Thaddäus hat geschrieben:Was Jesus selbst gemeint oder geglaubt hat, wissen wir nicht und kein Mensch kann es wissen.
Gut zu hören.
Thaddäus hat geschrieben:Will man aber wissen, was er - vermutlich und mit der höchsten zu erreichenden Wahrscheinlichkeit - gemeint hat, dann gelingt das nur über vernünfte, wissenschaftlich-methodische Analyse und Rückschlüsse aus dem, was andere über ihn gedacht und niedergeschrieben haben!
Das könnte jetzt zu einem ernsthaften Gespräch führen, ob dies WIRKLICH so sein muss - denn alternativ dazu ist auch möglich, dass man aus einem zwar schrift-gestützten, aber geistig zusammengeführten Gesamt-Kontext ähnliche oder höhere Wahrscheinlichkeit erzielt.
Wir dürfen nicht vergessen, dass der Mensch nicht nur "Sammler und Jäger" von vorliegenden Fakten sein muss, sondern auch eigenständige geistige Instanz sein kann - der Nachteil: Diese Version ist naturgemäß nicht intersubjektiv überprüfbar. - Was mich wieder zu meinen Erfahrungen in der Pianistik-Welt führt: Dort wird man eingeordnet nach geistig weniger oder mehr ausgebildet und nicht nach Intersubjektivität - eben weil man als Künstler eigenständige geistige Instanz ist. - Man erkennt sich gegenseitig oder nicht - und das geht ruckzuck. - Klingt elitär - ich kann's nicht ändern, denn es geht nicht anders, wenn man etwas hören will, das durch Mark und Pein gehen soll.
Thaddäus hat geschrieben:Deine angebliche Alternative hierzu existiert schlicht und einfach nicht!
Doch - aber sie hat nichts mit intersubjektivem Wissen zu tun und ist insofern methodisch unbrauchbar. - Betroffene interessiert das nicht, weil sie über die Substanz gemessen werden und nicht über einen intersubjektiven Nachweis ihrer Wahrnehmung. - Beispiel:
Wenn 10 Musikwissenschaftler sagen, dass das Stück x von Chopin nachweislich in einer Phase größter Depression des Komponisten entstanden ist und es deshalb "wahrscheinlich" sei, dass dieses Stück depressive Stimmung wiedergeben solle, und 10 internationale Pianisten dazu den Kopf schütteln, haben die Pianisten recht. - Die "merken" nämlich, was ein Stück wiedergeben soll - sonst haben sie ihren Beruf verfehlt.
Thaddäus hat geschrieben:Es existieren keine gesamtkanonischen und gleichzeitig wissenschaftlichen Begründungen dafür
Aber doch nur dann, wenn man einen Wissenschafts-Begriff unterlegt, der kanonische Exegese als unwissenschaftlich bezeichnet ...
Thaddäus hat geschrieben: Und vernünftig ist das, was du als folgerichtig einsehen kannst ohne Legitimation durch übernatürliche Kräfte
Eine vollkommen willkürliche Festlegung bzw. Einschränkung.
Gedanken-Experiment:
WENN es Gott als Entität wirklich gäbe (also christliche Lesart) und über unserer (mindestens diesseitigen) Einsichts-Fähigkeit vernünftig handeln würde: Wie würdest Du diese Vernunft dann nennen? - Neues Wort?
Thaddäus hat geschrieben:Es ist keine wissenschaftliche Option, die Möglichkeit einer Aber- und Über-Vernünftigkeit in Betracht zu ziehen, weil das keinerlei wissenschaftliche Relevanz hat.
Absolut einverstanden, WENN die Wissenschaft dann auch dazu steht, dass sie innerhalb ihres Methodik-Systems geistige Aussagen nur unter grundsätzlichem Vorbehalt machen kann. - DAS wäre aus meiner Sicht "Vernunft".
Thaddäus hat geschrieben: Tatsächlich ist deine Hiob-Interpretation aber nicht vernünftig
Das sagst Du dem richtigen. - Mich hat dieses Buch 4 Monate meines Lebens gekostet, weil es dialektisch derart verzwickt aufgebaut ist und zu recht folgendermaßen beurteilt wird (ich nehme ein spontan heraus-gegoogeltes Zitat von vielen ähnlich lautenden heraus: "Das Buch Hiob gehört wie kaum ein anderes Buch der Bibel zu den größten Werken der Weltliteratur neben Dantes Göttlicher Komödie und Goethes Faust." (U.Hohmann).
Deine zitierte Interpretation ist zwar unaufgeklärt mehrheitsfähig und vielleicht für den Religions-Unterricht für 6-Jährige geeignet (ich trage jetzt etwas dick auf

), aber alles andere als werk-gerecht. - Da geht wirklich mehr ab.
Thaddäus hat geschrieben:Nein, Werte sind zunächst alles, was als Werte postuliert wird.
Vielen Dank - sehr gute Antwort.
Thaddäus hat geschrieben: In Europa gelten heute keine christlichen Werte. Jeder der das behauptet lügt, wissentlich oder unwissentlich. In Europa (und in Argentinien) gelten zentrale und von vernünftigen Menschen sich selbst gesetzte Werte der Aufklärung!
Auch das könnte zu kurz gesprungen sein.
Wie es ohnehin immer wieder erstaunlich ist, dass das Postulat, die Aufklärung bis zum 19. Jh. sei unterm Strich eine Gegenbewegung zu den Werten des NT gewesen, so kritiklos geglaubt wird. - Richtig daran ist mindestens, dass in den ersten Jahrhunderten der Aufklärung das Christentum von kirchen-selbstgefälligen Vorstellungen befreit wurde - was darüber hinausgeht, wäre nicht so pauschal zu beantworten.
Thaddäus hat geschrieben: Z.B das Verbot von Sklaverei. Kein christlicher Wert, denn das frühe Christentum und Jesus selbst haben sich niemals gegen Sklaverei ausgesprochen. Aber die Aufklärung hat es getan aus moralischen Gründen.
Auch da ist was dran - aber auch nicht viel mehr.
Eine alleinerziehende Mutter ohne Erbschaft (dito Mindestlohn-Familien) ist heute ähnlich versklavt wie ein Sklave im AT oder in der römischen Antike (Res familias) - Etiketten-Wechsel/-Schwindel ist keine Aufklärung.
Thaddäus hat geschrieben:Selbstverständlich. Das ist ein zentrales Erbe der kantischen Moralphilosophie.
OK - dann machen wir den Test, bevor wir darüber weiter reden:
Stelle Dir vor, Du wärest angeklagt (lassen wir offen, ob Du etwas ausgefressen hast oder nicht - das weißt nur Du). - Jetzt urteilt das Gericht:
a) schuldig oder
b) nicht schuldig.
Würdest Du Deine eigene Haltung zu Deiner Tat oder Nicht-Tat aufgrund von a) oder b) korrigieren, weil Du jetzt weisst, was "gerecht" ist? - "Die Instanz" hat gesprochen.