Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

closs
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#561 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Di 28. Jul 2015, 22:07

Halman hat geschrieben:Wäre es nicht möglich, dass der Geist Gott vor allem war, das Universum erschuf und damit auch den materiellen Menschen, dessen Geist vom Gehirn über hochkomplexe, neurologische Erregungsmuster erzeugt wird? Diese Erkenntnis tangiert meinen Glauben an GOTT nicht einmal peripher.
Das entspricht eigentlich meiner Überzeugung ziemlich genau - weshalb ich immer wieder betone, dass naturwissenschaftliche und geistige Dinge nicht interferieren.

Allerdings muss man da aufpassen: Denn wenn der menschliche Geist durch Gott über Materie erzeugt wird, ist dies kein rein mechanisches Geschehen mehr, sondern (wie Kardinal SChönborn sagt) "ein Plan dahinter". - Das aber hört man in der Wissenschaft nicht gerne, weil damit die ET teleologisch verstanden werden kann - was (sicherlich zu Recht) von Darwin (?) falsifiziert wurde.

Also muss man sagen: "Ein Plan dahinter" ist eben "dahinter" und nicht Teil der ET, sondern meta-wissenschaftliche Grundlage der ET. - Gäbe es darüber Einigkeit, wäre es nicht missverständlich, wenn man (menschlichen) Geist als Folge von Materie versteht (was ja isoliert aus neurowissenschaftlicher Sicht gesehen richtig ist). - Aber so weit sind wir noch nicht - und werden wir wohl nie sein, füge ich pessimistisch an.

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Münek
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#562 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Mi 29. Jul 2015, 01:39

closs hat geschrieben: Und mein Verdacht ist eben, dass in den HKM-Abhandlungen zum Thema "Parusie" diesbezüglich etwas schiefgelaufen ist - ich behaupte es nicht, es kommt halt so rüber.

Und mein Verdacht ist, dass das, was angeblich "so rüberkommt", ganz bewusst von Dir missverstanden wird...

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#563 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Mi 29. Jul 2015, 02:22

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Nur ist die "präsentische Gottesherrschaft" nicht mit einem sog. "inneren Reich Gottes" gleichzusetzen. Die Evangelisten kennen diesen Begriff nicht; sie benutzen einheitlich den Begriff: "basileia tou theou" (Reich Gottes, Gottesherrschaft, Königsherrschaft Gottes).
Diesen Begriff haben wir hier verwendet, damit es keine Verwechslung mit der "äußeren" apokalyptischen Wiederkunft Jesu gibt. - Niemand hat behauptet, dass dieser unser Behelfs-Begriff so in der Bibel steht.

Den Begriff "inneres Gottesreich" haben nicht "wir", sondern allein Du verwendet. Er ist nicht "unser Behelfsbegriff", sondern Deiner. Wir
benötigen einen solchen "Behelfsbegriff" nicht, der überflüssig ist und nur Verwirrung stiftet.

Die Gefahr einer Verwechslung besteht schon deshalb nicht, weil Jesus nie den nahen Anbruch "zweier unterschiedlicher Gottesreiche" angekündigt hat. Absoluter Blödsinn. Du solltest Deinen Widerstand aufgeben und wirklich mal Fachliteratur zu Rate ziehen. Deine Defi-
zite sind einfach nicht zu übersehen. Es fehlt Dir an elementarsten Kenntnissen, um fachkundig mitreden zu können.

Tipp: Das hervorragende Lehrbuch "Der historische Jesus" der Theologen Gerd Theißen/Annette Merz. Bei Amazon
kannst Du einen Blick in dieses Buch werfen. Allerdings werden nicht alle Seiten angezeigt. Mach es einfach mal...


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#565 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Mi 29. Jul 2015, 03:06

Halman hat geschrieben: "Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und PHARISÄER, werdet ihr nicht IN DAS HIMMELREICH KOMMEN."
Interessant ist ja, dass Matthäus den Ausdruck Himmelreich verwendet, womit er auf ein bestehendes Gottesreich im Himmel hinweist.[/quote]


Während Lukas Jesus das an die Pharisäer gerichete Wort in den Mund legt, dass das Reich Gottes mitten unter ihnen ist. ;)
Matthäus als Judenchrist verwendete zumeist den Begriff "Reich der Himmel", wenn er vom "Reich Gottes" schrieb, d.h. dem unmittelbar bevorstehenden Anbruch der Königsherrschaft Gottes auf Erden. Beide Begriffe sind inhaltlich identisch. Das zeigt folgende Gegenüberstel-
lung.

Matthäus 4,17:

"Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen."

Markus 1, 15:

"Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium."

Lukas 10,9

"Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen."

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#566 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Mi 29. Jul 2015, 08:33

Münek hat geschrieben:Die Gefahr einer Verwechslung besteht schon deshalb nicht, weil Jesus nie den nahen Anbruch "zweier unterschiedlicher Gottesreiche" angekündigt hat.
Natürlich bezieht sich das Präsentische und das Futurische auf dasselbe Gottesreich - einmal ist es in einem drin, das andere Mal kommt es (apokalyptisch) mit Donner und Gloria auf die Erde.

Münek hat geschrieben: "Reich Gottes" schrieb, d.h. dem unmittelbar bevorstehenden Anbruch der Königsherrschaft Gottes auf Erden.
Das ist eben Deine unzulässige Vermischung - Du meinst, das "nahe Gottesreich" sei das futurisch apokalyptische.

Münek hat geschrieben:Lukas 10,9

"Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen."
Das ist das präsentische Reich Gottes in Dir. - Du verwechselst das präsentisch nahe Reich IM Menschen mit dem futurisch fernen Reich auf der Erde und machst einen Hybriden draus als präsentisch nahes Reich auf Erden.

Deine drei Zitate sind sowohl in Deinem als auch in meinem Sinne verstehbar und sind somit keine Argumente für Deine Version.

Münek hat geschrieben:Du solltest Deinen Widerstand aufgeben und wirklich mal Fachliteratur zu Rate ziehen.
Und Du solltest mal selber nachdenken.

Unser Thema hier ist vielschichtig: Das Präsentische des Gottesreichs/Himmelreichs gibt es auf der einen Seite - das Futurische desselben auf der anderen Seite. - Beides ist mehr als genug nachweisbar.

Jetzt kommt dazu, dass die Rezeption der Schreiber nicht ganz wasserdicht ist (Stichworte: apokalyptische Naherwartung bei den Urchristen - Paradigmenwechsel AT/NT) - insofern ist es auch spannend, wann sich eine Aussage auf präsentisch und wann auf futurisch bezieht - und vor allem, wann die Schreiber wie rezipiert haben. - Bei aller Spannung und allem Interesse dafür darf nicht aus dem Blickfeld verschwinden, dass Jesus allein mit seiner Anwesenheit das Präsentische des Reichs mit sich bringt.

Münek hat geschrieben:Gerd Theißen/Annette Merz
Sicherlich ein hoch-interessantes Buch. - Soll ich mir daraus Deine Meinung abholen?

Nachdem Du es zu kennen scheinst: Unterscheiden die beiden NICHT zwischen präsentischem und futurischen Reich? - Mir ist kein Theologe in den letzten Jahren in die Quere gekommen, der nicht zwischen "Gottesreich-Nähe durch Jesus" und "apokalyptischer Wiederkunft Jesu" unterschieden hätte. - Noch mehr: Die hätten sich am Kopf gekratzt, wenn man beides in einen Topf geschmissen hätte. - Und Du meinst, Theißen/Merz hätten das in einen Topf geworfen?

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#567 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Mi 29. Jul 2015, 10:25

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Du solltest Deinen Widerstand aufgeben und wirklich mal Fachliteratur zu Rate ziehen.
Und Du solltest mal selber nachdenken.

Keine Sorge - das tue ich gewiss zur Genüge... :)


In Fachfragen - hier konkret: historisch-kritische Auslegung von Bibeltexten - kommt man als wissenschaftlicher
Laie ohne Fachliteratur aber nicht weiter, wenn man kompetent mitreden oder zu einem wirklich substanziellen
Urteil gelangen möchte.
Das gilt generell für alle wissenschaftlichen Bereiche. Was nützt einem das eigene Nachden-
ken
über einen Sachverhalt, dessen Verstehen spezifische Fachkenntnisse voraussetzt? Letztendlich natürlich nichts!

Du kannst als theologischer Laie nicht sachlich-fundiert über Erkenntnisse und Ergebnisse der theologischen Exegesewis-
senschaft urteilen, wenn Du nicht einmal weißt, wie die Theologen im Detail zu ihren jeweiligen Ergebnissen gekom-
men sind. Es ist vorprogrammiert, dass Du hier mit Deinen immer wieder nassforsch präsentierten haltlosen Unterstel-
lungen, Spekulationen und unsubstantiierten Behauptungen
nur kläglich Schiffbruch erleiden kannst.

Du lehnst die Lektüre empfohlener Fachliteratur kategorisch ab - und offenbarst damit bewusst oder unbewusst Deine Ig-
noranz
(= etwas nicht zur Kenntnis nehmen wollen). Das passt gut zu Deiner - von mir so empfundenen - Neigung, dem "Ge-
bot der intellektuellen Redlichkeit
" nicht unbedingt den höchsten Stellenwert einzuräumen.

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#568 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Mi 29. Jul 2015, 11:09

Halman hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Besonders aufschlussreich das echatologische Abendmahlswort Jesu (Mk. 14,25):

"Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks, bis an den Tag, an dem ich aufs neue davon trinken werde IM REICH GOTTES."
Dies war ja auch Jesu letztes Mahl vor seiner Kreuzigung.

Interessant finde ich, was Theißen/Merz zu diesem Ausspruch Jesu zu sagen haben (S. 233):

"Das Wort lässt sich als Todesprophetie verstehen: Jesus trinkt zum letzten Mal, bevor er am Mahl im Reich Gottes teilnimmt. Möglicherweise hofft er aber, das Reich Gottes breche so bald herein, dass ihm der Weg durch den Tod erspart bleibt. Auf jeden Fall ist auch dies Logion kaum im Urchristentum entstanden: Jesus hat keine besondere Rolle beim echatologischen Mahl. Nicht seine Person, sondern das zukünftige Reich Gottes steht im Zentrum."

(Hervorhebungen von mir)

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#569 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Andreas » Mi 29. Jul 2015, 11:54

Münek hat geschrieben:Interessant finde ich, was Theißen/Merz zu diesem Ausspruch Jesu zu sagen haben (S. 233):

"Das Wort lässt sich als Todesprophetie verstehen: Jesus trinkt zum letzten Mal, bevor er am Mahl im Reich Gottes teilnimmt. Möglicherweise hofft er aber, das Reich Gottes breche so bald herein, dass ihm der Weg durch den Tod erspart bleibt. Auf jeden Fall ist auch dies Logion kaum im Urchristentum entstanden: Jesus hat keine besondere Rolle beim echatologischen Mahl. Nicht seine Person, sondern das zukünftige Reich Gottes steht im Zentrum."
Hervorhebung von mir.

Schönes Beispiel.

Es lässt sich so verstehen. Es lässt sich demnach auch anders verstehen.
Möglicherweise können die Autoren an Hand der vorliegenden Texte die Gedanken Jesu lesen. Dabei gibt der Text mit Sicherheit nur die Gedanken des Markus wieder, der weder Augenzeuge noch Gedankenleser war, aber mit Sicherheit Teil des Urchristentums in welchem dieses Evangelium schließlich geschrieben wurde. Es ist reine Spekulation, wann dieses Logion entstanden ist, und ob Jesus das jemals so gesagt hat. Man weiß es nicht.
Im 1. Korintherbrief der vermutlich vor dem Markusevangelium verfasst wurde, steht dieser Satz beim Abendmahl jedenfalls nicht.
"Auf jeden Fall" deutet auf die Sicherheit der folgenden Aussage hin. Diese wird aber sogleich durch das Wörtchen "kaum" relativiert.
Die Schlussfolgerung aus diesen vagen Vermutungen dieser zwei Autoren, wird zum Faktum gemacht - allein schon von der sprachlichen Form her - "Jesus hat ..." und "Nicht seine Person, sondern ... steht im Zentrum."

Ich gönne ja diesen beiden Autoren ihre Meinung. Aber "wissenschaftlich" korrekt kommt mir ihre Vorgehensweise nicht rüber.

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#570 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Halman » Mi 29. Jul 2015, 12:50

Andreas hat geschrieben: Die Schlussfolgerung aus diesen vagen Vermutungen dieser zwei Autoren, wird zum Faktum gemacht - allein schon von der sprachlichen Form her - "Jesus hat ..." und "Nicht seine Person, sondern ... steht im Zentrum."

Ich gönne ja diesen beiden Autoren ihre Meinung. Aber "wissenschaftlich" korrekt kommt mir ihre Vorgehensweise nicht rüber.
Mag sein, dass es im "akademischen Kosmos" differenzierter gehandhabt wird, aber hier und in der populärwissenschaftlichen Darstellung in den Medien (kritische TV-Sendungen über die Bibel, alljährliche Osterartikel in den Zeitrschriften) kommt es so rüber, als würden Hypthesen zu Theorien und Theorien zu Fakten erhoben werden.
Laut Wikipedia handelt es sich bei der Zweiquellentheorie und eine textkritische Hypothese. Was denn nun: Theorie oder Hypothese.

Darum nervt mich der gebetmühlenartige wiederholte Verweis auf die Autorität des Exegeten. Klaus Berger² vergleich dies mit dem mittelalterlichen Dogmatismus der katholischen Kirche. Diese "Basta-Politik" ruft bei mir Rebellion hervor.

²Mir ist sehr wohl bewusst, dass er ein "strittiger Theologe" ist.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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