sven23 hat geschrieben:Wenn sie sich auf Wissensvermittlung beschränkt und kritisches Denken fördert, sollte das gelingen.
Wissensvermittlung reicht normalerweise nicht - die Leute müsse auch damit etwas anfangen können - also deutet man das Wissen vor bzw. stellt die Deutung zur Diskussion. - Dies gilt für säkulare Einrichtungen genauso wie für geistig orientierte Einrichtungen.

Schau Dir heute die Tagesschau an: Du wirst erkennen, dass das darin vermittelte Wissen in seiner Darreichungsform gedeutet wird - ganz zu schweigen von der Auswahl der Themen, was man als Zuschauer gar nicht mitkriegt. - Merke: Die Indoktrinierung durch unsere Medien ist nicht weniger als durch Putin-Medien - mit dem Unterschied, dass wir weit unterschiedlicher indoktriniert werden. Da kann man sich dann eher was raussuchen.

Aber wer tut das schon? Wer hätte die Zeit dazu außer Vollzeit-Gucker ohne andere berufliche Verpflichtungen? - Deshalb ist die Frage eher: Welche Indoktrination ziehe ich vor? Und das ist dann Vertrauenssache. - Übrigens: Warum eigentlich "Indoktrination"? Könnte man nicht auch sagen: Von wem will ich mich beeinflussen lassen?

Meine persönliche Meinungsbildungs-Instanz ist DIE ZEIT. - Da stinkt mir zwar auch einiges, aber insgesamt ist das ein hoch-anspruchsvolles Medium. - Problem: Ich habe sie 1973 bis 1984 (letztes Uni-Examen) gelesen, hatte während meiner beruflichen Zeit keine Zeit und lese sie erst wieder, seitdem ich Rentner bin - denn: Anspruchsvolle Meinungen kosten Energie und Zeit. - Wer hat das heute?

Die Frage in unserem Kontext lautet also:
Will ich meine Meinung von säkular-agnostischer oder einer geistig-religiösee Seite bilden lassen? - Am besten, man macht beides. - Ansonsten wird man in keinem Fall eine neutrale Einflussnahme genießen - alles andere wäre naiv.

sven23 hat geschrieben:Dogmen wie die Auferstehung und Jungfrauengeburt sollen doch dadurch gerechtfertigt werden, weil sie angeblich historische Tatsachen widerspiegeln.
Logisch - es macht keinen Sinn, wenn sie nicht stattgefunden haben. - Und das kann man nur glauben und sich geistig begründen lassen (was nicht das Problem ist). - Aber mit der HKM hat das nichts zu tun - da kommt sie erst gar nicht hin.

sven23 hat geschrieben: Was unhistorisch ist, bleibt unhistorisch.
Was ist "historisch"? - Eine methodische oder eine ontologische Größe?

sven23 hat geschrieben:Natürlich hat die historische Jesusforschung diesen Anspruch.
Tja - dann sollte man aber arg vorsichtig sein und nicht in geistige Fragestellungen reinpfuschen. - Wenn die HKM raufindet, dass Jesus blaue Gewänder bevorzugt hat, ist das ok.

sven23 hat geschrieben:Da dies ja christliche Konstrukte sind, findet man ihre Bestätigung innerhalb der Texte dieses Konstruktes. Also wieder ein Zirkelschluss.
Dann sage mir mal, was KEIN Zirkelschluss ist? - Ist es KEIN Zirkelschluss, wenn die HKM keinerlei geistigen Plan hat und "ergebnisoffen" irgendwelche Erkenntnis-Puzzles zusammenbaut? Auch da schallt es am Ende so aus dem Wald, wie hineingerufen wurde?

Modelle sind üblich in der Wissenschaft - das christliche Konstrukt ist ein Modell, innerhalb dessen sie genauso ergebnisoffen forscht wie die HKM auch.

sven23 hat geschrieben: Wenn die Forschung vom unhistorischen Kindermord des Herodes spricht, dann meint sie natürlich, dass dieser gar nicht stattgefunden hat.
Diszipliniert gesprochen meint sie damit, dass es aus ihrer methodischen Sicht keine Anzeichen gibt, dass dieser Kindermord stattgefunden hat - das ist kategorial etwas ganz anderes.

Und DANN ist es in der Tat gut möglich, dass dieses methodische Ergebnis mit der Wirklichkeit koinzidiert - aber das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. - Hier wird gerne wissenschaftlich undiszipliniert (eigentlich ist DAS unredlich) gesprochen.

sven23 hat geschrieben:Wie soll man es anders verstehen?
Man sollte methodisches Ergebnis und das, was wirklich der Fall war, klar trennen. - Faktisch hat man sich angewöhnt, beides gleichzuschalten - das ist Ideologie pur.

sven23 hat geschrieben:Natürlich bezieht sich die historische Jesusforschung für den historischen Jesus. Das ist doch ihr Kerngeschäft.
Solange diese Gleichschaltung besteht, ist es nicht überzeugend.

sven23 hat geschrieben:Je später die Texte verfasst wurden, desto wundersamer wurden die Wunder, desto mehr wurden die Geschichten ausgeschmückt, desto unhistorischer werden die Erzählungen.
Und schon fällst Du wieder ins selbe Loch.

Die Frage, ob Johannes historisch recht hat, wird dadurch beantwortet, ob er mit seinen Ausführungen Jesus geistig gerecht wird. - Wenn er ihmn gerecht wird, wird er dem historischen Jesus gerecht - egal, ob da gegenüber früheren Quellen verändert wurde oder nicht. - Wir stecken immer noch in der Frage: "Methodische Historizität" oder "Was-tatsächlich-der-Fall-war-Historizität". - Letzteres ist grundsätzlich nicht nachweisbar, weil wir ja auf HKM oder kanonische Exegese angewiesen sind, die beide irren können.

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sven23
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#688 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Fr 22. Jul 2016, 19:05

closs hat geschrieben: Deutlicher: Die Juden-Unterdrückung war Folge davon, dass auch die Kirche über viele Jahrhunderte (teilweise bis heute) den NT-Paradigmenwechsel nicht verstanden hat und alttestamentarisch gehandelt hat. - Sie war NICHT die Folge des NT, deren Paradigmenwechsel ein solches Handeln nicht erlaubt hätte - Jesus hätte die Juden NICHT diskriminiert.
Wenn er der Sohn Gottes gewesen wäre, hätte er um die folgende Diskriminierung wissen müssen, die vor allem auf das Konto der zukünftigen Kirche geht.

"Jesus kündigte die Königsherrschaft [Gottes] an, und was kam, war die Kirche." Dieser Satz des katholischen Modernisten A.Loisy wird in beinahe jeder Untersuchung zur neutestamentlichen Ekklesiologie zitiert – oft mit der Absicht, die eschatologische Verkündigung Jesu und die Institution Kirche einander kritisch gegenüberzustellen. Daran ist sicher richtig, dass Jesus keine Kirche gründen wollte."
Quelle: Bibelwissenschaft.de



"Im Blick auf das Verhältnis zu Israel beginnt sich die Tendenz durchzusetzen, die Kirche als einzige legitime Besitzerin des von Israel fälschlich okkupierten Heils darzustellen. Matthäus sagt ausdrücklich, dass Israel das Reich Gottes weggenommen wird (Mt 21,43). Jetzt ist die Kirche das zum Gehorsam berufene Volk Gottes. Im Joh verwerfen "die Juden" das Heil und sind Söhne des Teufels (8,44).

Vielfach wird das Verhältnis zu Israel gar nicht mehr reflektiert, sondern die im Alten Testament Israel geltenden Heilsprädikate werden einfach auf die Kirche übertragen (vgl. z.B. 1Petr 2,9f). Hier ist ein Defizit entstanden, das im christlichen Antijudaismus eine fatale Wirkungsgeschichte hatte."

Quelle: Bibelwissenschaft.de
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#689 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Fr 22. Jul 2016, 19:26

sven23 hat geschrieben:Wenn er der Sohn Gottes gewesen wäre, hätte er um die folgende Diskriminierung wissen müssen, die vor allem auf das Konto der zukünftigen Kirche geht.
Natürlich - und jetzt?

"Geschichte" ist der Weg im Dasein, den der Mensch/die Menschheit geht. - Dieser Weg dient im Einzelnen und für die Menschheit als notwendige Entwicklungs-Unterlage für Erkenntnis. - Natürlich weiss das Gott (sogar "im Voraus").

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#690 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Fr 22. Jul 2016, 21:13

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn er der Sohn Gottes gewesen wäre, hätte er um die folgende Diskriminierung wissen müssen, die vor allem auf das Konto der zukünftigen Kirche geht.
Natürlich - und jetzt?
Dann hätte der Sohn Gottes Mitschuld am Leid seiner Landsleute. Aber die Forschung kann ihn ja weitgehend frei sprechen. Er wollte weder eine neue Kirche gründen, noch die ganze Welt missionieren, noch sich selbst als Opferlamm zur "Rettung" der ganzen Menschheit hingeben. Das sind alles nachträgliche christliche Konstruktionen.
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