Alles Teufelszeug?

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sven23
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#61 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » So 7. Feb 2016, 16:05

Magdalena61 hat geschrieben: Selbst in unserem Staatswesen werden üble Nachrede, falsche Anklage, Verleumdung/ Rufmord als Straftat gewertet und verfolgt. Warum sollte Gott solche Übertretungen dann blöde lächelnd "vergeben", noch dazu, wenn der Aggressor noch nicht einmal um Vergebung bittet, da er sich "im Recht" zu sein wähnt?
Aber ich bitte dich, wegen übler Nachrede wird man nicht gehängt.
Die ewige Höllenstrafe ist doch völlig überzogen für ein Schimpfwort (es kann ja auch zutreffend sein, denn Narren gibt es unzweifelhaft).
Interessanter ist doch, daß Jesus hier mal wieder für eine Thoraverschärfung steht und selbst auch als Kind seiner Zeit an die Hölle glaubte (Auch wenn Hemul das nicht gefallen wird ;) )

"Alle jüdischen Bewegungen der damaligen Zeit hatten das Anliegen, die jüdische Identität gegenüber dem übermächtigen Sog der fremden Kultur zu wahren. Und jüdische Identität heißt, dass man ein jüdisches Leben nach der
Thora, dem Gesetz, also nach dem Willen Gottes, führt. In Reaktion auf die Fremden entwickeln fast alle Bewegungen
damals so etwas wie Thoraverschärfung.
Dabei werden die spezifisch jüdischen Normen besonders streng erfüllt. Sie werden strenger und sorgfältiger ausgelegt.
Es ist das Besondere bei Jesus, dass wir neben der Thoraverschärfung, die wir auch bei ihm antreffen, gleichzeitig
eine Thora-Entschärfung finden. Etwas salopp gesagt, er ist in manchen Punkten liberaler und laxer als manche
seiner Zeitgenossen.
...
Radikalität findet sich bei Jesus dafür an einem anderen Punkt.
Beim Reichtum. Du kannst nicht Gott dienen und zugleich dem Mammon. Man kann nicht zwei Herren zugleich
dienen. Hier findet sich dieselbe radikal-theokratische Alternative wie bei der Widerstandsbewegung. So hat Jesus
vermutlich zwar keinen zelotischen Hintergrund, aber die zelotische Widerstandsbewegung und Jesus haben einen
gemeinsamen Hintergrund, das Judentum. Und dies auch noch in einer verschärften und besonders radikalen Form
."

Gerd Theißen
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closs
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#62 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » So 7. Feb 2016, 16:09

sven23 hat geschrieben:woher will übrigens Ratzinger wissen, daß der Jesus der Evangelien historisch ist?
Es weiss es genauso wenig, wie es umgekehrt gewusst wird. - Es ist seine gesamt-kanonische Interpretation.

sven23 hat geschrieben:Gerd Theißen
Da drückt er sich gut, da zurückhaltend aus. :thumbup:

sven23 hat geschrieben:Es ist, wie Theißen betont, eine mühsame Puzzlearbeit, die sich aus vielen Mosaiksteinchen zusammensetzt.
So ist es. - Und es ist nicht einmal wichtig, welches Puzzleteil wohl historisch oder wohl nicht-historisch ist (kann sich auch immer wieder mal ändern) - das Gesamt-Konzept ist wichtig: "Die Bibel wäre eine grundlegend andere Schrift, wenn Jesus NICHT historisch wäre und somit ein großer Fake wäre".

Wie gesagt: Auch die HKM kann NICHT im Rahmen ihres Mandats ermitteln, ob Jesus (im Sinne christlicher Deutung) historisch am Kreuz gestorben ist oder nicht. - Hier stehen Glaube geben Glaube - Kubitza gegen Ratzinger. - Nur dass sich Ratzinger zu seinem Glauben bekennt und nicht so tut, als sei Glaube dasselbe wie Wissenschaft.

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Münek
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#63 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Münek » So 7. Feb 2016, 16:11

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:"Die sonst bei der historisch-kritischen Arbeit gültigen Gesetze gälten bei der historisch-kritischen Bibelexegese nur eingeschränkt"
Da muss man nicht besondern geistig inspiriert sein, um es bei selbst-kritischem Betrachten der HKM nicht selber zu merken (Zur Erinnerung: Wir haben lediglich Rezeptions-Quellen und keine authentische Quelle").

Dein Wort in Ratzingers Ohren:

Einen Dogmatiker wie Ratzinger interessieren Deine Rezeptions-Einwände doch nicht die Bohne. Er hält die
überlieferte Geschichte Jesu, wie sie sich in den Evangelien niedergeschlagen hat, in allen Belangen, in Wort
und Tat für völlig authentisch. Und nun?

So unbedarft und blauäugig wie der Ex-Papst können historisch-wissenschaftlich forschende Theologen natür-
lich nicht an die antiken biblischen Texte herantreten. Das müsste eigentlich klar sein.

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sven23
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#64 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » So 7. Feb 2016, 16:15

Münek hat geschrieben: Ich wies hier wiederholt auf den Konsens hin, der unter den Neutestamentlern in der Frage der Naherwartung Jesu und seines diesbezüglichen Irrtums besteht. Dazu wurde mehr als ein Dutzend renommierter Theologen (wie z.B. Bultmann, Rahner, Küng, Theißen, Lindemann) zitiert, die ausdrücklich Jesu Irrtum konstatierten.
Es ist mir auch unbegreiflich, wie man dies alles beharrlich leugnen kann. Das kann doch nur ideologische Gründe haben. :thumbdown:
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sven23
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#65 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » So 7. Feb 2016, 16:19

closs hat geschrieben:So ist es. - Und es ist nicht einmal wichtig, welches Puzzleteil wohl historisch oder wohl nicht-historisch ist (kann sich auch immer wieder mal ändern) - das Gesamt-Konzept ist wichtig: "Die Bibel wäre eine grundlegend andere Schrift, wenn Jesus NICHT historisch wäre und somit ein großer Fake wäre".
Na, soooo einfach kann man es sich nicht machen. Es ist schon der Ehrgeiz der Forschung, historisches von unhistorischem zu unterscheiden. Gerade weil Jesus kein Fake ist, ist seine Naherwartung höchst wahrscheinlich authentisch. Die Gründe dafür sind oft genug genannt worden.
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#66 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » So 7. Feb 2016, 16:31

closs hat geschrieben: Innerhalb des Mandats der HKM (bzw. wie man das Mandat heute unter streng-wissenschaftlichen Gesichtspunkten interpretieren mag) mag es keine Kontroversen geben - was aber schon wieder ein Widerspruch in sich selbst ist, weil die Aussage "Jesus SELBST hatte eine (zeitnahe, "äußere") Naherwartung bereits ein Verstoß gegen das eigene Mandat ist (zur Erinnerung: Reine Rezeptions-Forschung sage nur etwas über Text und Textverfasser aus).
Als Verstoß wird es doch nur betrachtet, weil es der Glaubensdoktrin widerspricht. Würde diese bestätigt, hätte niemand ein Problem damit. Merkste, wie willkürlich das ist?

closs hat geschrieben: Korrekt ist nichtsdestoweniger, dass die HKM recht haben könnte, WENN Jesus nichts anderes war als ein Wanderprediger ohne weiteres geistiges Mandat seinerseits. - Dann wäre das NT nichts anderes als ein Fake auf Basis eine groß-angelegten Täuschung - da der Mensch nichts sicher wissen kann, ist auch das möglich.
.
Genau genommen ist das die Befundlage auf Basis der historisch-kritischen Betrachtung. Bultmann spricht aber nicht von Fake, sondern von einer Entmythologisierung des biblischen Jesus. Die Bultmannschule zeigt ja auch, daß man trotzdem mit diesem entmythologisierten Jesus weiter arbeiten kann, wenn man es denn will.
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#67 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Münek » So 7. Feb 2016, 16:41

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Und wie kommt Ratzinger bei "lediglich" Rezeptions-Quellen auf den Trichter, daß alles im Zusammenhang mit Jesus historisch sei
Nicht aus historisch-kritischen Gründen.

Sorry - das ist doch lächerlich!

In seinem Jesus-Buch sagt Ratzinger GENAU das GEGENTEIL (Bd. I S. 14):.

"Denn für den biblischen Glauben ist es WESENTLICH, dass er sich auf wirklich HISTORISCHES Geschehen bezieht."

Und nun kommt Dein Einwand: Historie? Welche Historie? Wir haben doch nur Rezeptionen!
Was Jesus meinte, sagte und verkündigte, wissen wir nicht - zumal ihn die Jünger nicht ver-
standen - auch nach Pfingsten blickten sie nicht voll durch...

Letzteres sind Deine laienhaften, aus der Luft gegriffenen Behauptungen, denen Ratzinger in
seinem Buch ausdrücklich widerspricht. Ich habe die entsprechenden Passagen aus seinem Buch neulich noch zitiert.

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#68 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » So 7. Feb 2016, 16:54

Münek hat geschrieben: Sorry - das ist doch lächerlich!

In seinem Jesus-Buch sagt Ratzinger GENAU das GEGENTEIL (Bd. I S. 14):.

"Denn für den biblischen Glauben ist es WESENTLICH, dass er sich auf wirklich HISTORISCHES Geschehen bezieht."

Und nun kommt Dein Einwand: Historie? Welche Historie? Wir haben doch nur Rezeptionen!
Was Jesus meinte, sagte und verkündigte, wissen wir nicht - zumal ihn die Jünger nicht ver-
standen - auch nach Pfingsten blickten sie nicht voll durch...

Letzteres sind Deine laienhaften, aus der Luft gegriffenen Behauptungen, denen Ratzinger in
seinem Buch ausdrücklich widerspricht. Ich habe die entsprechenden Passagen aus seinem Buch neulich noch zitiert.
Ehrlich gesagt wird mir die Argumentation von Kurt immer unverständlicher. Einerseits sagt er immer, es sei alles nur Rezeption und man könne damit keine belastbaren Aussagen über Jesus machen, andererseits hält er die Kanonik, die ja nichts anderes als gebündelte Rezeption ist, für geeignet, zum "echten, geistigen" Jesus vorzudringen.
Und Ratzinger, dem er zustimmt, sagt das Gegenteil, nämlich daß diese Rezeption wirklich historisches Geschehen widerspiegelt.
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#69 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » So 7. Feb 2016, 17:10

sven23 hat geschrieben: Und Ratzinger, dem er zustimmt, sagt das Gegenteil, nämlich daß diese Rezeption wirklich historisches Geschehen widerspiegelt.
Nein, das sagt Ratzinger nicht.

Der Schlüssel, um eine Aussage zu verstehen, ist immer, das Buch selber zu lesen, und zwar im Kontext. Herausgebrochene Zitate können das Gegenteil von dem suggerieren, was im Kontext ganz anders klingt.

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sven23
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#70 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » So 7. Feb 2016, 17:18

Savonlinna hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Und Ratzinger, dem er zustimmt, sagt das Gegenteil, nämlich daß diese Rezeption wirklich historisches Geschehen widerspiegelt.
Nein, das sagt Ratzinger nicht.

Der Schlüssel, um eine Aussage zu verstehen, ist immer, das Buch selber zu lesen, und zwar im Kontext. Herausgebrochene Zitate können das Gegenteil von dem suggerieren, was im Kontext ganz anders klingt.

Alle Rezensionen, die ich gelesen haben, bestätigen das und ich kann mich an ein Interview mit Ratzinger erinnern, in dem er dies explizit betont. Sinngemäß sagt er, daß ein mythologischer Jesus zu wenig für ein Glaubensfundement sei und es sich um historische Geschehnisse handeln müsse.
Anders machen ja auch die kirchlichen Dogmen keinen Sinn.
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